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Xr. 154.
Freilas, den 6. Juli
190«.
Die Vorgänge in China.
Berlin, 5. Juli. Der deutsche Konsul in Tientsin
meldet über Tschifu unter dem 30. Juni: Schriftliche
Nachrichten Sir Robert Harts und einer Französin vom
24. v. M. aus Peking betonen wiederholt die ver-
zweifelte Lage der Europäer und bitten um
sofortige Hilfe. Die Commandcure des Detachements
in Tientsin sind wegen der Zerstörung der Eisenbahn und
wegen des Beginnes der Regenzeit sowie der Schutz-
bedürftigkeit Tientsins außer Stande, Truppen nach
Peking zu entsenden. Auch haben die Chinesen den Kaiser-
canal bei Tientsin durchstochen, anscheinend um durch eine
Ueberschwemmung den Vormarsch der Truppen auf Peking
zu verhindern. Boten, die aus Peking in Tientsin einge-
troffen sind, bestätigen sämmtlich die Ermordung Kettclers.
Das deutsche Detachement, das bei ihm war, soll
das Tsung-lbAamen verbrannt und das Stadtthor vor
dem Kaiserpalast mit vier Kanonen, darunter zwei eroberten,
besetzt haben, während alle anderen Thore in den Händen
der Chinesen sein sollen. Prinz Tschings Truppen kämpfen
angeblich gegen die Boxer.
Wien, 5. Juli. Der Kommandeur des Kreuzers
„Zcnta" telegraphirt: Ein aus Peking eingetroffener
Courier berichtet, daß die österreichische Gesandt-
schaft voraussichtlich zerstört sei. Das öster-
reichische Detachement befindet sich in der englischen Ge-
sandschaft, die beschossen wird. Die deutsche Abtheilung
halte ein Stadtthor besetzt; es seien wenig Lebensmittel
und Munition vorhanden. Das Telegramm sagt weiter,
Entsatz sei vorläufig unmöglich. Der deutsche Geschwader-
chef gratulirte persönlich zu dem tapferen Verhalten des
österreichischen Detachements der „Zenta" bei Erstürmung
der Takuforts.
Paris, 5. Juli. Dem Temps wird aus Tschifu
gemeldet: Tientsin ist noch immer von einer über-
wiegenden Menge chinesischer Truppen umgeben, die
ihr Möglichstes thun, um die Verbindungen der ver-
bündeten Streitkräfte zu unterbrechen. Die Lage
der letzteren ist äußerst gefährlich. Die 12 000 Mann
können sich der Anläufe der chinesischen Truppen nur
mit Mühe erwehren. Die Uebermacht der chinesischen
Truppen ist ungeheuer, die chinesische Armee, die von
Peking nach Süden vordringt, ist in Lafang (oder Losas)
eingetroffen.
London, 5. Juli. Sämmtliche Blätter erklären, das
Schicksal der Europäer inPeking als besiegelt
zu betrachten. Die meisten besonders die Times, Daily
Telegraph, Daily Mail, und Daily Expreß, machen für
dieses zu erwartende klägliche Ende Rußland wegen
seines Widerstandes gegen das Japan zu übertragende
Mandat, Ordnung zu schaffen, verantwortlich. Nebenbei
machen sich besonders in den liberalen Blättern wieder An-
zeichen bemerkbar, daß verschiedene bekannte Agenten wieder
an der Arbeit sind, um das gegen Rußland sich entwickelnde
Odium zu einem möglichst großen Theil auf Deutsch-
land abzuwälzen. Besonders suchen diese Inspiratoren
glaublich zu machen, daß eigentlich das ganze heutige Un-
heil ursprünglich durch Deutschlands Vorgehen angestiftet
worden sei. Nebenher sucht man auch durch Ausstreuung
über ungeheuere Massen von Mauscrgewehren und Krupp-
geschützen die Ansicht in die Gemüther zu senken, Deutsch-
land habe im geheimen die Chinesen bewaffnet und sei im
Stillen mit Rußland verschworen.
London, 5. Juli. Der Central News wird aus
Shanghai gemeldet: Offizielle chinesische Nach-
richten verzeichnen die Ereignisse in Peking bis zum
27. Juni. Danach standen nur noch zwei Gesandt-
schaften, alle anderen waren in die Hände der Chinesen
gefallen. Züngln soll wiederholt an den Prinzen Tu an
appellirt haben, er möge die Ausländer schützen.
Züngln wurde in den Straßen insultirt und in der gan-
zen Stadt herrscht völlige Anarchie. Di: Boxer tumul-
tuiren ungehindert und Prinz Tuan macht keinen Versuch,
der Gesetzlosigkeit seiner Anhänger Einhalt zu gebieten.
Alle Thore Pekings sind geschlossen und werden sorgfältig
bewacht. — Nach einer Dalziel-Meldung aus Shanghai
haben einige mandschurische Damen vor einer Woche
Peking verlassen. Dieselben beschreiben die Semen um
die Gesandtschaften als fürchterlich. Die Zamens aller
großen städtischen Behörden sind verbrannt, auch Theile
des Palastes, welchen die Boxer jetzt völlig im Besitz
haben. Die Damen bezeichnen den Prinzen Tuan als
irr sinnig.
