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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 111 - No. 120 (3. Oktober - 24. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0467

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Der Lßuhi'l'/d;z Yolksbote“ er-
jcheint dreimal wöchentlich.
Verlag und Leitung:
Beidelberg. Vahnhofſtvaße 9.
Telegramm⸗Adxeſſe.
Volk sbote Heidelberg,

Auzeigenpreis:
Die 5gefpaltene Petitzeile 10 Pfg.




Vreis vierteljahrlich
durch den Briefträger frei in's
Haus gebracht Mk 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Boten
in Heidelberg 1 M., von unſerer
Erpedition abgeholt SO Pfg.
. Poß-Zeitungs-Preislifte
Ar. Tꝛt.



A 117,





der zweite Parteitag der deutfh=fozialen
8 Reformpartei.

In mehr oder minder ausführlichen Erörterungen
{prechen die Herren Glöß (Dresden), Kurzhals (Suhl),
Velcker Oresden), Froehlich (Potsdam), Dr. Vielhaben
Dr. Gieſe und Raab Gamburg) noch zur Sache,
worauf der Parteitag die Refolution des Ausfchuffes
zur Kenntnis nimmt. Außerdem wird eine Reſolution
Raab⸗-Zimmermann mit folgendem Wortlaut an-
genommen:

Der Parteitag erſucht die Fraktion, die Ver-
ſicherung gegen underſchuldete Arbeitsloſigkeit als er-
ſtrebenswertes Ziel unausgeſetzt im Auge zu behalten,
insbeſondere die Ergehniſſe der von einzelnen Ge-
meinden auf dieſem Gebiete angeſtellten Verfuche zu
Lachten und das von der Kommiffion gefanimelte
Material durch die Parteipreſſe der öffenklichen Er-
Örterung zugängig zu machen. Feſtzuhalten iſt dabei,
daß die Regelung dieſer Frage nur in Verbindunß
mit jener des ſtaatlichen bder kommunalen Arbeits?
nachweifes und der Reform der bisherigen Arbeiter-
Verſicherungs Geſetze überhaupt gelöft werden kaͤnn,
wobei der Wert einer feſten Organiſation des Arbeiter-
ſtandes, einer verſtändigen Beſchränkung der Frei-
zügigkeit und der Statiftiken über die Arbeitslofigkeit
zu erwägen ſein würde. *

Etine ganze Anzahl von Anträgen von Hameln
wird zum Teil durch das Programm als erledigt be-
trachtet, zum Teil durch Uebergang zur Tagesordnung
erledigt oder zurückgezogen. Das letztere geſchieht auch
mit einem Antrag aus Cottbus uͤber das Firmen-
ſchilderweſen.
Eine längere Ausſprache nimmt ein Antrag




Zegründung des Herrn Jericke GBerlin) triit Herr
Böckler Gerlin) ſcharf entgegen. Der Abg. von
Liebexrmann empfiehlt die Abiehnung des Antrages
und daher für die Anſchauung des deutſchnationalen
Handlungsgehilfen⸗Verbandes, Handlungsgehilfen dürfen
nicht vor 5'/2 Uhr Morgens und nach 9 Uhr Abends
beſchäftigt werden“ einzutreten. Dasſelbe wünſchen
die Herren Schack Gamburg) und Schneider (Braun:
jchweig). Herr Dr. Lindfiröm (Goslar) hält die
Frage noch nicht für ſpruchreif und bittet heute von
einer Beſchlußfaſſung unbedingt abzuſehen. Er iſt der
Anſicht, daß die Abgeordneten der Partei, wenn die
Sache an ſie herantritt, unbedingt das Rechte finden
würden. Abg. Prof. Förſtex bitiet über den Antrag
der Berliner zur Tagesordnung überzugehen. Zuͤ
Gunſten eines Vermittelungsvorſchlages der Parteitag

Deutſch-

Itrafanſtedelungen in
Füdweſlafrika.

