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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 71 - No. 80 (3. Juli - 24. Juli)
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Der „Badilı d;é Yolksbote“ er-
ſcheint dreimal wöchentlich.
Verlag und Leitung:
Beidelbers Sahuhorntaße 9,
Telegramm⸗Adreſſe:
Volkabote Heidelberg,








ſchalter oder durch unfere Boten
; in Heidelberg 1 M., von un;eret
Erpedition abgeholt do X g.



ei is: ſt- Zeitungs Vreiali
— — — —
M SOo. Heidelberg, Ereitag, den 24. Inli 1896. * JZahrgang.



Dolitiſcher Teil.

B. Das Bürkergewerbe, ——

ein Opfer moderner „Sozialpolitik“,
Aus München wird gemeldet: ;

.. Dbwohl die neuen Bejftimmungen des Bundesrats

über den Betrieb von Bäckereien und Konditoreien nur

kurze Zeit Kraft ſind, ſo hört man über ihren 2
in den beteiligten Kreifen nur die bitterſten Klagen Wie




- Beſtimniungen ausſprachen, beweift die That ache, daß nur
die größeren Geſchäfte das nötige Berfonal zur Durch-
führung der Arbeitsſchichten jtellen können, während die
Aeineren Geſchäfte, welche nur einen oder zwei Geſellen
halten fönnen, kaum mebhr in der Laͤge ſind, ihr Geſchäft
fortzuführen. Nach der ungefähren — ſind aber
neun Zehnte aller bayeriſchen Bäckereien in dieſer Lage.
Die hieſige Bäckerinnung hat deshalb wiederholt Proteite
und Refolutionen gefaßt, welcdhe den Bundesrat auffordern,
die Verordnung vom 4.
Wie die „A. M. 3tg.” beitimmt vernimmt, verſchließt man


auS nicht dem Thatbeſtande/ der eingetreten iſt und den
Befürchiungen der Bäcker über den bevorſtehenden Ruin
des kleinen Bäckergewerbes. Auf dem Lande ſind die
Klagen über die neuen Beſtimmungen noch laͤuter geworden.
In Oſtpreußen ftreifen die Bäckermeiſter zum
Teil und wollen fortan kein Haushackbrot und Kuchen
zum Backen annehmen. In Lyck hat dieſer Beſchluß
der Bäcker die Einwohnerſchaft ſehr in Harniſch ge-
ſetzt, und ſie hat der Innung eine dreitägige Bedenk-
geit gegeben Aendern die Baͤckermeiſter in dieſer Zeit
ihre Anſicht nicht, dann ſollen neue Bäckereien ent-
ſtehen. Der Vorſtand der Bäckerinnung Oſterode
macht folgendes bekannt: „Laut Bundesratsberordnung
vom 4. März 1896 ſtehen den Bäckern nur zwölf
Stunden Arbeitszeit zu; da ſelbige mit dieſer kurzen
Spanne Zeit nicht auskommen, ſind ſie gezwungen, die
Hausbackbrote und Kuchen vollſtändig auszuſchließen;
S werden aljo von jetzt ab keine Hausbrote fowie
Luchen zum Backen angenommen. HIn den meiſten
Bäckereien fängt die Arbeit des Abends S oder 9 Uhr
an und muß, um nicht gegen das Geſetz zu verſtoßen,
ſpäteſtens um 8 oder 9 Uhr morgens beendet ſein.“
Aehnliche Nachrichten wie aus dieſen ſo grund-
verſchiedenen Gebieten Deutſchland liegen auch aus faſt
allen übrigen deutſchen Landesteilen vor. Wir haben
darin aufs neue wieder einen ſchlagenden Beweis dafür,
mit welcher Leichtfertigkeit die Regierung,
unter dem Einfluß des früheren Minifter8 v. Berlepſch,
Sozialpolitik zu treiben pflegt. Uns geben dieſe Er-
fahrungen mit der vielgepriefenen Bäckerei⸗Verordnung
Anlaß, aufs neue unſere Stellung ſowohl praktiſch zu
dieſem beſonderen Falle als auch zur moderhen Sozial-
dolitik prinzipiell und allgemein nochmals mit aller
Deutlichkeit zu kennzeichnen. Wir wiffen uns dabei
im Einverſtändnis mit der Leitung der deutſchſozialen
Reformpartei, die ja bekanntlich im Reichstage am
ſchärfſten von allen Parteien gegen die Bäckerei-Ber-
ordnung geſprochen und geftimmt hat.


