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Heidelberger Zeitung — 1900 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281-304 (01. Dezember 1900 - 31. Dezember 1900)
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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Xr. 2S2. Elkes Platt.

Keila», Len 14. vecember

ISO«.

Deutsches Reich
— Aus den ausführlichen Berichten über die Mitt-
wochsrede des Grafen Bülow geht hervor, daß dem
Präsidenten Krüger in Paris nicht nur gesagt worden
ist, der Kaiser bedauere, ihn jetzt nicht empfangen zu können,
sondern daß Krüger direkt gebeten worden ist, von seiner
Reise Abstand zu nehmen.
— Wie Berliner Blätter mittheilen, hatte der All-
deutsche Verband beschlossen, für den Fall, daß Prä-
sident Krüger nach Berlin komme, ihm dort eine Adresse
zu überreichen. Nachdem die Reise des Präsidenten Krüger
nach Berlin unterblieb und in einer in Düsseldorf abge-
haltenen Ausschußsttzung die Frage aufgeworfen worden
war, ob die Adresse unter diesen Umständen im Haag über-
reicht werden sollte, haben die Herren Graf Arnim, Graf
Stumm und v. Kardorff den Professor Hasse telegraphisch
gebeten, von der Ueberreichung einer Adresse im Auslande
Abstand zu nehmen. Das hat Prof. Hasse indessen
nicht gethan; die höchst überschwängliche Adresse ist doch
dem Präsidenten Krüger im Haag überreicht worden.
— Es ergeht eine Anfrage zur Bildung einer gesell-
schaftlich-sozialen Reform. Als nächste Aufgaben
der Reform werden bezeichnet: Ausbandes Arbeiterschutzes
und der Gewerbeaufsicht, Förderung des Arbeitsnachweises
— Fortbildung der Einrichtungen zur Verhütung und Bei-
legung von Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältniß, —
Ausbau der Arbeiteiversicherung im weitesten Sinne, —
Förderung der Bestrebung der Arbeiter, in Berufsvereinen
und Genossenschaften ihre Lage zu bessern. Der Aufruf
ist u. A. unterzeichnet worden von den nationalliberalen Reichs-
tagsabgeordneten Bassermann, Dr. Hieber, Th. Möller
und I)r. Paasche.
— Bei der Berathung des sog. „Toleranzantra-
ges" des Centrums im Reichstage ist unter anderem
darauf hingewiesen worden, daß im Herzogthum Braun-
schweig noch einige Bestimmungen in Geltung sind, durch
die sich die Katholiken mit Recht für beschwert halten
können. Jetzt wird aus Braunschweig gemeldet, daß ein
auf die Aenderung dieses Zustandes bezüglicher Gesetzent-
wurf bereits in den nächsten Tagen der lutherischen Ge-
neralsynode zugehen werde. Mag das nun eine Folge der
Reichstagsverhandlungen sein oder nicht, jedenfalls darf
Man die Einbringung eines derartigen Gesetzentwurfs vom
Standpunkt echter Parität nur begrüßen.
Hannover, 13. Dec. Der Kaiser traf um 2 Uhr
hier ein und fuhr alsbald nach dem Schlosse. Sodann
begab sich der Kaiser zu Pferde nach dem Waterloo-Platze,
wo die Garnison in Parade stand. Nach der Abnahme
der Parade kehrte der Kaiser ins Schloß zurück. Prinz
Ruprecht von Bayern traf heute Nachmittag hierein.
Deutscher Reichstag. Berlin, 13. Der. Fortsetzung
der Etats berathung.
Abg. Hug (Centr.) tritt für größere Sparsamkeit und Er-
höhung der Matrikularbeiträge ein, spricht sich aber gegen eine
Reichseinkommensteuer aus. Redner vertheidigt den Staats-
sekretär Grafen Posadowsky gegen die gegen ihn erhobenen An-
griffe und meint, der Ansturm der Sozialdemokratie werde
wirkungslos bleiben.
Abg. Frhr. v. Hodenberg (Welfe) tadelt aufs schärfste,
daß Krüger in Berlin nicht empfangen worden sei. Das habe
Deutschland mehr geschadet, als selbst der Empfang es hätte
thun können. Der Sieg des Reichskanzlers über den Abg. Dr.
Hasse sei nur ein Pyrrhussieg gewesen.
Abg. Dr. Hahn (Bundder Landw.): Wir müssen uns hüten,
England uns zu sehr zum wirlhschaftlichen Vorbild zu nehmen.
Vielleicht braucht der Reichskanzler die Alldeutschen noch einmal.
Der Empfang Krügers hätte wenigstens die Meinung nicht auf-
kommen lassen, daß wir uns fürchten.
Abg. Werner (Antis.): Das Fundament, auf dem der
Staat erbaut sei, würde untergraben, wenn man Bauern und
Mittelstand verarmen lasse.

