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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 71 - No. 80 (3. Juli - 24. Juli)
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Der „Vadiſce Yolkabote“ er⸗-
ſcheint zmal wöchentlich (Diens-
tag, Donnerstag und Samstag).
Verlag und Leitung:
Veidelberg. Bahuhof ſtraße 9.
Telegramm⸗Adreſſe:
Yolkabote Heidelberg, -
Anseigenpreis:
Die 5gefpaltene Petitzeile 10 Pfg.




Vreis vierteljahrlich
durch den Briefträger frei ins
Haus gebracht Mk. 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Boten
in Heidelberg! Me von unſerer

Erpedition abgeholt 80 Pfg.
— Yopß-ZIZeitungs-Preislikte
Ar. zõs.






7. Zahrgang.





Dolitiſcher Teil.
Der Beludy der öſterreichiſchen Auti-
ſemiten in Qeutſchland
iſt glänzend verlaufen. Folgendes wird darüber be-
richtet: Am Freitag, abends nach 11 Uhr, trafen 400
Wiener Antiſemiten, von Dresden kommend, in Berlin
ein. Auf dem Bahnhof hatten ſich das Empfangs⸗—
Komitee, ſowie mehr als 1000 Berliner Parteigenoſſen,
ſämtlich mit weißen Nelken geſchmückt, eingefunden.
Als der mit Fahnen geſchmückte Sonderzug in die
Bahnhofshalle einlief, erſchollen brauſenden Hochrufe,
die die Gäſte mit kräftigen Heilrufen beantworteten.
Unter den Wiener Freunden befanden ſich u. a. der
Reichsrats-Abgeordnete Vergani, die Gemeinderäte
Grünthal und Schwarz, Mitglieder der Redaktion des
„Deutſchen Volksblatt in Wien und hervorragende
Füthrer der Wiener autiſemitiſchen Bewegung. Profeſſor
Förſter war den Gäſten bis Tetſchen entgegengefahren,
um ſie dort namens der Dresdener und Berliner
Parteifreunde zu begrüßen. Abg. Lotze hatte ſich in
Dresden den Wienern angefchloffen.
Nach den aus Dresden eingetroffenen Berichten
ſind die zu Ehren der Wiener Gäſte daſelbſt veran-


verlaufen. Im Wiener Garten hatten ſich zur gemein-


gefunden. Abg. Zimmermann betonte in ſeiner Be-
grüßungsrede, daß den Antiſemiten aller Länder ein
Geiſt gemeinſam ſei, der nationale und monarchiſche.
Der öſterreichiſche Reichsrats⸗Abgeordnete Vergani hob
in ſeiner Erwiderung hervor, es ſei ein glücklicher
Moment geweſen, daß in dem Augenblick der Landung


ſei, der Monarch, deſſen Familie mit dem öſterreichiſchen
Kaiſerhauſe ſo nahe verwandt ſei. König Albert ſei
als ritterlicher Held, als treuſorgender Landesvater,
als Förderer von Kunſt und Wiſſenſchaft überall hoch
geehrt, ihm gelte ſein Hoch. Jubelnd erklang das
Hoch und die Muſik ließ die Weiſe: „Den König ſegne
Gott? ertönen. Trinkſpruch reihte ſich dann an Trink-
ſpruch. Auf ein an den König von Sachſen gerichtetes
Huldigungs-Telegramm lief umgehend folgende mit
Jubel begrüßte Drahtantwort ein: „Pillnitz (Schloß).
Seine Majeſtät der König haben geruht, mich zu be-
auftragen, den im „Wiener Garten“ verſammelten
Mitgliedern der deutſchſozialen Reformpartei und ihren
öſterreichiſchen Gäſten für deren freundliche Grüße aller-
höchſt ſeinen Dank auszuſprechen. v. Ehrenthal, Major
und Flügeladjutaut.“ —


in Berlin den Zug verließen, ſcholl ihnen aus tauſend
Kehlen der Geſang des alten Schutz- und Trutzliedes
entgegen: „Deutſchland, Deutſchland über alles“. Nach-
dem die üblichen Händedrücke und Begrüßungsworte
ausgetauſcht waren, begab man ſich gemeinſchaftlich
nach dem Wirtshauſe „Zum Askanier“ zum Be-
grüßungsſchoppen. — Am Samstag verſammelten ſich
die Wiener Gäſte in der „Hopfenblüte“ vollzählig zur
Morgenſprache. Von dort aus wurden gruppenweiſe
Spaziergange zur Beſichtigung der Sehenswürdigkeiten
der Stadt, unter anderem der Denkmäler und des


fanden ſich die Gäſte mit ihren Berliner Freunden im
Zelt I zum gemeinſamen Mittagsmahl zuſammen, an
dem Mitglieder fämtlicher antiſemitiſchen Vereine
Berlins und fäiatliche antiſemitiſchen Reichstagsabge-


