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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 21 - No. 30 (21. Februar - 14. März)
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7 Txreis vierteljãhrlich
durch den Brieftraͤger frei in’s Haus gebracht Mk. 1.25,
durch uuſexnB oten Mk. 1.—,

Am Poſtſchalter od. unferer Expedition ahgeholt 80 Pfg.
Doſt · Zeitungs Sreisſiſte Ar. 755.

Der „WadifGe Bolkshote erſcheint zmal wöchentlich
Dienstags, Donnexstags und Samstags).

Ferlag und Leituung: Heidelberag, Bahnhofſtr. 5.
Telegramm Adreſſe: Bolksbote Heidelberg.
Auzeigenpreis: Die 5gefpaltene Garmondzeile 10 Pfg.


































des Milſen Auueruhunde⸗ * 2

Seidelberg. den 29. Fehruar 1896. -



* **
2— * —

gar Deutlhun

_ Organ der deutfeh-Fozialen Aeſorn Jatlei in 2 un



























. N 24, 7. Jahrg



















Vas der gauer denkt.
In der „D. Tagesztg.“ leſen wir: Mit vielem

des Antrags Kanitz im Reichstage gehalten haben,
und die meiſtens von einer totalen Untenntnis zeugen
und einen Kenner nur mit Bedauern erfüllen können,
daß ſolche Leute berufen ſind, über das Wohl und
Wehe des Landes zu entſcheiden. Gönnen Sie deshalb
einem kleinen Landwirt einige Zeilen in ihrem ge-
ſchätzten Blatie, der aus eigener Erfahrung oft wieder-
; hofte Irrtümer berichtigen kann! Erſtens iſt gefagt:


preiſen einen Nitzen. Ich hahe ungefähr 200 Moͤrgen,
aljo nur eine Bauerſtelle, muß, wenn ich meinen Ver-
pflichtungen nachkommen will, ungefähr 250—300 Sack
Korn verkaufen, alſo habe ich durch die Herabſetzung
der Zölle um 1.50 Mt. per Sack 3.75—4.50 Mf.
Schaden, würde aber bei Durchführung des Antrags
Kanitz einen Nutzen haben von etwa 1500—2000 ME.,
ba der Preis des Roͤggens dann etwa 5—6 Mk. per
Sack tenrer fein würde als in den letzten Jahren.
Zann ift weiter geſagt: Der Arbeiter hat keinen
Nutzen, fondern iſt leicht geſchädigt. Dieſe Behauptung

Zer landwirtſchaftliche Arbeiter wird meiftens mit
Naturalien gelohnt; beim Dreſchen bekommt er ſeine
Leſtimmten Prozente am Korn von dem Erdrujche.
Dies muß er verkaufen, um zu ſeinem baren Lohn an
Geld zu gelangen. Ift das Korn teuer, verdient er
viel; ift e8 billig, wie jetzt, verdient er wenig. In
der Zeit aber, wenn das Dreſchen vorbei iſt, bekommt
er ſein Brotkorn zum abgeminderten Preiſe, den
Zentner Korn meiſtens zu 6 Mk. und den Zenther
Gerſte zu 5 Mk., alſo hat er auf jeden Fall immer
von hohen Kornpreiſen Nutzen.

Wenn ich weiter den Antrag Kanitz beleuchte, ſo
will ich dies in einer Weiſe thun, die, foviel ich weiß,
bis jetzt noch wenig beachtet iſt, nämlich wie die Er?
höhung der Kornpreiſe auf das allgemeine Volksleben

