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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 71 - No. 80 (3. Juli - 24. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0313

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Yolksbote Heidelberg,


Anzeig .
Die ögefpal’tene Petitzeile 10 Pfg.

gadiſchen








ſchalter oder durch unfere Boten
in Heidelberg 1 M, von unſerer
Erpedition abgeholt SO Pfg.
Voſt· Zeitungs· reisliſte
VUr. ↄõs.



M 78S.
Zolitiſcher Teil.

Die deutſch ſoziale Reformpartei
und die Konſervatinen.
Eine geharniſchte „Philippika“, die der bekannte
Anhänger Ahtwardt's, Herr v. Moſch gegen die
Leitung der Deutſch⸗ſozialen Reformpartei Losgelaffen
hat, wird von dex Judenpreſſe mit wollüftigem Behagen
wiedergegeben als ein Zeichen des „Niederganges des
Antifemitismus.“ Die Herren Hebräer und Halb-
hebräer können ganz beruhigt ſein die paar Duͤtzend
Antiſemiten, die in der Gefolgſchaft der Herren v.
Moſch und Ahlwardt marſchieren und es ſich zur Aufgabe
machen, fort und fort gegen die Deutſch⸗ſoziale Reform-
parteı zu hetzen, thun der Sache keinen Abbruch! Die
Deutſch ſoziale Reformpartei iſt feſter gefügt als irgend
eine andere Partei im Reiche und es ſcheint ſo als
ob die alten Parteien, deren Gefüge in raͤpider Weiſe
zerhrockelt, aus Neid in hämiſcher Weiſe einen Haus
Moſch zitieren, deſſen Anſichten für die Gefamt-
Entwickelung des Antiſemitismus von ganz mini-
maler Bedeutung ſind.






Ergüſſe des Herrn v. Moſch ausbeuten, ſo nimmt das
nicht Wunder; wenn dies aber auch Zeitungen der


angeblich dem Antiſemitismus huldigt, thun, ſo iſt das
bedauerlich. Allerdings hat es den Anſchein, als ob
der iugendliche Geiſt, der die Konſervativen ſeit dem
Tage vun Tivoli erfüllt hat, wieder im Schwinden be-
griffen iſt. Dies hat Herr Liebermann v. Sonnen-
berg in den Deutſch Sozialen Blättern“ kürzlich aus-
führlich dargelegt. Die „Staatsb. Ztg.“ komnit auf
den genannten Artikel zu ſprechen und aͤußert ſich dazu
in folgender Weiſe: In einer in den letzien Nummern
der „Deutfch-fozialen Blätter“ veröffentlichten Artikel-


Stellung zum Antiſemitismus eingetreten ift, und daß
das Tivoliprogramm in Vergeſſenheit geraten zu ſein
ſcheint. Bei jeder Wahlniederlage der Konſerbativen
ergeht ſich deren Parteipreſſe in Angriffen und Ver-
dächtigungen gegen die Antiſemiten, obwohl faſt überall
die Läſſigkeit und das Ungeſchick der Konſervativen
die Urſache des Mißerfolges geweſen iſt. Nach der
Wahl in Neuruppin hat ſich B. die „Kreuz-Ztg.“
nicht geſcheut, die Leitung der Deutſch⸗ſozialen Reforin-
partei eines perfiden Doppelſpiels zu bezichtigen, und
nachdem die vollſtändige Grundloſigkeit jener Be-
jchuldigung nachgewieſen war, hat fie ſich nur auf die
Wiedergahe des darauf bezuͤglichen Artikels der


ſchränkt, ohne auch nur ein Wort der Entſchuldigung
und des Bedauerns über die leichtfertige Verunglimpfung


Verhalten der konſervativen Preſſe iſt nach jenem
Artikel auch das Auftreten einzeiner Mitglieder der
konſervativen Reichstagsfraktion. Der Verfaſſer, Ab-
geordneter Liebermann v. Sonnenberg, ſtelli feſt, daß
in der konſervativen Reichstagsfraktion vorzugsweiſe
die Abgeordneten v. Maſſow und v. Pooͤbtelski
gegen den Antiſemitismus agitiren und daß des weiteren
der jetzige Geheimcat v. Holleufer, der bisherige
Vertreter für Löwenberg, in der konſervativen Fraktion
Stimmung gegen die Antiſemiten und für den Gouver-
nementalismus zu machen verſucht. Er Gerr v.
Holleuffer) hat ſogar neulich, ſo heißi e& in dem Artikel
wörtlich, im Waͤndelgange des Reichstags ſo laut,
daß es Abgeordnete unſerer Partei hören mußten, ge-
äußert, wenn es nach ihm ginge, würde er ſich
gegebenen Falles mit den Freiſinnigen gegen
die Antiſemiten verbünden.