Shanghai, 5. Juli. Das Reuter'sche Bureau
meldet, daß drei bei den Fremden bedienstete Chinesen
aus der Hauptstadt entkommen sind. Sie berichten,
daß alle Fremden, 1000 an der Zahl, einschließlich
400 Soldaten und 100 chinesischer Zollbeamten, sowie
Frauen und Kinder in der englischen Gesandtschaft aus-
hielten, bis ihnen die Munition und die Lebensmittel aus-
gingen. Die Gesandtschaft ist niedergebrannt; alle Frem-
den wurden getödtet. Es heißt, der Kaiser und
die Ka iserin-Wittwe seien ebenfalls getödtet worden.
Shanghai, 5. Juli. Wie der Times von hier ge-
meldet wird, haben die vereinigten Truppen die Ein-
geborenenstadt von Tientsin am 30. Juni, an-
gegriffen. Die Stadt war um 2 Uhr Nachmittags ge-
nommen. Wie gemeldet wird, war das Hauptziel des
Angriffes die Zerstörung der Stadtforts, von wo die
Fremdenniederlassungcn beschossen wurden.
Shanghai, 5. Juli. Wie die Daily News meldet,
erließ der Vicekönig von Nanking vorgestern einen Auf-
ruf, in dem er die Boxer für Räuber erklärt und
anordnei, die Friedensstörer ohne Umstände zu enthaup-
ten. Nach einer Meldung der Times hätten die Vice-
könige des Südens überhaupt sich entschlossen, einen Auf-
ruf zu erlassen, in dem sie sich für zeitweilig autonom
erklären, bis die Autorität in Peking durch Wiederher-
stellung der Ordnung wieder gesichert sei. Nach einem
späteren Telegramm von hier, das die Londoner Blätter
veröffentlichen, hat der Thronräuber Prinz Tuan ein
Edikt erlassen, das den Vicekönigen der Südprovinzen an-
befiehlt, die chinesische südliche Flotte zu sammeln und die
fremden Schiffe in Shanghai anzugreifen.
Shanghai, 5. Juli. Auf Grund einer Meldung
von vertrauenswürdiger Seite, die nach der Times ein am
27. Juni von Peking abgegangener Kurier gebracht hatte,
haben 15 000 Boxer und Truppen an diesem Tage die
Gesandtschaften angegriffen, seien aber mit Verlust zu-
rückgeschlagen worden. Das gesammte persönliche
Gefolge des Kaisers und der Kaiserin-Wittwe seien jetzt
Mitglieder der Boxergesellschaft. Die kaiserlichen Prinzen
(es gibt im Ganzen 6000 Prinzen im kaiserlichen Hause
Chinas) hätten einen Altar im Palast errichtet, wo der
Ritus der Boxer ausgeübt werde.
Tschifu, 5. Juli. Das bisher friedliche Verhältniß
zwischen den Fremden und Einheimischen ist durch durch-
ziehende Aufrührer und die drohende Haltung des
chinesischen Militärs gefährdet. Der ameri-
kanische Konsul bereitet die Abreise seiner Schutzbefohlenen
vor. Der deutsche Konsul ließ die Proklamation des
Admirals von Neuem verbreiten, um einer Verhetzung der
Bevölkerung durch das Pekinger Kriegsedikt gegen die
Fremden vorzubeugen.
Tschifu, 5. Juli. Das Reuter'sche Bureau meldet
von hier: 800 Mann französischer Truppen sind gestern
mit zwei Batterien Feldgeschützen in Taku eingetroffen.
Die Verbündeten erwarten Verstärkungen, bevor sie einen
Vorstoß aus Peking versuchen. Die regnerische Jahreszeit,
wo der Transport und das Marschiren schwierig wird»
fängt jetzt an, Ueberschwemmungen sind wahrscheinlich;
der Vormarsch dürfte bis zum Herbste unmöglich sein.
Deutsches Reich
— Der Kaiser ist am 5. d. in Cuxhaven eingetroffen
und hat dort den zur ersten Ausreise bereiten neuen Post-
dampfer „Deutschland" der Hamburg-Amerika sehr ein-
gehend besichtigt.
— Offiziös wird geschrieben: Daß, wie in der Presse
vielfach angenommen und zum Theil auch verlangt wird,
der Reichstag aus Anlaß der Vorgänge in
China bald zu einer besonderen Tagung versammelt wer-
den wird, ist wenig wahrscheinlich. Eine Noth-
wendigkeit dazu wäre nur dann vorhanden, wenn die Be-
gebung einer Anleihe erforderlich würde. Vorerst ist dies
sicher nicht der Fall. Bisher läßt sich der Betrag der
außerordentlichen Kosten, welche bis zur Wiederherstellung
der Ruhe und Ordnung in China aufzuwenden sind, auch
nicht annähernd übersehen, es fehlt also noch die ziffern-
mäßige Unterlage für eine Geldforderung beim Reichstage.
