Der Zaͤdiſche Bolkshofe erſcheint zmal wöchentlich
(Dienstags, Donnerstags und Samstags).
Telegramm Adreſſe! Bolksbote Heidelberg.
— 8——
* **
Treis vierteliaͤhrlich
durch den Brieftraͤger frei in's Haus gebracht Mk. 1.25,
durch unſern Boten ME 1.—,
Am Poſtſchalter od. unſerer Sypedition abgeholt 80 Pfs.
; Doſt · Zeitungs · Preislifte Ar. 755
4 — * * doͤren 8* Attax. *
Scgan der Dentfeh-fozinlen Keform-Vartei in Baden und des Kadilhen Yauernbundes,
O en o da «;@eibelßerg‚ den — 4 — —
7. Jahrg.
Badiſcher Landtag.
Karlsruhe, 14. Januar.
Mit dem heutigen Tage hat der badiſche Land-
tag ſeine Thätigkeit wieder aufgenommen.
Zur Debatte ſtand die Petition einer Anzahl
badiſcher Vereine, das Kellnerinnenweſen betreffend.
Es kam zu einem gründlichen Meinungsaustauſch, der
ſich auch auf verwandte ſozialpolitiſche Gebiete erſtreckte
und im weiteren Verlauf in Folge eines ſozialdemo-
kratiſchen Vorſtoßes einen ziemlich erregten Charakter
annahm. Was die Bittſchrift ſelbſt angeht, ſo ver-
langt ſie: —
1. Beſtraſung der Wirte, die Kellnerinnen ohne
beſtimmten Lohn anſtellenn. ‘ i
2 Verbot des Kellnerinnenberufes für Mädchen
3. Dauer der Arbeitszeit für Kellnerinnen bis
10 höchſtens 11 Uhr Abends.
4. Gewährung einer ununterbrochenen S⸗ſtündigen
Schlafenszeit. — — *
5. Polizeiliche Ueberwachung der Schlafſtätten.
6, Freigabe eines Nachmittags in der Woche ohne
die Verpflichtung, für eine Stellvertreterin zu ſorgen.
7. Geſetzliche Verpflichtung für die Wirte, vor-
ſtehende Beſtimmungen im Lokale aufzuhängen.
S. Freigabe des Sonntag Nachmittags bis 11 Uhr.
Den umfangreichen ſchriftlichen Bericht hat der
liberale Abg. Wittum abgefaßt. Er beantragt Namens
der Kommifſion, die vorliegende Bittſchrift der Regier-
ung zur Kenntniß zu überweiſen und zwar in der Er-
wartung, daß die Regierung ihrerſeits im Bundes-
rat wie auch innerhalb der eigenen Zuſtändigkeit ſorge,
daß die zerügten Uebelſtände, joweit dies durch gefeb-
liche Maßnahmen möglich, beſeitigt werden. Zugleich
wird gefordert, daß voͤr entgiltiger Regelung der Sache
alle Gaſt⸗ und Schankwirthvereinigungen, ſowie auch
die Kellnervereine gehört werden, damit eine ſchablonen-
hafte Geſetzgebung vermieden und berechtigte Intereſſen
nicht verletzt werden.
Der Standpunkt des Centrums wurde vom Abg.
