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„ Der „Eadiſche Yolksbote“ er-
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Noſt Zeitungs Vreialiſt
ur. IL
A 114,
7. Jahrgang.
— Yolitilber Feil.
Der Parteitag in Mannheim.
— s OBl *
Nach Aufhebung der Mittagstafel wird in der
weiteren Erledigung der Tagesordnung fortgefahren.
Nachdem zunächſt über die Verhältniſſe einiger Land-
tags-Wahlbezirfe einige intereſſante Mitteilungen gemacht
lichkeit nicht eignen, erhält Herr Schuhmachermeifter
Ir. Schmidt, Vorſitzender des Innungsausſchufſes
Karlsruhe, das Wort zu einem Vortrag über die
Handmerkerfrage. Er führt aus, daß die Regie-
rungen niemals gerne Stellung genommen hätten zu
harten Kampf gekoſtet, ehe ſich die preußiſche Regie-
rung dazu verſtanden habe, auf jene Wünſche hin die
jetzige Geſetzesvorlage auszuarbeiten.
doch in Deutſchland 10866 Innungen mit 237847
] Ganz beſondern
Eindruck hat ſeiner Zeit der Handwerkertag in Halle,
aus, daß die Handwerker ſich organiſieren müßten.
Nur dadurch könne auch ein geordnetes Lehrlingsweſen
herbeigeführt werden; wer Lehrlinge heranbilden wolle,
Handwerkergeſetz nicht allen gerechten Anforderungen
trachtet werden, auf welchem weiter gebaut werde.
Allenthalben werde dasſelbe unterſtützt, wie kürzlich erſt
durch den Südweſtdeutſchen Handwerkertag ın Heidel-
Gewerbevereinler ſeien allerdings dagegen, aber den-
ſelben muß die Berechtigung abgeſprochen werden, im
Namen des wirklichen Handwerkerſtandes zu ſprechen,
denn es ſei ein Unding, daß Kaufleute, Profeſſoren,
Rechtsanwälte u. a. das große Wort in Handwerker-
Verſammlungen führten, wie dies bei den Gewerbe-
vereinen der Fall iſt.
reits im Wortlaut von uns wiedergegebene Reſolution,
welche ſich zu Hunſten dex Zwangsorganiſation aus-
Ueber die Lage der Landwirtſchaft referiert
ſodann Herr Landwirt Goebelbecker-Liedolsheim.
Indem er mit urwüchſigem Humor manchen Seiten-
hieb auf die Feinde der Agrarbewegung führte, ſchil-
derte er die beſtehende Notlage, die ſchleunige Hilfe
erheiſche. Vor allen Dingen thäten Schritte not zur
landwirtſchaftlichen Produkte, wie Tabak, Hopfen 2c-
ſeien kaum noch lohnend. Die Reichsregierung habe
die Ehrenpflicht, für ihre treueſten Bürger, für die
Grundſäule der monarchiſchen Staatsordnung durch
entſprechende Geſetzgebung helfend einzutreten. Leider
finde man aber da nach wie vor einen heftigen Wider-
fland, und müßten ſich die Landwirte denn, ſo gut es
irgend geht, ſelbſt zu helfen ſuchen. Ein gutes Mittel
der Selbſthilfe ſei der enge Zuſammenſchluß in Bauern-
vereinen zum Zwecke gemeinſamen Bezuges ihrer land-
wirtſchaftlichen Bedürfniſſe. Das ſei auch das einzige
Mittel, ſich aus den Händen ihres Todfeindes, des
Juden, zu befreien. Aber bei den gemeinſamen Ein-
Fäufen, bei denen die Bauern bekanntlich billiger fort-
kommen, als wenn jeder Einzelne für ſich ſeine Ein-
kaͤufe macht, dürfe man nicht zu weit gehen, um nicht
falls not leide und doch auch leben wolle Geifalh.
Man ſolle ſich alſo darauf beſchränken, nur ſolche
Dinge gemeinſam zu beziehen, welche dixekt zum land-
wirtſchafklichen Betriebe dienen. Die deutſch-
joziale Reformpartei habe ſeit ihrer Gründung
beiwieſen, daß ſie ſiets die Wünſche der Landwirte voll
und ganz gewürdigt habe. Im Reichslage ſei dieſelbe
kräftig für die Forderungen derſelben eingetreten, und
ddeshalb könne der Bauer auch für die Zukunft dieſer
Partei ſein vollſtes Vertrauen ſchenken, ja er müſſe
ſich ihr anſchließen, weil dies zu ſeinem eigenen
Beſten dient (Großer Beifall).
