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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 71 - No. 80 (3. Juli - 24. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0293

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Der „Badifhe Molkabote“ cr-
ſcheint dreimal wöchentlich.
Verlag und Leitung:
Beidelberg Lahuhofſtraße 9.
Telegramm⸗Adreſſe:
Yolksbote Heidelberg,

Anzeigenpreis:
Die 5gefpaltenc Petitzeile 10 Pfg.




Vreis vierteljahrlich *
durch den Briefträger frei in’8
Haus gebracht ME 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Bolen
in Heidelberg! M., von un;erer S

Erpedition abgeholt so P q
Voſt· Zeitungs Vreisliſte
Ar. 755





Dolitiſcher Teil.
wuas hat der Reichstag in der ver-

floſſenen Feſſion geleiſtet?
Mrüber ſpricht ſich die „D. Wacht“ folgendermaßen


tag am Donnerstag auseinandergegangen. In 119
Sitzungen, außer den nach vielen Hunderten zählenden
Einzelberatungen der Kommiſſionen, hat er ſein Arbeits-
penſum mit anerkennenswertem Fleiß und großer Hin-
gaͤhe erfüllt. Alle Vorlagen wuͤrden verabſchiedet bis
auf die Novelle zur Strafprozeßordnung, der Grund,
warum nicht der Schluß der Sitzungen, ſondern ledig-
lich dexen Vertagung bis zum Spätherbſt eingetreten ift.
Das bedeutungsvollſte der angenommenen Geſetze iſt
weifelsohne das neue Bürgerliche Geſetzbuch, das eine
Fülle neuer Gedanken und maͤnche weſentliche Ver-
beſlerungen gegenüber den ſeitherigen Rechtsberhält-
niſſen enthält. Freilich war ünſere Partei nicht in
der Lage, um der ſchönen Augen gewiffer Excellenzen
willen, ſich an dem Kompromiß des Zentrums und der


ledigung der Vorlage beteiligen zu können. Wir denken


Rechte des deutſchen Volkes, als daß wir hätten
wünſchen können, daß einem Geſetzbuch, an dem eine
Reihe hervorragender Fachmänner 20 Jahre lang eifrig
gearbeitet, in der ſo unvexhältnismaͤßig kurzen Frifl


bundenen Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit von der
— oberften Vertretung des deutſchen Volkes die ver-
faſſungsmäßige Zuſtimmung erteilt werde.