die Fürſorge für die Arbeiter an ſich zwar eine recht
ſchöne und erſtrebenswerte Sache ſei, und- auch von der
deutſchſozialen Reformpartei, wie ihr Programm be-
Heiſt, eifrig gefördert wird, daß wir ſie aber erft dann
für durchfuͤhrbar und heilſam halten können, wenn
vorher die berechtigten Klagen des Mittelſtandes ab-
deſtellt ſind, wenn durch geignete durchgreifende Re-
fermen im wirtſchaftlichen Leben die Angehörigen des
Nittelſtandes in ihrer Exiſtenz wieder ſichergeſtellt
ſind. Denn auf der beſchritienen Bahn weitermachen,
dem Arbeiterſtande „helfen“ mit den Mitteln, die man
dem ohnehin ſchwerbedrängten Mittelſtande raubt, heißt
im Lehen des Volkes den Aſt abſägen, auf dem man
ſitzt. Die Grundlage, das Fundament der deutſchen
Geſellſchaftsordnung iſt nun einmal nicht der Fabrik-


Bauerntum. Diefe müſſen zunächſt in geoͤrdneten,
geſicherten Verhältniſſen leben, ehe man daran denken
fann, andere Berufsſtände von Staatswegen auf ihre
Koſten zu unterſtützen.

Das hätte man auch bedenken ſollen in den Kreiſen
der Regierung und der ſozialpolitiſchen Volksvertreter,
_ als man daran ging, die Bäckermeiſter zu gunſten ihrer
Arbeiter zu ſchröpfen. Leider, trotz den eindringlichen
Warnungen der Reformpartei, iſt das nicht geſchehen
— die Folgen zeigen ſich nur allzubald. Man hat
eben „Arbeiterpolitik“ treiben wollen um jeden Preis,
und da fand man im Bäckergewerbe ein willkommenes









Verſuchs-Karnickel. Man zog nicht in Betracht, daß
die große Mehrzahl der Bäckermeifter durchaus nicht
auf Roſen gehettet ſind; auch nicht, daß ihre fernere
Exiſtenz durch die immer weitere Ausdehnung der
Conſumvereine ſchwer bedroht wird. Im Gegenteil
war die ſehr merkwürdige
daß gerade die eifrigſten Fürfprecher der Conſumvereine
auch für die neue Zäckerei· Verordnung am waͤrniften
Antraten — die Sozialdemokraten! Etwa aus


ſehr wohl, daß beide Faktoren — Konſumverein und
Maximal- Arbeitstag im Bäckergewerbe — geeignet


verhältnismäßig gefunden Gewerbes zu vernichten. Das
aber bedeutet einen mächtigen Schrilt weiler auf der



greifen der modernen „Sozialpolitik.“ Wenn die
Arbeitszeit auch eine ziemlich lange war, ſo war doch
die Arbeit ſelbſt durchaͤus keine foͤche, daß ſie die Ge-
ſundheit der Arbeiter hätte gefährden können. Im
Gegenteil! Es iſt ſtatiſtiſch feſtgeſtellt, daß die Er-
krankungs⸗Gefahr für die Ärbeiter der Bäckerei eine


höhere ſei als bei den übrigen Arbeitern.


bisher durchſchnittlich ein ſo gutes Verhaͤltuis, wie faſt
in keinem andern Gewerbe. Auch das iſt zum großen


die der Gefellen auseinaͤnder geriſſen hat. Hierzu
kommt noch, daß ſchon die ſ. Zt. eingeführte So nntags-
ruhe dem Bäckergemerbe wie jo manchem anderen!