Abg. Graf Roon (cons.) polemisirt gegen Bebel, dieser müsse
sich schämen, so ungerecht zu sein.
Präsident Graf Balle strcm erklärt die letzte Bemerkung
für unzulässig.
Graf Roon (fortfahrend) wünscht; daß der Reichskanzler
dafür Sorge trage, daß dem Hause noch in dieser Session ein
Militärversorgungsgesetz vorgelegt würde.
Abg. S t ö ck e r (wild.-cons.): Was die gegenwärtigen ge-
sellschaftlichen Zustände so verdorben habe, sei die Verachtung
der religiösen Gesinnung. (Zwischenrufe der Sozialdemokraten,
die der Präsident zu unterlassen bittet). Er würde eS für besser
halten, wenn Dr. Graf v. Posadowsky nicht versucht hätte, die
12 000 Mk.-Affaire schöner darzustellen, als sie es ist. Auch er
habe für die Weltpolitik gestimmt, jetzt habe «Briefe aus China
erhalten, aus denen hervorgehl, daß die Kaiserin-Wtttwe dem
regierenden Kaiser deshalb so feindlich gesinnt sei, weil er dem
Christenihum zugänglich war. Daß man Krüger nicht habe
empfangen wollen, sei bedauerlich. Es wäre besser gewesen,
wenn trotz des formellen Fehlers, den Krüger gemacht habe,
dieser in Berlin empfangen worden wäre. Wo es sich um große
sittliche Fragen handelt, dürfe kein sittlicher Zwiespalt durch das
Volk gehen. Er wünsche, daß Gott dem Reichskanzler Kraft
geben möge, etwas von christlicher Harmonie in das Concert
der Großmächte zu bringen.
Abg. Möller-Duisburg (natl.): Zu einer Verständigung
in verschiedenen wirlhschaftlichen Richtungen, dem Zolltarif und
dergleichen müsse man gelangen, obwohl es ungeheuer schwer
sei, eine richtige Mittellinie zu ziehen.
Abg. Graf Kl in ckowströ m (cons.): Die Landwirthschaft
verlange nichts Unbilliges. Mit den Maßnahmen der auswär-
tigen Politik könne man sich einverstanden erklären. Wenn
Krüger nicht zu politischen Zwecken, sondern als Privatmann
komme, werde man ihn empfangen können.
Abg. Fürst Radziwill (Pole) vertheidigt die Haltung des
Erzbischofs v. Stablewski in der Meseritzer Wahlangelegenhett.
Es folgen verschiedene Bemerkungen zur Geschäftsordnung
und persönliche Auseinandersetzungen. Die wichtigsten Thcile
des Etats werden der Budgetcommission überwiesen.
Nächste Sitzung: 8. Januar 1901, 2 Uhr. Tagesordnung:
Urheberrecht.
Der Präsident wünscht den Mitgliedern ein fröhliches Fest.
Baden. * Unrichtige Angaben macht die Bad. Landpost
über die Wahlen in Württemberg und knüpft an die un-
richtige Feststellung des Thatbestands eine für die Kon-
servativen günstige Prophezeiung. Welchen Werth hat wohl
eine Voraussage, die auf einer falschen Annahme beruht?
Sie hat höchstens den Werth, daß sie zeigt, wie schwach
es um den Propheten bestellt ist. Die Landpost sagt:
Die am 6. Dezember vollzogenen Landtagswahl n in Würt-
temberg haben ein Erstarken der Konservativen und der Sozial-
demokraten gebracht und werden es in den Stichwahlen noch mehr
zeitigen. Der Zug nach rechts und links, das Ab rücken von
den Mittelparteien ging vor sich. So wirds auch bei uns
in Baden werden, die Mivelpartei der Nattonalliberalen wird
trotz Anbequemung an den Standpunkt der Linken in der Wahl-
rechtsfrage kleiner werden. Sorgen wir durch treue und ener-
gische Arbeit für unsere konservative Sache dafür, daß das Ab-
rücken nicht bloß nach links vor sich geht.
In Wirklichkeit weisen die Wahlen nach der Köln. Ztg.
folgende Ziffern auf: 302 000 Wähler sind zur Urne ge-
schritten, gegen 1895, wo die Zahl 295000 betrug, 7000
mehr. Davon entfallen auf die Sozialdemokraten 58000
(-s- 26 000!), auf die deutsche Volkspartei 75 000
(— 21000), auf das Centrum 72 000 (-s- 3000), auf
die deutsche Partei (— Nationalliberale) 62 000 (-j- 7000),
auf Conscrvative und Bund der Landwirthe 27 000 (hier
ist ein Verhältniß nicht festzustellen, da 1895 der Bund
als solcher noch nicht in den Wahlkampf eingriff), Wilde
(der nationalliberalen Richtung nahestehend) 9000. Die
einzige Partei, welche gcwallig gewachsen ist, sind die
Sozialdemokraten, und ihr Hauptrecrutirungsgebiet stellt
die Volkspartei dar, die fast ebensoviel Mannschaft einge-
büßt hat, als die Sozialisten gewonnen haben. Die
Nationalliberalen haben, wie aus den vorstehenden
Ziffern hervorgeht, einen ansehnlich en Zuwachs zu ver-
zeichnen, die Ausführungen der Land post sind nur leicht-
fertiges Geflunker.