und die vertreten wir heute noch! — daß dieſe über-
mäßige Eile die große nationale Wirkung des neuen
Geſetzes welentlich beeinträchtigen müſſe, daß mit der
praktiſchen Durchführung des zweifelsohne lückenreichen
Werkes ſo viele Mißhelligkeiten entſtänden, daß in
weiten Kreiſen die Freude am Reiche ohne zwingende
Not geſchmälert werde. Wir wiſſen es unferen Paͤrtei-
genoſſen im Reichstage Dank, daß ſie in dieſem
Hexenſabhath von Phraſen und Gedaͤnkenwirren, von
Beſchimpjungen und dummdreiſter Behänſelung den
Mut fanden, allen Lockungen zum Trutz dieſem un-
fertigen Geſetz ihre Zuſtimmung zu verſagen. Es ge-
hörte der ganze Mut einer feſten, unerſchütterlichen
nationalen Ueberzeugung dazu, in dem Augenblick, da
alles der „patrigtiſchen! Phraſe zum Opfer fiel, einer
ganzen Welt voll Voreingenommenheit und Unkenntnis
gegenüber ſtandhaft zu bleiben! Dieſe mannhafte
Oppoſition der Vertreter der Deutſchſozialen Reform-
partei iſt eine That, zu der wir ſie von Herzen be-
beglückwünſchen: Die Partei hat ein ſteifes Rückgrat
gezeigt in ſchwerer Zeit — das berechtigt zu den
ſchönſten Hoffnungen für eine erfolgreiche Zukunft!
Eine ganze Reihe neuer Geſetze iſt ferner
zuſtande gekommen. Die Gewerbeordnungsnovelle, das
Börſen⸗ und Depotgeſetz, das Geſetz gegen den un-
lauteren Wettbewerb, das neue Genoffenſchaftsgeſetz
u. |. f. ſind Werke von großer wirtſchaftspolitiſcher
Bedeutung, die den produzierenden Ständen unferes
Volkes endlich den Schutz und die Stütze bieten, deren
ſie in unſerem heutigen Wirtſchaftsleben ſo dringend
bedürfen. Für die Marine ſind bedeutende Schiffs-
bauten zu den früher beſchloſſenen und teilweiſe noch
nicht ausgeführten bewilligt; die Armee iſt verſtärkt
worden durch die Ueberführung der vierten Bataillone
in eine neue Organiſation. Für die Kolonien ſind
vermehrte Mittel bewilligt worden. Auch ein Handels-
vertrag iſt abgeſchloſſen worden — mit Japan — er-
freulichecweiſe unter günſtigen Bedingungen. Alles in
allem genommen iſt dieſe Tagung des Reichstages von
großen Erfolgen begleitet geweſen. Der Liberalismus,
der in den jüngſten Tagen noch einmal feine lahmen
Schwingen ſchlug, hat endgültig abgewirtſchaftet, ſeine
Macht im deutſchen Parlament iſt gebrochen. Schmerz-
erfüllt ſteht Eugen Richters tieftraurige Geſtalt am
Sarge der wancheſterlichen Herrlichkeit, grollend hlickt.
er auf die hinter ihm liegende Geſetzgebungsperiode,
und knurrend entfährt dem Zaun der Zähne das be-
zeichnende Wort: „Ein Bündel ſchlechter Geſetze!“
So leitartikelt und poliert er heute nach Herzens-
luſt in ſeiner „Freiſ. Ztg.“ Zwei Gefühle ſtreiten
; 9 in ſeiner Bruſt. Selbſtbewußt ruſt er: „Im
Reichstag aber ſind es faſt nur noch die Freiſinnigen,





welche ſich ſtemmen gegen die fortgeſetzte Schädigung
des Gemeinwohles? doch, als ob er das Hohnge-
lächter aller Vernünftigen fürchtete, ſetzt er gleich


ſich in der Hauptſache von den Strömungẽn treiben!“
Ihn fcheint es tief zu bekümmern, daß das enfant
terrible Sr. Durchlaucht des Reichskanzlers ſo wenig
Einfluß auf den Gang der Ereigniffe befitzt; das wäre
ſo ein Nann nach ſeinem Geſchmacke! Doch auch die


Börfen-⸗Preſſeklagt bitterüber die wachſende, Reattion“
Wir glauben's ihnen gern, e& muß ein bitteres Gefühl
ſein, fih am Ende der eigenen Macht zu wiſſen.
Tiefe Schatten auf unfer öffentliches Leben warſen
die Erörterungen über die Fälle Peters und Baſhford,
hoffentlich werden dem deutſchen Volke in Zukunft
derartige Zeichen natignaler Erniedrigung erfpart
bleiben. Obwohl dem Präſidium fchwere Vorwürfe
betre ſeiner Geſchäftsführung nicht erſpart werden können,


Ganzen ſeines Amtes mit Sachkenntnis und Fleiß ge-


aber noch zu wünſchen übrig. Man mag innerhalb
des Reichstages, nach dem Stärkeverhältnis der Lin-
zelnen Fraktionen über die Beſetzung des Präſidiums
anderer Meinung ſein, im Voͤlke wird zweifelsohne
eine ultramontan freiſinnige Geſchäftsleitung als ein
trauriges Zeichen parteipolitiſcher Verwirruug und


