Erscheint täglich,
sonntags ausgenommen.
. Preis
wit Famtlienblättern
. monatlich 50 Pf.
^irei in's Hans gebracht,
^urch Post bezogen
hrl. 1.25 Mk.
Zustellgebühr.
Ternsprcch-Anschluß Nr. 82.
JnsertionSgebühr:
15 Pf. für die Ispaltige
Setitzeile oder deren Raum.
Ar hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschla,
der Inserate auf den
tafeln der
und den
lakat»
eidelb. Zeitung
lakatsäulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82.
278. Erstes Klaff. Mittwoch, de« 28. Number
I9VV.
Bestellungen
die Heidelberger Zeitung für den Monat December
Werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Spedition, Untere Neckarstr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
Fracht; durch die Post bezogen für den Monat Decenr
°er, wenn am Schalter abgeholt, 42 Pfg., für Zustell
^bühr 15 Pfg. weiter.
Die Verhimmelung Bebels.
-Keine Partei geht in der Verhimmelung ihrer
Rührer so weit, wie die angeblich so männerstolze
Sozialdemokratie. Man höre z. B., was der Vor-
wärts über das Auftreten Bebels in der China
Debatte sagt:
-Und ihm gelang ein Wunder: das chinasatte Haus
Mte dieser großen und gewaltigen Schlußrede Bebels
""t einer fast feierlichen Stille, niemand widerstand dieser
der Tiefe einer starken und reinen Persönlichkeit
U.uhend stürmenden Beredtsamkett, der durch die
«Me der Beweise vernichtenden Anklage, dem idea«
Maischen Appell an das klare Denken und das sittliche
^oipfindcn. Die Worte strömten dem Redner mühelos zu,
>e Gedanken formten sich wie von selbst zu dramatisch
Wuchtigen Sähen, ein liebenswürdiger Humor brach
Zsweilen mildernd durch den schweren Ernst. Die Tribünen-
^lucher lauschten gespannt, selbst das spottsrohe Volk der
Journalisten ward andächtig, Graf Bülow saß still
seinem Sessel, das Gesicht ein wenig gcröthet, während
jkt Kriegsm in ist er in mühsam beherrschter Nervosität,
P einer der Verewigung durch die Woche würdigen Pose des
^lvlodircns ausrecht stand, ein Glas Wasser nach dem andern
zgu seine Erregung gießend. Wie verschwanden doch vor der
iMedtsamkeit, wie sie die Ueberzeugung verleibt, die kleinen
Miffe der Diplomaten, die Schelmenstückchen der Partei-
Akulanlen, die erzwungenen Tüfteleien des berufsmäßigen
^dvocatenthums! Versunken und vergessen der ganze
ZUsftae Kram l In der Luft dieses freien und klaren
Denkens, dieses großen und sittlichen Empfindens, dieser
und mächtigen Redekunst konnte man endlich wieder
»^0>1 ausalhmen. Der gute Genius der Menschheit
und des Deutschthums sprach aus der Rede, man
^hnte wieder glauben und hoffen, nach all dem Kleinen,
I», origen, Verächtlichen und Läppischen. Die Zukunft
ächtet ousl
Da spottet das Völklein der Sozialdemokraten über die
älcenschenverehrung Anderer und es selbst schwelgt förmlich
orin. Wie der Volkssreund den Bebel als Götzen herausputzt
Und wie er in der Anbetung desselben sich nicht genug
'Mn kann, das übertrifft Alles, was sonst auf diesem
Gebiet geleistet wird. Bebel ist ein temperamentvoller
feuriger Redner, aber eine solche, über alles Matz hinaus-
Mende Lobhudelei dieses Parteiführers ist in ihrer Ser-
ollität doch zum mindesten äußerst geschmacklos.
Präsident Krüger in Paris.
. Präsident Krüger hat auch gestern (Dienstag) noch
u Paris geweilt und theils Besuche empfangen, theils
^bst Besuche gemacht. Nachgctragen sei noch, daß am
Montag die Menschenrechtsliga dem Burenpräsidenten durch
'e Hand des ehemaligen Artillcriehauptmanns Moch eine
W't 25 000 Unterschriften versehene Adresse übergab,
u welcher gegen den von England heraufbeschworenen
. -» Einspruch erhoben wird. Solche Adressen wie
Lustige Sympathiekundgebungen, einschließlich der aus
Deutschland auf den Präsidenten gerichteten Postkarten-
Mwine, haben wenig Werth. Krüger bedankt sich natür-
'N als höflicher Mann, wie er aber solche platonische
eweise der Zuneigung einschätzt, das ist eine andere
^Uche.
Dienstag Vormittag statteten das Bureau des Pariser
Gcmeinderathes und das Bureau des General-
rath es dem Burenpräsidenteu einen Besuch ab und ver-
sicherten ihn der Hochachtung und der Verehrung der
Pariser Bevölkerung. Krüger dankte dem Gemeinderath.