Der neuliche kindische Artikel der Landpost, die
aus der Heidelberger Zeitung herausgelesen hat, man wolle
dem Ministerialpräsidenten Schenkel das Wort verbieten,
wird vom sozialdemokratischen Volksfreund zum Theil ab-
gedruckt. Wohlweislich hütet sich der Volksfreund aber,
mitzutheilen, was eigentlich die Landpost an dem Artikel
der Heidelb. Ztg. beanstandet hat; er sagt nur ganz all-
gemein, in dem Artikel der Heidelb. Ztg. werde „Klage
über die Rede des Ministers Schenkel geführt." Das
sozialdemokratische Blatt fühlte wohl, daß es bei allen
Genossen schallende Heiterkeit hervorgerufen hätte, wenn es
mit der Auffassung der Landpost, dieser Unschuld vom
Lande, hervorgetreten wäre.
Anhalt. Dessau, 13. Dec. Der Staatsanzeiger
macht bekannt,, daß die Ehe des Prinzen Aribert
mit der Prinzessin Luise zu Schleswig-Holstein auf bei-
derseitigen Antrag vom Herzog auf Grund des an-
haltischen Hausgesetzes und der landesherrlichen Machtvoll-
kommenheit rechtskräftig geschieden wurde.

Aus der Karlsruher Zeitung»
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Privatdozenten und Lektor der französischen Sprache an der
Universität Heidelberg, Dr. Friedrich Schneegans, den Cha-
rakter eines außerordentlichen Professors verliehen.
Karlsruhe, 13. Decbr. Heute Vormittag 10 Uhr
15 Minuten traf der Minister von Brauer in Baden ein.
Der Großherzog nahm den Vortrag des Ministers ent-
gegen, welcher hierauf an der Frühstückstafel theilnahm
und dann nach Karlsruhe zurückkehrte.

