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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 31 - No. 40 (17. März - 14. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0161

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*

der vadirche Molksbote“ er-
ſcheint Zmal wöchentlich (Diens-

Heidelberg; Vahuhof ſtrᷣaße 9.
Telegramni-⸗Adreſſe:“

Volksbote getdeiberg.

Aueigeupreis:





7. Zahrgang.






Preis vierteltahrlich
durch den Brieftwäger frei in's
Haus * Ml 1.25, durch
unfere voten in Heidelberg } M,
Am 6 oder von üuſerer
Expedition abgeholt 80 Vfe

vot · Zeitaus xretauit⸗ 5



Die 5gefpaltene Petitzeile 10 Pfg.





Gin Zudenſtaat.

Der Doktor der Rechte Theodor-Herzl veröffent-
licht im Vexlage der Breitenſteinſchen Buchhandlung
in Wien unter dem Titel „Der Judenftaat“ den Ver?
juch einer modernen Löſung der Judenſrage. Der
Verſuch iſt ſo intereſſant, daß er einer eingehenderen
Behaͤndlung wert erſcheint. Theodor Herzl iſt offen
und ehrlich, das wollen wir ihin gern zugeſtehen. Er
erklärt ohne Vorbehalt, daß die Juden ein Volk in
ſich ſeien und ein
und müſſen. Er vexkennt nicht, daß der Antiſemitis-
mus allgemein verbreitet ſei und nicht gufhoͤren,
ſondern zunehmen werde. Er ſtellt nicht in Abrede,
daß die Juden ihre Fehler haben, daß ſie nicht
anders ſind als andexe Menſchen. Er verkennt nicht
die große Gefahr, die darin liegt, daß die Juden,
wie er ſich ausdrückt, die Unteroffiziere aller revo-
lutionären Parteien ſind und —— — den Haupt-
beſtandteil der furchtbaren Geldmacht bilden. Von
einem Aufgehen der Juden in Völkern, bei denen ſie
wohnen, hält er nichts. Er glaubt, daß das, ſelbſt




unmöglich ſei. Die bisherigen kleinen Verſuche der


mißgluͤcken, weil ſie planles unternommen waren. Er
ſetzt an die Stelle der bisherigen vereinzelten Verſuche
einen großen, uͤberraſchenden, faſt verbluͤffenden Plan.

Ein neuer Judenſlaat fel gegründet werden, ob
in Paläſtina oder in Argentinien, das läßt er vor-
läufig noch dahingeſtellt. Um die Gründung vorzu-
bereiten und durchzuführen, ſollen zwei große Orgaͤne
gegründet werden, die er mit engliſchen Namen be-
zeichnet, und zwar die „Society of Fews“ und die
„Jewish Company“. Die . „Society‘“ ſoll das
wiſſenſchaftlich und politiſch vorbereiten, was die
„Company‘‘ praktiſch ausführen ſoll. Die „Com-
pany! ſoll die Liquidierung der abziehenden Juden
und die Organiſation des wirtſchaftlichen Veckehrs
im neuen Lande beſorgen. Der Abzug ſoll freiwilli
und nach und nach erfolgen. Die „Company“ i
als Attiengeſellſchaft unter dem Schutze Englands
gedacht. Das Aktienkapital ſoll etwa eine Miliarde
betragen. Zuerſt müſſen natürlich gelernte jübifche
Arbeiter aus den großen ruſſiſchen und rumaͤniſchen


Die Arbeiter arbeiten in zwei Schichten je 7 Stunden
und haben es im allgemeinen ausgezeichnet.
ſolgen den Arbeitern die Unternehmer, die Beamten,




nicht juͤdiſcher Arbeiterſchaaren ins Land wird dur
Boykott der widerſpenſtigen Induſtriellen unmöglich

Im Koſthauſe.

Von Reinhold Herrmann. ;
Nachdruck verboten.)

Neben dem höchſten Gericht des Landes in einer
der Asphaltſtraßen Berlins befindet ſich in dem Pars
terreladen eines fünfſtöckigen Miethshauſes eine Koſt.
anftalt, in der man für einen beifpiellos hilligen Preis
fruͤhſtücken, zu Mittag und zu Abend ſpeiſen kann.
Sie wird hauptſächlich frequentiert von jenem Teile
der Bevölkerung der großen Stadt, welche ſich
wohlfeil nähren muß und deshalb mehr auf die
Menge als auf die 44 des Gebotenen zu
ſehen gewohnt iſt. Es
Aermſten unter den Armen, welche hierherkommen,


Reichshaupiſtadt, wo man ſelbſt den Luxus eines
bunten Tiſchtuches nicht kennt und die Mahlzeit höch-
ſtens in einer vollen Schuͤſſel beſteht mit irgend einem
leicht ſättigenden Gemenge und ein großer Zinnlöffel
das ganze Beſteck bildet.

