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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

DOI Kapitel:
No. 71 - No. 80 (3. Juli - 24. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0289

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Der „Sadiſche Yolkabote“ er-

ſcheint dreimal wöchentlich.

Verlag und Leitung:

Heidelberg, Bahuhofſtraßie 9.

Telegramm-Adreſſe:
Yolksbote Heidelberg,
. Anzeigenpreis:

Die 5gefpaltene Petitzeile 10 Pfs.




— Breis vierteljährlidh
durch den Briefträger frei ins
Haus gebracht Mk 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Boten
in Geidelberg 1 M., von unſerer
Expedition abgeholt 80 Bfg.
Voſt· ZeitungsVreisliſte



— Yolitilcber Teil.

» Der Sieg der Gemiſſenloſigkeit.

‚ ’ Der Kuhhandel — oder hier richtiger Haſen-
bandel — iſt perfelt geworden. Im Reichstage iſt
das „große nationale Werk“, das Bürgerlihe Ge-
ſetzbuch, am 1. Juli mit 222 gegen 48 Stimmen in
dritter Leſung angenommen worden! Dagegen ſtimmten


Die Mitglieder der deutſchſozialen Reformpartei ſowie


ſtimmung, womit ſie zeigten, daß ſie zwar Freunde
eines einheitlichen Bürgerlichen Geſetzbuches für das
Eſamte Reich ſind, aber die Verantwortung ablehnen
jür die unwürdige Durchpeitſchung dieſes hochwichtigen
Seſetzeswerkes. Sie haben auch noch vor Vertagung der
4 Seſſign den Antrag eingebracht, daß bis ſpäteſtens
zum Jahre 1920 eine Geſamtreviſion des Gefetzbuches
ttattzufinden habe. Vielleicht gelingt e& dann, aus
dieſem in manchexlei Hinſicht unvollkommenen Werke
ein wirklich nationales Geſetzbuch zu machen.


Tagen das Parlament, in welches das Volk ſeine


8 Was
aber iſt geſchehen? Nicht nach Pflicht und Gewiſſen
hat der größere Teil der Reichstagsabgeordneten ſo-


zur Vervollkommnung des Bürgerlichen Geſetzbuches
Leigetragen, ſondern es wurde ein ganz ſchmaͤhlicher

Parteiſchacher getrieben. Nicht was der Geſamtheit
des Volkes dienlich war, ſoadern was den einzelnen


Paragraphen hineingefügt: Don Suhucher-
_ müßte, falls ſie nicht ſchon völlig in ihrer Parteipolitik
voerknöchert ſind, die Schamröte ins Geſicht ſteigen,


— den Namen - „Bürgerliches Gefegbuch“ verdiente das-


freikonſervatives Hundstags - Kartell - Machwerk”. Nun,
die Herren dürften ſich aber in ihren Berechnungen
geirrt haben, denn die deutſchen Wählex werden ihnen
die richtige Antwort zuteil werden laſſen, ſobald ſie
inne werden, was für eine Gabe ihnen die famoſen
Kartellbrüder dargereicht haben.


nach welchem der Göttervater Zeus die ſchöne Pandora
mit einer Büchſe zur Erde herniedergeſandt hHat, in
doer ſich alle Krankheiten befanden, die dann nach Oeff-
nung der Büchſe ſich über alle lebenden Weſen ver-
breiteten, hat der Altreichskanzler Fürſt Bismarck
das Bürgerliche Geſetzbuch eine „Pandorablichje” ge-
—__ nanmnt, und die Kartellbrüder haben „pflichteifrig! ohne
alle Bedenken deren Inhalt auf das deutſche Volk aus-
geſchuͤttet. Oft ſind 200 Paxagraphen ungeprüft mit
einem Mal angenommen worden! — —
Aus dem Geſetzbuche haͤtte ein wahrhaft großes
naͤtionales Werk werden können, wenn man den
Mahnungen unſerer deutſchſezialen Vertreter im Reichs-
tage gefolgt wäre, die eine Uebereilung vermieden 4
woͤllten, zumal, nach Erklärung der Regierung. die
Einführung des Gefetzhuches früheſtens im Jahre
— 1900 (!) ftattfinden kann. — Sie wollten den
Waͤhlern Gelegenheit geben, ſich ſelbſt noch mit den
—__ neuen Beftimmungen des Gefetzẽswerkes vor der Schluß
abſtimmung vertraut zu machen und ihre Wünſche zu
äußern. Da fie — angeſichts des ohen genannien
Rartell8 — einen Beſchluß die Beratung bis zum Herbſt
zu vertagen, nicht mit Worten durchzuſetzen vermochten/ ſo
wählten ſie das einzig mögliche Mittel, die Beſchluß-
fähigkeit des Hauſes anzuzweifeln. Wir haben bereits
genügend das darauf vom Präſidium eingeſchlagene
Verfahren „gewürdigt. Dank der in der Garderobe
befiudlichen Hüte koͤnnte das Heſebbuch weiter durch-
depeitſcht werden. Eine ganze Reihe von anderen un-
gewohnien Vorgängen lieferte außerdem den Beweis,
daß es der Kartell-Majorität des Reichstages, beſonders
den Nationalliberalen und dem Zentrum, daran ge-