Vor Allem aber ist die Aufnahme einer Anleihe auch
keineswegs dringlich, weil das, was an Mitteln zur
Deckung der etatsmäßigen Ausgaben des laufenden Jahres
und der Vorjahre einschließlich des Ueberschusses des Jahres
1899 sowie zur Deckung vorübergehenden Mehrbedarfs von
Schatzanweisungen zur Verfügung steht, zur vorläufigen
Bestreitung der Mehrkosten für Land- und Seemacht noch
für längere Zeit völlig ausreicht. Finanzielle Rücksichten
bedingen daher eine alsbaldige Einberufung des Reichs-
tages noch in keiner Weise. Auch würde eine solche von
geringem praktischen Werthe in Bezug auf die öffentliche
Erörterung der chinesischen Frage sein. Noch sind die Ur-
sachen und die Bedeutung der Vorgänge in China keines-
wegs klar; die Regierung selbst ist noch zum großen Thcil
auf lückenhafte und unsichere Nachrichten angewiesen. Es
würde ihr daher zur Zeit gar nicht möglich sein, dem
Reichstage die gewünschte und zur Beruhigung der Be-
völkerung sicher sehr erwünschte vollständige Aufklärung zu
geben. Daß aber Erklärungen, welche der Natur der
Sache nach nicht viel mehr enthalten könnten, als was
aus den Zeitungen ohnehin bekannt ist, von geringem
praktischem Werthe sein und wahrscheinlich mehr schydell
als nützen würden, liegt auf der Hand. Also auch unter
diesem Gesichtspunkte empfiehlt sich eine alsbaldige Ein-
berufung des Reichstags nicht, und wir glauben in der
Annahme nicht sehlzugehen, daß in den Kreisen der Re-
gierung an eine solche vorerst auch nicht gedacht wird.
Baden. Die Karlsr. Zeitung stellt dem soeben ge-
schlossenen Landtag folgendes Zeugniß aus: Wohl hat
auch diese Tagung, wie manche ihr vorangegangene, zu
lebhaften Auseinandersetzungen und zur Feststellung von
Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Parteien
einerseits und zwischen ihnen und der Großherzoglicheu
Regierung andererseits Anlaß gegeben; es ist aber auch,
und zwar mit aufrichtiger Genugthuung, anzuerkennen, daß
während der fast achtmonatigen Tagungsdauer viel gute,
das öffentliche Wohl fördernde Arbeit ge-
leistet worden ist.
HI Aus Baven, 30. Juni. Den Untersekundanern
unserer Mittelschulen ist, wie schon erwähnt, mitgetheilt
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
31) (Fortsetzung.)
Fast fühlte sich der junge Arzt von einem Grauen erfaßt
vor den mitleidslosen Schicksalsmächten, indem er sich erst in
die Seclenleiden dieses Mädchens versetzte, die ihm jetzt erst
in ihrer ganzen Furchtbarkeit aufgingen.
„Hatte Frau Bruscher eine Ahnung von Ihrer nahen Ver-
wandtschaft mit Georgi?" frug Gerth.
„Oh, mehr als nur eine Ahnung l" erwiderte Konstanze-
„Als er, von der Todesnachricht überwälkigt, mich in seine
Arme schloß mit dem Geständniß, daß ich seine Tochter sei,
erblickte ich im Spiegel ihr Gesicht, wie sie sich zu der halb-
offenen Thür hereinbeugte. Hinter mir die Thür, vor
wir der Spiegel, konnte ich über meinen Vater hinweg, der
kleiner war als ich, sie deutlich sehen, während sie ihm selbst,
obwohl er der Thür zugekehrt stand, durch meine Gestalt
verdeckt war."
„Kann Frau Bruscher es bemerkt haben, daß sie im
Spiegel von Ihnen gesehen wurde?"
„Ich glaube kaum, daß sie es bemerkt hat. Daß sie aber
vorher wußte, es werde zwischen mir und dem Professor zu
einer Aussprache kommen, bei welcher die Gefühle das Wort
führten, ist sicher, denn als ich den Trauerbrief empfing und
'bn hastig erbrach, war sie zugegen. Ich sagte ihr, meine
Mutter sei gestorben, und dann sah sie mich in meinem
schmerze mit dem Briese nach dem Zimmer des Professors
gehen."
„Sagten Sie cs Ihrem Vater, daß Frau Bruscher an der
Thür gelauscht hatte?"
»Ja, ich sagte es ihm. „Nun," meinte er, „wenn sie es
§oo doch weiß, so ist sie wenigstens darauf vorbereitet, was
geschehen muß." Hierauf theilte er mir mit, daß er sie in
einer Zwangslage, wo sie ihn vor die Wahl stellte, ihr in
seinem Hause entweder den Platz als seine Gattin oder ihre
Entlassung zu geben, zu seiner Haupterbin eingesetzt habe.
