Hamburgischer Bundesrathsbevollmächtigter Senator Bur- i
chardt: Die Ausführungen Lenzmanns waren auch wohl nicht
zu böse gegen den Bundesrath gemeint, können jedoch tm Lande
falsch verstanden werden. Die Seemannsordnung solle aus-
gleichen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, solle vermitteln
und versöhnen. Die Seeberufsgenossenschaft wird eine eingehende
Widerlegung dem Hause zugehen lassen.
Nach kurzer weiterer Diskussion wird die Vorlage einer Kom-
mission von 21 Mitgliedern überwiesen.
Donnerstag 1 Uhr: Novelle betreffend Privatversicherungen:
Berathung der Denkschrift über die Anleihen seit 1875.
Baden. Bruchsal, 27. Nov. Gestern fand, nach
der Kraichg. Ztg., die Generalversammlung des hiesigen
nationalliberalen Vereins behufs Stellungnahme
zur Wahlrechtsfrage statt. Herr Ferd. Keller er-
öffnest sie mit einem kurzen Hinweis auf Anlaß und Zweck
der Besprechung. Redakteur Weber nahm alsdann das
Wort zu einer Darlegung des bisherigen Entwicklungs-
gangs und jetzigen Standes der Frage, wobei er einen
Vergleich zog mit dem für den Reichstag und die einzelnen
deutschen Bundesstaaten geltenden Wahlrechten und darauf
hinwies, wie in Baden die Forderung des direkten Wahl-
rechts immer mehr Anhänger gefunden infolge der sich im-
mer mehr Bahn brechenden Erkenntniß, daß die indirekte
Wahl, so wie sie in Baden gehandhabt wird, nichts weiter
als eine lästige überflüssige Form ist, und die Wahlmänner
lediglich die Zettelträger der Urwähler sind. Die nat.-lib.
Partei hat deßhalb schon seit langen Jahren die direkte
Wahl in ihr Programm ausgenommen, hatte aber auch bis-
her den von der Regierung geforderten Kautelen — wenn
auch nur in beschränkter Zahl — ihre Zustimmung gege-
ben, nicht als Compensation für die Preisgabe des in-
direkten Wahlrechts, sondern als Correktiv gegen die offen-
kundigen Unbilligkeiten des gleichen Wahlrechts. Nachdem
sich aber gegen diese Kautelen, d. h. also die Ergänzung
der Kammer durch einige wenige von Selbstverwaltungs-
körpern gewählte Vertreter, eine so allgemeine Abneigung
kundgegeben, daß ein Festhalten daran keinerlei Aussicht
auf Erfolg haben würde, hat die Parteileitung sich dafür
entschieden, dieselben gänzlich fallen zu lassen und mit den
üorigen Parteien für das unbeschränkte direkte Wahlrecht,
wie es für den Reichstag besteht, einzutreten, in der Hoff-
nung, daß die mit dem allgemeinen gleichen Wahlrecht
verbundene Gefahr der Massenherrschaft durch den ge-
sunden Sinn des zu politischer Selbständigkeit heran-
reifenden Volkes paralysirt werden möge. — An der
sich hieran anschließenden Diskussion betheiligten sich
die Herren Medizinalrath Ribstein und Oberamts-
richter Mayer, um auch ihrerseits dazulegen, wie sehr sich
das indirekte Wahlsystem überlebt, wie es allgemein als
eine illusorische und zwecklose Formalität empfunden werde,
und wie sehr es an der Zeit sei, endlich damit aufzuräumen.
— Da sich Niemand weiter zum Worte meldete, wurde
die nachstehende Resolution in Vorschlag gebracht und
einstimmig gutgehcißen: „Die heutige Generalversammlung
des nat.-lib. Vereins Bruchsal erklärt ihre Zustim-
mung zu den in der Ansprache des engeren Partei-Aus-
schusses an die Bczirksvcreine dargelegten Anschauungen
und erklärt sich insbesondere einverstanden mit Einführung
des direkten Wahlrechts ohne alle Kautelen."
L.O. Karlsruhe, 27. Nov. In einer zahlreich be-
suchten Versammlung des hiesigen nat.-lib. Vereins
begründete Prof. Dr. Golds chmit die Stellungnahme
des Engeren Ausschusses zu der Wahlrechtsfrage,
während Rechtsanwalt Dr. Binz zur politischenLage
in Baden sich äußerte. Beide Redner ernteten lebhaften
Beifall. Eine Diskussion erfolgte nicht, so daß Prof.
Goldschnitt am Schluß der Versammlung das Einverständ-
niß sämmtlicher Anw esenden mit den Beschlüssen
des Engeren Ausschusses konstatiren konnte.
— Einen erheiternden Anblick gewährt es, zu sehen,
wie sozialdemokratische Blätter darüber streiten, ob
ein Sozialdemokrat als Mitglied des Reichstags-
präsidiums zu Hofe gehen dürfte oder nicht. Das Nürn-
berger Parteiorgan Fränkische Tagespost stellt sich auf die
Seite des Karlsruher Volksfreundes, der für Bejahung
der Frage spricht. Wenn Graf Ballestrem sich den Fuß
uns in der Poesie, sie sind uns in der Plastik todte Sym-
bole geworden.