ſicht darauf, ob die einzelnen Geſetzesbeſtimmungen
ſchädlich waren oder nicht — das Geſetzbuch noch in
den Hundstagen unter Dach und Fach zu bringen.
Die Kartellbrüder ſcheinen die Beſtimmungen,
welche ſie „im Hui“ dem Volke auf den Hals geladen
haben, ſelbſt keiner langen geiſtigen Durcharbeitung unter-







zogen zu haben, denn ſonſt hätte es nicht vorkommen


Veiter wurde z. B. die Entſchädigungspflicht für


falh angenommen, um gleich am nächſten Tage (!
fallen gelaſſen zu werden Ebenſo * 2* 8
ſtimmungen über die Anſiedelungsgüter, die nach Artikel
60 des Einführungẽgeſezes neben den Rentengütern
durch das Bürgerliche Geſetzbuch unberührt bleiben
ſollten, und auf Antrag des Zentrums nun geſtrichen
wurden. In dieſem letzten Punkte haben ſich die Re-
giexung und die Nationallibexalen vom Zentrum regel-
recht übers Ohr hauen laſſen, denn durch dieſe Streichung
ijt dem Vordringen des Polentums im Oſten des
Reiches wieder Thür und Thor geöffnet worden. Damit


Politik einen Stoß verſetzt. — Man erſieht aus


des Bürgexlichen Geſetzbuches im Reichstage mehr


Unſer Reichstags-Abgeordneter Liebermann v.
Sonnenberg hat in der Generaldebatte bei der dritten
Leſung die fogenannten Volksvertreter, welche kraft
ihrex Hutanzahl in der Gaͤrderobe die beſonneuen und
das Allgemeinintereſſe über das Parteiintereffe ſtellenden
Keichstagsabgeordneten vergewaltigt haben, treffend
Harakteriſiexi Nachdem er den Vorwurf des Abg.
Bachem, die deutſch-ſozialen Abgeordneten hätten
„Obſtruktionspolitik getrieben, gebührend zurückge-


Gründe, die vom Regierungstiſch oder von den
der ⸗ — * on den Hexren

— 222——

derart beſchleunigt durchzuberaten, wie es geſchehen iſt.


Mittelſtandes wirkſam vertreten follen, erſt dann ge-
ſtellt werden konnken, wenn der Mittelſtand ſelbſt ſich
geäußert hatte. Es iſt eine alte Erfahrung, meine
Herren, daß ein Geſetz erſt dann im Publikum richtig


iſt das öffentliche Intexeſſe erregt. Darum meinten
wir, ſollte man dem deütſchen Volke Zeit und He-


die einzelnen Beſtimmungen des Bürgerlichen Geſetz-
buches zu unterhalten. Sehr richtig! rechts) Das war
keine unbillige Forderung.! Wir haben ſie vertreten
müffen, wir haben nicht Obſtruktiönspolitik getrieben,
ſondern wir haben gehändelt, wie wir es unferem
Gewiffen entſprechend thun mußten. — Wir haben
von vornherein den Staͤndpunkt eingenommen, daß
diefes Durchpeitſchen, um dieſen ſcharfen Ausdruck zu
gebrauchen, des Bürgerlichen Geſetzbuches einnat ionales
ünglück ſei, und daß wir unſerſeits nichts dazu
thun wollen, dieſes beſchleunigte Tempo zu ermöglichen.
Barum hatten wir gär keinen Grund, auf unſere


Iner Weiſe einzuwirken. Nur in einzelnen Faͤllen,
wo es möglich war, daß unſere Stimme einen Aus-


{timmt und werden auch weiter ſo verfahren.
Bezüglich der wunderbaren Stellungnahme des


Jiebermann mit,daß die dem Zentrum angehörenden Kom-
mifſionsmitglieder in Privatgefprächen wiederholt den
lebhaften Wunſch ausgeſprochen hätten, daß die deutſch-
foziale Reformpartei für die Roonſchen Anträge ein-
treten möge, das Zentrum ſelbſt aber habe ſich eines
ganz plötzlichen Geſinnungswechſels ſchuldig gemacht.
Cr erinnerte an die Woͤrte, die der Zentrumsabs.


um feinerlei Zweifel an unſerer dauernden (!) Stellung
gaufkommen zu laffen, zu erklären die Gewiſſens-
pflicht zwingt mich dazu, wir müſſen eS erklären —
wir ſagen und erklären hiermit. ſchließlich: der Ent-
wurf enthält Vorſchriften über das perſönliche Eherecht,
die mit den Glauͤbensſätzen unſerer Kirche in Wider-
fpruch ſtehen. Die Kirche exkennt das Recht des
Staates zur Ehegeſetzgebung für Katholiken überhaupt
nicht an. Gelinßzt es nicht, dieſe Vorſchriften aus
dem Geſetzbuch zu entfernen oder ſie ſo umzugeſtalten,
daß die Gewiffensbedenken der Katholiken beſeitigt
ſind, ſo ſind wir genötigt, nicht nur gegen dieſe