doch 3. B. die Berliner Bäckermeiſter den Ausfall,
den ihnen die Sonntagsruhe brachte, auf 3 Milionen


Ausfall von über '/2 Million feſtgeſtellt haben. Im


ſein. So treibt man heutzutage „Sozialpolitif“,
indem man den Mittelſtand ruiniert! Daran


werden ſoll, wenn die Arbeitgeber ihre Betriebe ein-
ſtellen müſſen! Wenn nur nach außen hin die Fürſorge
für die Arbeiter herausgekehrt, wenn nur der tolle
Wettlauf mit der Sozialdeniokratie mitgemacht wird!
Dieſer Wettlauf aber muß mit dem Siege der Sozial-


ſtand zu zertrümmern, damit der Herrſchaft des


Wir ſtehen auf anderem Staͤndpunkt. Zuerſt
die Axbeitgeber, zuerſt den Mittelſtand ſicher ſtellen


ihn anhalten, daß er für ſeine Arbeitnehmer nach


die zum Segen des Ganzen führen wird. Die moderne
„Sozialpolitif“ dagegen führt in den Abgrund
Praktiſche Sozialpolilik iſt ın allererſter Linie „Mittel-
ſtandspolitik⸗.

Eine Schande für unſer Wadenland iſt die
widerliche Bauchkriecherei der Badedirektion und der
Stadtobrigkeit von Baden⸗Baden vor den ausländiſchen
Kurgäſten Jedem datriotiſchen Deutfchen und be-
ſonders jedem nationalſtolzen Badenſer muß die Scham-
röte ins Geſicht ſteigen, wenn er erfährt, wie ſeitens
der genannten Behörden in ſchmählicher Weiſe das
deutſche Nationalbewußtſein mit Füßen getreten wird,


nit nach Hauſe nehmen muß, als ſei das deutſche
Valk ein Volt von Sklavenfeelen. In Nr. 74 des
„Badiſchen Volksboten“ teilten wir eine Zuſchrift mit,
aus der herporging, daß beim Jubiläum des Tages
von Sedan die alten Soldaten am Abend in aller
Stille in der abgelegenen Turnhalle abgeſpeiſt worden
ſind und daß nicht einmal auf dem Rathaufe eine
deutſche Fahne wehte. Dagegen wurde der National.
Feſttag der nordamerikaniſchen Union pomphaft
begaugen. Die Krone aber ſetzen die Bedientenſeelen
in Baden-Baden ihrer „patriotiſchen“ Handlungsweiſe
dadurch auf, daß ſie, wie das „Stuttg. R. Taͤgebl.“
berichtet, — ſollte man es für glaublich halten?! —
„am Vorabende der franzöfiſchen National-
feier“ auf der Wieſe vor dem Konverſationshaufe ein







vecht franzöſiſches Feſt“ veranſtalteten und zwar einen
al champetre, „wie es in Paris, ja in ganz
Frankreich am Vorabende des 15. Juli Sitté
iſt.“ — Der Hauptmacher dieſer „Nationalfeier war
der neue Kurdirektor Stadirat O Weber. In


heißt es:
Möge ein gleich glücklicher Stern, wie über dem
geſtrigen ländlichen Baͤll auch über den Arrangements
unjerer Konzerte walten, die bis jebt viel zu münfchen
übrig ließen. Dann wird Baden-Baden nach und nach
ſeinen altbemährten Ruhm unter der neuten Leituus
ſicher wieder erhalten.“ *
An welchen „Ruhm“, fragt die „D. 3.“, der Herr
Kurdirektor nur denken mag?! Im ganz Deutſch-
land wird man ihm hoffenflich die Antwort geben!
Sehr treffend bemerkt die „Poſt!: „Dagegen, daß
eine Kurdirektion in einer deutſchen Stadt, die die
Sommerreſidenz eines Fürſten iſt, der jederzeit


