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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 21 - No. 30 (21. Februar - 14. März)
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Der — Bolksbofe erſcheint zmal wöchenlli
Dienstags, Donnerstags und Samstags).


Telegramm Adreſſe: Yolksdote Heidetberg.


















— E TE
— —
— 4 ⏑—— *
























— Yreis vierteſzährlich

2

durch uiſernBoten Mk. 1.—


Zoſt· Seitungs · xrelsliſte Ar. 755,











R RS













* dunn xrau



— —

— Wo vleivt die Bildung?
Unter dieſer Ueberſchrift wird der „Bad. Land-
poft“ über das ungualifisierbare Benehmen der National-
liheralen gegen den Abg. Pfiſterer Folgendes geſchrieben:
„Unwillkuͤrlich wird man zu dieſer Frage veranlaßt, wenn




der Zweiten Kammer gegenüber dem deutſch⸗ ſozialen
Abgeordneten Pfiſterer beobachtet. Wir gehoͤren nicht
zur Partei dieſes Abgeordneten, aber das Gerechtigkeits-
und Billigkeitsgefühl zwingt uns die Feder in die
Hand, um gegen das Verfahren, welches die national-
liberalen Abgeordneten gegen den genaunten Herrn
einzuſchlagen belieben, Proteſt zu erhẽben.


Bildung, möchte gern als Alleinvertreterin der Bildung


in der Zweiten Kammer. Sobald Pfiſterer, ein
durchaus ehrenwerter, biederer Landwirt, das Wort
ergreift: ein Hohngelächter auf Seiten der National-
liberalen. Pfiſterer mag über die ernſteſten Dinge
reden: Lachen und Heiterkeit auf der andern Seite!
Die Taktik, welche damit befolgt wird, iſt ja klar;
man will Pfiſterer lächerlich machen, man will ihn
zum „Hanswurft“ des Hauſes ſtenipeln, man will ihn
in den Augen des Volks zum Narren machen. Aber
iſt das eine würdige Kampfesweiſe? Und wo bleibt
denn die vielgerühmte liberale Bildung bei ſolchem
Benehmen?
Wir geben gerne zu, daß Pfiſterer manchmal
etwas ſagt, was Leute, welche keine nähere Berührung
mit dem Volke haben, zum Lächeln reizen kann.
ſachlich hat er, ſoweit wir die Kammerverhandlungen
überblicken, nicht mehr und nicht weniger Lächerliches
behauptet, als die andern Abgeordneten auch. Dagegen
it gerade vonſeiten der Nationalliberalen viel mehr
Stoff zum Lachen geboten worden. Lächerlich war
3. B. die Rede des Abg. Fieſer gegen den Antiſe-
mitismus, durch welche Fieſer kund that, daß er von
dem deutſchen Volksgemüt durchaus nichts verſtehe.
Des feinen, gebildeten Gleichniſſes vom Miſthaufen
wollen wir dabei nicht näher gedenken, nur darauf
hinweiſen, daß guf Miſthaufen gerade exotiſche —
ausländiſche — Pflanzen gerne gedeihen, woraus ſich
ergeben dürfte, auf welcher Seite der richtige Miſt-


jerner die Rede desſelben Abgeordneten gegen die
Konſervativen, in welcher er ſich luſtig maͤchte über
den geriugen Erfolg der Konſervativen bei den letzten
Landtagswahlen, obgleich er als Führer der national-
liberalen Partei wiſſen mußte, mit welchen Mitteln
die Konſervativen bearbeitet wurden, liberal zu wählen.

Keineswegs lächerlich waren dagegen die Aus-
führungen des Abgeordneten Pfiſterer in der Sitzung
am 28, Februar, in welcher er ſeine Verwundekung
darüber ausſprach, daß das offizielle Regierungsblatt
in Karlsruhe von einem ausländiſchen Juden redigiert
verde. Gleichwohl herrſchte auch bei dieſer Rede
Pfiſterer's die größte Heiterkeit bei den National-
libexalen, ſo daß Pfiſterer ſich, wie es ſcheint, in
draſtiſcher Weiſe das „nationalliberale“ Gelächter ver-
bieten mußte.
Sehen denn Fieſer u. Gen. nicht ein, daß ſie

damit nicht nur dem Anſehen der eigenen Partei,


Unſer Volk war bis jetzt gewohnt, nach dem
Rondell in Karlsruhe mit einer gewiſſen Hochachtung
zu ſchauen und die dort weilenden Abgeordneten mit
gewiſſer Ehrerbietung zu betrachten. Wird aber dieſer
Reſpekt anhalten, wenn in ſolcher Weiſe daſelbſt den
geringſten Anforderungen der Bildung ins Geſicht ge-
ſchlagen wird? Bisher galt es wenigſtens für Anſtand
und Bildung im parlamentariſchen Uſus, den politiſchen
Gegner reden zu laſſen; dieſen Anſtand ſcheint man
nationalliberalerſeits dem Abg. Pfiſterer gegenüber
nicht mehr wahren zu müſſen. Man bedenke jedoch,
was daraus entſtehen würde, wenn die andern Parteien
dieſelbe Kampfesweiſe ſich aneignen würden, wie die
hrende nationalliberale: wenn z. B. bei einer Rede,
Ewbei jeder Rede des Abg. Fieſer Centrum,