Als einsamer alternder Junggeselle sei er der Sklave seiner
Gewohnheiten gewesen, und bei seinem leidenden Zustande
habe er einer Pflege und oft auch der Nachsicht und Geduld
bedurft. In der wohl begründeten Befürchtung, eine Fremde
werde sich inseine Eigenheiten nicht mehr so einleben können,
wie Frau Bruscher dies im Lause von zehn Jahren gethan,
habe er jenes Opfer gebracht. Mit Ausnahme eines un-
würdigen, zur Verschwendung angelegten Neffen, den er ver-
stoßen mußte, sei dadurch niemand benachtheiligt worden.
Nun ihm aber sein guter Stern spät noch eine Tochter zu-
geführt habe, sei die Sachlage verändert, und nichts werde
ihn an der Erfüllung der heiligen Vaterflicht hindern» die er
seinem Kinde und dessen Zukunft schulde. Er wollte seiner
Wirthschafterin diese Verhältnisse auseinandersetzen, wollte
sie. glaube ich, mit einer Rente abfinden. Ob er mit ihr ge-
sprochen hat, oder ob sie bereits die Gefährdung ihrer Erb-
schaft voraussah. als sie an der Tbüre lauschte, weiß ich
nicht. Nur wenige Lage genoß ich das Glück, in dem edlen
Manne mit dem kindlich guten Herzen meinen Vater lieben
und verehren zu dürfen, — da traf die erbarmungslose Hand
des Mörders das theure Haupt. An Frau Bruscher dachte ich
nicht gleich. Als man den Hammer bei mir fand, stieg der
erste leise Verdacht in mir aus; als sie mich aber mit einem
unerhörten, teuflisch ausgedachten Lügengewebe umspann,
wurde cs mir zur Gewißheit, daß sie den Tod meines Vaters
herbeigesührt hatte, ehe er noch Zeit fand, sein Testament zu
meinem Gunsten abzuändern. Um eine so grauenhafte
Mordihat bei einem Mädchen von meiner Jugend und meiner
Unbescholtenheit glaubhafter erscheinen zu lassen, dichtete sie
mir ein epileptisches Leiden an, mit dem ich nie behaftet
war und das ich nicht von einem Manne ererbt haben konnte,
welcher gar nicht mein Vater war. — Wenn der Professer
mich gesetzlich als seine Tochter anerkannt hätte, wie es seine
Absicht war. so hätte die Welt sich wenig darum bekümmert;
aber jetzt, wo es sich um die Aufklärung eines Mordes
/ handelte, der das ganze öffentliche Interesse beherrschte, jetzt,
wo Richter und Geschworene die Sache in der Hand hatten,
wäre der jugendliche Fehltritt meiner Mutter zum Gegen-
stände der weitgehendsten Recherchen, der peinlichsten Er-
örterungen geworden; das Familienqeheimniß, das durch eine
Zwangsheirath vor einer langen Reihe von Jahren verdeckt
worden war, wäre wieder ausgegraben, schonungslos der
großen Oeffentlichkeit preisgegeben und durch die Zeitungen
von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt getragen worden.
Aus manchem Gespräche mit mir wußte Frau Bruscher, wie
sehr ich meine Mutter liebte; sie rechnete darauf, daß ich die
Vergangenheit der Verstorbenen wie ein unantastbares Heilig-
thum schützen und sogar mit meinem Leben decken würde; sie
spielte va baugus, sie konnte, wenn ich dennoch wankend ge-
worden wäre und das einzige Mittel zu meiner Rettung er-
griffen hätte, von der Zeugebank in die Untersuchungshaft
gesührt werden, — aber sie hat ihr Spiel gewonnen."
_ (Fortsetzung folgt.)
Literarisches.
—Z Grundzüge der Lehre Darwins, allgemeinver-
ständlich dargestellt von vr. msä H. Klaatsch, a. o. Professor
in Heidelberg. Verlag von I. Bensheimer in Mannheim. Preis
1 Mk. Der Verfasser, der das gleiche Thema mit großem Er-
folg in mehreren Volkshochschulkursen behandelt hat, bietet in
dem sehr schätzenswerthen Merkchen eine Einführung in die noch so
viel verkannten Lehren Darwins. Er geht dabei völlig wissen-
schaftlich, d. h. systematisch, zu Werk, versteht aber seinen Stoff
so populär za behandeln, daß seine Darstellung für Jedermann
verständlich ist. Wer das Büchlein durchgearbeitet hat, der wird
sagen dürfen, daß er den Kern und die Bedeutung der durch
Darwin für die naturwissenschaftliche Weltanschauung gemachten
Errungenschaft begriffen hat. Wo der Verfasser religiöse An-
schauungen berührt, da zeigt er sich außerordentlich taktvoll und
milde, so daß sich Niemand verletzt oder in seiner religiösen
Ueberzeugung beeinträchtigt fühlen kann.