2 Zahrgang.


Hanzen zu ſtimmen. „Nun, m. H.“, fügt Herr v
— 7* * — — * in
n Jalle bei Ihnen einen Sieg über die Gewiſ
errungen. (Bravo! rechts) — * * *
Die deutſchſoziale Reformpartei iſt mit ihren An-


über das deutſche Volk entleert werden, und dann wird
dieſes Gelegenheit haben, zu erkennen, wo es feine
wirklichen Freunde zu ſuchen hat. *

— Gerr v. Dißmann. Die „Staatsb. Ztg. *


Oſtafrika, Herrn v. Wißmann leider derart fei, daß


wir aus der Mitteilung der „B. P. N.“ erfahren, d

die Einrichtung, das Kolonialland nicht * —
ſondern in Kronpacht zu vergeben, von Herrn v. Wiß?
mann ausgegangen iſt. Er hat ſich damit nicht nur
als ein ausgezeichneter Organiſator gezeigt, ſoͤndern


im Mutterlande vorläufig noch unüberſteigliche Hinder-


hoffentlich! den Anſtoß gegeben, daß die Bodeureform


ebereinſtimmung fowohl mit den großen Land-
Kompagnien, wie auch mit Einzel - Eigentümern von


befiß zuruͤckgeſchreckt morden feien.“ —
— BWie dem Oeſetz ein Ichnippchen geſchlagen
wird, zeigt folgende Mitteilung des „Konfektionär“ :

reifen laͤſſen, haben ſich ſchnell in die neue Situation
hineingefunden Wie ſie ſich nach dem Inkraftreten
des neuen Geſetzes (1. Januar 1897) zu helfen wiſſen,


Es iſt dies eine Karte
mit frankierter Rückantwort, der vorgedruckte Text der
Rückantwort lautet: „Ich erſuche Sie, mich mit Ihrer
Kollektion zu beſuchen. Hochachtend! Einem Detail-
Reiſenden, der dieſe Autwort in der Taſche hat, kann
444 dem neuen Geſetz keine Polizei etwas an-
aben. *

Ralionalliberale Dankbarkeif. Unter dieſer
Spitzmarke ſchreibt die Volksſtimme“: „Ein ultra-
montanes Blait in Offenburg bringt die Nachricht,
daß der badiſche Staat für den Nachfofger des ab-


fiberales Mandver jährlich 500 Mark mehr bezahlen ;
muß, als der für dieſe Stelle überhaupt ausgeworfene

Höchſtgehalt von 4300 Mark beträgt. Nach dem
Beamtenftatut bleibt nämlich einem Beamten das ſixe
Einkommen, das er einmal erreicht hat, auch wenn er
in eine Stelle einrückt, für die ein niedrigeres Gehalt
ausgeworfen iſt. Nun hatten zwar verſchiedene Be-
werber um die Stelle nachgeſuchi, welche das Gehalt
von 4300 Mark noch nicht erreicht haben, die Stelle
vollſtaͤndig ausgefüllt und deshalb ohne weitere Belaſtung
des Slaalsſäckels hätten gewählt werden können. Aber
Herr Fiefer hatte die Stelle ſchon vor Jahren dem
jetzt gewählten Bewerber vexſprochen, der ſich bei den
Waͤhlen ftets eifrig für die Nationalliberalen ins Zeug
geleßt hatte. Drum hatte Fieſer bei der Wahl den

Nationalliberalen Fraͤktionszwang diktirt und ſeinen
Kandidaten mit 31 gegen 24 Stimmen durchgedrückt.
Herr Fieſer hat damit bewiefen, daß er der Herr der
zweiten Kammer iſt und daß die Nationalliberalen
auch klingende Dankbarkeit kennen, wenn ſie nicht auf
der eigenen Taſche laſtet, ſondern aus dem Staatsſäckel
geſchöpft werden kann. Jedenfalls wird der neue
Ilrchivar von Fieſer's Gnaden jetzt ebenfalls ſeia dank-
bares Gemüt zeigen und ſich für die Nationalliberalen
noch mehr ins Zeug legen wie bishex So wäſcht eine
nationalliberale Hand die andere und das Volk muß
die Seife dazu zaͤhlen, die jährlich 500 Mark koſtet.
Wenn es gelingt, bei der nächſten Landtagswahl die
nationalliberale Majorität endlich endgiitig zu brechen,
duͤrften allerdings dem neuen Herrn Archivar wie
Herrn Fieſer die nationalliberalen Dädalusfluͤgel etwas
geſengt werden.“
 
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