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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 81 - No. 90 (26. Juli - 15. August)
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Der »gSadiſche Yolkshote“ er-
ſcheint dreimal wöchentlich.
Verlag und Leitung:
Beidelberg. Vahuhofftraſte 9.
Telesramm Adxeſſe.
Yolksbote Heidelberg,

_ Amnzeigenpreis: )
Die — Petitzeile 10 Pfg.




Preis vierteljährlich
durch den Briefträger frei in's
Haus gebracht ME. 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Boten
in Heidelberg 1 M., von unſerer

Expedition abgeholt 80 Bfg.
Pop-Zeitungs-Preislifte
Ur. 755,





— — — — ——— —— 8









6, 7, Zahrgaug.





— Yolitilber Feil.

‚* Zur Yotlage des Handwerks.
Dem evangeliſchen Wochenblatt „Licht und Leben“
entnehmen wir folgende kleine Geſchichte: 7
Vor der Thür einer der großen Mietskaſernen
Berlins hegegnete ein Arzt einem Bekannten, einem
wohlhabenden Mann, der ſtets bereit war, ſich an
Sammelliſten und Wohlthätigkeitswerken zu beteiligen.


fönnen Sie hier mehr helfen al3 ich. Man hat mich
zu einem Manne gerufen, der einen Selbſtmord ver-


Spiel! So war es auch. Als die beiden Freunde
die bleichen, verhungerten Geſichter der Frau und Kinder


fie ſich nur einen Blick zu, dann begann der eine die
Wunde zu verbinden, die der Mann ſich beigebracht,
der andere griff in die Taſche und ſandte das älteſte
Kind fort, um Brot und Wurſt zu holen. Als der
erſte Hunger geſtillt, begann die Frau ihren Mann
und ſeine That zu entſchuldigen. Es war die Ver-


fleißig und würde gern arbeiten, wenn er nur Arbeit
bekäme oder Geld hätte, um Leder zu kaufen, denn er




Verſuch. Manche Kunden ſind ihm noch kleine Summen
ſchuldig, aber ſie vertröſten ihn immer. Cr ging zu
einem reichen Herrn, dem er ein paar Stiefel ſchon
vor ſechs Wochen vorgeſchuht hat. Er wurde nicht
vorgelaſſen. Der Diener beſtellte, die kleine Summe
wuͤrde geſchickt werden, ſobald Zeit wäre. Da konnte
ſich mein Mann nicht entſchließen, mit leeren Händen
wieder zu uns zu kommen, und — that das Schreck-




Rechnungen durch. Die großen waren alle bezahlt,
denn er war ein ordentlicher Zahler. Aber mehr wie


für ein paar Vorſchuhe.

heute früh hier?“ regj

und zeigte auf den Namen.

geduldigen Mannes zu ſtören.



- hintragen.“ Der Herr legte ſchweigend
Nechnungen zuſammen.

2



zahlen mußte. Die Schuhmacherfamilie aber



Rag dieſe Erzählung auf einer Thatſache beruhen
oder erfunden ſein, jedenfalls entſpricht ſie nur zu ſehr
doer Wirklichkeit. Es ifi eine vielfach vorkommende


klaſſen die Erfuͤllung kleiner Verbindlichkeiten für Re-
paraͤturen 2c. lange hinauszufchieben. Wer ſelhſt in
günſtiger Vermögenslage lebt, hat oft kein Verſtaͤndnis
dafür/ daß eine an und für ſich ger inge Geldſumme
für mauchen ein Vermögen darſtellt. Dies letztere
gilt namentlich von dem Kleinhandwerker, der, wie
man zu ſagen pflegt, „von der Hand in den Mund
lebt'.
iſt er nicht imſtande, das Rohmaterial für neue Ar-
beiten anzuſchaffen, wodurch ihm für ſeinen Broterwerb
ein großes Hindernis erwaͤchſt. Die Wechſel, die er
ſeinen Lieferanten ausgeſtellt hat, muß er pünktlich


haben will. Iſt aber erſt dieſer ſonſt hochachtbae


das Glück desfelben geſtört Die Familienbande löſen
ſich und der unglückſelige Familienvater — wir haben
ja eine ganze Reihe derartiger Vorkommniſſe in den
ſetzten Jahren zu verzeichnen gehabt — greift ſchließ-
lich in feiner Verzweiflung zur Waffe, um ſich oder
womöglich auch feine Frau und Kinder mit einem
Schlage der irdiſchen Notlage zu entreißen.
Wir appellieren daher an alle begüterten Leſer
des Badiſchen Volksboten?, das Geſchichtchen der ge-
nannien evangeliſchen Wochenſchrift ſich zu Herzen zu
nehmen. Die Notlage des Handwerks wird ja jetzt