Der Empfang war vollständig privat und sehr herzlich.
Bald darauf erwiderte Krüger den Besuch auf dem
Rathhaus. Auf die Ansprache eines Gemeinderaths dankte
er der Pariser Bevölkerung für den Empfang und der
Regierung für die Beweise der Sympathie. Das Buren-
volk, fügte er hinzu, sei noch nicht besiegt und werde
den Kampf für seine Unabhängigkeit fortsetzen. Wenn es
Zeuge der Ovationen der Pariser Bevölkerung sein könnte,
so würde das sicherlich seinen Muth verdoppeln. Krüger
dankte auch der Presse für die Sympathiekundgebungen
und gab schließlich nochmals seinem Erstaunen darüber
Ausdruck, daß man nicht einem Schiedsgericht die
Entscheidung in der Transvaalangelegenhcit überlassen
wolle. Er werde immer und immer die Einsetzung eines
solchen Schiedsgerichtes verlangen. Beim Verlassen des
Rathhauses wurde Krüger von der Menge abermals mit
lebhaften Zurufen begrüßt. Die Frauen warfen ihm
Veilchenbouquets zu.
Präsident Krüger empfing Nachmittags zahlreiche Ab-
ordnungen, darunter eine von Roche fort geführte, die
dem Präsidenten den fürCronje durch öffentliche Samm-
lung gestifteten Ehrensäbel übergab. Als sich Krüger um
3 Uhr auf dem Balkon zeigte, wurde er von der Volks-
menge lebhaft begrüßt.
Auch dem Ministerpräsidenten hat Krüger gestern, und
zwar schon am frühen Vormittag, einen Besuch gemacht,
der 10 Minuten dauerte und von Waldeck-Rousseau als-
bald erwidert wurde.
Der Berichterstatter der Daily Mail hört von Piet
Grobler, dem Unterstaatssekretär für Transvaal und Ver-
trauten Krügers, über das w ei tere R e is ep rog ramm,
Krüger werde von Paris über Brüssel, Antwerpen, Rotter-
dam nach dem Haag' fahren und nach einem Besuch bei
der Königin der Niederlande nach Belgien zurückkehren,
um alsdann über Köln nach Berlin zu reisen. Er hoffe
du.ch Berufung an die Sympathieen der Völker die
Regierungen so sehr in Verlegenheit zu bringen, daß sie
sich gezwungen sähen, seinen Schiedsgerichtsvorschlag
zu unterstützen. Dr. Leyds sende Agenten nach Berlin
zur Sondirung des deutschen Kaisers, über dessen
Haltung die Buren im Zweifel wären. Der Volksstim-
mung sei man sicher, Krüger werde nöthigenfalls daSVolk
gegen den Kaiser ausspielen. (Damit würde er
einen Erfolg nicht erzielen.) Ein Besuch in Rußland stehe
auch in Erwägung, werde aber vom Arzte wiüerrathen.
Gegen die Reise nach Deutschland habe dieser jedoch nichts
einzuwenden.
In England sieht man scheinbar noch gleichgiltig
auf Krügers Anwesenheit in Europa. Aber doch regt sich
chon etwas wie Besorgniß. Daily News berichtet, Dr.
Leyds habe erklärt, die Buren würden standhalten, bis in
Rußland die Dinge gereift seien. Rußland werde voran-
gehen, Frankreich folgen. Allerdings denke man vorder-
hand nicht an ein bewaffnetes Einschreiten»
allein hinter der an England zu richtenden Forderung» dem
Blutvergießen und den Barbareien ein Ende zu machen,
lägen militärische Möglichkeiten.
Deutsches Reich.
— Ueber das Befinden der Kaiserin Friedrich
lauten die Nachrichten aus Schloß Friedrichshof neuerdings !
nicht so günstig, wie vorher. Das Grundübel ist nicht
gehoben, so daß zeitweilig Komplikationen eintrcten, die
der Kranken große Beschwerden bereiten.
Deutscher Reichstag. Berlin, 27. Nov. Abg. Büsin g
(nat.-lib.) beantragt die Absetzung des ersten Punktes der
Tagesordnung, nämlich vie Denkschrift über die Aus-
führung der seit 1875 erlassenen Anleihegesetze, da die
Denkschrift längere Erörterungen Hervorrufen dürfte.
Der Antrag wird angenommen.
Es folgt die Berathung des Gesetzentwurfes betreffend
die Kontrolle des Reichs Haushaltes und des Landes-
haushaltes für Elsaß-Lothringen und des Haushaltes
der Schutzgebiete für 1900.
Abg. Dr. Bachem (Centr.) führt aus: Der Gesetzentwurf
ist der 25. seiner Art. Er feiert also gewissermaßen fein Jubi-
läum und gibt auch zu ernsten Erwägungen Anlaß. Redner
fragt, ob man jedes Jahr ein sotches Gesetz bekomme und ob
man es nicht mir einer Generalordnung abmachen könnte.