¶ſuulu Keform-Partei in Baden un des Vddiſthen Yauernbundes.












- — —






den Nationalliberalen beliebte Hohnlachen anſtimmen


mögen ſich an dies Sprichwort,

erinnern —: an dem Lachen erkennt man den — —.“


„Das „hohe“ Haus ... . Die Herren nationallibe-
ralen Abgeordneten zweiter und dritter Garnitur —
es ſind das die Leute nach der nationalliberalen Ter-
minologie mit ſehr viel Beſitz und ſehr viel Bildung,
die ihnen nichts ſchaden könnte — ‚pflegen nämlich
mit ſehr viel Selbftgefühl das „hohe Haus“ zu fagen


insbeſondere, deſer Engros⸗Fabrikant phoͤnetiſch unzu-
länglicher Ziſchlaute, der die ganze Emmendinger
Gegend — oder iſt es die Immendinger? — im Licht
ſeiner xhetoriſchen Leiſtungen glänzen läßt, pflegt mit


einer aus Bonhonimie und Tafelfreuden zuſammenge-
ſetzten, äſthetiſch abgerundeten Lebensweife vom „hohen


Schnellzugsverbindungen giebt, befinden ſich in idealer
Konkurrenz, wenn ſie vom „hohen Hauſe“ reden. Das
kommt nämlich von der nationalliberalen Bildung,
von derſelben Bildung, die die Herren Nationalliberalẽn
in den Stand ſetzt, zu lachen, wenn der Abgeordnete
Pfiſterer die ernſteſten Dingen von der Welt aus-
einanderſetzt.
geſtrigen Nummer den Herren Naͤtionalliberalen den


gegenüber; eine Nachleſe ſcheint durchaus angebracht.


haftig nicht komiſch veranlagt zu ſein, um dieſe Re-
präſentanten des „Kernbürgertums“ der großen Mehr-
zahl nach recht komiſch zu finden. Dieſe Geſellſchaft,
die ſich an einem einzigen Geländer hält — Fiefer-
Schnetzler —, an dem die Verzierungen nur fehr
mäßig vorkommen und durchaus nicht nach Kunſt-
ſchloſſerei ausſehen, hätte alle Urſache, Selbftprüfung
zu halten und zu bedenken, daß derjenige, der über


ſizen darf. Herr Pfiſterer iſt viel zu gutmütig für
dieſe Leute, die für nationale Würde kein Ver-
ſtändnis hahen, ſonſt wäre es ihnen nicht egal, ob ein
chriſtlicher Deutſcher oder ein böhmiſcher Jude die
amtliche badiſche Zeitung redigiert. Wenn die Herren
wieder lachen, dann ſoll ſich Herr Pfiſterer dies in
der entſchiedenſten Weiſe verbitten und die Herren
Nationalliberalen in drei kräftigen Worten, die
man nicht mißverſtehen kann und die nicht von
Europens übertünchter Höflichkeit angekränkelt ſind,
auf ihren geiſtigen Verfaſſungszuſtand aufmerkſam
machen, nach dem Grundſatz: auf einen groben Klotz
gehört eın grober Keil. Herr Pfiſterer riskiert dann
einen Ordnungsruf, das macht aber nichts; wenn Herr
Wacker einen riskiert, um Herrn Dreesbach gegen den
Präſidenten beizuſpringen, dann kann Herr Vfifterer.
ſchon einen ſolchen ſchlucken, wenn er dafür die Leute
von „Beſitz und Bildung“ in ihre Schranken zurück-
gewieſen hat; ſie laſſen ihn dann ſicherlich in Ruhe.
Möge Herr Pfiſterer unſern Rat befolgen.“
Wir haben dem nichts hinzuzufügen.