Echluß)
Auch bei uns, etwa in Südweſtafrika zu be-
gründende Strafkolonien müßten bei Anwendung eines
vernünftigen Deportationsſyſtems derartig ſittliche die
Moral foͤrdernde Wirkungen in den Sträflingen ge-
zeitigt werden können, wie Leroy-Beaulieu ſie in
Auſtralien rühmt. Bruck befürwortet in dieſer Richtung
für Deutſchland neben anderen Vorſchlägen namentlich
folgende Art des Deportationsſyſtems: nach der An-
kunft des Sträflings in einer in Deutſch⸗Südweſtafrika
zu begründenden Anſiedelungskolonie erfolgt die Auf-
nahme deſſelben als Ackerbauer auf einer Straffarm
oder ſeine Beſchäftigung mit anderen, auf derfelben
erforderlichen Arbeiten. Bei harter Zucht bieibt der
Sträfling hier ſo lange, als es die örtliche Kolonial-
verwaltung für zweckmäßig erachtet. Auf Grund
tadelloſer Führung kann die Verwaltung die Arbeit
vermindern, die Koſt verbeſſern, und insbefondere nach
Ablauf von 3 Jahren den Sträfling in einem eigenen
jür Anſiedelungszwecke beſtimmten und von der Strafs
Farm räumlich getrennten Territorium anſiedeln,
damit er ſich dort eine ſelbſtändige Exiſtenz begründe.
Hat ſich der Entlaſſene 10 Jahre zur Zufriedenheit
der Behörde geführt, ſo ſoll e& ihm frei ſtehen, ſich
überall im Kolonialgebiet anſäfſig zu machen.
Neben aller Strenge, welche dieſen Vorſchlägen
Brucks zur Strafanſiedelung auf deutſchem Kolonial-
gebiet innewohnt, tritt bei demſelben gleichzeitig aber
auch die humanitäre Seite, von denen aus ſſie diktirt









erſucht die Fraktien bei Regelung der kaufmänniſchen
Arbeitszeit das Wohl der üeinen Kaufleute und der
Handlungsgehilfen eingehend zu berückſichtigen“ wird
der Berliner Antrag zuͤrückgezoͤgen.

Der deutſchnalionale Arbeiterbund in Hamburg
beantragt für die Feſtfetzung eines Mindeſtlohnes in
den ſtaatlichen Betrieben zů wirken. Da der Bund
den Antrag zurückzieht mit der Begründung, daß die
Stimmung des Parteitages dem Arbeiterftand feindlich
ſcheine, nimmt der Abg Werner den Antrag wieder
auf. Vorher tritt der Abg. Zimmermann den Ham-
burger Aeußerungen unter lebhaftem wiederholten
Heifall entgegen. Abg. Werner begründet nun feinen
Antrag und geht ebenſo wie der Abg. Prof. D,
Förſter mit den Hamburgern ſcharf ins Gericht.
Herr Wilke (Hamburg) daͤnkt namens der Antrag-
ſteller den Abgg. Werner und Förſter für ihr Ein-


des Antrages Nach einem Schlußwort des Abg.
Werper beſchließt der Parteitag demgemäß. Im An-
ſchluß daxan wird ein Antrag Bindewald angenommen,
„daß auf dem nächſten Parkeitage ein Tag beſonders


fvage.” * —

In Bezug auf einen zurückgegangenen Antrag
Braunſchweigs über die Lage der Handlungsgehilfen
wird mit großer Mehrheit foͤlgende Entſchließuuͤg vor-
genommen: Die Beſſerung der ſozialen Lage der Hand-
Ungsgehilfen iſt zu erſtreben durch eine Regelung der
Arbeitszeit, der Kündigungsfriſt, der Lehrlings- und
Frauenarbeit und Errichtung kaufmänniſcher Schieds-
gerichte.

Ein Antrag Wehner (Suhl) den Paſſus 16 des
Vrogramms über die Naͤturheilmethode durch den
Sag „Schuffung von Lehrſtühlen auf den deuͤtſchen
Univerſitäten zur Lehrung der natürlichen Heilfaktoren“
wird als zu ſpät geſtellt zurückgewieſen. ;

Damit iſt die Tagesordnung erledigt. Nach
einem kräftigen Schlußworte des Voͤrſitzenden Zimmer-
mann und einem Heil auf die deutſchfoziale Reform-
partei und den Vorſitzenden wird der Parteitag um
8 Uhr Abends geſchloſſen.