ſodann den Verfaſſer, das Konto zwiſchen Konſervativen
und Antiſemiten näher zu prüfen. Die Drohung der
Kreuz⸗Ztg.“, daß die konſervative Partei den Freund-
ſchaftsdienſt der Antiſemiten in Halle-Herförd im
Gedächtnis behalten und gegebenen Falles daraus die


mit den Worten: „Was in aller Welt hat denn die
Deutſchſoziale Reformpartei von den Konfervativen zu
hoffen oder zu fürchten?“ Es wird ſodann feſtgeſtellt, daß
nicht weniger als 15° konſervative Abgg. ihre Mandate
der thatkräftigen Hilfe der Antiſemiten zu verdanken
haben und daß man mit der politiſchen Haltung dieſer





Fonntag,

Herren im Reichstage bis auf den Abgeordneten
Jacobskötter keinen Grund habe, unzufrieden zu ſein.
Die Konſervativen dagegen haben nur in einigen
ſächſigen Wahlkreiſen im Jahre 1893 in der Stich-


zieht hieraus den Schluß, daß die Deutſch⸗ſoziale


* Fehdehandſchuh ohne Bedenken aufnchmen

önnte.
Auf jenen Artikel, insbeſondere auf die Annagelung

der Herren von Mafſow, v. Podbielski und von


denz“ zunächſt mit einigen nichtsſagenden und unver-


die mit größter Vorſicht aufzunehmen ſeien, warnte
vor verdächtigen Ohren und erklärte, verſichern zu
fönnen, daß der Betreffende nicht einmal richtig ge-
hört hat. Darauf erwiderte der Abg. Liebermann


ſozialen Blätter?:„Die genannten Herren haben ihre


häufig in den allen Abgeordneten zugaͤnglichen Wandel-
gängen zum beſten gegeben, daß ſie wirklich nicht be-
anſpruchen können, daß ihre Aeußerungen als vertrau-
liche angeſehen werden. Herrn von Hoͤlleuffer's Aus-


gegen die Antiſemiten verbinden möchte, ift außerdem
von einem der Herren beſtätigt worden, an die er
gerichtet war. Uebrigens dürften, ſo heißt es weiter,
die genannten Herren auch ſelber kaum geneigt ſein,
in Abrede zu ſtellen, daß ſie unſere erbitterſten Gegner
ſind, denen ſich in neueſter Zeit auch noch Herr don
Leipziger, Vertreter für Wittenberg, zugeſellt hat.
Man wird es uns billigerweiſe nicht verdenken können,
wenn wir die Entfernung dieſer Herren aus dem
Reichstage in Auge faſſen!“ - /
Nachdem dann noch an andere Vorgänge der
neueſten Zeit, die den Kelch zum Ueberlaufen gebracht
haben, erinnert worden, z. B. an das Verhalten der
Konſervativen bei der Baſhford-Interpellation,


Anzeichen des Verfalls und der Disziplinloſigkeit in
der konſervativen Partei mehren ſich in bedenklicher
Weiſe, ſo daß ſie kaum beſonders getroſten Mutes
den Wahlkämpfen im Jahre 1898 entgegenſehen kann.“

Nachdem die „StaatsbeZtg.“ noch auf die Wahl
im Kreiſe Löwenberg, der bisher von Herrn von


der Hetze gegen die Antiſemiten den Konfervativen
verloren geht (vgl. Partei⸗Nachrichten), kurz zu ſprechen


Von der Wahl in Löwenberg abgeſehen, war die
Erörterung des Vechältniſſes zwiſchen Antiſemiten und
Konſervativen auch aus dem Grunde notwendig, weil


rungen in der konſervativen Partei angebahnt haben


Richtung die Oberhand gewinnen wird. Wenn der
Gouvernementalismus in der konſervativen Partei ſo,
wie in der letzten Zeit, Fortgang nimmt, dann wird
ihre Selbſtändigkeit bald ganz verloren ſein. Das
Tivoli⸗Programm erfordert aber eine ſolche Selbſt-
ſtändigkeit und kann ohne dieſe nicht zur Durchführung
kommen. Der Gouvernementalismus muß aber, wiẽ
wir neulich ſchon ausführten, noch dazu unter den
heutigen Verhältniſſen, eine Partei zugrunde richten.
Von konſervativer Seite ſind häufig die Anſchuldigungen
gegen die Antiſemiten erhoben worden, daß dieſe in
die konſervativen Wahlkreiſe „einbrächen“ und was
dergleichen mehr von Parteineid diktiert wird. Ja,
meint man denn, daß dies möglich wäre, wenn die
Konſervativen immer ihre Schuldigkeit gethan hätten?
Erſt das Vorgehen der Antiſemiten hat ſie aufgerüttelt,
um aber bald wieder in die alte Läſſigkeit zurück-
zuſinken. Das Vertrauen des Volkes und der Wähler


und Berührung mit den Wählern erringen und er-
Der Grund zu den Verluſten auf konſervativer
Seite liegt nur in ureigenſter Schuld.