eingewirkt hat.
Vor etwa 60—80 Jahren war das bare Geld
ſchr knapp und hatte einen hohen Wert. Von unferen
Arbeitern bekanen die Männer 50 Pfg. und die
Frauen 25 Pfg. Tagelohn. Die Butter koſtete das
Vfund ungefähr 40 bis 50 Pfg. und in ähnlicher
Weiſe war der Preis ‚fämtlicher Bedürfniſfe. Als
Foſtgeld zablte der Vater für mich oder für meinen
Bruder, die wir in der nächſten Stadt auf der Schule
waren, 24 Thaler jährlich und einige Naturalien.
Zieſem hohen Geldwert eniſprechend, waren auch die
Bedürfniſſe des Volks niedrig, und da die Verhältniſſe
ſich im Laufe der Zeit entwickelt hatten, ſo' befand
ſich das Volk wohl dabei. Man kannte eben kein
beſſeres Leben, und wenn man behaupten wollte, der
Arbeiter hätte bei dieſen niedrigen Löhnen Not gelitten,
ſo konnte man ſich leicht von dem Gegenteil über-
geugen, wenn man uns Kinder beim Spiel auf der
Straße beobachtet hätte. Die, meine ich, waren damals
noch pausbäckiger als jetzt. Späterhin kamen teure
Kornpreiſe, der Laudmann brachte dadurch mehr Geld
in den Verkehr. Meine Eltern ſchafften ein Sopha
an, die Wände der Stuben, die bisher nur mit Kalk
getüncht waren, wurden abgeputzt und mit Tapeten
beklebt, neues Mobiliar wurde angeſchafft, der Acker
wurde drainixrt, Brüche und &dde liegende Stellen
wurden kultiviert, und Handwerker und Arbeiter
wurden beſchäftigt und — verdienten Geld. Mit dieſer
Mehrzirkulation des Geldes ſtiegen aber auch die Be-
dürfniffe des Volkes. Da abck unſere Verhältniſſe
ım Volkzleben ſich ſtetig und aus ſich ſelbſt, ohne
weitere äußere Einflüſſe entwickelten, fo herrſchte ein
ſteigender Wohlftand. — —

Was das Blut im menſchlichen Körper iſt, iſt
aber das Eeld im Volksleben. Wenn das Blut durch
zußere Einflüſſe zu ſtark aufgecegt wird, iſt der Menſch
franf, und wenn es nicht gehörig zirkuliert, iſt der
Menfch erſt recht krank. Als 1871 die franzöfiſchen
Milliarden nach Deutſchland kamen, krankte der Staats-




körper an Gründungsſchwindel und Arbeiterſtreiks,

2






Jahre das Geld aus dem öffentlichen Verkehr in die
Banken abgeführt iſt, kraukt das Volksleben an Blut-
armut (oder richtiger an Geldarmut), die die Bleich-
ſucht im Volke erzeugt hat; und kommt nicht bald der
richtige Arzt, der dieſe Bleichſucht mit dem richtigen
Mittel heilt, dann kommt die Schwindfucht, und der
Tod der deutſchen Volkskraft iſt ſicher. Es giebt aber
nur ein Mittel, das dieſe Bluͤtarmut im Volke heilen
kann, und diefes iſt, daß die Getreidepreife mit der
im Volke herrſchenden Kultur und ſeinen Lebens:
anſprüchen in Einklang gebracht werden, damit durch


Leuten zirkuliert


wort darauf, daß das Korn aus Ländern mit niedriger
Volkskultur, mit ſchlechter Geldvaluta, niedrigen Arbeits-
loöhnen und billiger Waſſerfracht hier billiger einzu-
führen iſt, als wir es bauen können. Sollte aber die
Induſtrie, die jetzt noch leiſtungsfähig iſt, nicht bald
in dieſelbe Lage kommén, wie e8 die Landwirtſchaft