Die Götterszenen des letzten Dramas hätten trotzdem
die unvergeßliche Wirkung einiger Auftritte schön umrahmen
können, wenn in der Verkörperung der Eumeniden nicht so
gut wie alles verfehlt gewesen wäre. Das war unsere
größte Erwartung gewesen, und in diesem Punkte ent-
täuschte die Regie. Wo waren die urweltlichen Gottheiten,
die Töchter der Nacht, deren Anblick schon das Herz er-
starren macht? Choristinnen mit Hellen Flachszöpfen,
einige Schlänglein aus der Galanteriewaarenhandlung in
den Haaren. Nein, das waren weder die Menschen-
jägerinnen, die Erinnyen, noch die versöhnten Eumeniden,
die Hüterinnen des ewigen Rechts. Und als sie sich gar
im Schlußbilde mit dem übrigen „Volk" ordentlich in einer
Gruppe aufstellten, da war die letzte Scheu vor ihnen ver-
schwunden. Erinnyen, die aus der Hand essen, nicht blut-
lechzende Hündinnen! Ob es möglich wäre, diese un-
geheueren Geschöpfe des Dichters der Gegenwart ganz
glaubhaft zu machen, das will ich nicht entscheiden, etwas
mehr hätte dafür jedoch geschehen müssen.
Eine bestimmte Antwort auf die Frage, wie die Orestie
für unsere Bühne zu erobern wäre, ist unmittelbar nach
der Aufführung kaum zu wagen. Der Versuch ist dankens-
werth; eine Ausscheidung dessen, was wir uns nicht mehr
zu assimiliren vermögen, wäre noch dankenswerther ge-
wesen. So viel scheint gewiß, daß auch eine so pracht-
volle Uebersetzung, wie die von Ulrich Wilamowitz, die
alten Gestalten nicht so verjüngen kann, daß sie Geist von
unserem Geiste, Fleisch von unserem Fleische werden. Um
das zu erreichen, müßte ein großer deutscher Dichter
kommen, das gesammte Material umschmelzen und neue
Menschen bilde», die wir lieben, die wir — wenn es sein
verstauchte, Frege unwohl wurde, so müßte, meint die
Tagespost, Singer, wenn er 2. Vicepräsident des Reichs-
tags wäre, im gewohnten Jacketanzug zum Monarchen
gehen und ihm die durch die Geschäftsordnung vor-
geschriebene Anzeige von der Konstituirung des Präsidiums
machen. Daran würde die Sozialdemokratie nicht zu
Grunde gehen. „Na, fiehste wohl!" ruft erfreut der
Volksfreund, der ganz einverstanden ist mit allem, bis auf
den Jacketanzug; er fände es besser, wenn Singer im
schwarzen Gehrock oder noch lieber im Frack zum Kaiser
gehen würde. Hoffentlich, so schreibt der Karlsruher
Korrespondet des Schwäb. Merkur, ist bis zur nächsten
Präsidentenwahl diese Toilette- und Etikettenfrage erledigt,
damit das deutsche Volk endlich einen seiner würdigen
2. Vizepräsidenten bekommen kann. Anläßlich dieser Polemik
ernennt der Volksfreund mit der ihm angeborenen Höflich-
keit einen Korrespondenten des Mannheimer Centrumsblattes
zum „hervorragenden Wüstenschiff".
* Der Beobachter vermag auf unfern Hinweis, daß in
der Wahlrechtsfrage nur das einmüthige, einhellige
Votum der 2. Kammer Gewicht haben würde, nichts zu
erwidern. Da aber Ausstellungen zu machen, Anstände zu
erheben seine Lebenslust ist, so sagt er: „Und diese Leute
wollen noch mit Mahnungen an das Centrum herantreten,
wie sie in den Schlußsätzen des vorstehenden Citats ent-
halten sind!" — Ja wohl, das wollen sie und das Cen-
trum thäte, wenn es ihm ernst mit der direkten Wahl ist,
gut, sie zu beachten.
Preußen. Der Nordd. Allg. Ztg. wird von zuständi-
ger Seite die Meldung der Rheinisch-Westfälischen Zeitung
als unrichtig bezeichnet, wonach in nächster Zeit der
Umbau der V-Züge erfolge und ein größerer Betrag
hierfür in den nächstjährigen Etat eingestellt werde.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben dem
Postsekretär Rudolf Tiefe rt in Freiburg die Erlaubniß zur
Annahme und zum Tragen des ihm verliehenen Königlich
Preußischen Kronen-Ordens IV. Klasse ertheilt, den zum Landes-
kommissär für die Kreise Offenburg. Freiburg und Lörrach er-
nannten Geheimen Oberregterungsrath Max Föhrenbach von
der Funktion eines ständigen Mitglieds des Landesvcrsicherungs-
amts enthoben und den Mintsterialrath Moritz Seubert zum
ständigen Mitglied des Landesversicherungsamts ernannt.
— Registraturassistent Jakob Riebet beim Großh. Grwerbe-
schulrath wurde zum Registrator bei dem genannten Ministerium
und Kanzleiassistent Philipp Pfauz bei diesem Ministerium zum
Registraturassistenten daselbst ernannt.
Karlsruhe, 27. Nov. Der Großherzog nahm heute
Vormittag in Schloß Baden den Vortrag des Majors von
Schwerin entgegen. Nachmittags 5 Uhr fand bei den
Großherzoglichen Herrschaften eine musikalische Theegesell-
schaft statt, zu welcher zahlreiche Einladungen ergangen
waren. Der Klavierspieler Sauer bekundete dabei seine
große Begabung; außerdem trug die Sängerin Bletzer, be.
gleitet von Fräulein Oswald einige Lieder vor. Morgen
früh reisen der Großherzog und die Großherzogin
nach Schloß Friedrichshof bei Cronberg zum Besuch der
Kaiserin Friedrich, welche Ihren Königlichen Hoheiten diesen
Tag als genehm bezeichnet hat. Die Höchsten Herrschaften
verlassen Baden Morgens 7 Uhr 52 Minuten, verweilen
in Schloß Friedrichshof von 1 Uhr bis 5 Uhr und ge-
denken Abends 10 Uhr wieder in Boden einzutreffen.