— — — — — —
Eine Kede des Yrimen Liechtenſtrin.

Es macht Einem immer Freude, wenn man
wieder einmal, aus berufenem Munde ein echtes
kerniges deutſches Wort zu hören bekommt, das mit
überzeugender Beweisführung alle die Mißſtaͤnde wahr-
heitsgemäß cıner Kritik unterzieht, die in unſelm
wixtſchaftlichen Leben fo ſchwer Schuld daran tragen,






und gewerblichen Getriebe Platz greifen konnte, und
bringen wir daher nachſtehenden Bericht, der der „Bayr.

*










e $ ſoll dem Sträfling die

wurden, offen *
erden unter veränderien Ver-

zu Tag
Möglichkeit gegeben w


lichen Empfindungen mit dem aus der Geſellſchaft
ausgeſtoßenen Verbrecher liegen dem Deportations-


laſtung des Staatsſäckels in Betracht kommt. Von
der ſtrafweiſen Koloniſierung feindlicher Seite iſt viel-
ſach behauptet worden, daß dieſe viel umfangreichere
Loſten verurſachen würden als das zur Zeit übliche
Halten von Verbrechern in Zuchthäufern und Ge-
fängniſſen, ohne hierbei Gewicht auf das Urteil in
dieſer Frage ſo bewanderter Männer wie Krohne und
Lulas zu legen. Nach der Angabe des Minifterial-
rats Krohne beliefen ſich die Baͤukoſten für nur zehn
deutſche Zuchthäuſer auf über 21 Millionen Mark.
Das iſt aber nur ein verſchwindender Bruchteil, da
dem Preußiſchen Miniſter des Innern nur allein 51
Straf⸗ und Gefangenen-Anſtalten unterſtehen. Krohne
und auch Lukas berechnen die jährlichen Unkoſten des
Königreiches Preußen für die Unterbringung und
Ueberwachung der Sträflinge auf rund 280 Millionen,
die ſich durch den Arbeitsverdienſt auf etwa 15 Mil-
lionen herabmindern. Nach genaueren Berechnungen
würde die Strafvollſtreckung in den Kolonien aber an-
nähernd nur den 25. Teil koſten. Ferner ſei hierbei
noch des Intereſſes eines Standes — unſeres deutſchen
Handwerkerſtandes — ganz beſonders gedacht, der
durch die Konkurrenz der in den Zuchthäuſern herge-
ſtellten Arbeiten ganz enorm zu leiden hat. Viele









7. Zahrgang.





da er
wirflich von hervorragend allgemeinem Intereſſe iſt.
Man ſchreibt aus Wien: —
Bei uns in Oeſterreich gehen jetzt überall die
Vauern und chriſtlichen Bürger Hand in Hand. Die
Judenblätter ſchreien zwar fürchterlich über dieſe ſtaats-
gefährlichen Verſchwörungen, aber die Regierung kann


thun und den Volksrednern einen Maulkorb anhängen.
Es geht mächtig vorwärts. Kürzlich hielt in Laden.
dorf Prinz Alois Liechtenſtein in einer von 3000
Berfonen beſuchten Wanderverfammlung des „Chriſtlich-
politiſchen Gewerbevereins für Niederöſterreich“ eine
zündende Rede. Der Redner führte folgendes aus:
Es gibt keine Ueberproduktion, es iſt nicht wahr,
Judentum/
hat durch
Volk zu täuſchen und irrezuführen
Wenn der Bauer klaͤgte, daß ſeine Arbeit,
auf ſich nicht mehr
lohne, ja ihm ſogar Schaden und Defizit bringe, dann
wurde ihm geantwortet mit einem Achfelzucken. Da-
gegen laſſe ſich nichts thun! hieß es. Rußzland, Nord-
amerika, Canada, Argentinien und Indlen erzeugen
mehr und mehr Weizen; es giebt zu viel Brod und
und nicht genug Magen auf der Welt, um es zu ver-
zehren. Die Bauern des Srdenrundes Konkurrieren
einander zu Tode; gegen das Sinken des Weizen-

verſtanden.