In jenem Parterreladen verkehren die Unter-
beamten des nebenanbefindlichen Gerichts, die Lohn-
ſchreiber und Handlungsjünglinge, Geſellen und das
fahrende Volk des Muſikantengewerbes neben ver-
einzelten Führern von den in der Nähe ſtatignierten
Droſchken; alles Leute, die in irgend einer lebendig







Sch w aig er.

— —



emacht. Das allmähliche Aufblühen des neuen
einzelnen geſchildert, und zwar in prächtigen Faͤrben,
ſo daß man unwillkürlich den Wunſch empfindet, dieſen

zu ſehen.

Die 143 des Geldes ſcheint ihm
eine Kleinigkeit.

der Zuſammenbringung des Kapitals beteiligen würden,
wenn ſie hoffen könnten, auf dieſe Weiſe die Juden
zu verlieren. *

Die „Society“ iſt nun die eigentliche ideale

dafür; vermittelt das Verftändnis in den wiffen»

den Rabbinern — kurz, ſie bereitel alles Ideale für
/ den neuen Staat und im neuen Staate vor. Sie iſt,
wie der Verfaſſer ſich ausdrückt, der „negotiorum
gestor‘‘ der Juden. Im beſonderen wird ſie dem

faſſung gebea. Eine monarchiſche Verfaſſung, die
dem Dr. Herzl angenehmer waͤre, ſcheint ihm nicht
gut durchfuͤhrbar zu ſein, jedenfalls deshalb, weil die
Zahl der Thronanwärter außerordentlich groß ſein
würde. Er ſchreibt alſo eine ariſtokratiſche Republik
vor. Demokratie iſt ihm verhaßt, weil die Politik
von „oben herab“ gemacht werden müffe. Eine neue
Sprache wird nicht gebildet. Jeder nimmt ſeine
bisherige mit und diejenige, welche ſich am beſten be-
währt, wird die neue Judenſprache Jeder iſt in
ſeinem Glauben unbeſchraͤnkt, nur muß er Jude ſein.

*

5 zur Aufrechterhaltung der Ordnung.
hne iſt ſchon für ihn gefunden: weiß wit 7 gol-
denen Sternen.
Soweit der Vorſchlag des Herrn Dr. Herzl in
großen Zügen? Was ſich dom Standpunkt des Juden-
iums dafuͤr oder dagegen ſagen * könne, darüber
wollen wir uns den Kopf nicht zerbrechen. Wir fürch-
- ten uur, daß der gute Dr. Herzl mit all ſeinen präͤch-
tigen idealen 8— von den fuͤhrenden Juden als
ein gutmütiger ärmer belächelt, verfpottet oder
totgeſchwiegen werden wird. An der Durchführbarkeit
der Idee läßt ſich ja im allgemeinen nichi zweifeln.
Nur daxan zweifeln wir, daß ſich im Judenvolke die
genügende Zahl körperlicher Arbeiter ſinden wird. Der
Verfaſſer hofft, daß ſich erſt im neuen Lande die Be-
abung der Juden für ſchaffende Arbeit zeigen werde.
ie 4 iſt 444 kühn. Aber ſei dem,
wie ihm wolle; wir könnten mit dieſer Löfung der
Judenfrage im allgemeinen zufrieden ſein, wenn nicht
doch der 55 aud) hier unter der Umhülung her-
ausſchaute. Der Verfaſſer läßt nämlich die Möglich-

nſprüche an Sauberkeit und Ordnung noch nicht
aufgegeben haben, ſondern im Gegenteil ſelbſt in
ihrer gedrückten Lebenslage auf Aeußerlichkeiten halten,
uͤber welche die ungleich tiefer ſtehenden Beſucher jener
anderen Anſtalten längſt hinweg ſind.

dem vornehmen Gewoͤhntſein an einen ſpaͤten Mittag
als der loͤblichen Gepflogenheit zahlreicher Induſtrieller

päteten Tiſchzeit mit einem früheren Feierabend ge-

Nur zu gewiſſen Stunden tritt

leer von Gäſten.
Dann ſitzen ſtatt der 60 oder 70,

einige Stille ein.

einzelnen Tiſchen; die Unterhaltung wird nur halb-
laut und mit dem Kellner geführt und dreht ſich meiſt
ſum die leiblichen Gonuͤſſe. welche zu engerer Aus-
wahl an den ſchwarzen, geſchickt auf die vier Wände
verieilten Holztafeln mit Kreide verzeichnet ſtehen.