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Xr. 154.
Freilas, den 6. Juli
190«.
Die Vorgänge in China.
Berlin, 5. Juli. Der deutsche Konsul in Tientsin
meldet über Tschifu unter dem 30. Juni: Schriftliche
Nachrichten Sir Robert Harts und einer Französin vom
24. v. M. aus Peking betonen wiederholt die ver-
zweifelte Lage der Europäer und bitten um
sofortige Hilfe. Die Commandcure des Detachements
in Tientsin sind wegen der Zerstörung der Eisenbahn und
wegen des Beginnes der Regenzeit sowie der Schutz-
bedürftigkeit Tientsins außer Stande, Truppen nach
Peking zu entsenden. Auch haben die Chinesen den Kaiser-
canal bei Tientsin durchstochen, anscheinend um durch eine
Ueberschwemmung den Vormarsch der Truppen auf Peking
zu verhindern. Boten, die aus Peking in Tientsin einge-
troffen sind, bestätigen sämmtlich die Ermordung Kettclers.
Das deutsche Detachement, das bei ihm war, soll
das Tsung-lbAamen verbrannt und das Stadtthor vor
dem Kaiserpalast mit vier Kanonen, darunter zwei eroberten,
besetzt haben, während alle anderen Thore in den Händen
der Chinesen sein sollen. Prinz Tschings Truppen kämpfen
angeblich gegen die Boxer.
Wien, 5. Juli. Der Kommandeur des Kreuzers
„Zcnta" telegraphirt: Ein aus Peking eingetroffener
Courier berichtet, daß die österreichische Gesandt-
schaft voraussichtlich zerstört sei. Das öster-
reichische Detachement befindet sich in der englischen Ge-
sandschaft, die beschossen wird. Die deutsche Abtheilung
halte ein Stadtthor besetzt; es seien wenig Lebensmittel
und Munition vorhanden. Das Telegramm sagt weiter,
Entsatz sei vorläufig unmöglich. Der deutsche Geschwader-
chef gratulirte persönlich zu dem tapferen Verhalten des
österreichischen Detachements der „Zenta" bei Erstürmung
der Takuforts.
Paris, 5. Juli. Dem Temps wird aus Tschifu
gemeldet: Tientsin ist noch immer von einer über-
wiegenden Menge chinesischer Truppen umgeben, die
ihr Möglichstes thun, um die Verbindungen der ver-
bündeten Streitkräfte zu unterbrechen. Die Lage
der letzteren ist äußerst gefährlich. Die 12 000 Mann
können sich der Anläufe der chinesischen Truppen nur
mit Mühe erwehren. Die Uebermacht der chinesischen
Truppen ist ungeheuer, die chinesische Armee, die von
Peking nach Süden vordringt, ist in Lafang (oder Losas)
eingetroffen.
London, 5. Juli. Sämmtliche Blätter erklären, das
Schicksal der Europäer inPeking als besiegelt
zu betrachten. Die meisten besonders die Times, Daily
Telegraph, Daily Mail, und Daily Expreß, machen für
dieses zu erwartende klägliche Ende Rußland wegen
seines Widerstandes gegen das Japan zu übertragende
Mandat, Ordnung zu schaffen, verantwortlich. Nebenbei
machen sich besonders in den liberalen Blättern wieder An-
zeichen bemerkbar, daß verschiedene bekannte Agenten wieder
an der Arbeit sind, um das gegen Rußland sich entwickelnde
Odium zu einem möglichst großen Theil auf Deutsch-
land abzuwälzen. Besonders suchen diese Inspiratoren
glaublich zu machen, daß eigentlich das ganze heutige Un-
heil ursprünglich durch Deutschlands Vorgehen angestiftet
worden sei. Nebenher sucht man auch durch Ausstreuung
über ungeheuere Massen von Mauscrgewehren und Krupp-
geschützen die Ansicht in die Gemüther zu senken, Deutsch-
land habe im geheimen die Chinesen bewaffnet und sei im
Stillen mit Rußland verschworen.
London, 5. Juli. Der Central News wird aus
Shanghai gemeldet: Offizielle chinesische Nach-
richten verzeichnen die Ereignisse in Peking bis zum
27. Juni. Danach standen nur noch zwei Gesandt-
schaften, alle anderen waren in die Hände der Chinesen
gefallen. Züngln soll wiederholt an den Prinzen Tu an
appellirt haben, er möge die Ausländer schützen.
Züngln wurde in den Straßen insultirt und in der gan-
zen Stadt herrscht völlige Anarchie. Di: Boxer tumul-
tuiren ungehindert und Prinz Tuan macht keinen Versuch,
der Gesetzlosigkeit seiner Anhänger Einhalt zu gebieten.
Alle Thore Pekings sind geschlossen und werden sorgfältig
bewacht. — Nach einer Dalziel-Meldung aus Shanghai
haben einige mandschurische Damen vor einer Woche
Peking verlassen. Dieselben beschreiben die Semen um
die Gesandtschaften als fürchterlich. Die Zamens aller
großen städtischen Behörden sind verbrannt, auch Theile
des Palastes, welchen die Boxer jetzt völlig im Besitz
haben. Die Damen bezeichnen den Prinzen Tuan als
irr sinnig.