man bemüht, derſelben nach Möglichkeit abzuhelfen.
Veben den „großen Mitteln“, wie Einführung des
Befähigungsnachweiſes und Organiſation des


dernachläſſigen, und zu den letzteren gehört vor allen


beim Handwerksmann.
Wir können es aber

nicht unterlaſſen, bei dieſer


Sünde vorzuwerfen, die ihm großen Schaden bringt,


iſt ſchon ſprichwörtlich geworden. Da wird zuweilen
das Blaue vom Himmel herunter“ verſprochen, aber
von Innehaltung iſt keine Rede.
die ihm angebotene Arbeit nicht gerne fahren laffen
und glaubt ſich dann zu einer „kleinen Noͤtlüge“ be-
rechtigt; dieſe „kleine Notlüge“ aber iſt nichk ſelten
ſein Verderb. — ——

Wiederholt haben wir im Kreiſe unſerer Freunde
und Bekannten aus wirtſchaftspolitiſchen Gründen ge-
beten, nicht nur die Großinduſtriellen und Großkaufleute,
ſondern beſonders auch die Handwerker zu berückſichtigen,


gehalten, Wort halten

giebt es bei denen nicht; da
größeres Geſchäft, dort werde

Es iſt alſo ein arger Fehler, um den Auftrag
für eine einzelne Arbeit nicht zu verlieren, durch
Nichtinnehaltung des Lieferungstermines die gan ze
ſpätere Kundſchaft des Beſtellers aufs Spiel zu
ſetzen. Darum geht auch an die Handwerker unſere


laſſen kann, iſt bei jeden Kunden hochangeſehen, und


darauf, pünktliche Zahlung zu beanſpruchen.
dit ſoſiuldenohraliſirn Weltverbeferer,

abgehaltenen, von mehreren Hundert Genoſſen“ be-
ſuchten Verſammlung gemacht wurden. Darüber wird
von dorther berichtet: ;


wie das im „Zukunftsftaat“ bei allen induſtriellen, kauf-
männiſchen und gewerblichen Unternehmungeu aus-
nahmslos auch gemacht werden ſoll, einen Verwalter


herbei in das „Gewerkſchaftshaus“, wie das
Lokal ſtolz benamſet wurde, ſich „königlich“ darüber
freuend, daß die „Bourgeois“-Gaſtwirte von den
Arbeitern jetzt keine Reichtümer mehr erwerben könnten
und in Erwartung des reichlichen Gewinnſtes — im
Bourgeois⸗DeutſchDividende“ genannt — manchen
Schoßpen mehr vertilgend als es für den Geldheutel
der einzelnen vielleicht dienlich war. Eines ſchönen
Tages aber, ſo leſen wir in den „Leipz. N. N.“, ver-
ſchwand der Verwalter — es war der fozial-


Schneider — ſpurlos aus dem Lokal und qus Leipzig,
und als die zu ſeiner Kontrole eingeſetzte Kommiſſion
die Sache unterſuchte, ſtellte ſich ein Defizit von
einigen Tauſend Mark (!) heraus.

Mit dem erträumten Verdienſt war es alſo zunächſt
anch nichts. Bei ſeinem Nachfolger, gleichfalls einem
„Arbeiterführer“, ſchien die Sache beſſer zu gehen,
aber ſei es nun, daß die Gäſte, von denen die meiſten
ihr „Kapital“ in dem Unternehmen ſtecken hatten, in
das Geſchäft zu viel hineinredeten, ſei es, daß die



Poxtionen zu flein ausfielen, kurzum der nene Ver-
walter, der ſich übrigens mit der Ablieferung von
Ueberſchüſſen durchaus nicht beeilte, geriet bald mit
den ebenfo mißgünſtigen wie mißtrauiſchen, Genoſfen“

und einen Gaſthof auf eigene Rechnung zu übernehnien.

