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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 61 - No. 70 (9. Juni - 30. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0245

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Der „Sadiſche Yolkshote“ er-
ſcheint 3mal wöchentlich (Diens-
tag, Donnerstag und Samstag).

Verlag und Leitung:
Heidelberg, Bahnhofſtraße 9.
Telegramm-Adreſſe:
Yolksbhote Heidelberg.
Anzeigenpreis:
Die oͤgeſpaltene Petitzeile 10 Pfs.








Vreis viertelfährlidy

durd) den Briefträger frei ins
i@au@ gebracht M£. 1.25, am Poſt-

Crxpedition abgeholt 80 Bfg.
Poß-Zeitungs-Preislilkte






M 61.





Aus dem neuen bürgerlichen
Geſetzbuche.


Der Entwurf des neuen bürgerlichen Geſetzbuches
ſlatuirt als Eheſcheidungsgrund Geiſteskrankheit“ und
zwar unter folgenden näheren Beſtimmungen: „Ein
Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere
Ehegatte in Geiſteskrankheit verfallen iſt, die Krank-
heit während der Ehe mindeſtens 3 Jahre gedauert
und einen ſolchen Grad erreicht hat, daß die geiſtige


jede Ausſicht auf Wiederherſtellung dieſer Gemeinſchaft
Mit dieſer Beſtimmung betritt
der Entwurf ein außerordentlich beſtrittenes Gebiet,
die Meinungen über die Zuläſſigkeit der Geiſteskrankheit
Als Eheſcheidungsgrund ſind noch immer ſehr getheilt.
Das Richtige dürfte ſein, den erwähnten Paͤragraphen
—— —

Der Entwurf des neuen bürgerlichen Geſetzbuches
ſteht bezüglich der Eheſcheidungsgründe auf dem ſehr
richtigen Standpunkte, daß nur wegen eines ſchweren

Verſchuldens des anderen Teiles die Scheidung ver-
langt werden könne. Im Verfolg dieſes Grundſatzes
Dhat auch die nach dem Code civil erlaubt geweſene
Scheidung infolge gegenſeitiger Einwilligung im
Entwurf keine Aufnahne mehr gefunden. Der erwähnte
Grundſatz wird aber durchlöchert durch die Zulaſſung
der Scheidung wegen Geiſteskrankheit des anderen
Ehegatten. Die Motive zu dem Entwurf begründen


Chegatten durch die Zulaſſung der Scheidung wegen


Nachteile und die ſittlichen Gefahren abzuwenden, welche
ihm und den Kindern aus der Fortſetzung der Ehe
mit dem geiſteskranken Ehegatten drohen.
gründung iſt ſehr vag und trotzdem, daß nach dem
Entwurf die Scheidung auf Grund der Geiſteskrankheit
nur erſchwert zugelaſſen iſt, nämlich, wenn die Krank-


gedauert hat und Heilung ausgeſchloſſen ift, ſprechen
doch ſehr gewichtige Gründe für die gänzliche Be-
ſeitigung dieſes Eheſcheidungsgrundes.

Die Ehe iſt ihrem Begriff und Weſen nach un-
auflöslich und die Scheidung daher immer etwas
Anomales. Durch Erſchwerung der Eheſcheidung wird
nicht nur dem Eingehen leichtſinniger Ehen entgegen
gewirkt, e& werden auch, wenn die Ehegatten wiffen,
daß die Ehe nicht leicht wieder gelöſt werden kann,
eheliche Zerwürfniſſe leichter beſeitigt werden. Dagegen
muß dem Ehegatten ein geſetzlicher Schutz gewährt
werden, wenn der andere Teil die ihm obliegenden
ehelichen Pflichten durch ein ſchuldvolles Verhalten


Scheidung. Ausgeſchloſſen bleibt nach dieſem Prinzip
die Scheidung aus Willkür, auf gegenfeitige Ein-
willigung auf gegenſeitige Abaeigung, wegen körperlicher
Gebrechen und Krankheiten, wegen Religionswechſel,
wie ſie manche der ſeither geltenden Eherechte zuließen.

Es läßt ſich nicht verkennen, daß für die Zu-
laſſung der Geiſteskrankheit als Scheidungsurſache
manche gewichtige Gründe ſprechen, insbeſondere mit
Rückſicht auf die realen Lebensverhältniſfe und die
wirtſchaftlichen Nachteile. Allein dieſe Gründe ſind
doch nicht ſtark genug, um eine Ausnahme von dem
Prinzip zuzulaſfen, daß die Scheidung nur wegen
Verſchuldens eines Ehegatten zuläſſig ſein ſoll. Zudem
iſt zu berückſichtigen, daß die Vorausſetzungen des