Ausland.
Oesterreich-Ungarn. Prag, 27. Nov. Wie die N-
Fr. Pr. von hier meldet, erklärte Erzbischof
Skrbensky den in letzter Zeit vielfach eingebürgerten
Brauch, an den lateinischen Text liturgischer Gesänge
czechische Gesänge anzuschließen, für unstatthaft.
Pest, 27. Nov. Die Universitätssenat ordnete auf
Weisung des Unterrichtsministers die Schließung der
Universitätsclubs an. Es verlautet, die Maßregel
sei hervorgerufen durch eine förmliche Zweikampf s-
wuth, welche die Studenten ergriffen habe.
Rußland. Livadia, 27 Nov., IMHr Morgens. Der
Zar verbrachte den gestrigen Tag gut. Um 9 Uhr Abends
muß — mit vollem Verständniß hassen können. Das ist
ja einmal geschehen. Goethe hat sein Genie an so etwas
gesetzt, er hat die Orestie in seine Iphigenie umgeschaffen.
Und es ist noch die Frage, ob selbst in diesem Wunder-
werk alles Todte der Vorzeitsage ganz lebendig geworden ist.
Stadt-Theater.
/X Heidelberg, 28. November.
„Aschenbrödel". Schauspiel in 4 Akten von Roderich
Benedix.
Das Damenpensionat mag man wohl noch gern ansehen; wie
es sich in der Geographiestunde, in der Prüfung, bei Ankündigung
eines gräflichen Besuchs benimmt. Die lebhafte Backfischgesell-
schaft ist nicht übel gezeichnet, einschließlich der ewig müden und
schläfrigen Edwina. Das ganze Beiwerk aber ist heute doch kaum
noch zu genießen. Die gemachte Naivität, die künstliche Märchen-
stimmung, die mühsam einherstelzende Handlung sind nichts für
den Geschmack der Gegenwart, sie muthen uns fremd und unver-
ständlich an. Das Lächeln, das sie uns entlocken, ist dem Dichter
und der Dichtung nicht günstig.
Die Ausführung ging äußerlich gut von Statten. Die
Pensionatsszenen waren recht hübsch. Aber im Allgemeinen blieb
es bei dem Aeußerlichcn.
Darf man einen drastischen Vergleich wagen, so möchte man
sagen: Das Stück und die Aufführung schmeckten wie ein unge-
salzener Hering.
Das Aschenbrödel, die Elfriede, wurde von Frl. v. Pommer
gespielt, die mit hübschen Mitteln und anerkennenswerthem
Streben die Figur des geknechteten Grafenktndes licht zu
verklären suchte. Nur schade, daß dem heutigen Wtrklichkeitssinn
der rechte Glaube fehlt. Herr Meltzer-Burg hatte an dem
alten Schulmann Veltenius wieder eine Rolle, in der er sein
Talent für Gestaltung derartiger Personen von der besten
Seite zeigen konnte. Fräul. Krüger verkörperte die Anstand
predigende Pensionatsvorsteherin und eifersüchtige Gattin glaub-
würdig und deßhalb mit gutem Erfolg. Das Drastische in der
Rolle brachte sie gut heraus. Von den andern Personen ist noch
der Magister Stichling des Herrn Wetnmann und die alte
Gertrud des Frl. Jelly zu erwähnen. Ll.
war die Temperatur 36,5, der Puls 66. Nachts schliß
der Kaiser gut. Am Morgen waren das Empfinden und
der allgemeine Kräftezustand vollkommen befriedigend. Die
Temperatur betrug 36, der Puls 66.
Spanien. Madrid, 27. Nov. In der Abgeordneten'
kammer machte der Minister des Innern Mittheilungen,
aus denen der Ernst der carlistischenBewegung her»
vorgeht.
Asien. Shanghai, 27. Nov. Die Morning Post
meldet unter dem 26. d. M.: Li-Hung-Tschang ist
ernstlich erkrankt.
— Aus China wird berichtet, daß die Kolonne des
Grafen Jork am achten Marschtage über den Nankonpaß
und Hsueenhwa in Kalgan am 19. ds. eingetroffen ist,
die Boxer und die kaiserlichen Truppen zogen
westwärts ab. Die Kolonne hatte ungeheure
Schwierigkeiten auf dem Marsche zu überwinden;
trotz Sandsturm und Kälte wurde ein Tagesmarsch von
50 Kilometer brillant zurückgelegt. Der Gesundheits<
zustand der Truppe ist ausgezeichnet. Eine Meldung
des Grafen Waldersee fügt hinzu, daß die Kolonne aM
23. d. den Rückmarsch nach Peking angetreten habe.
Von Tientsin aus unternahm Oberstleutnant Arnstedt
mit einem kleinen Detachement eine Strafexpedition nach
Wutsingsin und Nisaitsun, 55 und 40 Kilometer nord'
westlich von Tientsin. — Das erste Bataillon des ostasta-
tischen Infanterieregiments Nr. 2 in Schanhaikwa»
ist durch Etappentruppen abgelöst worden und mal'
schirt direkt nach Peking. — Nach der Times haben alle
Gesandten jetzt zwei weiteren Vorschlägen zugestimmt, die
früher auf Widerstand stießen. Der eine Vorschlag geht
vom englischen Gesandten aus und verlangt, daß China
der Umarbeitung der Handelsverträge zustimme. Der
andere Vorschlag rührt vom italienischen Gesandten her
und geht dahin, daß China sich einer von den Mächten
als Garantie für die Bezahlung der Entschädigungen für
nöthig erachteten Fi n anzkontro le unterwerfe, die einein
„internationalen Kontrolamte", ähnlich der egyptischeu Kasse
der Staatsschuld oder der Verwaltung der ottomanischcN
Staatsschuld, Messt.
