Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

DOI Kapitel:
No. 91 - No. 100 (18. August - 8. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0377

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



— Der Badifche Yolksbote“ er-
ſcheint dreimal wöchentlich.

Verlag und Leitung:

Heidelberg Bahuhof ſtraſte 9.
; Telegramm⸗Adreſſe:
Yolksbote Heidelberg.




Vreis vierteljährlich -
durch den Briefträger frei ins
Haus gebracht Mk. 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Boten
in Heidelberg 1 M. von unſerer

Erpedition abgeholt SO Pfg.









Rolitilcher Teil.
— Füdweldeutfdher Handwerkertan.

—- Bon großer wirtſchafts⸗politiſcher Bedeutung nicht
nur für Süddeutſchland, ſondern für das ganze Reich,


gehaltene erſte Südweſtdeutſche Handwerkertag geweſen.


zuſammengekommen, um an den Beratungen teilzu-
nehmen über die Stellungnahme zu dem jüngſt von
der Reichsregierung eingebrachten Geſetzentwurf be-
treffend die Neuorganiſation des Handwerks.
Nachdem am Sonntag die auswärtigen Gäſte im
Gaſthauſe zum „Prinz Max“ empfangen worden waren,


ſammlung der Delegirten und die Konſtituierung des
Bureaus ſtatt. Auf den Antrag der Schuhmacher-
meiſterinnung Karlsruhe, vertreten durch Herrn
Schmidt, wurde außer dem oben erwähnten Thema
der Tagesordnuug für die Hauptverſammlung „Die
Organiſarion des Handwerks?, mit allen gegen drei
Stimmen noch folgende Frage in die Tagesbrdnung
gefügt: „Wie ſtellen ſich die Gewerbe- und
— — — gegenüber der Organiſation
des Handwerks?“ — Am Nachmittag fand ein
Spaziergang nach dem Schloß ſtatt, an den ſich ein
Ausflug nach der Stiftsmühle anſchloß. Die Rückfahrt
von dort fand auf dem Neckar per Schiff ſtatt, um
von dort aus die gelegentlich des Jubelfeſtes des Heidel-
berger Turnvereins veranſtaltete Schloßbeleuchtung

— *— —

Am Montag Morgen um 9*'/2 Uhr begann die
Hauptverſammlung im großen Saale des „Prinz Max.“
Derſelbe war überfüllt, ſodaß man die Zahl der An-
weſenden auf ungefähr 500 Perſonen ſchätzen konnte.
Von auswärts waren hundert und einige zwanzig
Delegierte erſchienen, die viele Tauſend Handwerks-
meiſter Südweſtdeutſchlands repräſentierten.

Den Vorſitz führte Herr Buchbindermeiſter und
Magiſtratsrat Max Nagler-⸗München, der zugleich
2. Vorſitzender des Zentralvorſtandes des Allgemeinen
deutſchen Handwerkerbundes iſt. Er begrüßte die Teil-
nehmer der Verſammlung und endete feine Anſprache
mit einem dreifachen Hoch auf Kaiſer Wilhelm und


wurden Huldigungstelegramme geſandt. Darauf hieß
7 Bürgermeiſter Dr. Walz, der als Vertreter des


in den Mauern Heidelbergs willkommen. Das gleiche
that der Vorſitzende des Heidelberger Lokalkomites,
Har Schreinermeiſter Beck. Der Vorſitzende der
deutſchen Innungsverbände, Herr Foſter-Berlin, über-
brachte die Grüße ſeiner Organiſation.
HGierauf trat man in die Beratungen ein. Herr
Nagler⸗München ſprach in eingehender und fach-


erſten Punkt der Tagesordnung, während Herr Schuh-
machermeiſter Schmidt⸗Karlsruhe über das zweite


und die ſehr lebhafte und lehrreiche Diskuſſton näher
eingehen.
Nummer vor und wollen hier nur die beiden Reſo-
lutionen wiedergeben, von denen die erſte mit allen
gegen ſechs Stimmen, die zweite mit allen gegen zehn
Stimmen angenommen wurde. Sie lauteten:


erklärt ſich mit dem von der kgl. preußiſchen Regierung
dem Bundesrate vorgelegten Geſetzentwurf, betreffend
die Organiſation des Handwerks, die Regelung des
Lehrlingsweſens und den Meiſtertitel, im Prinzipe ein-
voerſtanden und begrüßt denſelben unter dem Ausdrucke
des Dankes als ein Zeichen wohlwollender Abſicht und
ernſtlichen Willens: dem Handwerk die zu ſeinem