„Nachdruck nur mit Genehmigung geſtattet.
Wit den folgenden Ausführungen des hochge-
ſchůtzten Verfaſſers dieſer Beſprechungen des Bürgerlichen
Geſetzbuches können wir uns nicht völlig einverſtanden
erflären. Wir halten eine zu große Erſchwerung der
Eheſcheidung für ein ſoziales Uebel, denn wir meinen,
daß durch eine ſolche die Ehegatten nicht ſowohl zur Ver-
träglichkeit als nielmehr um ihren Willen durchzuſetzen,
zu bedauerlichen Schritten verleitet werden, die ſo f{ chlimmer
Art ſind, daß ſie zu einer Scheidung der Ehe führen.
Auch für eine Foͤrtführung der Ehe mit reiner unheilbar
geiſteskranken Perſon können wir nicht heſonders ſchwärmen
ſchon um deswillen nicht, weil ſich Geiſteskrankheit oder
die Anlage dazu vielfach auf die Nachkommenſchaft ver-
erbt und ſo eine Generation geſchaffen wird, die der
Mitwelt mehr zur Laſt fällt als nützt.







ſicher feſtſtellen laſſen. Wo ſoll die Grenzlinie zwiſchen
den verſchiedenen Formen der Geiſteskrankheit zu finden


der geiſtigen Gemeinſchaft zwiſchen den Ehegatten be-
wirkt? Wer will ſich vermeſſen, mit voller Sicher-
heit zu hehaupten, „jede Ausſicht auf Wiederherſtellung,
wie ſie der Entwurf verlaͤngt, ſei bei einem Geifte3-
kranken ausgeſchloſſen? Dies mit voller Sicherheit zu


ſein, und daß ſich ſelbſt ärztliche Autoritäten in dem


weiſt das tägliche Leben zur Genage! Stets werden
viele Fälle übrig bleiben, in denen ſich die Scheidung


als eine nicht zu rechtfertigende Härte darſtẽlit. Es
gehört zu dem edelſten Wefen der Ehe, daß die Ehe-
gatten wie Freude und Glück, auch Leid und Unglück
in treuer Gemeinſchaft tragen. -
Die Commiſſion für das bürgerliche Geſetzbu


ihrer Mehrheit die Streichung des Eingangs erwähnten
Paragraphen, welcher die Scheidung auf Grund der
Eeiſteskrankheit zuläßt, aus dem Entwurfe beſchloſſen.
Möge ſich dafür auch im Plenum des Reichstages
Stimmenmehrheit finden|! R.

B. Anſere Rolonialpolitik,
die ja allerdings aus leicht begreiflichen Gründen noch
keine hervorragenden Erfolge aͤufzuweiſen hat, iſt von
jeher ein Gegenſtand der heftigſten Angriffe ſeitens der
Judo-Demokratie geweſen. Um ſo mehr haben die


die große Bedeutung einer richtig geleiteten Kolonial-
politik im Volke zu verbreiten. Auch die Programme
der deutſch⸗ſozialen und der ſchwäbiſchen Reformpartei
enthalten daher übereinſtimmend die Forderung einer


Kolonialpolitik.
Unſere deutſchen Kolonien, die vor zehn bis zwölf
Jahren erworben wurden, umfaſſen in Afrika und
OÖgzeanien zuſammen einen Geſamtflächenraum von faſt
2'/2 Millionen Quadrai⸗Kilometern mit über 5'/2 Mill.
Einwohnern — das deutſche Mutterland zählt bekannt-

Seelen. Haben nun dieſe Kolonieen, die unſer Vater-
land ſchon ſo manches erhebliche Opfer an Menſchen-
Eben und an Geld gekoſtet haben, wirklich gac keinen
Wert, wie die extremen Gegner einer jeden Kolonial-
politik. die Bebel, Eugen Richter, Bamberger und
Genoſſen behaupten? So, daß man nach Richters
wiederholten Verſicherungen am beſten thäte, unferen
geſamten Kolonia beſitz ſo ſchnell wie möglich an den
Meiſtbietenden zu verſteigern? So, daß Caprivi mit
ſeinem von uns ſchon in unſerer letzten Nummer er-
wähnten Wort Recht hätte: „Je weniger Afrika, deſto


Faſſen wir zunächſt nur einmal die ideale Seite
der Frage ins Auge! Da muß denn doch ein Jeder,
der Augen hat zum Sehen, zugeben, daß der Beginn
und die Fortführung der deutſchen Kolonialpolitik viel
dazu beigetragen haben, das nationale Selbſtbewußtſein
des deutſchen Volkes zu kräftigen, ja, daß ſie unmitielbar
eine echte nationale Begeiſterung hervorgerufen haben.
Dieſe eine Thatſache kann gar nicht hoͤch genug ver-
anſchlagt werden in ihrem Werte für die gefamte Zu-
kunft unſeres Volkes, ſie erſcheint uns viel wichtiger,
als etwaige materielle Gewinne, die wir aus unferen
Kolonien ziehen könnten.
Selbſtverſtändlich aber iſt das deutſche Volk nicht
deswegen in die Reihe der Kolonialmächte eingetreten,