Afrika. Eine Depesche von Lord Roberts aus
Johannesburg vom 26. d. M. meldet über unbedeu'
tende Gefechte im Oranjcfreistaat, sowie über
den Vormarsch von General Clement gegen Ri et fo nt ein,
wo Delarey mit 800 bis 1000 Mann Widerstand
leistete. Die Buren führten einen Zwölfpsünder und ein
anderes Geschütz mit und wurden angeblich völlig aus-
einander gesprengt. (Mau weiß, was es mit dem Zel'
sprengen der Buren auf sich hat. Eine Stunde nach dein
Zersprengtwerden sind sie wieder beisammen.) — Im west'
lichen Transvaal befinden sich verschiedene kleine Buren'
lager. — Dewet soll sich in der Nähe des portugiesische
Gebiets befinden. Dieser lang dauernde Kleinkrieg, dessen
Ende man noch gar nicht absehen kann, 'st für England
jedenfalls sehr lästig.
Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 28. November.
* Der letzte Monat im Jahr rückt heran. Wir möchten diese
Gelegenheit benutzen, um das Publikum in Stadt und Land, st'
weit es die Heidelberger Zeitung noch nicht hält, zurecht
zahlreichem Abonnement auf unser Blatt einzuladen. Alle anderen
hiesigen Blätter schlagen zum 1. Dezember im Preise auf, die
H eide lbe rger Zeitung dagegen kostet monatlich durch
unser Trägerpersonal frei ins Haus gebracht nur50Psg->
durch die Post bezogen bezahlt man für den Monat
zember, wenn man die Zeitung am Postschalter abholt, 42 Pfg >
wenn man sie sich durch den Briefträger zustellen läßt 57 Pst-
Bei diesem billigen Preis kann ein Jeder einmal ein Versuchs*
Abonnement wagen. Wer die Heidelberger Zeitung lM-
pflegt nicht wieder von ihr abzugehen, denn die Heidelbergs
Zeitung sündigt nicht gegen die geistigen und leiblichen AugeN
der Leser durch kritikloses Zusammenhäufen farblosen Lesestoffes,
sondern sie bietet eine durchgearbeitctc systematische Zusammen'
stellung des wirklich Bcmerkenswerthen aus dem, was der Des
an politischem, lokalem und feuilletonistischem Stoffe bringt. Uebek
die gegenwärtig sehr interessante und bedeutungsvolle Entwm'
lung der inneren badischen Politik werden die Leser derH eidel-
berger Zeitung fortlaufend unterrichtet. Die Heidelbergs
Zeitung steht auf dem Boden der nationalen und liberalen
Partei und sagt von diesem Standpunkt aus, was sie von dest
Verlaufe der Dinge meint. Wir glauben, chaß auch diejenige
Leser, die nicht unserer Ansicht sind, das Bedürfniß haben,
einer Zeitung eine Meinung vertreten zu sehen; lieber eine gcgNs'
rische als gar keine. Verletzt wird Niemand durch die Herdet'
berger Zeitung, die es sich zum Grundsatz gemacht hat, i«M
Sache bestimmt, in der Form höflich und nicht ausfallend aufst'
treten. Bestellungen auf die Heidelberger Zeitung nekM"
unsere Träger, unsere Expedition und alle Postanstalten entgegen-
b I. Akademischer Vortrag zu Gunsten des Frauenvereirst-
Jn dem ersten der zu Gunsten des hiesigen Framnoerelns stau*
findenden akademischen Vorträge, welche gestern in der Aula de*
Universität ihren Anfang nahmen, hatte sich Professor E. Ne»'
mann die ebenso dankbare als schwierige Aufgabe gestellt, d*>»
„Programm der modernen Malerei" zu entwickeln-
Die Wegrichtung, die die Malerei der verflossenen Jahrhundert-
ein schlug, ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch di« Markstein*
Raphael und Rembrandt. Auf der einen Seite die schöne Lim-'
melodische Form, südliche Farbenpracht, auf der anderen in»')'
sches Halbdunkel, formlose Massen, verworrene Linien, blnte-
denen freilich in sieghafter Schöne das Nordlicht des Geistes
strahlt. Zwsichen diesen bewert Polen entspann sich nun im st«
ten Jahrhundert ein ziel- und zweckloses Hinundher; Hunds*
neue Fäden wurden angeknüpft, aber kein einziger erwies stU>
als Ariadnefaden aus dem Labyrinth sich kreuzender Meinungem
Man suchte etwas „Neues", „Eigenes", man fühlte sich so klein,
so gedrückt in der Rolle der Epigonen. So begann man den
nach- und durcheinander mit dem plorn-sir, mit der „ArmeleN*
Malerei", mit dem „Symbolismus", „Naturalismus" u. s- A
Im Jahrhundert der großen Entdeckungen und Erfindung-'
hatte man anders zu sehen gelernt, aber die plötzliche Lichtfun,
blendete, verwirrte. Nach der Umwerthung aller Werthe, wvo
so ziemlich Alles tm Kurse gesunken war, wurde das Chaos no«
größer. Jeder ging seine besonderen Wege, oft sogar die gestv
lichen Pfade des Nachtwandlers. Die Kunst war wie ei» UNS
berdiger Strom über jahrhundertalte Kunstdämme hinweg ä
fluchet, hatte weite Strecken üppigen Kulturbodens und st'*"!,,,
Flachlandes überschwemmt. Wenn die Wasser sich verlaut
baden werden, wird man erkennen, ob genügend fruchtbringeno
Schlamm zurückgeblieben ist für eine neue Kultur, Noch n"A
alles durcheinander, aber schon steigen hier und da die G'vt
empor von Neuland, Ankerplätze für die lange irrende Arm
chardt: Die Ausführungen Lenzmanns waren auch wohl nicht
zu böse gegen den Bundesrath gemeint, können jedoch tm Lande
falsch verstanden werden. Die Seemannsordnung solle aus-
gleichen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, solle vermitteln
und versöhnen. Die Seeberufsgenossenschaft wird eine eingehende
Widerlegung dem Hause zugehen lassen.