Ausland
Frankreich. Paris, 13. Dez. Die Deputirte^l-
kammer nahm Mch längerer Erörterung den Artikel 1
der Amnestie vorlag e mit 329 gegen 244 Stimmen
an. Dieser Artikel verfügt die unbeschränkte Amnestie für
alle mit dem Dreyfushandel verknüpften Thatsachen, die
sich vor der Veröffentlichung des gegenwärtigen Gesetzes
zugetragen und keinen endgiltigen gerichtlichen Abschluß
vor dieser Veröffentlichung gefunden haben. Die Civil-
klage wegen dieser Thatsachen kann nur vor der Civil-
gerichtsbarkeit anhängig gemacht werden, selbst wenn das
strafgerichtliche Verfahren schon eingeleitet ist, und zwar
ohne daß man die Klagen auf Grund des Artikels 48 des
Gesetzes vom 29. Juli 1881 abweisen «könnte.
Italien. Rom, 13. Dec. Bei der gestrigen Ver-
handlung des Unterrichts et at s in der Deputirten-
kammer vertheidigte Guido Baccelli die durch ihn er-
folgte Einführung des Deutschen in den Ober-
gymnasien. Ihm sei die Sprache der großen Nation,
der Kant und Hegel angehören, wichtiger und notwendiger
erschienen als der zweifelhafte Werth deS Philosophie-
unterrichts, der jetzt an Stelle des Deutschen ertheilt werde.
Er sei überzeugt, daß die Kenntniß der deutschen Sprache
unumgänglich nöthig sei und richtete an seinen Nachfolger
Minister Gallo den dringenden Appell, den deutschen Unter-
richt beizubehalten, aber nicht mittelst Gesetzes, das doch
erst nach drei Generationen vor die Kammer käme, sondern
durch eine einfache administrative Verfügung. Allgemeiner
lebhafter Beifall folgte den Ausführungen Baccellis.
Türkei. Konst antinopel, 13. Dec. Das deutsche
Schulschiff „Moltkc" mit dem vom deutschen
Kaiser für das Grab Saladins in Damascus
bestimmten Kranze ist in Beirut. Die feierliche Ucber-
gabe des Kranzes erfolgte gestern unter großem militäri-
schen Glanze.
Asien. Ueber den von den Boxern der mandschu-
rischen Eisenbahn zugefügten Schaden liegen jetzt

Sein Sieg.
Novelletie von Marie Prigge-Brook.
(Nachdruck verboten.)
Im Leising-Theater rauschte der Vorhang nieder, brausende
Beitallsrute wurden laut, wieder und wieder erschien die
schöne Gestalt des jungen Autors vor der Rampe, der sich
mit glückstrahlendem Lächeln verneigte. Seine Blicke glitten
verstohlen zum zweiten Rang hinauf, von wo begrüßendes
Händeklatschen, vereinzelte Bravorufe klangen. Dort saß die
Freundesjchaar versammelt, bereit, das ihrige zum Siege bei-
öulragen.
Es hätte dessen nicht bedurft. Das Stück des neuentdeckten
Bühnendichters, „Die neue Zeit", gefiel auch so. Es war.
Wie man in der Theatersprache zu sagen pflegt, ein Schlager,
Und hinter der Scene rieb sich der Herr Direktor vergnügt
die weißen, fleischigen Hände. „Die neue Zeit" gefiel und
würde goldene Ernte bringen.
Immer noch nahm der Beifall kein Ende. Zuletzt holte
k.r den Künstlern gegolten, die mit gewohnter Meisterschaft
sich den Ideen des Dichters angepaßt, seinen Gedanken Aus-
druck gegeben hatten- Nun lärmte das Publikum wieder um
den Autor. Nur einmal noch, ein letztes Mal sollte er sich
Kigen.
Und Hugo Ertel kam. Grüßend neigte der Gefeierte sich
Uoch allen Seiten, während ein großer Lorbeerkranz zu seinen
ȟben sank. Im Begriff, dem unbekannten Spender in der
Ersten Parqueiloge rechts, von wo der Kranz gekommen, zu
Unken, traf das Auge des jungen Mannes auf ein anderes
^Ugenpaar, das wie verklärt zu ihm hinüberschaute. Ein
WngeS, liebreizendes Mädchenantlitz nickte und lächelte ihm zu,
Vvth übergoffen vor Scham, Verlegenheit und ehrlicher Be-
Piflerung. Galt wirklich dies holdselige Erröthen ibm?
Kaum wagte der bescheidene Autor daran zu glauben, da löste
v°S liebliche Kind mit eigener Hand das Räthscl. Sie griff
*wch ihrem Sträußchen, das sie in ihrem Gürtel trug, und