geben. Jede denkende Staatsregierung thut ihr

lichſtes, um die Einfuhr zu befchränken und die Aus-


gefördert. Nun ſollte uns der letzte japaneſiſch-chine-


giſches Volk die Japaneſen find, die Engländer Oſt-
aſiens. Dieſe werden durch Heranziehung von deutſchen
und engliſchen Arbeitern in abſehbarer Zeit die heimifche
Induſtrie derartig herausbilden, daß ſie in ähnlicher
Weiſe dex euxopäiſchen Induſtrie Konkurrenz bereiten
wird, wie bisher die auswärtige Landwirtſchaft der
unſern; denn bei den dort herrſchenden billigen Löhnen
und der mingerwextigen Geldvaͤluͤta iſt es fpäter der
kuropäiſchen Induſtrie ebenſo unmöglich damit zu kon-
karrieren, wie jetzt der Landwirtſchaft, und die Zeit
iſt viellsicht nicht mehr fern, wo der Deutſche japane-
ſiſches Zeug zu Kleidern traͤgt und wir unſern Acker
Würde dann der
Ruf der deutſchen Landwirte nach billigem Ackergeraͤl
und billigen Kleidern nicht ebenſo gerechtfertigt“ſein
wie jetzt der Ruf der Fabrikarbeitẽr nach billigem
Brot? Ja, er hätte dasſelbe Recht, oder vielnıehr,
er hätte ebenſo wenig Recht wie jener; denn diẽe


jetzt durch Maßnahmen die Getreidepreiſe deraͤrt zu
regeln, daß die Landwirtſchaft erhaͤlten wird, uuͤd
jpäter durch hohe Einfuhrzölle die Induſtrie zu ſchühen.
Wird aber die Landwirtſchaft im Intereſſe det In-
duſtrie geofert, ſo fehlen dem Staate die richtigen
Stützen. Der Staat geht an Geldarmnt und Schwind-
ſucht zu Grunde. Ob ſpäter der entnervte Bauern-
ſtand im ſtande iſt, den Kaiſer gegen die jetzigen Schütz-
Inge der Regierung, die Fabrikarbeiter, mit ihnen die
Sozialdemokraten, und die Juden zu halten und zu
ſchützen, dieſe Frage, glaube ich, iſt zu verneinen. Und
ſo meine ich, iſt es notwendig, daß ungeſäumt Schritte
geſchehen. um die Getreidepreiſe dem jetzigen Kultur-
ſtand des deutſchen Volkes entſprechend zu erhöhen.
Als in alter Zeit im Teutoburger Wald das
römiſche Heer vernichtet war, rief der römiſche Kaiſer
in Verzweiflung: „Varus, Varuͤs, gieb mir meine
Legionen wieder! Ihr aber, Männer, die ihr be-
rufen ſeid, des Reiches Wohl und Wehe zu beraͤten
und Maßnahmen zum Gedeihen desſelben zu ergreifen,
ſolltet das bedenken, damit ſpäter nicht, wenn die
deulſche Landwirtſchaft im Sterben liegt und der
Deutſche auf das Brot ſeiner Nachbarn angewieſen iſt,
der Ruf erſchalle: „Gebt uns die verlorene Landwirt-
ſchaft, gebt uns unſere Bauern wieder!“
W. Dühring, Erbpächter.













Tagesfragen.

x Prozeß Iskraut wider Prof, Stengel. Am
25. d. M. kam vor dem Landgerichte in Marburg als
Berufungsinſtanz die Beleidigungsklage des Abg! Is-




kraut wider Prof. Stengel zur Verhandlung. Bekannt-
lich gehört dieſer Prozeß zu der Gruppe von Beieidig:
ungsklagen, die Paſter Iskraut
Wahlkreife Eſch-
wege⸗ Witzenhauſen⸗Schmalkalden anſtrengen mußte, um -


-

ſtellen, nachdem die von ſeinen politiſchen Gegnern
während des Wahlkampfes häufig in den
ten gelegt war. Prof. Stengel, der freiſinnige Gegen-
kandidat des Paſter Iskraut hatte dieſen einen gröben

oder gemeinen Lügner genanut. Das Amtsgericht Mur-
burg hatte auf erhobene Klage Prof Stengel freige-


ausſagen thatſächlich als groben und unter den ange-
gebenen Umftänden auch al8 gemeinen Lügner bezeich-

net, während Prof. Stengel als Widerkläger wegen Be-
leidigung durch Paſtor Iskraut abgewieſen war! Beide
hatten Berufung eingelegt. Prof— Stengel hatte
vor dem jeBigen Termin die Widerklage he:
reits zurückgenommen, ſo daß nur Paſtor Iskraut
als Kläger vor dem Landgerichte erſchien. Der Vor-