Nach kurzer weiterer Diskussion wird die Vorlage einer Kom-
mission von 21 Mitgliedern überwiesen.
Donnerstag 1 Uhr: Novelle betreffend Privatversicherungen:
Berathung der Denkschrift über die Anleihen seit 1875.
Baden. Bruchsal, 27. Nov. Gestern fand, nach
der Kraichg. Ztg., die Generalversammlung des hiesigen
nationalliberalen Vereins behufs Stellungnahme
zur Wahlrechtsfrage statt. Herr Ferd. Keller er-
öffnest sie mit einem kurzen Hinweis auf Anlaß und Zweck
der Besprechung. Redakteur Weber nahm alsdann das
Wort zu einer Darlegung des bisherigen Entwicklungs-
gangs und jetzigen Standes der Frage, wobei er einen
Vergleich zog mit dem für den Reichstag und die einzelnen
deutschen Bundesstaaten geltenden Wahlrechten und darauf
hinwies, wie in Baden die Forderung des direkten Wahl-
rechts immer mehr Anhänger gefunden infolge der sich im-
mer mehr Bahn brechenden Erkenntniß, daß die indirekte
Wahl, so wie sie in Baden gehandhabt wird, nichts weiter
als eine lästige überflüssige Form ist, und die Wahlmänner
lediglich die Zettelträger der Urwähler sind. Die nat.-lib.
Partei hat deßhalb schon seit langen Jahren die direkte
Wahl in ihr Programm ausgenommen, hatte aber auch bis-
her den von der Regierung geforderten Kautelen — wenn
auch nur in beschränkter Zahl — ihre Zustimmung gege-
ben, nicht als Compensation für die Preisgabe des in-
direkten Wahlrechts, sondern als Correktiv gegen die offen-
kundigen Unbilligkeiten des gleichen Wahlrechts. Nachdem
sich aber gegen diese Kautelen, d. h. also die Ergänzung
der Kammer durch einige wenige von Selbstverwaltungs-
körpern gewählte Vertreter, eine so allgemeine Abneigung
kundgegeben, daß ein Festhalten daran keinerlei Aussicht
auf Erfolg haben würde, hat die Parteileitung sich dafür
entschieden, dieselben gänzlich fallen zu lassen und mit den
üorigen Parteien für das unbeschränkte direkte Wahlrecht,
wie es für den Reichstag besteht, einzutreten, in der Hoff-
nung, daß die mit dem allgemeinen gleichen Wahlrecht
verbundene Gefahr der Massenherrschaft durch den ge-
sunden Sinn des zu politischer Selbständigkeit heran-
reifenden Volkes paralysirt werden möge. — An der
sich hieran anschließenden Diskussion betheiligten sich
die Herren Medizinalrath Ribstein und Oberamts-
richter Mayer, um auch ihrerseits dazulegen, wie sehr sich
das indirekte Wahlsystem überlebt, wie es allgemein als
eine illusorische und zwecklose Formalität empfunden werde,
und wie sehr es an der Zeit sei, endlich damit aufzuräumen.
— Da sich Niemand weiter zum Worte meldete, wurde
die nachstehende Resolution in Vorschlag gebracht und
einstimmig gutgehcißen: „Die heutige Generalversammlung
des nat.-lib. Vereins Bruchsal erklärt ihre Zustim-
mung zu den in der Ansprache des engeren Partei-Aus-
schusses an die Bczirksvcreine dargelegten Anschauungen
und erklärt sich insbesondere einverstanden mit Einführung
des direkten Wahlrechts ohne alle Kautelen."
L.O. Karlsruhe, 27. Nov. In einer zahlreich be-
suchten Versammlung des hiesigen nat.-lib. Vereins
begründete Prof. Dr. Golds chmit die Stellungnahme
des Engeren Ausschusses zu der Wahlrechtsfrage,
während Rechtsanwalt Dr. Binz zur politischenLage
in Baden sich äußerte. Beide Redner ernteten lebhaften
Beifall. Eine Diskussion erfolgte nicht, so daß Prof.
Goldschnitt am Schluß der Versammlung das Einverständ-
niß sämmtlicher Anw esenden mit den Beschlüssen
des Engeren Ausschusses konstatiren konnte.
— Einen erheiternden Anblick gewährt es, zu sehen,
wie sozialdemokratische Blätter darüber streiten, ob
ein Sozialdemokrat als Mitglied des Reichstags-
präsidiums zu Hofe gehen dürfte oder nicht. Das Nürn-
berger Parteiorgan Fränkische Tagespost stellt sich auf die
Seite des Karlsruher Volksfreundes, der für Bejahung
der Frage spricht. Wenn Graf Ballestrem sich den Fuß
uns in der Poesie, sie sind uns in der Plastik todte Sym-
bole geworden.