Staatssekretär Dr. Frhr. v. Thielmann erklärt, die An-
regung käme der Reichsfinanzverwaltung nicht unerwünscht; sie
werde sich mit der preußischen Finanzoerwaltung zu verständigen
suchen.
Die allgemeine Rechnung über den Reichshaushaltsetat für
das Jahr 1896/97 wird ohne Debatte erledigt. Die Berathung
der Uebersichl der Reichsausgaben und -Einnahmen für das
Jahr 1899 wird auf Antrag des Abgeordneten Dr. Sattler ab-
gesetzt.
Es folgt die Fortsetzung der ersten Berathung der
Seemannsordnung.
Abg. Lenzmann (freis. Vp.) erklärt, der Gesetzentwurf
überlasse zu viel der Behörde, die Kommission müsse unparteiisch
ihres Amtes walten. Deutschlands Zukunft liege auf dem
Wasser, allerdings auf dem Wasser, das eine starke H andelsflotte
trage.
Abg. Pauli (Bevollmächtigter für Bremen) (schwer ver-
ständlich) legt Verwahrung gegen die Ausführungen des Ab-
geordneten Lenzmann ein, daß man dem Bundesrathe keine
fakultativen Befugnisse übertragen dürfe. Die Sonntagsarbeit
werde nur erlaubt, wenn sie ein dringendes Bedürfniß sei.
Abg. Schwarz (Soz.): Von den Beschlüssen der vorigen
Session sei keiner in das Gesetz ausgenommen worden. Wenn
dies seinen Grund darin habe, daß von den großen Rheedereien
Bedenken geltend gemacht worden seien, dann thue man am
besten, wenn man die alte Seemannsordnung behalte. Bezüglich
der Strafbestimmungen stehe die Seemannsordnung noch im
Mittelalter. Auf die kleinen Rheedereien habe die Seemanns-
ordnyng keine Rücksicht genommen, sondern nur auf die großen.
Ein größeres Gewicht legen die Seeleute auf die Koalitions-
freiheit, die sie bisher nicht hatten.
Abg. S ch w arz (Soz.): Wir verlangen Seeschöffengerichte,
weiter fordern wir die Einführung eines Schiffsrathes, be-
stehend aus der gesammten Besatzung, und das Verbot der
Prügelstrafe.
Abg. Raab (Reformp.) erklärt, die Ueberstunden müßten
jedenfalls bezahlt werden, nicht nur der Mannschaft, sondern auch
den Offizieren. Den Seeleuten müsse das Koalitionsrecht zu-
gestanden werden. Die Seeberufsgenossenschaft eigne sich nicht
zur Kontrolbehörde der Schiffseinrichtungen. Die gesetzliche Ein-
führung einer Tiefladeltnie ist dringend nothwendig.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky: Es wurde
getadelt, daß die Kommissionsanträge der letzten Session von den
verbündeten Regierungen nicht berücksichtigt worden seien. Die
Seemannrordnung ist aber in der alten Fassung dem Hause
wieder vorgelegt worden. Es bestehen ja auch noch immer große
Differenzen über die strittigen Punkte. Die Beschlüsse der
Kommission waren nur vorläufig; auch tagte die Kommission
unter ungünstigen Verhältnissen. Die zweite Lesung hatte noch
nicht stattgefunden und im Plenum wurde nichts beschlossen.
Hätte man daher die Kommissionsbeschlüsse berücksichtigen wollen,
'o hätte man vorher noch den Bundesrath mit einer Vorlage be-
chäfttgen müssen. Damit wäre ein großer Verzug eingetreten.
Die Regierungen wünschten aber ein neues Gesetz mit modernen
Anschauungen. Die Seemannsordnung trage, wie ja auch Lenz-
mann anerkannte, unzweifelhaft den Charakter sozialer Fürsorge.
In der Kontrole der Schiffe hat schon die Seeberufsgenoffen-
schaft Bedeutendes geleistet. Es müsse auch für Frachtdampfer
die Tiefladelinie eingeführt werden. Auch für die Bemannung
werden nach englischem Vorgang neue Vorschriften erlassen
werden. Vielleicht läßt sich später eine Behörde schaffen, die mit
den Seeverhältnissen direkte Fühlung nimml. _
* Das Romanfeuilleto» findet der Leser im heutiger
sL°>ten Blatt._
Die Orestie des Aischylos.
n. Im Theater des Westens in Berlin ist die Orestie des
, fichylos durch den academ. Verein für Kunst und Literatur
'eser Tage aufgeführt worden. Die Sache ist lange
^rher in den interessirten Kreisen besprochen worden, die
Aufführung war ein Ereigniß. Es möge deshalb hier
^uszugswcise das Urtheil wiedergcgeben werden, das Fritz
Atauthncr im Berliner Tagebl. über die Aufführung fällt.