Shanghai, 5. Juli. Das Reuter'sche Bureau
meldet, daß drei bei den Fremden bedienstete Chinesen
aus der Hauptstadt entkommen sind. Sie berichten,
daß alle Fremden, 1000 an der Zahl, einschließlich
400 Soldaten und 100 chinesischer Zollbeamten, sowie
Frauen und Kinder in der englischen Gesandtschaft aus-
hielten, bis ihnen die Munition und die Lebensmittel aus-
gingen. Die Gesandtschaft ist niedergebrannt; alle Frem-
den wurden getödtet. Es heißt, der Kaiser und
die Ka iserin-Wittwe seien ebenfalls getödtet worden.
Shanghai, 5. Juli. Wie der Times von hier ge-
meldet wird, haben die vereinigten Truppen die Ein-
geborenenstadt von Tientsin am 30. Juni, an-
gegriffen. Die Stadt war um 2 Uhr Nachmittags ge-
nommen. Wie gemeldet wird, war das Hauptziel des
Angriffes die Zerstörung der Stadtforts, von wo die
Fremdenniederlassungcn beschossen wurden.
Shanghai, 5. Juli. Wie die Daily News meldet,
erließ der Vicekönig von Nanking vorgestern einen Auf-
ruf, in dem er die Boxer für Räuber erklärt und
anordnei, die Friedensstörer ohne Umstände zu enthaup-
ten. Nach einer Meldung der Times hätten die Vice-
könige des Südens überhaupt sich entschlossen, einen Auf-
ruf zu erlassen, in dem sie sich für zeitweilig autonom
erklären, bis die Autorität in Peking durch Wiederher-
stellung der Ordnung wieder gesichert sei. Nach einem
späteren Telegramm von hier, das die Londoner Blätter
veröffentlichen, hat der Thronräuber Prinz Tuan ein
Edikt erlassen, das den Vicekönigen der Südprovinzen an-
befiehlt, die chinesische südliche Flotte zu sammeln und die
fremden Schiffe in Shanghai anzugreifen.
Shanghai, 5. Juli. Auf Grund einer Meldung
von vertrauenswürdiger Seite, die nach der Times ein am
27. Juni von Peking abgegangener Kurier gebracht hatte,
haben 15 000 Boxer und Truppen an diesem Tage die
Gesandtschaften angegriffen, seien aber mit Verlust zu-
rückgeschlagen worden. Das gesammte persönliche
Gefolge des Kaisers und der Kaiserin-Wittwe seien jetzt
Mitglieder der Boxergesellschaft. Die kaiserlichen Prinzen
(es gibt im Ganzen 6000 Prinzen im kaiserlichen Hause
Chinas) hätten einen Altar im Palast errichtet, wo der
Ritus der Boxer ausgeübt werde.
Tschifu, 5. Juli. Das bisher friedliche Verhältniß
zwischen den Fremden und Einheimischen ist durch durch-
ziehende Aufrührer und die drohende Haltung des
chinesischen Militärs gefährdet. Der ameri-
kanische Konsul bereitet die Abreise seiner Schutzbefohlenen
vor. Der deutsche Konsul ließ die Proklamation des
Admirals von Neuem verbreiten, um einer Verhetzung der
Bevölkerung durch das Pekinger Kriegsedikt gegen die
Fremden vorzubeugen.
Tschifu, 5. Juli. Das Reuter'sche Bureau meldet
von hier: 800 Mann französischer Truppen sind gestern
mit zwei Batterien Feldgeschützen in Taku eingetroffen.
Die Verbündeten erwarten Verstärkungen, bevor sie einen
Vorstoß aus Peking versuchen. Die regnerische Jahreszeit,
wo der Transport und das Marschiren schwierig wird»
fängt jetzt an, Ueberschwemmungen sind wahrscheinlich;
der Vormarsch dürfte bis zum Herbste unmöglich sein.
Deutsches Reich
— Der Kaiser ist am 5. d. in Cuxhaven eingetroffen
und hat dort den zur ersten Ausreise bereiten neuen Post-
dampfer „Deutschland" der Hamburg-Amerika sehr ein-
gehend besichtigt.
— Offiziös wird geschrieben: Daß, wie in der Presse
vielfach angenommen und zum Theil auch verlangt wird,
der Reichstag aus Anlaß der Vorgänge in
China bald zu einer besonderen Tagung versammelt wer-
den wird, ist wenig wahrscheinlich. Eine Noth-
wendigkeit dazu wäre nur dann vorhanden, wenn die Be-
gebung einer Anleihe erforderlich würde. Vorerst ist dies
sicher nicht der Fall. Bisher läßt sich der Betrag der
außerordentlichen Kosten, welche bis zur Wiederherstellung
der Ruhe und Ordnung in China aufzuwenden sind, auch
nicht annähernd übersehen, es fehlt also noch die ziffern-
mäßige Unterlage für eine Geldforderung beim Reichstage.