Die Götterszenen des letzten Dramas hätten trotzdem
die unvergeßliche Wirkung einiger Auftritte schön umrahmen
können, wenn in der Verkörperung der Eumeniden nicht so
gut wie alles verfehlt gewesen wäre. Das war unsere
größte Erwartung gewesen, und in diesem Punkte ent-
täuschte die Regie. Wo waren die urweltlichen Gottheiten,
die Töchter der Nacht, deren Anblick schon das Herz er-
starren macht? Choristinnen mit Hellen Flachszöpfen,
einige Schlänglein aus der Galanteriewaarenhandlung in
den Haaren. Nein, das waren weder die Menschen-
jägerinnen, die Erinnyen, noch die versöhnten Eumeniden,
die Hüterinnen des ewigen Rechts. Und als sie sich gar
im Schlußbilde mit dem übrigen „Volk" ordentlich in einer
Gruppe aufstellten, da war die letzte Scheu vor ihnen ver-
schwunden. Erinnyen, die aus der Hand essen, nicht blut-
lechzende Hündinnen! Ob es möglich wäre, diese un-
geheueren Geschöpfe des Dichters der Gegenwart ganz
glaubhaft zu machen, das will ich nicht entscheiden, etwas
mehr hätte dafür jedoch geschehen müssen.
Eine bestimmte Antwort auf die Frage, wie die Orestie
für unsere Bühne zu erobern wäre, ist unmittelbar nach
der Aufführung kaum zu wagen. Der Versuch ist dankens-
werth; eine Ausscheidung dessen, was wir uns nicht mehr
zu assimiliren vermögen, wäre noch dankenswerther ge-
wesen. So viel scheint gewiß, daß auch eine so pracht-
volle Uebersetzung, wie die von Ulrich Wilamowitz, die
alten Gestalten nicht so verjüngen kann, daß sie Geist von
unserem Geiste, Fleisch von unserem Fleische werden. Um
das zu erreichen, müßte ein großer deutscher Dichter
kommen, das gesammte Material umschmelzen und neue
Menschen bilde», die wir lieben, die wir — wenn es sein
verstauchte, Frege unwohl wurde, so müßte, meint die
Tagespost, Singer, wenn er 2. Vicepräsident des Reichs-
tags wäre, im gewohnten Jacketanzug zum Monarchen
gehen und ihm die durch die Geschäftsordnung vor-
geschriebene Anzeige von der Konstituirung des Präsidiums
machen. Daran würde die Sozialdemokratie nicht zu
Grunde gehen. „Na, fiehste wohl!" ruft erfreut der
Volksfreund, der ganz einverstanden ist mit allem, bis auf
den Jacketanzug; er fände es besser, wenn Singer im
schwarzen Gehrock oder noch lieber im Frack zum Kaiser
gehen würde. Hoffentlich, so schreibt der Karlsruher
Korrespondet des Schwäb. Merkur, ist bis zur nächsten
Präsidentenwahl diese Toilette- und Etikettenfrage erledigt,
damit das deutsche Volk endlich einen seiner würdigen
2. Vizepräsidenten bekommen kann. Anläßlich dieser Polemik
ernennt der Volksfreund mit der ihm angeborenen Höflich-
keit einen Korrespondenten des Mannheimer Centrumsblattes
zum „hervorragenden Wüstenschiff".
* Der Beobachter vermag auf unfern Hinweis, daß in
der Wahlrechtsfrage nur das einmüthige, einhellige
Votum der 2. Kammer Gewicht haben würde, nichts zu
erwidern. Da aber Ausstellungen zu machen, Anstände zu
erheben seine Lebenslust ist, so sagt er: „Und diese Leute
wollen noch mit Mahnungen an das Centrum herantreten,
wie sie in den Schlußsätzen des vorstehenden Citats ent-
halten sind!" — Ja wohl, das wollen sie und das Cen-
trum thäte, wenn es ihm ernst mit der direkten Wahl ist,
gut, sie zu beachten.
Preußen. Der Nordd. Allg. Ztg. wird von zuständi-
ger Seite die Meldung der Rheinisch-Westfälischen Zeitung
als unrichtig bezeichnet, wonach in nächster Zeit der
Umbau der V-Züge erfolge und ein größerer Betrag
hierfür in den nächstjährigen Etat eingestellt werde.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben dem
Postsekretär Rudolf Tiefe rt in Freiburg die Erlaubniß zur
Annahme und zum Tragen des ihm verliehenen Königlich
Preußischen Kronen-Ordens IV. Klasse ertheilt, den zum Landes-
kommissär für die Kreise Offenburg. Freiburg und Lörrach er-
nannten Geheimen Oberregterungsrath Max Föhrenbach von
der Funktion eines ständigen Mitglieds des Landesvcrsicherungs-
amts enthoben und den Mintsterialrath Moritz Seubert zum
ständigen Mitglied des Landesversicherungsamts ernannt.
— Registraturassistent Jakob Riebet beim Großh. Grwerbe-
schulrath wurde zum Registrator bei dem genannten Ministerium
und Kanzleiassistent Philipp Pfauz bei diesem Ministerium zum
Registraturassistenten daselbst ernannt.
Karlsruhe, 27. Nov. Der Großherzog nahm heute
Vormittag in Schloß Baden den Vortrag des Majors von
Schwerin entgegen. Nachmittags 5 Uhr fand bei den
Großherzoglichen Herrschaften eine musikalische Theegesell-
schaft statt, zu welcher zahlreiche Einladungen ergangen
waren. Der Klavierspieler Sauer bekundete dabei seine
große Begabung; außerdem trug die Sängerin Bletzer, be.
gleitet von Fräulein Oswald einige Lieder vor. Morgen
früh reisen der Großherzog und die Großherzogin
nach Schloß Friedrichshof bei Cronberg zum Besuch der
Kaiserin Friedrich, welche Ihren Königlichen Hoheiten diesen
Tag als genehm bezeichnet hat. Die Höchsten Herrschaften
verlassen Baden Morgens 7 Uhr 52 Minuten, verweilen
in Schloß Friedrichshof von 1 Uhr bis 5 Uhr und ge-
denken Abends 10 Uhr wieder in Boden einzutreffen.
Ausland.