ſich geleert, die meiſten find hinaus und mwieder an
ihre Arbeit gegangen. Nur ungefähr ein Dutzend

ſpärlichen Zeitungen oder raucht behaglich ſpröde
Cigarren und ſchaut behaglich dem Spiel von zwei
Anderen zu, wie ſie über das grüne Tuch eines im



Hintergrunde aufgeſtellten



















„ Me. ⁊5s5.



— s s — — — —— — — — —

keit offen, daß die bisherigen judiſchen Beſitzer auch
nach ihrer Auswanderung * in der alten Heimai
bleiben, ihren Beſitz nur von Ehriften verwalten laffen

und von Zeit zu Zeit zur Inſpektion ihrer Guter nad
den altex Wohnſtätten zurückzukehren; und an einer
andern Stelle deutet er darauf hin, daß der jüdiſche




Zukunft dort nicht fehlen werde, wo man es


lage nach wie vor ſuchen werde, wo ſeinen Befigeru
die Verhältniſſe bekannt ſeien. Damit wäre nun frei·
lich für uns nichts gebeſfert. Wenn das jüdifche Kapital


von den Juden 4— Laͤndern entfalten ſol dann
luswanderung verblüffend wenig.
Dann wird nur das erreicht, daß die 2— *
und Millionäre das, was die deutſchen Arbeiter und
Verwalter für ſie geſchafft und erworben haden, in


immerhin etwas, aber recht wenig. Freilich, auch das


Herzl'ſche Judenſtaat wird wohl nicht in Paläftina
oder Argentinien errihtet werden ſondern in Wolken



H — — *

‚ € Auch eine Srinnerung au den große ßm; e
Es war im Juli 1870, als die 22
daheim bereits Weib und Kinder hatten, ju den ibuen
einberufen wurden. Man ſammelte ſi 2 * *
Sahuhef zu X
Einer blieb aus, e& war ein Jude aus Y,.; doch ver-
laufete gleichzeitig, derſelbe ſei kranl, wirtli kraͤnt,
ernſtlich krant (wie deſſen juͤngere als Zuſchauex ; an
weſende 47 gar eifrig beionten). Der
Nann gus jenem Volte, das Fein eigenes Blut


4 hatte, um ſeinen? zu erreichen, blieb ein
eimnis. Die Krankheit hob ſich wider Erwarten
machte er, natuͤrlich aus reiner
eilnahme, Beſuche in den Haͤuſern und malte den


eine bediente ſich hierbei ſogar des derben St
7 März des folgenden Jahres kehrten die ſiegreichen
riegex zu Haus und Herd zurüg, Unter ihnen aug
mein Hewährgmann. Wer ihın zuerſt begegnete , ehe
er noch den Hofraum jeines Hauſes betreten Pounte,
war obengenannter Held aus Juda, der ihm
ſchmunzelnd die Hand zum Gruße reichte: „Mach
wieder dahaame Setol da hab i Dir a {d&'8
Rühle, wirſt jetzt wieder en g;ai‘fm;e Biechftand
brauche; ’8 ifch gut — 8 hat es dahasm
Will nix verdiena; was geift mer?

— — — — — — — —



kleinen Elfenbeinkugeln treiben und ihre Fehlftöße‘
mit gégg.nfeü‚igen harmloſen Ironien 4*
in alter , weißhaariger Mann iſt der naͤchſte
_ i emerkungen, bisweilen hufcht

ein ſreundliches Icheln über feine gefurchlen Züge,“

er ſcheint ſein beſcheidenes Vergnugen an den Beiden.


Einer iſt aufgeſtanden und an das einzige toſt·
ein no,
deſſen Urſprung noch ziemlich neu ſcheint. Er öffuet
es und lüßt ſet Hand wie präludierend über dia
noch ungebräunten Taſten gleiten. Seine Profeſſien
iſt eine ganz andere, aber er iſt noch jung und liebt
es, das im Vaterhauſe Erlernte hier zum beſten z
geben. Vielleicht liebt er auch die Muſik. ſett


ſeinen Fingern die bekannten Weiſen eines volfstümlich
gewordenen ungemein melodiöſen Muſikſtückes hervor.
Die Tonwellen durchrauſchten den Naum und ſchienen


eben.

Bei den erſten Klängen iſt der Alte zuſammen-
** ſeine Augen haben ſich von den Spielern zu
em Spielenden gewewbet und ein feltfam traͤume-
geworden, ſeine

riſcher Ausdruck iſt in ihnen 7
Worte.

Lippen murmeln unverſtändliche

(Schluß felgt)
 
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