Ueber den nächſten Punkt der Tagesordnung, die
Parteiprefſe, ſprach Herr Redakteur Hüneke,
Veiter der Druckerei des „Badiſchen Volksboten“.
Er bedauerte den Mangel an Intereſſe,
Parteiangehörigen noch immer für die Wichtigkeit einer
gut geleiteten Parteizeitung beweiſen. Von den ſaͤmt-
lichen Einnahmen für Inſerate und ſonſtige Druckauf-
träge rühre nur ein gaͤnz kleiner Teil von Geſinnungs-
genoſſen her. Er 8
dern werde.
dieſer in die Lage verſetzt werde, den Inhalt immer
reichhaltiger zu geſtalten. — Herr Generalſekretär
Göbel ſtimmte dem bei und hob beſonders die prompte
Geſchäſtsführung und Leiſtungsfähigkeit der Druckerei
andern Druckerei konkurrieren könne.
ten ſtatt für den allgemeinen Parteitag in Halle.
Da hiermit die Tagesordnung erledigt war, ſo
ſchloß der Vorſitzende, Herr Schilling, den Partei-
tag, welcher, wie wir ſchon betont haben, in jeder Be-
anden Verlauf genommen hat.
Der nationalſiberale Parteitag -
hat Samstag, 3. Oktober, in Berlin unter ſtrengem
Ausſchluſſe der Oeffentlichkeit ſeine Sitzungen begonnen.
und Herr Hammacher, glänzen bezeichnenderweiſe durch
Abweſenheit. Der erſtere ſchützt ſeine amtliche Stell-
„Oberpräſidenten dürfen keine Politik treiben“, der
der Parteitag doch nicht mehr für die alte Gründer-
herrlichkeit begeiſtern wird. **
erſt fällen können, wenn die Beſucher desſelden wieder
nach Hauſe zurückgekehrt ſind und ihren Auftraggebern
Bericht erfiattet haben. Das wird doch nicht ſo ganz
daß die nationalliberale Partei überhaupt nur noch im
Geheimen fortbeſtehen will.
handwerksfreundlicher und zfeindlicher Richtung
ſtattgefunden haben, hat man auf dem Delegiertentage
leitung hat ganze Waͤggonladungen Kleiſter und Gummi-
arabikum auf den Delegiertentag befördern laſſen, um
die auseinanderſtrebenden Glieder der Partei zuſammen-
zuleimen. Diejer Leim dürfte auch wohl eine Zeit
uns politiſch auszudrücken bis zu den Reichstags-
ſammenmarſchieren. Die nationalliberalen Agrarier
werden zweifellos mit den Konſervativen gehen und
die Antiagrarier von der Farbe der Nat.-Ztg. mit
den Freiſinnigen. Es wird „nationalliberale“ Kandi-
daten geben, die von den Konſervativen und der „Kreuz-
Ztg.“ unterſtützt, aber von der Nat.-Itg. bekämpft
werden!! Da muß ein nettes Tohuwabohu entſtehen:
Alle Welt iſt darüber einverſtanden, daß die national-
liberale Partei in ihrer jetzigen Verfaſſung überhaupt
keinen Wahlkampf führen kann. Die nationalliberalen
Myrmidonen werden ſich wie die aus der Jaſonſſchen
Drachenſaat erwachſenen Streiter gegenſeitig totſchlagen.
Wenn alſo die Nationalliberalen dieſer Tage beſchloſſen
haben, zuſammenzubleiben und ſich nicht zu trennen, ſo
gänzen müſſen —: „bis zu den nächſten Reichstags-
wahlen.
Als erſter Redner auf dem Parteitage hat der
Stellung der Partei” geſprochen. — Der Leitſatz
ſeiner Ausführungen war: „Waſch mir den Pelz und
mach mich nicht naß“. Uns intereſſieren beſonders
folgende Stellen:
„Die freundlichen Beziehungen zur Gruppe
Rickert, ſoweit dieſe mit uns nationale Aufgaben
erfüllen will, iſt immer aufrecht erhalten worden.