Stärke in geſetzlicher Vertretung zu bieten. — In der
Erwägung der Thatſache, daß die Miſere des Hand-
werks für Süddeutſchland ebenſo fühlbar iſt wie für
die norddeutſchen Handwerker, richten die ſüdweſt-
deutſchen Handwerker als ſteuerzahlender Erwerbsſtand
an die Regierungen die dringende Bitte, dem Geſetz-
entwurf unter Berückſichtigung der in dem Referate
niedergelegten Abändecungsvorſchläge im Bundesrate
durch ihre Vertreter zuſtimmen zu wollen. — Der
Südweſtdeutſche Handwerkertag erkennt an, daß nur ein






feſtes Zuſammenhalten der Handwerker ſie dem Ziele
ihrer Forderungen näher bringt und erwartet daͤher,
daß die Handwerker Südweſtdeutſchlands wit allem
Nachdrucke die Organiſation der einzelnen Gewerbe
intenſiv betreiben.“ *

2.Der Handwerkertag in Heidelberg erhebt ganz
entſchieden Proteſt dagenen, daß diejenigen Gewerbe-


ſowie die Mitglieder Berufsſtänden angehören, welche


als Vertreter des Handwerks gaftreten und in Hand-
werkerfragen an die Behörden Gutachten erſtatten und
und Anträge ſtellen, und zwar in Erwägung deſſen,
daß ſeitens derart zuſammengeſetzter Vereine nicht die
Intereſſen des Handwerks, ſondern in erſter Linie die


zu errichten und in erſprießlicher Weiſe zu leiten und


des Handwerks die thunlichſte Förderung der Re-
gierungen im Fachſchulweſen finden.”

Bemerken möchten wir hierzu, daß, nach dem
Beifall zu urteilen, den im Anfange der Diskuſſion
Gegner der Zwangsinnung erhalten hatten, zahlreiche
Delegierte zum Handwerkertage gekommen waren, um
in einem andern Sinne zu ſtimmen, als die obigen
Reſolutionen ihn enthalten, daß dieſe Herren aber im
Laufe der Verhandlungen zu der Ueberzeugung ge-
kommen ſind, daß nur durch Zwang eine feſte 4
Wir
deutſch-fozialen Reformer begrüßen den Erfolg
des Südweſtdeutſchen Handwerkertages mit ganz be-


Beweis lieferte, daß unfere Anſichten über die Frage,
wie der Niedergang des Handwerks aufzuhalten ſei,
in ſteigendem Maße von den Handwerkern ſelbſt
als richtig anerkannt werden. *
Der Handwerkertag ging ohne beſondere Störung

Nur ein kleiner 24 — verdient Er-
wähnung. Ein Herr Hengling aus Cannſtadt trat


anderer Handwerkervereinigungen in ſcharfen Worten
gegen die Zwangs⸗Organiſatian auf, wobei er ſich


Von Herrn Schuhmachermeiſter Schmidt-Karlsruhe
und Herrn Zimmermeiſter Ohlenſchlag-Frankfurt
a. M. wurde ihm demgegenüber entgegengehalten, daß
er Redakteur ſei, der niemals ein Handwerk erlernt
habe, und früher Kaufmann in Karlsruhe
geweſen ſei, deſſen Vergangenheit ihn des moraliſchen
Rechies, den ehrenwerten Handwerkerſtand zu vertreten,
verluſtig mache. Darauf hin rempelte Herr Hengling
in bubenhafter Weiſe den letzteren Herrn, als dieſer
auf kurze Zeit den Saal verließ, an und machte Miene,
ſich an ihm thätlich zu vergreifen. Von den Herren,
die dieſer Szene beiwohnten, wurde ihm infolge deſſen
gezeigt, wo der Zimmermann das Loch für Leutchen
feines Genres offen gelaſſen hahe. Das hinderte ihn
freilich nicht, nach 10 Minuten wieder im Saale zu
erſcheinen! Sein Benehmen hat wohrſcheinlich mit
dazu beigetragen, denjenigen Handwerksmeiſtern, welche
— dank den liberal⸗mancheſterlichen Zeitungsſchreibern —
der Einführung der Zwangsinnung noch zweifelnd
gegenüberſtanden, die Augen zu öffnen über die liberalen
Beglücker“ des Handwerkerſtandes.

Erwähnenswert iſt noch eine andere kleine Epiſode.


abgeorduete Herr Weber-Heidelberg die Verſammlung
mit ſeiner Gegenwart beehre. Er begrüßt deſſen
Gegenwart freudig und hofft, daß der Herr „vieles
aus den heutigen Verhandlungen lernen“ werde, um
es dann in Berlin im Intereſſe des Handwerks vor-
zubringen. Auch wir würden uns ſehr freuen, wenn
ſich die Hoffnung des Herrn Vorſitzenden erfüllen


liberalen Partei losſagen, der wir ganz beſonders
die Gewerbefreiheit zu danken haben, welche —
nach der Anſicht aller Redner des Handwerkertages —
die Haupturſache für die jetzige elende
Lage des Handwerks bildet. Ia man kann
wohl mit Recht behaupten, daß der Südweftdeutfche
Haudwerkertag den Natignalliberalen mit ihrer ver-
derblichen Wirtſchaftspolitik eine neue große
Niederlage bereitet hat. Kein Handwerksmeiſter,
der dieſer Verſammlung beigewohnt und ſeine Zu-