Söhne dahineinzuſtecken, ſondern um auch zahlenmäßig
nachweisbare Vorteile von den Kolonien zu haben!
Daß ſolche vorerſt noch nicht erzielt werden können,
daß vielmehr immer noch die Opfer, die für die


werden müſſen, ein gut Teil größer ſind, als die aus
dieſen erzielten Einnahmen, darf nicht Wunder nehmen.
Nirgends in der ganzen Welt kommt e& vor, daß man
zugleich mit der Saat auch ernten kann. Ueberall iſt
es vielmehr ſo, daß zwiſchen Saat und Ernte eine ge-
raume Weile liegt; daß der Geſchäftsmann zuerſt er-
hebliche Mittel zur Einrichtung ſeines Geſchäftes an-
legen muß, bevor er an Einnahme denken kann. Wenn
das ſchon in der Privatwirtſchaft ſo iſt, wieviel mehr






für die Erhaltung unſerex Kolonien geopfert werden


triebsfapital anzuſehen, das ſich in abſehbarer Zeit gut
rentieren wird.


noch andere Faktoren nötig als das Vorhandenſein des


anderen Umſtänden namentlich die zielbewußte, ſachver-
indi Bei den Kolonien aber ſpielt eine
wichtige Rolle die Frage, ob und unwieweit dieſelben

Bezugsquellen,

Objekte zu bieten. Das iſt bei unferen Kolonien faſt


eigentlich nur noch — die Arbeit! Koloniſatoriſche
Arbeit aber iſt, beſonders ſeitens der Regierung, noch
o gut wie gar nicht geleiſtet worden, und foweit das
doch geſchehen iſt, laͤßt ſich in der Regel das Wort
anwenden: Was das Schwert gewonnen hat, iſt durch
die Feder wieder verdorben worden!
unſerer Schutztruppen ſind ganz oder teilweiſe aufge-


als gerade in der Verwaltung der Kolonien.







Intereſſe der geſunden Weiterentwickelung unſeres


alten falſchen Gewohnheit, die Kolonien durch juriſtiſch


Beamte verwalten zu laſſen. Viele Fehler wären nicht
vorgekommen, wenn die Verwaltung der Kolonien in
den Händen erfahrener Männer aus dem Leben läge,


abex über ein klares Auge und Nüchternen Verftand
perfügen. Was haben uns nur die Juriſten Wehlan,
Leiſt u. A. geſchadet!


Zeit ſich für das Studium der Währungsfrage intereifiere


wärtig vorbereitet werden, über den Stand des Wäh-


befohlen worden, daß die letzten Werke über Bimetallismuͤs


dem deutſchen Kaiſer geſendet werden ſollen. Indem


ſie ſich beſtätigen möge, fügen wir zugleich hinzu, daß
es in weiten Kreiſen nanientlich der Landwirtfchaft,
mit größter Dankbarkeit aufgenommen werden wüärde,
wenn der Kaiſer ſich über die Währungsfrage, auf
derxen Löſung ſo große Hoffnungen gefetzt werden,
ſelbſt ein Urteil zu bilden wünſcht!

— Die öſterreichiſchen Ciberaleu, denen doch
das Bündnis mit den Juden ſo ſehr ſchlecht
bekommen iſt, ſcheinen immer noch der Anſicht zu ſein,
daß es ohne dieſe überhaupt nicht geht. Naͤchdem die
Bürgermeiſter⸗Augelegenheit in Wien nun endgültig
geregelt iſt, heißt es jetzt für die Antiliberalen, ſich
häuslich auf dem Rathauſe eiazurichten und da haͤtten
ſie der liberalen Minderheit von den beſoldeten Stadt-


Juden Stiasny. Die Aufſtellung der Kandidatur
Stigsny bedeutet eine unerhörte Provokation der
großen antiſemitiſchen Majorität des Gemeinderates,
denn daß dieſe keinen Juden wählen würde, konnten
ſich die liberalen Stadtvaͤter jchon an ihren 5 Fingern
abzählen. Offenbar hatten dieſelben auch lediglich die
Ahſicht zu ſtänkern. Nachdem natürlich der Herr
Stiasny bei der Wahl durchgeplumpſt war, legten alle
6 Gewählten die Uebernahme der Aemter ab, und gleich
darauf wurde von den Liberalen im Abgeordnetenhauſe
eine Anfrage an die Regierung geftellt, wie ſie die
Gleichbexechtigung der Juden gegenüber dieſer Hand-
lungsweiſe der Wiener Gemeindevertreter aufrecht zu
erhalten gedenke. Selbſtverſtändlich ſind die Juden
hierbei die treibende Kraft, aber dieſe ſowohl wie die
liberalen Frageſteller müſſen doch naͤchgerade ganz
unklug geworden ſein, daß ſie nun mit aller Gewalt
ſich ihres bischen Einfluſſes im Wiener Stadthauſe
 
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