^ schreibt:
In seinen einleitenden Vorträgen wie auch in seiner
Änderbar frischen Uebersetzung hat Ulrich v. Wilamowitz-
. Mellendorf selbst auf eine philologisch getreue Wiedergabe
gewaltigen Trilogie verzichtet. Der berühmte Philologe
uellte die Forderung auf: Die Dichtung müsse auf unvor-
ereitete, unbefangene, ungelehrte moderne Menschen über-
^ultigend wirken. In Wien wird demnächst der Versuch
semacht werden, das Werk durch einen barbarischen Roth-
von störenden Alterthümlichkeiten zu befreien. In
^ rrlin wurde eine ähnliche Absicht wahrscheinlich gerade
Urch die persönliche Betheiligung des gelehrten Uebersetzers
Mindert. Es wurde zu viel vom Originale beibehaltcn.
qMiger wäre mehr gewesen. Wir sind keine Athener,
lin" Zimten der Aufführung nicht an einem heiteren Früh-
H ^tage im Freien beiwohnen. Wir fühlten uns am
st?,, E etwas ermüdet. Aber eine interessante Vor-
, Uung mar es doch vom ersten bis zum letzten Worte,
d- ^ssant für die „studirten" alten Herren und Jünglinge
Universität, interessant auch für die Damen, welche bei
diesem Anlaß zum ersten Male etwas von dem großen
Aischylos erfuhren. Aber überwältigend, so überwältigend
wie einst für die Griechen? Das doch wohl nicht.
Das erste Drama, der Tod des Agamemnon,
wirkte nicht schwächer und nicht stärker als eine der be-
kannten Tragödien des Sophokles. Fremdartig, aber doch
mit elementarer Kraft in den wirklich dramatischen Scenen.
Gleich dem Eingang gab man sich wirklich hin, wenn auch
manch Einer bei der Beschreibung des Weges, den der
Flammentelegraph von Troja bis Argos zurücklegte, von
sich selber gedacht haben mag: „Geographie schwach."
Als dann jedoch Kassandra ihre furchtbaren Prophezeiungen
sprach, als Klytaimnestra mit schrecklicher Energie den
Mord ausführte, da ging, wenn keine innere Ergriffenheit,
so doch ein Grausen durch das athemlose Haus. Alles
vereinigte sich, um den Eindruck zu steigern. Auch die
Chöre nahmen an der Handlung Theil. Einer der Chor-
führer trug die Opferung Iphigeniens prachtvoll vor, es
ging beinahe zu Herzen. Die kannibalischen Voraus-
setzungen der Fabel, die Schüsseln mit dampfendem
Menschenfleisch, schienen nicht zu stören. Nur der böse
Aigisthos, den Aischylos schlecht genug behandelt hat,
konnte einen leicht parodistischen Eindruck machen, nicht
durch Schuld des Darstellers.
So war denn die beste Stimmung hergestellt für das
zweite Drama, den Tod der Klytaimnestra. Alles
ging gut. Das Wiedersehen der Geschwister Orestes und
Elektra rührte wie vor zweitausend und einigen hundert
Jahren. Sie stacheln einander zur Rache auf, und der
Muttermord wird mit aller Brutalität vollzogen. Herr
Kayßler (Orestes) und Fräulein Mahn (Elektra) waren
gut. Trotzdem blieb das Grausen bei der zweiten (viel-
mehr der dritten und vierten) Mordthat in diesem
„Menschenschlachthause" aus. Warum? Ich fürchte, der
Hauptgrund lag doch in der Dichtung selbst, die uns an
dieser Stelle eine unüberbrückbare Kluft zwischen antiker
Kunst und der unseren zeigt. Nicht der Muttermord ist
es, der unsere Mitempfindung lähmt; aber das kalte
sophistische Reden über den Muttermord. Diesen Orestes,
den Orestes vor der Thal, begreifen wir nicht. Desto
besser den Orestes nach der That, den von Erinnyen ge-
hetzten Muttermörder. Und das dritte Drama, das er-
habenste Werk griechischer Tragik, kann beginnen, „Die
Eumeniden".
Auf seinem Höhepunkte versagte es nicht. Der Zauber-
gesang der Furien war trotz alledem, was da gesündigt
wurde, von erdrückender Wucht; solche Worte für die
Seelenqual eines armen Menschen sind nie wieder ge-
funden worden, nicht von Dante, nicht von Shakespeare.