Seit zwei Jahren iſt nun ein Metallarbeiter ats
Verwalter eingeſtellt und dieſem nebſt freier Station
mit Familie ein Jahresgehalt von 1500 ME. ausge-
morfen worden, ſo daß ſein Einfommen von feinen
„Senoffen“ auf 3000 ME gefehäbt wird. Da im
erſten Bierteljahre ſeiner Thätigkeit ein kleiner Nebers
{Ouß herausgerechnet wurde, fo fchienen die Genoffen

daß auch diejer Bermalter feinen beiden Vorgängern
nicht3 nachgab; denn troß günftigem Gejchäftsgange
— €8 werden jährlich allein 800 Hektoliter Bier um-


zinſt werden. Außerdem wurden fortgeſeßt Klagen
über die Bewirtſchaftung laut, die nicht einmal den

ſammlung wollte nun darüber beſchließen, wie das
Verhältuis der, Genoſſen“ zu dem „SGenoffenverwalter”
fernerhin zu geſtalten ſei. Die Verhandlungen zeigten
wieder einmal im Kleinen, wie ſich der fozialdemo-
kratiſche Staat im Großen geſtalten würde.
Referent teilte mit, daß die Kontrol-Kommiffion eine
Abrechnung nicht habe zuſammenſtellen können, da die
Bücher nicht in Ordnung, zum Teil auch nicht
vorhanden geweſen ſeien und Rechnungen gefehlt

Ausführungen hat der Bewirtſchafter Gelder einge-

höher angerechnet als es in Wirklichkeit betrug.
Konſumvereins⸗Dividenden für ſich behalten, übers
haupt höchſt eigennützig gehaͤndelt, und dabei ſoll

eine ſo große Unfauberfeit und Unordnug ge-
herrſcht haben, daß die dort verkehrenden Arbeiter ſich
von einem „Bourgeoiswirt“ dies nicht hätten bieten

Ein Redner, dem wohl endlich ein Licht aufges
gangen war, meinte, die Vorgänge zeigten, daß bei



bei den Gegnern, wobei er freilich ganz überſah, daß
bei den „Gegnern“ von Mogeln gar keine Rede ſein
kann, weil dieſe doch, falls ſie ein Reſtaurant aufe
machen, das Geld hierzu aus ihrem eigenen Beutel
und nicht aus dem ihrer Parteigenoſſen nehmen. Ein

Entwickelung weit zurückgeblieben ſcheint, bemerkte ſogar,
von einem aufgeflärten „SGenoffen‘“ könne man ver-
langen, daß er Mein und Dein unterſcheiden könne,
„Senoffe Verwalter“ treibe kein ehrliches Spiel; ferner:
feine Kelluer müßten pro Tag 18 Stunden bei 5 Pf.
Stundenlohn arbeiten, das ſei ein Schundlohn, wie
ihn kein Kaͤpitaͤliſt bezahle 2. Der Verwalter ſuchte
ſich zu verteidigen. Im allgemeinen war die Verſamm-
lung der Anſicht, daß die Arbeiter nach den geſammelten
Erfahrungen ſich nie wieder zu einem derartigen Unter-
nehmen verleiien laſſen würden. Es wurde auch der
Kontroll⸗Konimifſion der Vorwurf der Pflichtvernach-
läſſigung gemacht und zur nochmaligen gründlichen
Unterſuchung eine beſondere Kommiſſion ernannt, die
ſich einen Ueberblick über die Proſperität der Wirtſchaft
verſchaffen ſoll. Ein Antrag, nicht mehr im „Univers
ſitätskeller zu verkehren, wurde daher auch bis nach
deren Bericht „zuruͤckgeſtellt“ Jedenfalls iſt dieſe
ſozialdemokratiſche Gründung ganz gründlich verkracht.
Nicht einmal eine kleine Kneipe vermögen die Herren
Sozialdemokraten in Schwung zu bringen, und da
wollen ſie die Welt verbeſſern! Was ſollte das wohl
für eine heilloſe Wirtſchaft werden, wenn es infolge
der Verſtaatlichung alles Eigentums reſp. aller Betriebe
ein paar Millionen „Verwalter“ gäbe. Und die Kon-
trolle erſt!! — — ‘

* Die Katholiken ſind Dummköpfe, das iſt die
neueſte Entdeckung der „Badiſchen Landes-3Zig.”,
des führenden Organs der nationalliberalen
Partei in Baden! Sie teilt die Staatsbürger ein
in Langköpfe und Rundköpfe; die erſteren ſind ge-
ſcheute Leute, proteſtantiſch und ſelbſtredend — national= -
liberal, die Rundköpfe dagegen ſind katholiſch und
haben die Weisheit nicht — wie die Nazzen — mit
Löffeln gegeſſen. Dem „Pf. Boten“ entnehmen wir
über Ddiefe nationalliberale Leiſtung folgendes: „Die



neueſte Kraftſuppe, welche in der Kaͤrlsruher Hexenküche
 
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