Kopf vertreten. Er wies anknüpſend an den Koni-
miſſionsantrag darauf hin, daß in der That die Ver-
hältniſſe bezüglich des Kellnerinnenweſens in Süddeutſch-
land ſehr verſchieden ſeien von denen in Norddeutſch-
land. Die Dinge bei uns in Baden lägen nicht ſo arg;
jedoch ſeien auch in den größeren Städten Süddeutſch-
lands, zumal in den Städten mit Hochſchulen, ſchwere
Mißſtände vorhanden. Was die gemachten Vorſchläge
anbetrifft, ſo meinte der Redner, daß die Feſtſetzung
eines beſtimmten Lohnes und die Beſtrafung des Wirtes,
der dieſe Vorſchrift umgehe, den Zudrang zu dem
Kellnerinnenberuf noch vermehren werde. Auch die ge-
forderte Beſchränkung der Arbeitszeit ſei in der Pra-
ris nicht durchführbar. Dann würden die Wirte eben
Kellner halten und damit ſei dann dem weiblichen Ge-
ſchlecht ein Berufszweig entzogen. Mit beſonderer
Wärme vertrat der Redner die Forderung, den Kell-
nerinnen, wie überhaupt den Dienſtboten den Beſuch
des Gottesdienſtes am Sonntag zu ermöglichen. Die
Feſtſetzung der Altersgrenze werde ſich als ſehr zweck-
mäßig erweiſen, da die Kellnerinnen erſt etwas ordent-
liches für die Haushaltung erlernen könnten, ehe ſie
zu dieſem Berufe griffen, der gerade für jugendliche
Perſonen ſo ſchwere Gefahren mit ſich bringk. Daß
die Kellnerinnen dort ihre Schlafſtätte haben, wo ſie
Eeſchäftigt werden, das iſt wohl in Baden in den meiſten
Fällen Brauch. Mit großem Nachdruck wies der
Redner auf einen der wundeſten Punkt des Kellner-
innenweſens hin, nämlich auf die ſyſtematiſche Aus-
jaugung der Kellnerinnen durch gewiſſenloſe Stellen-
Vermittlungen. Er forderte mit Recht ein Ver-
bot, daß dieſe zugleich, wie es vielfach Brauch iſt,
Schlafſtätken vermieten dürfen; dieſelben ſollten feruer
gehalten ſein, genau Buch zu führen und beſtimmte
Gebührenſätze nicht zu überſchreiten.
Der demokratiſche Abgeordnete Venſedey glaubte
da5 Haupfüibel des Kellnerinnenunweſens auf die
ſchlechte Bezahlung der Kellnerinnen durch ihre Arbeit-
geben, zurückführen zu ſollen. ©
Der Eentrumsabg. Hennig wies auf die
großen Gefahren hin, welche der weiblichen Jugend
erwachſen, wenn die Mädchen vom Lande ſich den
Städten zuwenden und ſprach die Meinung aus, daß
insbeſondere die religiöſe Seite der Sache nicht unter-
ſchätzt werden dürfe. OE 2
Der Miniſter des Innern, Hr. Eiſenlohr,
trage einverſtanden, glaubte aber doch davor warnen
hier handle, gax zu ſchwarz male. In Süddeutſch-
land ſei man doch noch weſentlich befſer daran, als
in Norddeutſchland. Die badiſche Regierung verfolge
die auftretenden Mißſtände mit aller Aufmerkſamkeit
ihren Kräften
ſtehe, um Abhilfe zu ſchaffen. — —
Abg. Kölle glaubte im Intereſſe der Wirte
es die Petitionen fordern, nicht durchführbar fei.
Der Sozialift Geiß hielt bei dieſer Gelegenheit
ſeine Jungfexnrede. Es war kein glücklicher Gedanke
— ‚aber es liegt einmal in der Methode der ſozial-
demokratiſchen Redner —, daß er auch bei dieſem
Anlaß den Gegenſatz zwiſchen den Vertretern der
bürgerlichen Parteien und Ddenjenigen der Arbeiter-
partei in verletzender Schärfe hervorhob, ein Moment,
mit allem Nachdruck betont wurde. Es geht doch nicht
an, daß es den andern Parteien zum Vorwurf ge-
ſorge für die arbeitenden Klaſſen fehlen. Noch
ſchlimmer ſteht e& mit der Behauptung, als ob es um
die Sittlichkeit gerade derjenigen Arbeiterkreiſe, die
zur Fahne der ſozialdemokratiſchen Partei halten,
ganz erheblich beſſer beſtellt ſei, wie anderswo. Den
Hinweis, daß es auch mit den Lohnverhältniſſen der
Ladnerinnen und Konfektionsarbeiterinnen vielfach
ſchlimm ausſehe, wird man wenigſtens für viele Fälle
gelten laſſen müſſen. 24
Abg. Schnetzler (nat. lib) machte ſich die
Sache etwas leicht. Nach ſeiner Anſicht ſeien viele
Uebertreibungen mit unterlaufen; die Regierung habe
in der Hauptſache bereits Alles gethan, was nach
Lage der Sache habe geſchehen können und geſchehen
müſſen. Er meinte, wenn man auch den Kellnerinnen
und Dienſtboten Gelegenheit gebe, den Gottesdienſt
au Sonntag zu beſuchen und ihre religiöſen Ver-
ſich einem leichtſinnigen Lebenswandel hinzugeben.