ſibende forderte zum Vergieich auf, indenı er darauf
hinwies, daß für den Beklagten, Prof. Stengel, die
Sache keineswegs ſo einfach liege, als es nach dem Ur- —
teil der Vorinſtanz ſcheinen möchte, vielleicht Fönne die

Sache im gegenwärtigen Termin noch gar nicht ent-
ſchieden werden; auch ſei vielleicht für den Angeklagten


der hier zur Beurteilung ſtehenden Thaͤtfächen zu Gun.
ſten des Klägers, Paſtor Iskraut, entſchieden habe,
Der perſönlich anweſende Paſtor Iskraut erklärte hier-
auf, da es ihm bei all den aus derſelben Veranlaffung
anhängig gemachten Prozeſſen nicht fowohl auf die Be-
ſtrafung des Gegners als auf die Wiederherſtellung
ſeiner Ehre anfomme, ſo ſei er zu Linei Vergleichẽ
Ehr gern bereit, nuter der Bedingung, daß Herr Prof.
Stengel in einer unumwundenen Erkiärung den belet-
groben oder gemeinen Lüge zu-
rücknehmen. Da Herr Prof. Stengel. dieſe Erklärung
nicht ſo ohne weiteres abgeben wollte, ſo murse er von -
einem der Herren Beiſißzer des Gerichtshofes darauf
aufmerkſam gemacht, daß ein einwandfreier Zeuge die
Erzählung, in deren Wiedergabe Paſtor Iskraͤlt ge-
logen haben ſoll, genau ſo verſtanden habe, wie Paſtor
Iskraut ſie wiedergegeben hat, nur mit dem Unterſchiede,
daß in dem einen Fall von 4—500 Zigarren, in denı
anderen von 40—50 Kiſten die Rede gewefen iſt. Es
liege doch wahrlich näher, in der Verſchiedeuͤheit diefer
Zablen eher einen Irrlum als eine grobe oder gemeine
Lüge zu finden. Zugleich weiſt der zweite Beiliger den
Prof. Stengel darauf hin, daß ſelbſt bei Berückſichtig-
ung der natürlichen Erregung des Wahlkampfes man
doch nur im alleräußerſten Fall zu dem Vorwurfe der
„groben oder gemeinen Lüge“ greifen könne. Hierauf
formulierte der Mechtsanwalt des Prof. Stengel fol-
gende Exklärung: „da Paſtor Iskraͤut ſeine Mittheil-
ungen über Heſſe in gutem Glauͤben geihan hat, nimmt
Brof. Stengel den Vorwurf eines „gemeinen und gro-
ben Lügners“ dem Paſtor Iskraut gegenüber zuruͤck.“
Stengel verlangte nun noch, Iskraüt' ſolle die Ver-
pflichtung dafür übernehmen, daß dieſe Erklärung nicht
von. Seiten der antiſemitiſchen Preffe zu feinem Un-
gunſten ausgenutzt werde. Iskraut erividerte hierauf ſehr
richtig, daß er ebenſowenig für die Haltung der Preſſe
ſeiner Partei ixgendwelche Verpflichtungen übernehmen
könne, wie er Stengel z. B. auch nicht verantwoltlich
mache für die geradezu unerhörte Weiſe, wie Dder
„Kladderadatſch“ das Urtheil der erſten Inſtenz gegen
ihn ausgenutzt habe. Nachdem der Vorſitzeude noch Prof.
Stengel darauf hingewieſen hatte, daß ex den Kläger
doch nicht für das Thun und Laſſen voͤn Männern wie
Ahlwardt und andere verantwortiich machen könne, war
Stengel mit der Erklärung einverſtanden, daß weder
Paſtor Istraut noch auch der Abg. Liebermann von
Sonnenherg die Zurücknahme der Beleidigung zu Un-
gunſten Stengel ausnutzen werden. Paſtor Iskraut be-
antragte nunmehr die Koſten zu ?/s dem Beklagten und
au ihm aufzuerlegen, da das Publikunn nach der Art
der Koſtenvertheilung das Maß der Schuld bemeſſe
und er doch ſchon in dieſer Sache zweimal ein ob-
 
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