Vor Allem aber ist die Aufnahme einer Anleihe auch
keineswegs dringlich, weil das, was an Mitteln zur
Deckung der etatsmäßigen Ausgaben des laufenden Jahres
und der Vorjahre einschließlich des Ueberschusses des Jahres
1899 sowie zur Deckung vorübergehenden Mehrbedarfs von
Schatzanweisungen zur Verfügung steht, zur vorläufigen
Bestreitung der Mehrkosten für Land- und Seemacht noch
für längere Zeit völlig ausreicht. Finanzielle Rücksichten
bedingen daher eine alsbaldige Einberufung des Reichs-
tages noch in keiner Weise. Auch würde eine solche von
geringem praktischen Werthe in Bezug auf die öffentliche
Erörterung der chinesischen Frage sein. Noch sind die Ur-
sachen und die Bedeutung der Vorgänge in China keines-
wegs klar; die Regierung selbst ist noch zum großen Thcil
auf lückenhafte und unsichere Nachrichten angewiesen. Es
würde ihr daher zur Zeit gar nicht möglich sein, dem
Reichstage die gewünschte und zur Beruhigung der Be-
völkerung sicher sehr erwünschte vollständige Aufklärung zu
geben. Daß aber Erklärungen, welche der Natur der
Sache nach nicht viel mehr enthalten könnten, als was
aus den Zeitungen ohnehin bekannt ist, von geringem
praktischem Werthe sein und wahrscheinlich mehr schydell
als nützen würden, liegt auf der Hand. Also auch unter
diesem Gesichtspunkte empfiehlt sich eine alsbaldige Ein-
berufung des Reichstags nicht, und wir glauben in der
Annahme nicht sehlzugehen, daß in den Kreisen der Re-
gierung an eine solche vorerst auch nicht gedacht wird.
Baden. Die Karlsr. Zeitung stellt dem soeben ge-
schlossenen Landtag folgendes Zeugniß aus: Wohl hat
auch diese Tagung, wie manche ihr vorangegangene, zu
lebhaften Auseinandersetzungen und zur Feststellung von
Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Parteien
einerseits und zwischen ihnen und der Großherzoglicheu
Regierung andererseits Anlaß gegeben; es ist aber auch,
und zwar mit aufrichtiger Genugthuung, anzuerkennen, daß
während der fast achtmonatigen Tagungsdauer viel gute,
das öffentliche Wohl fördernde Arbeit ge-
leistet worden ist.
HI Aus Baven, 30. Juni. Den Untersekundanern
unserer Mittelschulen ist, wie schon erwähnt, mitgetheilt
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
31) (Fortsetzung.)
Fast fühlte sich der junge Arzt von einem Grauen erfaßt
vor den mitleidslosen Schicksalsmächten, indem er sich erst in
die Seclenleiden dieses Mädchens versetzte, die ihm jetzt erst
in ihrer ganzen Furchtbarkeit aufgingen.
„Hatte Frau Bruscher eine Ahnung von Ihrer nahen Ver-
wandtschaft mit Georgi?" frug Gerth.
„Oh, mehr als nur eine Ahnung l" erwiderte Konstanze-
„Als er, von der Todesnachricht überwälkigt, mich in seine
Arme schloß mit dem Geständniß, daß ich seine Tochter sei,
erblickte ich im Spiegel ihr Gesicht, wie sie sich zu der halb-
offenen Thür hereinbeugte. Hinter mir die Thür, vor
wir der Spiegel, konnte ich über meinen Vater hinweg, der
kleiner war als ich, sie deutlich sehen, während sie ihm selbst,
obwohl er der Thür zugekehrt stand, durch meine Gestalt
verdeckt war."
„Kann Frau Bruscher es bemerkt haben, daß sie im
Spiegel von Ihnen gesehen wurde?"
„Ich glaube kaum, daß sie es bemerkt hat. Daß sie aber
vorher wußte, es werde zwischen mir und dem Professor zu
einer Aussprache kommen, bei welcher die Gefühle das Wort
führten, ist sicher, denn als ich den Trauerbrief empfing und
'bn hastig erbrach, war sie zugegen. Ich sagte ihr, meine
Mutter sei gestorben, und dann sah sie mich in meinem
schmerze mit dem Briese nach dem Zimmer des Professors
gehen."
„Sagten Sie cs Ihrem Vater, daß Frau Bruscher an der
Thür gelauscht hatte?"
»Ja, ich sagte es ihm. „Nun," meinte er, „wenn sie es
§oo doch weiß, so ist sie wenigstens darauf vorbereitet, was
geschehen muß." Hierauf theilte er mir mit, daß er sie in
einer Zwangslage, wo sie ihn vor die Wahl stellte, ihr in
seinem Hause entweder den Platz als seine Gattin oder ihre
Entlassung zu geben, zu seiner Haupterbin eingesetzt habe.