Lationalgefühl vetont und gefördert hat, eine
Feierlichkeit zu Ehren eines franzöſiſchen Re-

volutionsfeſtẽs veranſtaltet, deſſen Charakter

vor ſieben Jahre ganz Deutſchland abhielt, ſich an der
zu ſeiner Verherrlichung beftimmten Pariſer Weltaus-
ſtellung zu beteiligen/ fönnen wir nicht energiſch genug
xroteſtieren.“ — — Ja, es iſt, wie wir oben er-
klärten, eine Schande für das ganze Badenland,

Wir ſind ſehr begierig, welche Schritte die Gr. Res
gierung gegen dieſe Vergewaltigung der deutſchen
Nationalehre ergreifen wird; jedenfalls wäre es ein


gierung nicht durch disziplinare Maßnahmen, die
ihr jedenfalls zu Gebote ſiehen, offen ihr Mißfallen

über den Französlıng, Stadtrat und Kurdirektor
Weber, ausdrücken follte. Sehr bezeichnend iſt das
Verhalten der nationalliberalen Preſſe, die ſonſt immer
die Backen voll nimmt und nie marktſchreieriſch genug
auspojaunen kann, daß ſie gewiſſermaßen daͤs nationale
Ehrgefühl in Erbpacht genomnien habe Jetzt bringt
kein einziges nationalliberales Blatt auch nur
eine Zeile des Mißfallens über die das deutſche
Nationalgefühl beleidigende Handlungsweiſe der Kur-
direktion in Baden⸗Baden. Die „National“-Liberalen


Ss Der Jall Nafhford wird in der jüngſten
Nummer der „D. Poͤſtzig.“, herausgegeben vom Ver-
hande deutſcher Poſi⸗ und Telegraphen⸗Afſiſtenten, einer
ſehr ausführlichen Kritik unterzogen. Die Borkomm:
niſſe am Schalter des Berliner Haupitelegraphenamtes


Geund der amtlichen Ausſagen der Beteiligten dar-
geſtellt. Die beleidigenden Aeußerungen Baſhfords
ſind in direkter Rede angeführt und wirken deshalb
um ſo draſtiſcher. Die Darſtellungen des Abgeordneten
Liebermann von Sonnenberg bei Begründung der An-
frage in der Reichstagsſitzung vom 18. v. werden
vollinhaltlich beſtätigt! Die Gegenrede des Staats-
ſekretärs des Reichspoſtamtes, Herrn v. Stephan,
wird bis in die kleinſten Einzelheiten für unwahr


ſolch hochſtehender Beamter ſich in dieſer Weiſe ver-
Unangenehm berührt es aber, wenn
man aus dem Artikel der „D. Poſtztg.“ erſieht, daß
der beleidigte Beamte trotz alledem die Beleidigungs-
klage gegen Baſhford nicht eingereicht hat und auch
nicht einreichen will. Die Furcht vor dem Reichspoſt-
amte muß doch eine ſehr große ſein, daß ſie ſich felbft
auf die Gebiete erſtreckt, mo der Beamte thatfächlich
im Recht iſt. Wenn dann die „D. Poſtztg.“ ſchreibt:
Daß die Mehrheit des Reichsta es gegen eine Be-
ſprechung der Interpellation ſtimmte, iſt zwar bedauerlich,
aber erflärlich, mir rechten mit den Gerren Abgeord-
neten nicht darüber“, ;
ſo wiſſen wir wirklich nicht, ob die „D. Poſtztg.“ die
Vexhandlungen und die daran geknüpften Preßäußerungen
nicht verfolgt hat oder ob hier die Furcht vor den


eben ſo ſtark iſt, wie die des beleidigten Beamten
Herrn Kaiſer vor dem Reichspoſtanite. In der
antiſemitiſchen Preſſe iſt wiederhoͤlt mitgeteilt, daß
man von konſervativer und nationalliberaler Seite in
die Tebatte eingreifen wollte, und doch erſcheint der
„D. Poftztg.“ das Verhalten der Mehrheit „erklärlich“.
Hat die Zeitung gar kein Gefühl für das allgemeine


rſcholl, als der Präfident die Sache für „aͤus“ er-
klärte? Hoffentlich beſteht zwiſchen dieſer Haltung der
 
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