Dieſe konſervative Partei hat nicht zu ihrem Segen
ſich zum Tivoliprogramm entwickelt. Von da nahm
die Zerſtörung der konſervativen Partei durch den
Antifemitismus, die Chriſtlich-Sozialen 2e. ihren
Anfang. Auch hat die Uebertreibung der agrariſchen
Inierefſenpolitik ein gut Teii konſervativer Königs-
treue hinweggenommen.“
Die Konſervativen werden bezüglich des unver-
ſchämten Angriffes auf ihre Königstreue die Antwort
gewiß nicht ſchuldig bleiben. Für uns genügt das
Bekenntnis, daß nach Meinung der nationalliberalen
Partei die Judenſchutztruppe Herrn Rickerts nationale
Aufgaben zu erfüllen im Stande iſt. ——
An anderer Stelle ſagt der Redner:
„Dem Bunde der Landwirte gegenüber nehmen
wir ebenfalls unſere volle Freiheit in Anſpruch. Wir
verwahren uns gegen den Gedanken der impera-
tiven Mandate, gegen die antiſemitiſche Hetze und
gegen die zielbewußte Erregung von Unzuftiedenheit
der Bauern, insbeſondere gegen die Verſuche, uns
die Landwirte ſich zur Wahrung ihrer Intereffen
zuſammenſchlichen. Wir wiſfen die nützliche Thätig-
keit der Bezirksvorſitzenden des Bundes in Weſt und
Süd überall zu würdigen. Wenn aber die Berliner
Leitung des Bundes überwiegend nur konſervativ-
antiſemitiſche Wahlpolitik treibt, ſo wehren wir
Ddies.ab." . X 8
Hiergegen mag ſich der Bund der Landwirte
wehren. Wir ſtellen nur feſt, das die nationalliberale
Partei öffentlich den Grundſatz proklamiert: „Wahl-
verſprechungen brauchen nicht gehalten zu werden“,
denn etwas anderes hat der Bund der Landwirte von
verlangt, und werden uns danach bei den Wahlen zu
richten wiſſen. — Herr Baſſermann perſönlich wird
aber folgerechter Weife auf die Wahlunterſtützung der
„antiſemitiſchen Hetzer“ denen er ſein Mandat verdankt,
verzichten und ſich daher bei Zeiten nach einem anderen
Waͤhlkreiſe umſehen müſſen. —
Nach einer längeren Debatte nahm der Parteitag
folgenden Antrag des Zentral⸗Vorſtandes und zwar
deutende Minderheit an. —
1. Der nationalliberale Delegiertentag hält es
unter den gegenwärtigen politiſchen Verhältniſſen
für beſonders notwendig, die alten Grundſätze zu
betonen: das Vaterland über die Partei; das all-
gemeine Wohl über allen Sonderintereſſen; Unab-
hängigkeit nach rechts und links wie gegenüben der
Regierung; volle Wahrung der konftitutionellen
Rechte; Bekämpfung jedes Rückſchrittes und beharr-
liches Streben nach ſtetiger Fortentwickelung aller
Einrichtungen des offentlichen Lebens; entſchloſſene
heit des Reiches und der Schutz des Deutſchtums
gegen Uebergriffe und Anmaßungen, ſei es von
welcher Seite immer, fordert; kräftiges Eintreten
für alle berechtigten Wünſche und Beſchwerden des
Volkes. V ‚
. Die nationalliberale Partei bewahrt auf wirt-
ſchaftlichem Gebiete ihren Charakter als Mittelpartei
und muß daher Forderungen zurückweiſen, welche in
einſeitiger Berückſichtigung der Intereſſen eines Be-
rufsſtandes andere fuͤr den Staat gleich wichtige
Berufsſtände empfindlich zu ſchädigen oder die Grund-
lagen unſerer Volkswirtſchaft umzuſtoßen geeignet
ſind. Derartigen Beſtrebungen entgegenzutreten, er-
achtet die nationalliberale Partei für ihre Pflicht,
aber ebenſo für die Pflicht jeder das Staatswohl
allein zur Norm nehmenden Regierung.
Es wäre nicht ſchwer, die hohlen Phraſen dieſes
Beſchluſſes durch Beiſpiele aus der Fraktionspraxis
auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Wir wollen
der nationalliberalen Fraktion bei dem Antrag auf
Verbot der Einwanderung fremder Juden und beim
Falle Baſhford mit der ſchönen Redensart von einer
„entſchloſſenen Vertretung alles deſſen, was der Schutz
des Deutſchtums gegen Uebergriffe und Anmaßungen,
ſei es von welcher Seite immer, fordert“, in Einklang
bringen laſſen. — Auch die Durchpeitſchung des bür-
gerlichen Geſetzbuches, wobei die Nationallibexalen dem
Zentrum freiwillig Vorſpann leiſteten, bewies weder
die gerühmte „Unabhängigkeit von anderen Parteien
und gegenüber der Regierung“, noch zeigte es von
„kräftigem Eintreten für berechtigte Wünſche des
Volkes?.
— die Made gegen die Zwangsorganiſatton
wird ganz vorzüglich gekennzeichnet durch einen Brief,
den ein Handwerksmeiſter, welcher ſelbſt Mitglied