ſchiedenen Fälle pon Disziplinarwidrigkeiten ſeitens
Vitglieder des hohen Haufes an der Ungleichheit des
Maßes, mit dem dabei gemeſſen wurde, wiẽ auch manche
Eigenmächtigkeiten in Feſtfetzung der Tagesordnung,
in der Schätzung der Beſchlußfähigkeit des Haufes
und anderes mehr dargethan. Wir ſind weit davon


den ganzen Reichstag für die Fehler einzelner verant-


Tagung hat wiederholt den Beweis geliefert, daß es
Pflicht aller wahrhaft national gefinnten Deutſchen
ift, unabläſſig um die Läuterung unferes öffentlichen
Lebens und unſerer parteipolitiſchen Verhältuiſſe de-
Die mächtige Gährung in den Kreiſen
unjerer ſchaffenden Stände und ihr Kampf gegen die
Ausbeutung und drohende Vernichtung durch das Groß-
kapital haben unſerer Zeit den Stempel des Sozialismuͤs
aufgedrückt. Sorgen wir dafür, daß alle Einſichtigen
unſeres Volkes ſich einigen auf dem Boden einer durch-
aus nationalen und zuverläfſig monarchiſchen Welt-
anſchauung, die ſich nicht damit begnügt, den Dingen
ihren Lauf zu laſſen, ſondern, getragen von dem Ver-
antwortlichkeitõgefühl dem ganzen Volke gegenüber, rück-
ſichtslos im Sinne einer vernünftigen fozialen Reform


aus unſerem deutſchen parlamentariſchen Leben ver-


Hinterliſt und feige Ueberrumpelung, Verleumduͤng,
Entſtellung und politiſche Verketzerung — alles Er-
rungenſchaften der jüngſten parteipolitiſchen Aera, ſind
bedauexliche Zeichen einer entfetzlichen Vergiftung unſeres


dies erbärmlich Gewaffen nicht entnommen. Jammern
und wehklagen, ſchimpfen und verleumden hat noch nie
ein Volk groß gemacht. Auf uns ſelbſt müſſen wir
uns wieder befinnen, ganz deutſch, d. h. ehrlich und
freimütig müſſen wir wieder werden und mit blanker,
d. h. reiner Geiſteswaffe gegeneinander kämpfen —
wenn'z Not thut! — dann lernen ſich die deutſchen
Parteien wieder gegenſeitig achten. Alles andere findet
ſich dann von ſelbſt zum Heil des ganzen Volkes und
ſeiner Vertretung!

Verabſchiedete Winiſter. In der „Germania“
und im Reichsboten finden wir eine Zuſammenſtellung
der Miniſter, die ſeit dem Regierungsantritt des Kaiſers,
d. i. ſeit acht Jahren, verabſchiedet wurden. Ihre Zahl
beläuft ſich auf 18, und zwar ſind dies: 2 Juſtiz-
miniſter: v. Friedberg (1889) und v. Schelling (1894),
3 Kriegsminiſter: Bronſart v. Schellendorf . (1889),
v. Verdy (1890) und v. Kaltenborn Stachau (1893),
2 Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten: Fürſt
Bismarck czugleich Miniſter für Handel und Gewerbe)
(1890) und Graf Laprivi (1894), 1 Miniſter ohne
Portefeuille: Graf Herbert Bismarck (1890), 1 Finanz-
miniſter: v. Scholz (1890), 2 Landwirtſchaftsminiſter:
Freiherr v. Lueius (1890) und v. Heyden-Cadow



7, Tahrgaug.

ciss9, * Cultusminiſter: v. Goßler (1891) und Graf
Zedlis (1892), 1 Miniſter der öffentlichen Arbeiten:


(1892), Braf Eulenburg (1894) und v. Köller (1895)
und 1 Miniſter für Handel und Gewerbe: Freiherr


Das Gefeß gegen den unlauteren Wetkbewerb,
welches am 1. Juli in Kraft getreten ift, macht fich
bereits bemerkbar. Der Elberfelder Detailliften-Berein


miſſion von zehn Mitgliedern zur Ueberwachung des
unlauteren Wettbewerbs eingeſezzt. Sie foll in Bers
bindung mit einem Elberfelder Rechtsanwalt in erſter
Linie den in Geſchäftsreklamen u. ſ. w. ſich irgendivie
kundgebenden unlautern Wetthewerb unterdrücken. Wahr-
ſcheinlich wird in andern Städten in ähnlicher Weife
vorgegangen werden. — Aus Berlin wird ferner ge-
ſchrieben: Der unlautexe Wettbewerb, deſſen Straͤf—