warf es freudestrahlend dem Ueberglücklichen zu; ehe Hugo
Ertel ihr danken konnte, senkte der Vorhang sich herab und
seinen Äugen entschwand das holde Bildniß.
Der junge Dichter stand wie festgebannl. Wachte er oder
äffte ein süßer Traum seine Sinne? Wer war das Engels-
b>ld, das ihm so hold gelacht? Der Direktor weckte ihn aus
seinem Sinnen, indem er saust die Hand auf seine Schulter
legte.
„Gratulire, mein junger Freund, gratulire l Die Pre-
miere war gut. wünsch' mir im Leben keine bessere und
morgen wollen wir gleich den Kontrakt abschließen. Sie
werden sehen, noch ein Paar solche Ideen und Sie sind ein
reicher Mann. Doch heut nichts mehr von Geschäften. Das
große Ereignlß, Ihr junger Ruhm, will erst begossen werden.
Eilen Sie, mein bester Hertel. Die Künstler sind bei D.
versammelt, auch Ihre Freunde wies ich dorthin, wir alle
wollen uns Ihres Glückes freuen."
Hertel drückte mechanisch die Hand des wohlwollenden
Mannes und ging dem Ausgang zu. Er benutzte indessen
nicht die große Pforte, auch nicht diejenige, welche von den
Mitgliedern des Theaters benutzt wurde. Durch den Portier,
den ein Trinkgeld gefügig machte, ließ er sich eine kleine
Seitenthür erschließen und entwich so seinen Freunden, die
ihn bereits mit Ungeduld erwarteten. Hugo Hertel mußte,
wenigstens für eine Stunde, allein sein.
Heut Morgen noch ein armer Teufel, dem die Zukunst
ein fest verschlossenes Buch mit sieben Siegeln, war er am
Abend ein vielgenannter, berühmter Mann. Sein Name
schwebte auf tausend Lippen und alle Morgenblätter der
großen Hauptstadt, sie würden von ihm reden! Es war nicht
auszudenken. Eine köstliche Perspektive that sich vor seinen
trunkenen Augen auf. Das Glück war gekommen heimlich
über Nacht. ^ ^
Ein armer Bruder Studio zog er vor etwa vier Jahren
hier ein. sich mühsam mit Stundengeben durchschlagend; doch
bald behagte ihm das trockne Studium nicht mehr. Er sattelte
um. ging unter die Zeitungsschreiber und träumte im Kreise
gleichgesinnter Freunde von großen Thaten, künftigem Ruhm.

Doch ach, die Thaten ließen aus sich warten, der Ruhm blieb
aus. Hugo Hertel wollte doch manchesmal verzagen, wenn
er so gar nicht weiter vorwärts schritt auf der gewählten
Bahn, wenn sich das, was ihm die Seele bewegte, die junge
Brufl zu sprengen drohte, nicht in Worte fügen ließ, wenn
er für das Beste in sich den Ausdruck nicht fand. Den Freun-
den, ging es auch nicht besser, doch sie hatten mehr Geduld
und spotteten über den ungestümen Dränger, der seine Zeit
nicht abwarten konnte. Einmal mußte sie kommen die
Zeit.
Eines Tages fiel ein Preisausschreiben in Hugo Hertels
Hand. Ein Lustspiel wurde verlangt, den neueren Ansichten
entsprechend. Hertel setzte sich hin und schrieb. Je weiter
die Arbeit fortsckritt, um so unzufriedener war er mit ihr,
es schien ihm, als habe das, was er anfangs in seinem Inner-
sten erdacht, gefühlt und gesehen, ganz anders ausgesehen, als
fehle seinem Machwerk Seele und Leben. Als er geendet,
konnte er sich nicht entschließen, die Arbeit durchzulesen,
noch weniger aber- sie dem Urtheil seiner Freunde preis-
zugeben.
Halb in Aerger. halb in Trotz packte er das Manuskript
zusammen und sandte es ab. Fast vergaß er darauf in den
nächsten Wochen. Noch immer träumte seine Seele von dem
großen Werk, das kommen mußte, kommen würde! Aber
wann?
Da brachte ihm der Postbote einen eingeschriebenen Brief.
Das war ein Ereigniß für den Alleinstehenden, Elternlosen,
dem Niemand sonst schrieb. Erstaunt öffnete er ihn und
wagte kaum, seinen Augen zu trauen. Sein Stück, das er in
einsichtsvollen Stunden vor sich selbst oft ein elendes Mach-
werk genannt, ist angenommen, hat einen Preis errungen?
Den zweiten Preis? Hertel stand stumm und starr vor
Seligkeit. Vergessen seine Zweifel, verweht die kritischen Ge-
danken. Sein Werk hatte gesiegt, folglich war es ein Meister-
werk.
(Fortsetzung folgt.)
 
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