Oesterreich-Ungarn. Prag, 27. Nov. Wie die N-
Fr. Pr. von hier meldet, erklärte Erzbischof
Skrbensky den in letzter Zeit vielfach eingebürgerten
Brauch, an den lateinischen Text liturgischer Gesänge
czechische Gesänge anzuschließen, für unstatthaft.
Pest, 27. Nov. Die Universitätssenat ordnete auf
Weisung des Unterrichtsministers die Schließung der
Universitätsclubs an. Es verlautet, die Maßregel
sei hervorgerufen durch eine förmliche Zweikampf s-
wuth, welche die Studenten ergriffen habe.
Rußland. Livadia, 27 Nov., IMHr Morgens. Der
Zar verbrachte den gestrigen Tag gut. Um 9 Uhr Abends
muß — mit vollem Verständniß hassen können. Das ist
ja einmal geschehen. Goethe hat sein Genie an so etwas
gesetzt, er hat die Orestie in seine Iphigenie umgeschaffen.
Und es ist noch die Frage, ob selbst in diesem Wunder-
werk alles Todte der Vorzeitsage ganz lebendig geworden ist.
Stadt-Theater.
/X Heidelberg, 28. November.
„Aschenbrödel". Schauspiel in 4 Akten von Roderich
Benedix.
Das Damenpensionat mag man wohl noch gern ansehen; wie
es sich in der Geographiestunde, in der Prüfung, bei Ankündigung
eines gräflichen Besuchs benimmt. Die lebhafte Backfischgesell-
schaft ist nicht übel gezeichnet, einschließlich der ewig müden und
schläfrigen Edwina. Das ganze Beiwerk aber ist heute doch kaum
noch zu genießen. Die gemachte Naivität, die künstliche Märchen-
stimmung, die mühsam einherstelzende Handlung sind nichts für
den Geschmack der Gegenwart, sie muthen uns fremd und unver-
ständlich an. Das Lächeln, das sie uns entlocken, ist dem Dichter
und der Dichtung nicht günstig.
Die Ausführung ging äußerlich gut von Statten. Die
Pensionatsszenen waren recht hübsch. Aber im Allgemeinen blieb
es bei dem Aeußerlichcn.
Darf man einen drastischen Vergleich wagen, so möchte man
sagen: Das Stück und die Aufführung schmeckten wie ein unge-
salzener Hering.
Das Aschenbrödel, die Elfriede, wurde von Frl. v. Pommer
gespielt, die mit hübschen Mitteln und anerkennenswerthem
Streben die Figur des geknechteten Grafenktndes licht zu
verklären suchte. Nur schade, daß dem heutigen Wtrklichkeitssinn
der rechte Glaube fehlt. Herr Meltzer-Burg hatte an dem
alten Schulmann Veltenius wieder eine Rolle, in der er sein
Talent für Gestaltung derartiger Personen von der besten
Seite zeigen konnte. Fräul. Krüger verkörperte die Anstand
predigende Pensionatsvorsteherin und eifersüchtige Gattin glaub-
würdig und deßhalb mit gutem Erfolg. Das Drastische in der
Rolle brachte sie gut heraus. Von den andern Personen ist noch
der Magister Stichling des Herrn Wetnmann und die alte
Gertrud des Frl. Jelly zu erwähnen. Ll.
war die Temperatur 36,5, der Puls 66. Nachts schliß
der Kaiser gut. Am Morgen waren das Empfinden und
der allgemeine Kräftezustand vollkommen befriedigend. Die
Temperatur betrug 36, der Puls 66.
Spanien. Madrid, 27. Nov. In der Abgeordneten'
kammer machte der Minister des Innern Mittheilungen,
aus denen der Ernst der carlistischenBewegung her»
vorgeht.
Asien. Shanghai, 27. Nov. Die Morning Post
meldet unter dem 26. d. M.: Li-Hung-Tschang ist
ernstlich erkrankt.
— Aus China wird berichtet, daß die Kolonne des
Grafen Jork am achten Marschtage über den Nankonpaß
und Hsueenhwa in Kalgan am 19. ds. eingetroffen ist,
die Boxer und die kaiserlichen Truppen zogen
westwärts ab. Die Kolonne hatte ungeheure
Schwierigkeiten auf dem Marsche zu überwinden;
trotz Sandsturm und Kälte wurde ein Tagesmarsch von
50 Kilometer brillant zurückgelegt. Der Gesundheits<
zustand der Truppe ist ausgezeichnet. Eine Meldung
des Grafen Waldersee fügt hinzu, daß die Kolonne aM
23. d. den Rückmarsch nach Peking angetreten habe.
Von Tientsin aus unternahm Oberstleutnant Arnstedt
mit einem kleinen Detachement eine Strafexpedition nach
Wutsingsin und Nisaitsun, 55 und 40 Kilometer nord'
westlich von Tientsin. — Das erste Bataillon des ostasta-
tischen Infanterieregiments Nr. 2 in Schanhaikwa»
ist durch Etappentruppen abgelöst worden und mal'
schirt direkt nach Peking. — Nach der Times haben alle
Gesandten jetzt zwei weiteren Vorschlägen zugestimmt, die
früher auf Widerstand stießen. Der eine Vorschlag geht
vom englischen Gesandten aus und verlangt, daß China
der Umarbeitung der Handelsverträge zustimme. Der
andere Vorschlag rührt vom italienischen Gesandten her
und geht dahin, daß China sich einer von den Mächten
als Garantie für die Bezahlung der Entschädigungen für
nöthig erachteten Fi n anzkontro le unterwerfe, die einein
„internationalen Kontrolamte", ähnlich der egyptischeu Kasse
der Staatsschuld oder der Verwaltung der ottomanischcN
Staatsschuld, Messt.