Zerschmetternd stürmten sie auf uns ein, wie sonst nur
ein erlebtes Entsetzen uns bis ins Mark hinein zu fassen
vermag. Der Rest der „Eumeniden" war Theater und
nicht einmal immer aufregendes Theater. Es wäre un-
gerecht, die Regie dafür verantwortlich zu machen, sie hatte,
bis auf einen Punkt, ihre Schuldigkeit gethan. Das Schluß-
bild, eine Apotheose Athens, war sogar als Gemälde
sehenswerth. Nur daß wir keine Athener sind. Es ist
nicht erst seit Offenbach, daß wir diese Knlissengottheiten,
diese Pallas Athene, diesen Apollo, diesen HermeS mit
ihren hölzernen Attributen nicht mehr vertragen. Sie find
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Die Verhimmelung Bebels.
-Keine Partei geht in der Verhimmelung ihrer
Rührer so weit, wie die angeblich so männerstolze
Sozialdemokratie. Man höre z. B., was der Vor-
wärts über das Auftreten Bebels in der China
Debatte sagt:
-Und ihm gelang ein Wunder: das chinasatte Haus
Mte dieser großen und gewaltigen Schlußrede Bebels
""t einer fast feierlichen Stille, niemand widerstand dieser
der Tiefe einer starken und reinen Persönlichkeit
U.uhend stürmenden Beredtsamkett, der durch die
«Me der Beweise vernichtenden Anklage, dem idea«
Maischen Appell an das klare Denken und das sittliche
^oipfindcn. Die Worte strömten dem Redner mühelos zu,
>e Gedanken formten sich wie von selbst zu dramatisch
Wuchtigen Sähen, ein liebenswürdiger Humor brach
Zsweilen mildernd durch den schweren Ernst. Die Tribünen-
^lucher lauschten gespannt, selbst das spottsrohe Volk der
Journalisten ward andächtig, Graf Bülow saß still
seinem Sessel, das Gesicht ein wenig gcröthet, während
jkt Kriegsm in ist er in mühsam beherrschter Nervosität,
P einer der Verewigung durch die Woche würdigen Pose des
^lvlodircns ausrecht stand, ein Glas Wasser nach dem andern
zgu seine Erregung gießend. Wie verschwanden doch vor der
iMedtsamkeit, wie sie die Ueberzeugung verleibt, die kleinen
Miffe der Diplomaten, die Schelmenstückchen der Partei-
Akulanlen, die erzwungenen Tüfteleien des berufsmäßigen
^dvocatenthums! Versunken und vergessen der ganze
ZUsftae Kram l In der Luft dieses freien und klaren
Denkens, dieses großen und sittlichen Empfindens, dieser
und mächtigen Redekunst konnte man endlich wieder
»^0>1 ausalhmen. Der gute Genius der Menschheit
und des Deutschthums sprach aus der Rede, man
^hnte wieder glauben und hoffen, nach all dem Kleinen,
I», origen, Verächtlichen und Läppischen. Die Zukunft
ächtet ousl
Da spottet das Völklein der Sozialdemokraten über die
älcenschenverehrung Anderer und es selbst schwelgt förmlich
orin. Wie der Volkssreund den Bebel als Götzen herausputzt
Und wie er in der Anbetung desselben sich nicht genug
'Mn kann, das übertrifft Alles, was sonst auf diesem
Gebiet geleistet wird. Bebel ist ein temperamentvoller
feuriger Redner, aber eine solche, über alles Matz hinaus-
Mende Lobhudelei dieses Parteiführers ist in ihrer Ser-
ollität doch zum mindesten äußerst geschmacklos.
Präsident Krüger in Paris.
. Präsident Krüger hat auch gestern (Dienstag) noch
u Paris geweilt und theils Besuche empfangen, theils
^bst Besuche gemacht. Nachgctragen sei noch, daß am
Montag die Menschenrechtsliga dem Burenpräsidenten durch
'e Hand des ehemaligen Artillcriehauptmanns Moch eine
W't 25 000 Unterschriften versehene Adresse übergab,
u welcher gegen den von England heraufbeschworenen
. -» Einspruch erhoben wird. Solche Adressen wie
Lustige Sympathiekundgebungen, einschließlich der aus
Deutschland auf den Präsidenten gerichteten Postkarten-
Mwine, haben wenig Werth. Krüger bedankt sich natür-
'N als höflicher Mann, wie er aber solche platonische
eweise der Zuneigung einschätzt, das ist eine andere
^Uche.
Dienstag Vormittag statteten das Bureau des Pariser
Gcmeinderathes und das Bureau des General-
rath es dem Burenpräsidenteu einen Besuch ab und ver-
sicherten ihn der Hochachtung und der Verehrung der
Pariser Bevölkerung. Krüger dankte dem Gemeinderath.
Der Empfang war vollständig privat und sehr herzlich.