Lauter fauler Zauber! Seitdem wahre und echte
Männer der, Wiſſenſchaft uns aufgeklärt haben;
ſeitdem ehrliche chriſtliche Blätter die von ihnen feftz


haben, iſt die unverſchämte Lüge von der Neber-
produktion ein für allemal widerlegt und abgethan.
In den letzten Tagen hat in Judapeſt der große
Agrarkongreß feine Sitzungen abgehalten, und dort
wurde öffentlich und endgiltig und einmütig von allen
maßgebenden Teilnehmern konſtatiert daß es keine
Ueberproduktion in Getreide heutzutage gibt, ja daß
ſogar das Gegenteil der Fall iſt. Es wurde allſeitig
anerkannt, daß der Preisfall des Getreides durch die


wird, welches durch das Börſenſpiel! die Goldwährung,
durch Eiſenbahn- und Seefrachttarife, fowie durch
wucheriſche Ausnützung der Nollage der Baͤuͤern die
Entwertung des Getreides herbeiführt.
Statiſtiker, Wood, Davis, Pfeffer, Charles W. Smith,
Branhall, ſtimmen darin überein: In Weizen und
in Roggen gibt's in der heutigen Welt keine Ueber
produktion. Die Jahreswelterite des Jahres 1879
iſt bis jetzt nicht mehr erreicht worden, und doch hat
ſich die Menſchheit in dieſen 17 Friedeusjahren enorm
vermehrt und mit ihr der Brodbedarf. *

Die Menſchheit in unſerem geſegneten fin de








Anhänger dieſes Standes ſind hierdurch in ihrer
Eriſtenz gewaltig bedroht und der Wert ihrer Hände
Arbeit fällt mit der Zunahme der Zuchthäusler ımmer
mehr im Preiſe. So liegt das ganze Steinmetzgewerbe
im Weſten hart darnieder, weil dort von Unternehmern
eine große Menge von Zuchthäuslern zur Ausführung
von Steinmetzarbeiten zu ſpotibilligem Preiſe gepachtet
werden. Wir haben ein ausgeſprochenes und vitales
Intereſſe daran, daß es allen produktiden Erwerbs-
ftänden und ſo auch dem deutſchen Handwerk gut gehe.
Daher werden wir (neben anderen maßgebenden
Gründen) in erſter Reihe mit Rückſicht auf diẽ gefähr-
liche Konkurxenz, die demſelben duͤrch die Zuchthaus-
arbeit erwächſt, energiſch für die Anſiedelungen von
Sträflingen in unſeren Koͤlonien eintreten. Ein
zweiter Grund iſt der moraliſche. Die Gefängniffe
and Zuchthäuſer corrumpieren ihre Inſaſſen an Leib
und Seele, ſchwächen ſie phyſifch und dazu iſt die
Einſamkeit noch die Mutter vieler geheimen Lafter,
die in Strafanſtalten in ſchrecklicher Weife graſſieren,
ohne daß die Beamten etwas dagegen thun koͤnnen
Aber die Sträflinge ſind Leute, die ſpäter wieder in
die Welt hinausgehen, Kinder erzeugen und die deutſche
Race fortpflanzen. Darum ſollen ſie unbeſchadet der
notwendigen Strafe in den Kolonien durch Arbeit im
Freien ſich geſund erhalten, ſtatt hier moͤraliſch und
körperlich hinzuſiechen.

Nach den Erklärungen der „N. A. Ztg.“ nimmt
allerdings unſere Regierung den Beßortations-
beſtrebungen gegenüber z. 3. noch eine ablehnende
Haltung ein, doch hoffen wir, daß damit auch von
dieſer Seite nicht das letzte Wort geſprochen iſt.
 
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