X Stimmungsbild aus dem Zentrnm. Be-
kanntlich iſt die deutſchſoziale Reformpartei für die
„fakultative Zivilehe“ bei den „Beratungen“
Bürgerlichen Geſetzbuches eingetreten, d. h., ſie wollte,
daß es jedem überlaſſen werde, ob er kirchlich oder







* Zahrgang.

nur bürgerlich ſeine Ehe ſchließen will. Das Zentrum
ift, im Gegenſatz dazu, gegen die Gleichberechtigung
der kirchlichen mit der buͤrgerlichen Eheſchließuug ein-
getreten, indem ſie der obligatoriſchen Zivilehe
das Wort redete. Und nachträglich machen ſich




Ein pfälziſches
Zentrumshlait giebt den Leuten, die ſich bürgerlich
trauen laffen, den guten Rat, den Unterſchied zwiſchen


ſcheinen! — Damit ſchlägt ſich die Partel felbſt ins


macht eine ſtaatliche Einrichtung verächtlich, die doch
nur gerade mit ihrer Hilfe eine ſtaatliche Einrichtung
geworden iſt. Zahlreich ſind die Merkzeichen, daß man


kürzlich einige hahnebuͤchene Auslaffungen des wegen
ſeines derben Humors bekannten und berüchtigien


der ultramontanen /Pfarrkitchener Bundeszta.“,
welche ſich folgendermaßen hören läßt: „Sogar die


haben ſich gegen die Zivilehe des Bürgerlichen Geſetz-
buches ausgeſprochen und boten alles auf, um ihre
Freunde vom Chriſtentum, die Zentrumsangehörigen,
zu bewegen, nicht für die Zivilehẽ zu ftimmen. Aber
unſer Herrgott im Himmel mit feinem — „veralteten“


mit ſeiner jüdiſchen Frau (!), die eine Zivil-
ehe zu ſchätzen weiß, lentt! ... Die blödſinnig ge-


von jenen der Juden zur Zeit Chriſti übertrumpft
wird, ſorgen ſchon dafür, daß dieſe Entkleidung der
Ehe vom ſakramentalen Charakter von Seiten des
Zentrums, dieſes geſetzlich ſanktionierte Konkubinat,
als eine Großthat des Zentrums hingeſtellt wird.
Die Kerls ſind ja zu aͤllen Dummheiten und —


— * Bornirkfeit oder Bosheit?? Was den Leſern
der nationalliberalen Amtsverkündiger manchmal aͤuf-
getiſcht wird, grenzt oft ans Unglaubliche. Es giebt,
ſollte man meinen, keinen Menſchen in Baden, der
nicht wüßte, welche Bewandtnis es mit den ſkandalöſen
Auftritten in Linx und Bodersweier gehabt hat. Selbſt
waſchechte Judenblätter haben zugeftanden, daß es
Juden waren, die in rowdymäßiger Weiſe Viehtreiber
und andere ihrer Leibeigenen durch Beſtechung veranlaßt
haben, den Redakteur Reuther zu mißhandeln. Und
da kommt nun der „Bauländer Bote“ in Adels-
heim und verkehrt die ganze Geſchichte in das ſchnur-
gerade Gegenteil! Man könnte, wenn es ſich nicht um


ob man es hier mit einem Akt böswilliger Verdrehung
oder bodenloſer Unwiſſenheit zu thun habe, da aber,


kündigex iſt, ſo neigen wix der Anſicht dex „Badiſchen
Landpoſt“ zu, welche im Briefkaſten ſchreibt:
„Bauländer Bote“. Sie ſchreihen: „Morgen wird
in Kehl eine außerordentliche Sitzung des Schöffengerichts
ſtattfinden, in der 19 Teilnehmer an antiſemitiſchen Ver-


kam es zu wüſten Keilereien. Den Angeklagten wird
Körperverletzung, Widerſtand, Hausfriedensbruch, Ge-
fangenenbefreiung, Ruheſtörung, grober Unfug, Thätlich-
keiten zur Laſt gelegt. Hoffentlich erhalten die anft-
ſewitiſchen Radanbrüder eine derbe Lektion.“ — Sie brauchen
als Amtsperkündiger ja nicht zu wiſſen, was in der Welt
vorgeht; die Unterſtützung aus der „Handkaſſe erhalten
Sie doch. Daß Sie aber nicht wiſſen daß es ſich bei der
Kehler — nicht um antiſemitiſche Radaubrüder,
ſondern um bierzahlende und aufftiftende Judenhrüder
handelte, das geht denn doch über die — —
gewährleiſtete Harmloſigkeit eines Amtsverkündigers au
aus dem Hinterland hinaus. . .“
Ja, dieſe Harmloſigkeit übertrifft noch bei weitem
die des Heidelberger Amtsverkündigers, und es iſt ſehr
bedauerlich, daß Blätter, deren ſogenannte Redakteure
ihren Leſern den tollſten Unſinn pormachen, noch ſtaatliche
Unterſtützung erhalten. Da viele Leute auf das tägliche
Leſen der amtlichen Bekanntmachungen angewieſen ſind
und aus dieſem Grunde das Amtsblatt halten, ſo
trägt die Regierung unſeres Muſterländles mittelbar
zur Verdummung des Volkes bei.
Die Ablehnung des NMargarinegeſetzes durch
den Rundesrat hat bei den Juden große Freude ver-
urſacht, dagegen in der landwirtſchaft-freundlichen Preſſe
 
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