Mehr als 600 Perſonen hatten ſich zuſammengefunden.
— Die Begrüßungsanſprache hielt der Abg. Profeſſor
Förſler. In warmen Worten dankte er den Wienern
für ihren freundlichen Beſuch und ſchloß mit einem
begeiſtert aufgenommenen Hoch auf den Kaiſer von
Oeſterreich. In ſeiner Erwiderung dankte dex Führer
der Wiener Antiſemiten, Vergani, für den herzlichen
Empfang, der ihnen an der Grenze, in Dresden und
in Berlin weit über alles Erwarten zuteil geworden
ſei. Wien habe, ſagte er u. a., ſeine Erfolge dem ge-
meinſamen Vorgehen, der Einigkeit zu verdanken, bei
der man alles vergißt, was trennt.
man auch in Berlin dieſem Beiſpiel folgen. Redner ſchloß


Von den Gäſten aus der Oſtmark wurde an Kaiſer
Wilhelm ein Huldigungstelegramm geſandt, auf welches
folgende Antwort einlief: „Travemünde, 27. Juni,7







hat allerhöchſt ſich ſehr über den patriotiſchen Gruß


gefreut und laſſen der Verſammlung beſtens dafür
danken. v. Pleſſen, General⸗Adjutant.“ — Nach Vergani


Pretzel, der langjährige Vorkämpfer der Berliner Be-
wegung und der einzige antiſemitiſche Stadtverordnete
Berlins, das Wort zur Begrüßung der Wiener Gäſte.
In zündenden Worten feierte er die antiſemitiſchen
Wahlerfolge Wiens und ſchloß mit einem Hoch auf
die Wiener Bewegung. — Es folgte ſodann die Ver-


telegramme. Großen Jubel erregten beſonders die


Inhalts folgten. Das Feſt war getragen von einer


nieinſame antiſemitiſche Sache. Die Tafel wurde auf-


zu der mehr als vierzig Wagen erforderlich waren.
Gegen 8 Uhr langte der Wagenzug in der Neuen
Welt in der Haſenheide an, wo die Berliner Anti-


ung außerordentlich gut beſucht war. — Des weiteren
wird über den Beſuch unſerer Freunde aus Wien ge-
meldet: Der Sonntag war der Beſichtigung der Aus-
ſtellung gewidmet. Obwohl das Sommerfeſt am Sonn-
abend in der „Neuen Welt“, über deſſen Verlauf ſich
die Gäſte höchſt befriedigend ausſprachen, bis zum


zu gehen. Um 1 Uhr fand gemeinſames Mahl auf


Montag früh machten die Gäſte einen Ausflug über
Spanduu nach Potsdam, an dem ſich wiederum zahl-
reiche Geſinnungsgenoſſen aus Berlin beteiligten. Um
9 Uhr abends erfolgte die Rückfahrt. Die Wiener
beabſichtigten Dienstag einen mehrtägigen Abſtecher nach


druck mit nach Wien zurücknehmen, daß auch in den


lodert für Erhaltung und Hebung des deutſchen
Nationalbewußtſeins. *

Das Weſen der Arbeit.

Es iſt in unſerer Zeit, wo weite Kreiſe der


zum Menſchen iſt. Da iſt es nur zu begrüßen, daß


Vielhaben, kürzlich im Reichstag das Weſen der Ar-


zu geben. Der Abg. Vielhaben ſagte nach dem amt-
lichen Stenogramm u. a. Folgendes:)
Schon vor Jahren, meine Herren, hat ſich die
Ueberzeugung meiner bemächtigt, daß das Deutſche
Reich wegen ſeiner politiſchen Lage, wenn man die
Erfahrungen, die die Geſchichte anderer Völker uns
bietet, zu Rate zieht, nur dann wird von Beſtand ſein
können, wenn es ſich einen breiten, wohlhabenden und
unabhängigen Mittelſtand erhält. Da die heutige
Volkswirtſchaftslehre ſich in vieler Beziehung von
ihrem eigenen Boden, auf dem ſie ruht, von der Er-
faͤhrung, entfernt hat und deshalb nicht völlig zuver-
läfſige Reſultate bietet, da überhaupt auch der Intereſſen
des Mittelſtandes dieſe Wiſſenſchaft ſich nicht ſonder-
lich angenommen hat,
Leben hineinbegeben und aus der Erfahrung heraus
verſucht, mir ein Urteil über ſeine Intexreſſen zu bilden.
Dabei iſt mir nun aufgefallen, daß die Volks-
wirtſchaft ſich oft einer großen Einſeitigkeit ſchuldig
macht. Es iſt ja freilich natürlich, daß ſie — eine
Spezialwiſſenſchaft — die Dinge von einem einſeitigen
Standpunkt betrachtet; ſo bedenklich wie falſch iſt es
aber von ihr, wenn ſie, auf dieſen ſpezialiſtiſchen.
*) Dei (S_iefggenf)eit der Beratung über den Maximal-
Arbeitstag im Bäckergewerbe.