Bald darauf erwiderte Krüger den Besuch auf dem
Rathhaus. Auf die Ansprache eines Gemeinderaths dankte
er der Pariser Bevölkerung für den Empfang und der
Regierung für die Beweise der Sympathie. Das Buren-
volk, fügte er hinzu, sei noch nicht besiegt und werde
den Kampf für seine Unabhängigkeit fortsetzen. Wenn es
Zeuge der Ovationen der Pariser Bevölkerung sein könnte,
so würde das sicherlich seinen Muth verdoppeln. Krüger
dankte auch der Presse für die Sympathiekundgebungen
und gab schließlich nochmals seinem Erstaunen darüber
Ausdruck, daß man nicht einem Schiedsgericht die
Entscheidung in der Transvaalangelegenhcit überlassen
wolle. Er werde immer und immer die Einsetzung eines
solchen Schiedsgerichtes verlangen. Beim Verlassen des
Rathhauses wurde Krüger von der Menge abermals mit
lebhaften Zurufen begrüßt. Die Frauen warfen ihm
Veilchenbouquets zu.
Präsident Krüger empfing Nachmittags zahlreiche Ab-
ordnungen, darunter eine von Roche fort geführte, die
dem Präsidenten den fürCronje durch öffentliche Samm-
lung gestifteten Ehrensäbel übergab. Als sich Krüger um
3 Uhr auf dem Balkon zeigte, wurde er von der Volks-
menge lebhaft begrüßt.
Auch dem Ministerpräsidenten hat Krüger gestern, und
zwar schon am frühen Vormittag, einen Besuch gemacht,
der 10 Minuten dauerte und von Waldeck-Rousseau als-
bald erwidert wurde.
Der Berichterstatter der Daily Mail hört von Piet
Grobler, dem Unterstaatssekretär für Transvaal und Ver-
trauten Krügers, über das w ei tere R e is ep rog ramm,
Krüger werde von Paris über Brüssel, Antwerpen, Rotter-
dam nach dem Haag' fahren und nach einem Besuch bei
der Königin der Niederlande nach Belgien zurückkehren,
um alsdann über Köln nach Berlin zu reisen. Er hoffe
du.ch Berufung an die Sympathieen der Völker die
Regierungen so sehr in Verlegenheit zu bringen, daß sie
sich gezwungen sähen, seinen Schiedsgerichtsvorschlag
zu unterstützen. Dr. Leyds sende Agenten nach Berlin
zur Sondirung des deutschen Kaisers, über dessen
Haltung die Buren im Zweifel wären. Der Volksstim-
mung sei man sicher, Krüger werde nöthigenfalls daSVolk
gegen den Kaiser ausspielen. (Damit würde er
einen Erfolg nicht erzielen.) Ein Besuch in Rußland stehe
auch in Erwägung, werde aber vom Arzte wiüerrathen.
Gegen die Reise nach Deutschland habe dieser jedoch nichts
einzuwenden.
In England sieht man scheinbar noch gleichgiltig
auf Krügers Anwesenheit in Europa. Aber doch regt sich
chon etwas wie Besorgniß. Daily News berichtet, Dr.
Leyds habe erklärt, die Buren würden standhalten, bis in
Rußland die Dinge gereift seien. Rußland werde voran-
gehen, Frankreich folgen. Allerdings denke man vorder-
hand nicht an ein bewaffnetes Einschreiten»
allein hinter der an England zu richtenden Forderung» dem
Blutvergießen und den Barbareien ein Ende zu machen,
lägen militärische Möglichkeiten.
Deutsches Reich.
— Ueber das Befinden der Kaiserin Friedrich
lauten die Nachrichten aus Schloß Friedrichshof neuerdings !
nicht so günstig, wie vorher. Das Grundübel ist nicht
gehoben, so daß zeitweilig Komplikationen eintrcten, die
der Kranken große Beschwerden bereiten.
Deutscher Reichstag. Berlin, 27. Nov. Abg. Büsin g
(nat.-lib.) beantragt die Absetzung des ersten Punktes der
Tagesordnung, nämlich vie Denkschrift über die Aus-
führung der seit 1875 erlassenen Anleihegesetze, da die
Denkschrift längere Erörterungen Hervorrufen dürfte.
Der Antrag wird angenommen.
Es folgt die Berathung des Gesetzentwurfes betreffend
die Kontrolle des Reichs Haushaltes und des Landes-
haushaltes für Elsaß-Lothringen und des Haushaltes
der Schutzgebiete für 1900.
Abg. Dr. Bachem (Centr.) führt aus: Der Gesetzentwurf
ist der 25. seiner Art. Er feiert also gewissermaßen fein Jubi-
läum und gibt auch zu ernsten Erwägungen Anlaß. Redner
fragt, ob man jedes Jahr ein sotches Gesetz bekomme und ob
man es nicht mir einer Generalordnung abmachen könnte.
Staatssekretär Dr. Frhr. v. Thielmann erklärt, die An-
regung käme der Reichsfinanzverwaltung nicht unerwünscht; sie
werde sich mit der preußischen Finanzoerwaltung zu verständigen
suchen.