Als einsamer alternder Junggeselle sei er der Sklave seiner
Gewohnheiten gewesen, und bei seinem leidenden Zustande
habe er einer Pflege und oft auch der Nachsicht und Geduld
bedurft. In der wohl begründeten Befürchtung, eine Fremde
werde sich inseine Eigenheiten nicht mehr so einleben können,
wie Frau Bruscher dies im Lause von zehn Jahren gethan,
habe er jenes Opfer gebracht. Mit Ausnahme eines un-
würdigen, zur Verschwendung angelegten Neffen, den er ver-
stoßen mußte, sei dadurch niemand benachtheiligt worden.
Nun ihm aber sein guter Stern spät noch eine Tochter zu-
geführt habe, sei die Sachlage verändert, und nichts werde
ihn an der Erfüllung der heiligen Vaterflicht hindern» die er
seinem Kinde und dessen Zukunft schulde. Er wollte seiner
Wirthschafterin diese Verhältnisse auseinandersetzen, wollte
sie. glaube ich, mit einer Rente abfinden. Ob er mit ihr ge-
sprochen hat, oder ob sie bereits die Gefährdung ihrer Erb-
schaft voraussah. als sie an der Tbüre lauschte, weiß ich
nicht. Nur wenige Lage genoß ich das Glück, in dem edlen
Manne mit dem kindlich guten Herzen meinen Vater lieben
und verehren zu dürfen, — da traf die erbarmungslose Hand
des Mörders das theure Haupt. An Frau Bruscher dachte ich
nicht gleich. Als man den Hammer bei mir fand, stieg der
erste leise Verdacht in mir aus; als sie mich aber mit einem
unerhörten, teuflisch ausgedachten Lügengewebe umspann,
wurde cs mir zur Gewißheit, daß sie den Tod meines Vaters
herbeigesührt hatte, ehe er noch Zeit fand, sein Testament zu
meinem Gunsten abzuändern. Um eine so grauenhafte
Mordihat bei einem Mädchen von meiner Jugend und meiner
Unbescholtenheit glaubhafter erscheinen zu lassen, dichtete sie
mir ein epileptisches Leiden an, mit dem ich nie behaftet
war und das ich nicht von einem Manne ererbt haben konnte,
welcher gar nicht mein Vater war. — Wenn der Professer
mich gesetzlich als seine Tochter anerkannt hätte, wie es seine
Absicht war. so hätte die Welt sich wenig darum bekümmert;
aber jetzt, wo es sich um die Aufklärung eines Mordes
/ handelte, der das ganze öffentliche Interesse beherrschte, jetzt,
wo Richter und Geschworene die Sache in der Hand hatten,
wäre der jugendliche Fehltritt meiner Mutter zum Gegen-
stände der weitgehendsten Recherchen, der peinlichsten Er-
örterungen geworden; das Familienqeheimniß, das durch eine
Zwangsheirath vor einer langen Reihe von Jahren verdeckt
worden war, wäre wieder ausgegraben, schonungslos der
großen Oeffentlichkeit preisgegeben und durch die Zeitungen
von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt getragen worden.
Aus manchem Gespräche mit mir wußte Frau Bruscher, wie
sehr ich meine Mutter liebte; sie rechnete darauf, daß ich die
Vergangenheit der Verstorbenen wie ein unantastbares Heilig-
thum schützen und sogar mit meinem Leben decken würde; sie
spielte va baugus, sie konnte, wenn ich dennoch wankend ge-
worden wäre und das einzige Mittel zu meiner Rettung er-
griffen hätte, von der Zeugebank in die Untersuchungshaft
gesührt werden, — aber sie hat ihr Spiel gewonnen."
_ (Fortsetzung folgt.)
Literarisches.
—Z Grundzüge der Lehre Darwins, allgemeinver-
ständlich dargestellt von vr. msä H. Klaatsch, a. o. Professor
in Heidelberg. Verlag von I. Bensheimer in Mannheim. Preis
1 Mk. Der Verfasser, der das gleiche Thema mit großem Er-
folg in mehreren Volkshochschulkursen behandelt hat, bietet in
dem sehr schätzenswerthen Merkchen eine Einführung in die noch so
viel verkannten Lehren Darwins. Er geht dabei völlig wissen-
schaftlich, d. h. systematisch, zu Werk, versteht aber seinen Stoff
so populär za behandeln, daß seine Darstellung für Jedermann
verständlich ist. Wer das Büchlein durchgearbeitet hat, der wird
sagen dürfen, daß er den Kern und die Bedeutung der durch
Darwin für die naturwissenschaftliche Weltanschauung gemachten
Errungenschaft begriffen hat. Wo der Verfasser religiöse An-
schauungen berührt, da zeigt er sich außerordentlich taktvoll und
milde, so daß sich Niemand verletzt oder in seiner religiösen
Ueberzeugung beeinträchtigt fühlen kann.