Jie Fpaltung

der deutſch kanſeruatiurn Vartei,

welche durch das Ausſcheiden des Hofpredigers
Stöcker aus derſelben und durch die Konftituierung
der früheren chriſtlich-ſozialen Gruppe als
ſelbſtändige chriſtlich⸗ſoziale Partei
worden iſt, erhält durch eine neue Erklärung des
Herrn Stöcker eine weitere Beleuchtung. — Aufeiner
von etwa 600 Perſonen beſuchten Verſammlung der













Weſtfalen, welche am 2
entnehmen, Herr Dr. Klafing hervor, daͤß Stöder
habe freie Hand haben wollen,
Reſolution angenommen, des Inhalts, daß die
Chriſtlich-Konſervativen von Minden· Ravengberg einig
bleiben und im Sinne der auf dem Tivoli⸗Programni
Partei fortwirken wollen.
Erſt nach (!) Annahme dieſer Reſolution derlas
der Vorſitzende, Herr Suͤperintendent Schmalenbach


„Da das Protokoll des Elfex⸗Ausſchuffes über
ſeine Sitzung vom 1. Februar benutzt wird, um
mich in konſervativen Kreiſen betreffs meines Aus-
tritts als den Schuldigen hinzuſtellen, fehe ich mich
zu folgender Erklärung veranlaßt: *
L Das Protokoll iſt nicht in der Sitzung
ſelbſt verlefen und feſtgeſtellt. Es iſt mir erſt nach
drei Wochen vorgelegt, um meine Ausführungen
durchzuſehen, und die Faſſung derſelben gutzuheißen.
Unterzeichnet habe ich e8 ſchon deshalb nicht, weil
ich am Schluß der Sitzung nicht mehr Mitglied
des Elfer⸗Ausſchuſſes mar. Ich erkenne bereit-
willig an, daß meine Aeußerungen, ſoweit ſie das
Wolt“ hetreffen, richtig und ausführlich wiederge
gegeben ſind. Nur bemerke ich auͤsdrücklich, daß


Erklärung, nämlich meine Beziehungen zum „Bolk“
abzubrechen, bis das Blatt die von mir bezeichnete
Linie innehalte, nicht blos vor dem Elfer-Ausſchuͤß,
ſondern guch öffentlich auszuſprechen.

2. Da das Protokoll die von mir gegebene
ausführliche Darlegung meiner Stellung nur in -
wenigen Zeilen, andere Reden nur mit
wenigen Worten wiedergiebt, ſo kann es ſelbſtver-
ſändlich von den Berhandlungen kein vollſtändiges
Bild geben. Beſonders ſind die f{ozialen
Auffaſſungen, die auf beiden Seiten in den
Gang der Verhandlungen hineinſpielten, und meines
Erachtens den Grund der gegenſeitigen Spannung
bildeten, kaum erwähnt! Der Autrag, in
welchem ich meine ſozialpolitiſchen Anſchauungen
in drei Grundſätze zuſammengefaßt und dem Elfer-
Ausſchuß unterbreitet hatte, ift dem Protokoll -
nicht beigegeben.

3. Wenn von gewiſſen Seiten ausgeſprengt
wird, ich hätte durchaus mein Verhältnis zu den
Konſervativen löſen wollen, ſo iſt das unwahr.

Hätte man ſich mit meiner letzten Erklärung be-
gnügt, ſo wäre ich gern geblieben. Aber die von
mir geforderte Erklaͤrung konnte ich um der Wahr-
heit willen nicht abgeben. Noch weniger konnte
ich darauf eingehen, mir vorſchreiben zu laſſen,

wweann ich meine Beziehungen zum „Voik“ wieder
aufnehmen dürfte. — Ich bin alfo nicht frei-
willig gegangen und kann es nur bedauern, daß
Herr R.-A. Dr. Klaſing, der meine Erklärung zu-
nächſt genügend fand, ſpäter ſeine Stellung änderte
und dadurch zu dem ungünſtigen Ergebnis der Sitz-
ung mitwirkte.

Es iſt meine woblbegründete Meinung, daß
die Mehrheit des Elfer-Ausſchuſſes mein Aus-
ſcheiden aus dieſem wünſchte, meinen Austritt aus
der konſexvativen Partei aber nicht wünſchte. In
der Aeußerung eines Mitgliedes trat dies kar
hervor. Freiwillig hätte ich jenem Wunſche nach-
kommen können, unter dem Drucke nicht. Ich muß
deshelb die Verantwortung für die Schritte, welche
meinen Bruch mit der konſervativen Partei herbei-
führten, von mir ablehnen. \

Berlin, 1. März 1896.
Adolf Stöcker,

Landtagsabgeordneter für Minden-Lübbecke.“

Dieſer Brief verurſachte eine lebhafte Bewegung
und Kaufmann Höpker⸗Buͤnde fragt, warum derfelbẽ
nicht vor Einhringung der Reſolution verleſen worden
ſei. (Rufe: Sehr richtig! und lebhafter Beifall.
Paſtor Siebold-Gadderbaum charakteriſiert die un-
 
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