Die allgemeine Rechnung über den Reichshaushaltsetat für
das Jahr 1896/97 wird ohne Debatte erledigt. Die Berathung
der Uebersichl der Reichsausgaben und -Einnahmen für das
Jahr 1899 wird auf Antrag des Abgeordneten Dr. Sattler ab-
gesetzt.
Es folgt die Fortsetzung der ersten Berathung der
Seemannsordnung.
Abg. Lenzmann (freis. Vp.) erklärt, der Gesetzentwurf
überlasse zu viel der Behörde, die Kommission müsse unparteiisch
ihres Amtes walten. Deutschlands Zukunft liege auf dem
Wasser, allerdings auf dem Wasser, das eine starke H andelsflotte
trage.
Abg. Pauli (Bevollmächtigter für Bremen) (schwer ver-
ständlich) legt Verwahrung gegen die Ausführungen des Ab-
geordneten Lenzmann ein, daß man dem Bundesrathe keine
fakultativen Befugnisse übertragen dürfe. Die Sonntagsarbeit
werde nur erlaubt, wenn sie ein dringendes Bedürfniß sei.
Abg. Schwarz (Soz.): Von den Beschlüssen der vorigen
Session sei keiner in das Gesetz ausgenommen worden. Wenn
dies seinen Grund darin habe, daß von den großen Rheedereien
Bedenken geltend gemacht worden seien, dann thue man am
besten, wenn man die alte Seemannsordnung behalte. Bezüglich
der Strafbestimmungen stehe die Seemannsordnung noch im
Mittelalter. Auf die kleinen Rheedereien habe die Seemanns-
ordnyng keine Rücksicht genommen, sondern nur auf die großen.
Ein größeres Gewicht legen die Seeleute auf die Koalitions-
freiheit, die sie bisher nicht hatten.
Abg. S ch w arz (Soz.): Wir verlangen Seeschöffengerichte,
weiter fordern wir die Einführung eines Schiffsrathes, be-
stehend aus der gesammten Besatzung, und das Verbot der
Prügelstrafe.
Abg. Raab (Reformp.) erklärt, die Ueberstunden müßten
jedenfalls bezahlt werden, nicht nur der Mannschaft, sondern auch
den Offizieren. Den Seeleuten müsse das Koalitionsrecht zu-
gestanden werden. Die Seeberufsgenossenschaft eigne sich nicht
zur Kontrolbehörde der Schiffseinrichtungen. Die gesetzliche Ein-
führung einer Tiefladeltnie ist dringend nothwendig.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky: Es wurde
getadelt, daß die Kommissionsanträge der letzten Session von den
verbündeten Regierungen nicht berücksichtigt worden seien. Die
Seemannrordnung ist aber in der alten Fassung dem Hause
wieder vorgelegt worden. Es bestehen ja auch noch immer große
Differenzen über die strittigen Punkte. Die Beschlüsse der
Kommission waren nur vorläufig; auch tagte die Kommission
unter ungünstigen Verhältnissen. Die zweite Lesung hatte noch
nicht stattgefunden und im Plenum wurde nichts beschlossen.
Hätte man daher die Kommissionsbeschlüsse berücksichtigen wollen,
'o hätte man vorher noch den Bundesrath mit einer Vorlage be-
chäfttgen müssen. Damit wäre ein großer Verzug eingetreten.
Die Regierungen wünschten aber ein neues Gesetz mit modernen
Anschauungen. Die Seemannsordnung trage, wie ja auch Lenz-
mann anerkannte, unzweifelhaft den Charakter sozialer Fürsorge.
In der Kontrole der Schiffe hat schon die Seeberufsgenoffen-
schaft Bedeutendes geleistet. Es müsse auch für Frachtdampfer
die Tiefladelinie eingeführt werden. Auch für die Bemannung
werden nach englischem Vorgang neue Vorschriften erlassen
werden. Vielleicht läßt sich später eine Behörde schaffen, die mit
den Seeverhältnissen direkte Fühlung nimml. _
* Das Romanfeuilleto» findet der Leser im heutiger
sL°>ten Blatt._
Die Orestie des Aischylos.
n. Im Theater des Westens in Berlin ist die Orestie des
, fichylos durch den academ. Verein für Kunst und Literatur
'eser Tage aufgeführt worden. Die Sache ist lange
^rher in den interessirten Kreisen besprochen worden, die
Aufführung war ein Ereigniß. Es möge deshalb hier
^uszugswcise das Urtheil wiedergcgeben werden, das Fritz
Atauthncr im Berliner Tagebl. über die Aufführung fällt.