ſtimmung zu den beiden oben angeführten Reſolutionen


will — in Zukunft einem nationalliberalen Landtags-
oder Reichstagskandidaten bei den Wahlen ſeine

* 3Bum Zall Jesko v. Yulfkamer teilt die
„Nordd. Allg. Ztg.“ mit, daß der Reichskanzler, nach-
dem ſich Herr v. Puttkamer zu den Anſchuldigungen
des „Berliner Tagebl.“ geäußert, nunmehr gegen das
letztere gerichtlichen Strafantrag geſtellt habe. Das


wollen, daß Herr v. Puttkamer durch die Entnahme
des Atlanten und Kompaſſes aus der Wohnung des
Herrn v. Stetten einen „Diebſtahl“ begangen habe.
Es fährt dann fort:
erwähnt, weil er für Rittmeiſter v. Stetten einer der
Gründe geweſen iſt, welche zu ſeinem im Intereſſe
unſerer Kolonie ſo bedauerlichen Ausſcheiden aus dem
Kolonialdienſt geführt haben. Der Vorwurf, der gegen
Herrn von Puttkamer in dieſen Mitteilungen liegen
konnte, war danach der, daß es, objektiv beurteilt,
immerhin merkwürdig und ſubjektiv für Herrn von
Stetten ſchwer verletzend ſein mußte, wenn v. Puttkamer
in v. Stettens Abweſenheit, noch dazu auf einem Kriegs-
zuge, deſſen Wohnung durchſtöberte und daraus 2
Bei
den geſpannten Beziehungen, welche ſchon damals
zwiſchen Stetten und Puttkamer herrſchten, iſt dieſer


diejenige Rückfichtnahme vermiſſen, die der höchſte
militäriſche Chef der Kolonie von dem oberſten Zivile


nun vorerſt noch die Aeußerungen des Herrn von
Stetten zu dieſer ganzen Sache abwarten, ehe man
ein endgiltiges Urteil abgeben kann. Herr v. Stetten
iſt, wie berichtet wird, bereits von Sarwoa in Ungarn,
wo er ſich zur Kur befindet, unterwegs nach Berlin.
Mögen ſich nun die Angaben des „Berl. Tagebl.“ auch
nicht in vollem Maße bewahrheiten, ſo ſcheint uns das
feſtzuſtehen, daß Herr Jesko v. Puttkamer ſich nicht


haben uns mit ihm auch nicht beſchäftigt aus Gegner-
ſchaft gegen die deutſchen Kolonialbeſtrebungen, — wir
ſind im Gegenteil eifrige Freunde einer energiſchen
und zielbewußten Kolonialpolitik — ſondern wir wollten
darthun, daß, wie jetzt mit der Vergebung der höchſten
Poſten in den Kolonien verfahren wird, die Kolonial-
politik Deutſchlands einfach dem Fluche der Lächerlich-


„Fort mit dem Kolonial⸗Direktor Kayſer!“

— Die Verlobung des Kronprinzen von Ztalien
mit der Prinzeſſin Helene von Montenegro bildet das
Hauptereignis für das politiſche Tagesgeſpräch. Da
bereits zwei Töchter des Fürſten der Schwarzen Berge
mit ruſſiſchen Großfürſten vermählt ſind, ſo iſt der
Erbe der italieniſchen Königskrone ein naher Ver-
wandter des Zaren geworden, was ohne Frage die
Beziehungen Rußlands und Italiens günſtig beein-
fluſſen duͤrfte. Man wird daher nicht verfehlen, dieſes
Ereignis zugleich als eine Lockerung des Verhältniſſes
Htaliens zu den Mittelmächten, als eine Schwächung
des Dreibundes auszulegen. Demgegenüber ſei von
vornherein darauf hingewieſen, daß eine ſolche Aus-
legung die lediglich auf die Erhaltung des Weltfriedens
gerichleten Zwecke und Abſichten der Dreibundmächte
von Grund aus verkennen würde. Die Hochzeit ſoll
im November in Monza ſtattſinden. Der Erzbiſchof
von Turin wird die kirchliche Trauung vornehmen.
Hierauf begiebt ſich das junge Paar nach Rom, wo
Froße Feſtlichkeiten veranſtaltẽt werden. Außer dem


Familie von Portuͤgal, Kaiſer Wilhelm, Prinz von
Wales und ein ruſſiſcher Großfürſt der Trauung bei-
wohnen. In mehreren Städten iſt eine Suhſkription
eröffnet worden, um für die Braut reiche Geſchenke
anzukauſen. Der Kammer wird der Antrag vorgelegt
werden, dem Kronprinzen, welcher bisher nur von
Seiten des Königs 500000 Lire bezieht, eine Appanage
in derſelben Hoͤhe zu bewilligen. — Die „Gazeta
Piemonteſe“ meldet, der Zar habe dem Kronprinzen
von Italien mitgeteilt, daß er und die Zarin zur Ver-
mählung des Prinzen von Neapel nach Rom kommen
werden. Sie wünſchen als Beiſtände der Prinzeſſin
Helene von Montenegro zu walten.
 
Annotationen