werden kaͤnn, hat ſich zunächſt auch von dem Gebiete


ſeit einigen Tagen ſind die Gelegenheitskäufe für aͤlle


fauf „wegen plötzlicher Abreiſe eines Geſandten,“ kein
Verkauf von Ausſtattungsgegenſtänden „mwegen Mufs
hebung eines Verlöbniſſes“ und namentlich auch das


zum Verkauf ausbietet, iſt aus den täglichen Anzeigen


Umzug bewerkſtelligte, fiel e& ihm auf, daß die von

dem Ziehfuhrmann geſtellten Arbeiter ſchon früh am
Tage ziemlich angeſtrengt ausſahen.
Iche Frage erzählte einer der Zieh-Männer, daß dieſe
Arbeiter bereits früh am Morgen ſechs Kaſten Kla-
viere) aus vexſchiedenen Straßen zuſammengeholt und
zu dem betr. Fabrikanten zurückgefahren hätten! Dieſer


aber da das nach dem neuen Geſetze nicht mehr fein
dürfe, ſo habe der Fabrikant die Inſtrumente überall
zurückholen laſſen. Dieſe „hilfsbedürftigen Witwen“


dem Fabrikanten je nach der Höhe des Verkaufspreiſes
eine regelrechte Vermittelungsgebühr. Dieſem Anzeigen-
ſchwindel iſt nun ein Ende gemacht.
* Sine Nede des Weihbiſchofs Knecht, welche der-
ſelbe bei der Einweihung der Bernarduskirche in
Karlsruhe gehalten hat, wird von der „Karlsr. Ztg.“
wörtlich wiedergegeben mit der Bemerkung, es ſei eine
nach Inhalt und Form hervorragende ſözialpolitiſche
Rede.“ In derſelben heißt es u. a.: „Die ſoziale
Bewegung unſerer Zeit, welche in allen Kulturſtaaͤten,
in allen ziviliſierten Ländern und beſonders in unſerem
Deutſchen Reiche im Vordexgrund aller Fragen ſteht,
dieſe ſoziale Bewegung würde nicht eine ſo ſchreckhafte


würde durch den Unglauben, durch die unchriftlichen
Gedanken, die mit fanatiſchem Eifer in deu Maſſen
der arbeitenden Bevölkerung verbreitet werden. Die
Fundamentalwahrheit einer Religion: das Daſein des
lebendigen Gottes, vor deſſen Angeſicht wir ſtehen, die
Unſterblichkeit der Seele, Vergeltung im Jenſeits, wird
frech geleugnet. Man hat den Materialismus und


innerer Notwendigkeit jene traurige Parole: „Mach’
dir das Leben gut und ſchön, kein Jenſeits giebt's,
kein Wiederſehn?; und in Folge dieſer Gottesleug-
uung, dieſes Unglaubens, wird die Genügſamkeit, die


der Tierſinn der menſchlichen Natur (wie Beftalozzt >
ſich auszudrücken pflegte) wird wach gerufen, und des-
halb ſehen wir inmitten der chriſtlichen Staaten eine

mächtige Partei, die den Umſturz alles Beſtehenden
auf ihre Fahne geſchrieben und die ſoziale Frage ſo
akut gemacht hat. Geliebte Zuhörer! die ſozialen Re-
formen der wirtſchaftlichen Geſetzgebung können vieles
beſſern und vieles verhüten, inſoweit ſie von den Ge-
danken und Grundſätzen der chriſtlichen Gerechtigkeit
und Liebe getragen werden; aber die letzte Entſcheidung,
die liegt auf religiöſem Gebiet. Darum thut, Geliebte,
nichts mehr Not, als daß der chriſtliche Glaube und
das chriſtliche Leben in allen Kreiſen des Volkes gepflegtund
erhalten werden. Schon vor Jahren hat deshalb ein
Sozialpolitiker, Prof. Wilhelm Roſcher, geſchrieben:
„Es müſſen Kirchen gebaut werden in den großen
Städten, mehr Kirchen, und es müſſen Geiſtliche, mehr
 
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