^ schreibt:
In seinen einleitenden Vorträgen wie auch in seiner
Änderbar frischen Uebersetzung hat Ulrich v. Wilamowitz-
. Mellendorf selbst auf eine philologisch getreue Wiedergabe
gewaltigen Trilogie verzichtet. Der berühmte Philologe
uellte die Forderung auf: Die Dichtung müsse auf unvor-
ereitete, unbefangene, ungelehrte moderne Menschen über-
^ultigend wirken. In Wien wird demnächst der Versuch
semacht werden, das Werk durch einen barbarischen Roth-
von störenden Alterthümlichkeiten zu befreien. In
^ rrlin wurde eine ähnliche Absicht wahrscheinlich gerade
Urch die persönliche Betheiligung des gelehrten Uebersetzers
Mindert. Es wurde zu viel vom Originale beibehaltcn.
qMiger wäre mehr gewesen. Wir sind keine Athener,
lin" Zimten der Aufführung nicht an einem heiteren Früh-
H ^tage im Freien beiwohnen. Wir fühlten uns am
st?,, E etwas ermüdet. Aber eine interessante Vor-
, Uung mar es doch vom ersten bis zum letzten Worte,
d- ^ssant für die „studirten" alten Herren und Jünglinge
Universität, interessant auch für die Damen, welche bei
diesem Anlaß zum ersten Male etwas von dem großen
Aischylos erfuhren. Aber überwältigend, so überwältigend
wie einst für die Griechen? Das doch wohl nicht.
Das erste Drama, der Tod des Agamemnon,
wirkte nicht schwächer und nicht stärker als eine der be-
kannten Tragödien des Sophokles. Fremdartig, aber doch
mit elementarer Kraft in den wirklich dramatischen Scenen.
Gleich dem Eingang gab man sich wirklich hin, wenn auch
manch Einer bei der Beschreibung des Weges, den der
Flammentelegraph von Troja bis Argos zurücklegte, von
sich selber gedacht haben mag: „Geographie schwach."
Als dann jedoch Kassandra ihre furchtbaren Prophezeiungen
sprach, als Klytaimnestra mit schrecklicher Energie den
Mord ausführte, da ging, wenn keine innere Ergriffenheit,
so doch ein Grausen durch das athemlose Haus. Alles
vereinigte sich, um den Eindruck zu steigern. Auch die
Chöre nahmen an der Handlung Theil. Einer der Chor-
führer trug die Opferung Iphigeniens prachtvoll vor, es
ging beinahe zu Herzen. Die kannibalischen Voraus-
setzungen der Fabel, die Schüsseln mit dampfendem
Menschenfleisch, schienen nicht zu stören. Nur der böse
Aigisthos, den Aischylos schlecht genug behandelt hat,
konnte einen leicht parodistischen Eindruck machen, nicht
durch Schuld des Darstellers.
So war denn die beste Stimmung hergestellt für das
zweite Drama, den Tod der Klytaimnestra. Alles
ging gut. Das Wiedersehen der Geschwister Orestes und
Elektra rührte wie vor zweitausend und einigen hundert
Jahren. Sie stacheln einander zur Rache auf, und der
Muttermord wird mit aller Brutalität vollzogen. Herr
Kayßler (Orestes) und Fräulein Mahn (Elektra) waren
gut. Trotzdem blieb das Grausen bei der zweiten (viel-
mehr der dritten und vierten) Mordthat in diesem
„Menschenschlachthause" aus. Warum? Ich fürchte, der
Hauptgrund lag doch in der Dichtung selbst, die uns an
dieser Stelle eine unüberbrückbare Kluft zwischen antiker
Kunst und der unseren zeigt. Nicht der Muttermord ist
es, der unsere Mitempfindung lähmt; aber das kalte
sophistische Reden über den Muttermord. Diesen Orestes,
den Orestes vor der Thal, begreifen wir nicht. Desto
besser den Orestes nach der That, den von Erinnyen ge-
hetzten Muttermörder. Und das dritte Drama, das er-
habenste Werk griechischer Tragik, kann beginnen, „Die
Eumeniden".
Auf seinem Höhepunkte versagte es nicht. Der Zauber-
gesang der Furien war trotz alledem, was da gesündigt
wurde, von erdrückender Wucht; solche Worte für die
Seelenqual eines armen Menschen sind nie wieder ge-
funden worden, nicht von Dante, nicht von Shakespeare.
Zerschmetternd stürmten sie auf uns ein, wie sonst nur
ein erlebtes Entsetzen uns bis ins Mark hinein zu fassen
vermag. Der Rest der „Eumeniden" war Theater und
nicht einmal immer aufregendes Theater. Es wäre un-
gerecht, die Regie dafür verantwortlich zu machen, sie hatte,
bis auf einen Punkt, ihre Schuldigkeit gethan. Das Schluß-
bild, eine Apotheose Athens, war sogar als Gemälde
sehenswerth. Nur daß wir keine Athener sind. Es ist
nicht erst seit Offenbach, daß wir diese Knlissengottheiten,
diese Pallas Athene, diesen Apollo, diesen HermeS mit
ihren hölzernen Attributen nicht mehr vertragen. Sie find