meine Herren, kommt der Menſch nur inſoweit in be-
tracht, als er teilnimmt an der Produktion und teil-
nimmt an der Konſumtion, die Arbeit hat für ſie nur
ſoweit Bedeutung, als ſie Produktionsmittel iſt.
Unrichtige Folgen hat es gehabt, daß dieſe volks-


der Arbeit, die für den Fortſchritt und für die Kultur
eines Volkes bedeutender ſind, unbeachtet gelaſſen ſind,
das iſt nämlich die Wirkung, die die Arbeit auf die
Geſundheit, auf den menſchlichen Körper, das iſt der
Einfluß, den ſie hat auf die ethiſche, auf die geiſtige
Seite des Menſchen. Sie dürfen nicht überſehen werden,


Lebens aus und iſt daher für die Ausbildung eines
Volkes weſentlich. Die Arbeit nun, die als eine ge-


ung entſprechen, daß ſie abwechſelnd alle Teile, ſowohl


in Anſpruch nimmt und dabei möglichſt viele Pauſen
Das iſt der Fall, meine Herren, vornehmlich
bei den Arbeiten in der Landwirtſchaft und bei den
Arbeiten im Handwerk, im Kleinbetriebe überhaupt;
das iſt nicht der Fall bei der Arbeit in den Fabriken,
bei der Arbeit im Großbetriebe überhaupt.

Die Arbeit im Kleinbetrieb iſt eine abwechſelnde
und pauſenreiche, in ihr kann der Menſch ſelten zu


langer Arbeitszeit aushalten, ohne an der Geſundheit


Arbeit eine einſeitig körperliche und als körperliche
auch wieder höchſt einſeitig. Sie erfordert außer einer
ganz ungeheuren Anſpaunung der Aufmerkſamkeit eine


ohne Ruhepaufen in einer — auf die Bedürfniffe der
Geſundheit geſehen — verderblichen Ueberhaſtung.


es die Arbeit im Handwerk; und wenn eine Arbeit


den Fabriken. Ein Beweis dafür bietet ſich in den


Herr Graf In- und Knyphauſen hingewieſen hat. Die
Zahl der Militärtüchtigen geht bei den Aushebungen
in den Induſtriebezirken alljährlich und ſo rapide zuruͤck,

daß es die Aufmerkſamkeit unſerer Staatsregierung


Aber, meine Herren, es tritt, worauf ich nebenbei
hinzuweiſen nicht unterlaſſen will, bei den Großbetrieben
nicht allein eine Teilung der Arbeit in gleichmäßigen


in Bezug auf die körperlichen und geiſtigen, ethiſchen
Wirkungen der Arbeit. Der Fabrikarbeiter arbeitet
faſt ausſchließlich körperlich, nur daß er daneben eine
gewaltig angeſpannte Aufmerkſamkeit zu entwickeln hat.


ihrer ſittlichen und geiſtigen Bedeutung hat, fehlen
dieſer Arbeit.
lichen Berufsarbeit iſt ein weſentliches Moment fuͤr
die Berechtigung der Sozialdemokratie zu entnehmen.
Sie iſt für die deutſchen Arbeiter um ſo empfindlicher,
als durch die allgemeine Schulbildung im deutſchen
Reich die geiſtigen und ſittlichen Anſprüche der Arbeiter
größer ſind als bei den Arbeitern des Auslands.
Darin liegt auch der Grund, daß ſich in der deutſchen
Arbeiterſchaft, worauf unter anderen auch Paul Göhre
hinweiſt, ein ſtarker Drang nach einer geiſtigen Be-
thätigung geltend macht. Wenn Sie, meine Herren,
die Polizeibeamten fragen, die die ſozialdemokratiſchen


kunden können, daß die Arbeiter in derſelben Zahl
und mit demſelben Eifer in Verſammlungen erſcheinen,
in denen mediziniſche, hiſtoriſche und dergleichen Vorträge
gehalten werden, als in der gewöhnlichen Wahlver-
fammlung. In Folge der langen Arbeitszeit und der
darnach ſich geltend machenden Erſchlaffung ſuchen ſie
eine leichte Möglichkeit, ihre geiſtigen Bedürfniſſe zu
befriedigen, und dem kommt die ſozialdemokratiſche
Paͤrtei durch ihre Verſammlungen entgegen. Aber die
Thatſache, daß der Arbeiter im Großbetriebe nur ſeine


beachtliche Folge, und das iſt die, daß das Leben des
Fabrikarbeiters ſich ganz entſprechend geſtaltet der Ent-
wickelung ſeiner körperlichen Kräfte. Während ſowohl
bei den Arbeitern der Kleinbetriebe wie bei den An-
gehörigen anderer Erwerbsklaſſen das Aufwärtsſtreben
 
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