Afrika. Eine Depesche von Lord Roberts aus
Johannesburg vom 26. d. M. meldet über unbedeu'
tende Gefechte im Oranjcfreistaat, sowie über
den Vormarsch von General Clement gegen Ri et fo nt ein,
wo Delarey mit 800 bis 1000 Mann Widerstand
leistete. Die Buren führten einen Zwölfpsünder und ein
anderes Geschütz mit und wurden angeblich völlig aus-
einander gesprengt. (Mau weiß, was es mit dem Zel'
sprengen der Buren auf sich hat. Eine Stunde nach dein
Zersprengtwerden sind sie wieder beisammen.) — Im west'
lichen Transvaal befinden sich verschiedene kleine Buren'
lager. — Dewet soll sich in der Nähe des portugiesische
Gebiets befinden. Dieser lang dauernde Kleinkrieg, dessen
Ende man noch gar nicht absehen kann, 'st für England
jedenfalls sehr lästig.
Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 28. November.
* Der letzte Monat im Jahr rückt heran. Wir möchten diese
Gelegenheit benutzen, um das Publikum in Stadt und Land, st'
weit es die Heidelberger Zeitung noch nicht hält, zurecht
zahlreichem Abonnement auf unser Blatt einzuladen. Alle anderen
hiesigen Blätter schlagen zum 1. Dezember im Preise auf, die
H eide lbe rger Zeitung dagegen kostet monatlich durch
unser Trägerpersonal frei ins Haus gebracht nur50Psg->
durch die Post bezogen bezahlt man für den Monat
zember, wenn man die Zeitung am Postschalter abholt, 42 Pfg >
wenn man sie sich durch den Briefträger zustellen läßt 57 Pst-
Bei diesem billigen Preis kann ein Jeder einmal ein Versuchs*
Abonnement wagen. Wer die Heidelberger Zeitung lM-
pflegt nicht wieder von ihr abzugehen, denn die Heidelbergs
Zeitung sündigt nicht gegen die geistigen und leiblichen AugeN
der Leser durch kritikloses Zusammenhäufen farblosen Lesestoffes,
sondern sie bietet eine durchgearbeitctc systematische Zusammen'
stellung des wirklich Bcmerkenswerthen aus dem, was der Des
an politischem, lokalem und feuilletonistischem Stoffe bringt. Uebek
die gegenwärtig sehr interessante und bedeutungsvolle Entwm'
lung der inneren badischen Politik werden die Leser derH eidel-
berger Zeitung fortlaufend unterrichtet. Die Heidelbergs
Zeitung steht auf dem Boden der nationalen und liberalen
Partei und sagt von diesem Standpunkt aus, was sie von dest
Verlaufe der Dinge meint. Wir glauben, chaß auch diejenige
Leser, die nicht unserer Ansicht sind, das Bedürfniß haben,
einer Zeitung eine Meinung vertreten zu sehen; lieber eine gcgNs'
rische als gar keine. Verletzt wird Niemand durch die Herdet'
berger Zeitung, die es sich zum Grundsatz gemacht hat, i«M
Sache bestimmt, in der Form höflich und nicht ausfallend aufst'
treten. Bestellungen auf die Heidelberger Zeitung nekM"
unsere Träger, unsere Expedition und alle Postanstalten entgegen-
b I. Akademischer Vortrag zu Gunsten des Frauenvereirst-
Jn dem ersten der zu Gunsten des hiesigen Framnoerelns stau*
findenden akademischen Vorträge, welche gestern in der Aula de*
Universität ihren Anfang nahmen, hatte sich Professor E. Ne»'
mann die ebenso dankbare als schwierige Aufgabe gestellt, d*>»
„Programm der modernen Malerei" zu entwickeln-
Die Wegrichtung, die die Malerei der verflossenen Jahrhundert-
ein schlug, ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch di« Markstein*
Raphael und Rembrandt. Auf der einen Seite die schöne Lim-'
melodische Form, südliche Farbenpracht, auf der anderen in»')'
sches Halbdunkel, formlose Massen, verworrene Linien, blnte-
denen freilich in sieghafter Schöne das Nordlicht des Geistes
strahlt. Zwsichen diesen bewert Polen entspann sich nun im st«
ten Jahrhundert ein ziel- und zweckloses Hinundher; Hunds*
neue Fäden wurden angeknüpft, aber kein einziger erwies stU>
als Ariadnefaden aus dem Labyrinth sich kreuzender Meinungem
Man suchte etwas „Neues", „Eigenes", man fühlte sich so klein,
so gedrückt in der Rolle der Epigonen. So begann man den
nach- und durcheinander mit dem plorn-sir, mit der „ArmeleN*
Malerei", mit dem „Symbolismus", „Naturalismus" u. s- A
Im Jahrhundert der großen Entdeckungen und Erfindung-'
hatte man anders zu sehen gelernt, aber die plötzliche Lichtfun,
blendete, verwirrte. Nach der Umwerthung aller Werthe, wvo
so ziemlich Alles tm Kurse gesunken war, wurde das Chaos no«
größer. Jeder ging seine besonderen Wege, oft sogar die gestv
lichen Pfade des Nachtwandlers. Die Kunst war wie ei» UNS
berdiger Strom über jahrhundertalte Kunstdämme hinweg ä
fluchet, hatte weite Strecken üppigen Kulturbodens und st'*"!,,,
Flachlandes überschwemmt. Wenn die Wasser sich verlaut
baden werden, wird man erkennen, ob genügend fruchtbringeno
Schlamm zurückgeblieben ist für eine neue Kultur, Noch n"A
alles durcheinander, aber schon steigen hier und da die G'vt
empor von Neuland, Ankerplätze für die lange irrende Arm