über wie der Staat.
Abg. Wacker trat dieſer Anſchauung nachdrück-
lich entgegen. Der Abg. Schnetzler habe ſich derſelben
Lebertreibungen ſchuldig gemacht, wie der Abg. Geiß.
Man ſehe ſich Mißſtinden gegenüber, die zu allen
Zeiten und an allen Orten, buld in höherem, bald in
geringerem Maße exiſtiert hätten; ſie vollſtändig aus-
zurotten, dazu ſei keine Macht im Stande. Wohl
aber vermöge man ſie in gewiſſem Grade zu ver-
mindern und zu verhindern. Was die Wirkſamkeit
der Kirche anbetreffe, ſo ſei dieſe ſchon dadurch be-
ſchränkt, daß gewiſſe Kreiſe ſich ihe feindlich gegen-
überſtellen oder ſich ihrem Einfluß zu entziehen
trachten. Mit derſelben Schärfe trat Abg. Wacker
dem ſoz.-dem. Redner entgegen. Gerade in den maß-
gebenden ſozial⸗demokratiſchen Kreiſentrete der religiöſe
talität zu tage, ſo daß die Sittlichkeit vollſtändig in
Frage geſtellt würde und oft ſeien es gerade beſſer
geſtellte, ſozialdemokratiſche Arbeiter, bei denen die
Unſittlichkeit mit ausgeſuchter Rohheit und Frechheit
zur Erſcheinung komme.
Abg. Fieſer hielt eine lange Rede, an deren
Schluß er ſich mit aller Heftigkeit gegen den Abg.
Wacker wandte.
Abg. Drees bach ſuchte dem ſozialdemokratiſchen
Genoſſen beizuſpringen und behauptete, vun den Abgg.
Wacker und Fieſer beſchimpft worden zu ſein, was
das Einſchreiten des Präſidenten zur Folge hatte.
MNachdem noch mehrere Redner geſproͤchen hatten,
wurde die Debatte geſchloſſen und der Kommifſions-
antrag angenommen. *
— —
Tagesfragen.
— Ein vereitelter Zälſchungsverſuch. In
ſeiner Börſenrede am 10, ds. Ms. hatte der Abge-
ordnete v. Liebermann bei Beſprechung der Bezich-
ungen zwiſchen Preſſe und Börſe auch darauf hinges
wieſen, daß der Börſenredakteur derKöln. Volksztg.“
in einer Brochüre ſchwer beſchuldigt würde und haͤtte
den Wunſch ausgeſprochen, die Centrumsfraktion
möge dieſen Vorfall doch aufklären. Dieſem Ver-
langen entſprach
nächſten Tage der Herr Abgeordnete Bachem, indem
er Erklärungen des angegriffenen Redakteurs und des
Verlags der „Köln. Volkztg.“ verlas. Der Abg. v.
Liebermann ergriff darauf das Wort und führte aus,
daß er lediglich, um Verdächtigungen vorzukommen,
die an dieſe Berichtigung mutmaßlich in einer ge-
wiffen Preſſe geknüpft werden würden, hier nochnmals
feſtſtellen wolle, daß er lediglich eine Aufklärung Des
Thatbeſtandes und keinen Angriff auf den gen. Börfen-
redakteur beabſichtigt habe. Wie richtig Herr von
Liebermann die Taktik der freiſinnigen Mannesſeelen
vorausgeſehen hatte, ging zunächſt ſchon daraus her-
vor, daß ſie mit einer höhniſchen Lachſalve ihn zu
unterbrechen verſuchten, aber dann vor den energiſchen,
an ihre Adreſſe gerichteten Worte verſtummten Der
Abg. Bachem nahm dann nochmals Gelegenheit, Hru-
v. Liebermann ſeinen Dank auszuſprechen, daß erihm
die Richtigſtellung ermöglicht habe, und zu bekunden,
daß er die Aeußexungen auch am Tage vorher genau
in dem gleichem Sinne aufgefaßt habe, wie ſte v.
Liebermann erklärt hätte. Trotzdem wurde durch eine
Parlanientskocreſpondenz, die in viele Zeitungen über-
gegangen iſt, der Verſuch gemacht, den Abgeordneten
v. Liebexmann zu verdächtigen, als habe er Unwahr-
heiten behauptet und ſei dabei abgefaßt worden.
Man gab nämlich in dieſem Bericht die Ausführungen
Dr. Bachems ziemlich genau wieder, ließ aber darauf
den Dank weg, den er dem Abg. v. Liebermann aus-
geſprochen hatte, ſchilderte die Erwiderung des
Letzteren ſo, als ob ſie große Heiterkeit im ganzen
Hauſe hervorgerufen habe und ließ den wiederholten
Dank Dr. Bachems und ſeine Zuſtimmmung zu der
Erklärung v. Liebermann's völlig weg. So wird's
gemacht!
— Wer iſt das treibeude Element in der
ZJeuerbeſtattungsfrage! Im Heidelberger Krematorium
wurden im abgelaufenen Jahre I1 Perfonen verbrannt,
64 Männer und 27 Frauen. Der Konfeſſion nach
waren es 53 Proteſtanten, 10 Katholiken, 5 Altkatho-
liken, 8 Juden u. 9 Freireligiöſe. Die Juden machen
etwa */so der Geſamtbevölkerungaus, ſie ſind alſo an
der Feuerbeſtattung 8 mal ſtärker beteiligt als die
übrige Bevölkerung. Das giebt zudenken!
— Sozialdemokratiſches. Im Erfurter ſozial-
demokratiſchen Programm heißt es: „Nur die Ver-
wandlung des kapitaliſtiſchen Privateigentums an Pro-
duktionsmitteln . . . in geſellſchaftliches Eigentum, und
die Umwandlung der Warenproduktion Warenerzeugung)
in ſozialiſtiſche, für und durch die Geſellſchaſt be-
triebene Produktion kann es bewirken, daß der Großbetrieb
‚.. für die bisher ausgebeuteten Klaſſen aus einec
Quelle des Eiends . .. zu einer Quelle der höchſten
Wohlfahrt . . Es wird alſo die Aufhebung allen
Privateigentums, was zur Herſtellung von Produkten
nötig iſt, z. B. Aecker und Wieſen, als die einzige
Rettung hingeſtellt. Es iſt nun ſehr intereſſant, das
Uxteil zu hören, was (nach der Fränk. Tagespoſt)
„Genoſſen“ aus Baſelland auf dem kürzlichen abge-
haltenen Parteitag der ſchweizeriſchen Sozialdemokraten
über dieſe ſozialdem. Grundforſchung abgaben. Sie
bekannten, „daß die dem (ſoziald) Programm zu Grunde
liegende Anſchauung der Wünſchbarkeit der Verſtaat-
lichung aller Produktionsmittel als unhaltbar und dem