Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

DOI chapter:
No. 91 - No. 100 (18. August - 8. September)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0369

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext


Der Vadifche Yolksbote“ er-
{cheint 44 wöchentlich.
Verlag und Leitung:
Heidelberg, Bahnhoffrake 9.
Trelegramm-Adreſſe:
Yolksbote Heidelbera, -
. Auzeigeupreis:
Die dᷣgeſpaltene Petitzeile 10 Pfs.





ole

ureis vierteljährlid

ſchalter oder durch unfere Boten
in Heidelberg 1 M., von unfjerer
Erpedition abgeholt 80 Pig.
Poß-Zeitungs-Preislifte
Vr. 755 *




— Deil.

Zum Werhfel im Kriegsutiniſterium.

„Ein Mann weniger!“ — Nicht anders als mit
dieſen Worten, ſagt die „Deutfche 3tg.” , koͤnnen wir
die Thatſache der Entlaſſung des Kriegsminiſters
Bronfart von
in der That, alle Blätter, mögen ſie dem verabſchiedeten
Miniſter freundlich oder feindlich geſinnt ſein, alle
ſind darüber einig, daß demſelben voͤlle Achtung gebührt.

Empfindlich wird man das Scheiden des Herrn
Bronſart von Schellendorff in den weiteſten Kreiſen






‚tages vermiſſen. Seine Geiſt und Witz ſprühenden
Abfertigungen der Sozialdemokraten werden unvergeſſen
bleiben. Gegen unnüße Sozialdemokraten gebrauchen
‚ wir die Feuerfprige“ — ĩſt geradezu zu einem geflügelten
Wort geworden.

Die ſozialdemokratiſche Preſſe bejubelt denn auch
den Rücktritt des Kriegsminiſters in gleicher Weiſe
wie alle Gutgeſinnten ihn bedauern Beſonders die
deutfhen Landwirte werden. den ſcheidenden
Miniſter ſtets in ehrendem Andenken behalten. Bronſart
v. Schellendorff war, ſchreibt mit vollem Recht die
„Dtſch. Tageszig.“, von der feſten Ueberzeugung durch-
drungen, daß die Schlagfertihkeit des Heeres auf dem
Sedeihen der Landwirtſchaft beruhe. Was in feinen
Kräften ſtand, hat er gethan, um die heimiſche Land-
wirt{chaft zu fördern. Ihm iſt es zu daͤnken daß die
Propiantaͤmter immer und immer wieder angewieſen


zu decken. Er hat die Angriffe, die der Zwiſchenhandel


gehen laſſen. Immer und immer wieder hat er Ver-
ordnungen erlaffen und Vorkehrungen getroffen, damit
die Anweiſung, bei den Landwirien unmittelbar zu
faufen, nicht auf dem Papier bliebe,
Segen der Landwirtſchaft durchgeführt würde. Für
alle Klagen und Beſchwerden haile er ein offenes Ohr
und eine hülfsbereite Hand.
Was das Heer beim Scheiden dieſes Mannes
empfindet, läßt ſich denken. Er war, ſo urteilt treffend
ie „D. 3.“, eine edle Verkörperung des beſten


deutfchen Geiſtes; ein Ritter ohne Furcht und Tadel!
Als in einer früheren Zeit zum erfien Male die Ge-
rüchte von ſeinem bevorſtehenden Abſchiede umgingen,
haben wir zum Lobe dieſes Mannes nichts Beſſeres
agen können, als daß wir aus ſeiner Haltung im
Reichstage und ſeinem ganzen öffentlichen Wirken zum
erften Male ſeit Bismarcks Abſchiede einen Hauch
Bismarck'ſchen Geiſtes verſpürten. So betrachtet,
haben wir viel, unendlich viel mit dieſem Manne ver-
loren, vielleicht den einzigen ganzen Mann unſerer
jetzigen Regierung. 7
. . Bedentfamer aber, als dieſer Verluſt an ſich, iſt
die Ueberzeugung,
läßt, daß Männer in der Regierung unſeres Kaiſers
überhaupt keinen Platz mehr finden. Zuͤr Thatkraft
unſeres Kaiſers kann jeder Deuifche jebt nach Allem,
was wir von ihm wiſfen und wie wir ſeine große,
hingebende Liebe an den Dienſt des Vaterlandes em-


Ratgeber überhaupt entbehren und Alles felber ſehen
könnte, wenn die Verfaſfung,
nnnſerer bürgerlichen Geſeßze und Freiheiten, nicht ver-
‚antwortliche Ratgeber verlangte, dann wäre das Schiff
des Reiches von ſo treuer Hand ſchließlich vielleicht
auch gut geſteuert. Aber da bei dem Getriebe eines
ſo großen Reiches der Kaiſer nun einmal der Mat-
geber nicht entbehren kann, ſo bleibt es doch dabei,
daß wir uns den Einfluß der verfaſſungsmäßig ver-
antwortlichen Ratgeber ſtark und entſcheidend! den
Einfluß der unverantwortlichen dagegen möglichft un.
merfbar wünſchen müſſen. Und däs iſt das Be-
klemmende dieſes neuen Miniſterabſchiedes, daß er auf
den immer mächtiger werdenden Einfluß des unver-
antwortlichen Chefs im Militärkabinet nur allzuklar
hindeutet. Herr von Lucanus im Zivilkabinet iſt
längſt das Geſpenſt für die bürgerlichen Miniſter
geworden, Herr von Hahnke wird es uun für die
Militärminiſter.
Nach dem genaanten Blatte iſt der eigentliche
Streitpunkt, um den es ſich bei der Verabſchiedung
handelt, zwar das Militär⸗Strafprozeßverfahren, deſſen









Gegner Herr von Hahnke ift, aus dieſer Gegnerſchaft
aber entſprangen fortgefeßte Reizungen des Kriegs-
miniſters, denen er ſchließlich nicht mehr hat ſtand-
halten mögen. Ais man die Perfonalien des eigenen
Minifteriums gegen ſeinen, des Minifters, Willen im


ling gegen den
Winiſters in den Frontdienſt
Miniſter erkennen, daß einem andern unverant-
wartlichen Ratgeber Macht über ihn gegeben war
und daß er enkweder Dekoration ſpielen oder aus
ſeinem Amte ſcheiden mußte. So kommt es, daß wir
den Gang der Entwickelung, der dieſen Mann zum
beklagen, als
den 2* des Mannes ſelbſt.

Mann iſt, der das innere Recht hatte, einen Mannn
wie Bronſart von Schellendorff zu verdrängen, d. h.
der ihn erſetzen oder gar überbieten könnte, wenn er
an ſeine Stelle käme, das wird von Kennern der Ver-
hältniſſe, auf deren Urteil wir Wert legen, leider ſehr
lebhaft beſtritten. Der thaͤtfächliche Nachfolger be-
gegnet in der ganzen Preffe einer neutralen Stimmung.
Mit vollem Rechte. Mannnı muß fich nur bewußt
werden, was die neutrale Stimmung bedeutet. Man
erwartet von dem neuen Kriegsminiſter von vornherein
nicht, was ſein Vorgänger nicht hat erreichen können,
denn nach dieſem Vorgange iſt das Niveau des Kriegs-
miniſteriums überhaußt niedriger gelegt. Man er-
wartet dagegen, daß er an Biegfamkeit don voruherein
als brauchbarer befunden ſei. Und wie viel in dieſer
Beziehung von ihm ermartet wird, ergiebt fich aus der
Zhatfache, daß General von Goßler unler Caprivi -
der eigentliche Erfinder der vierten Bataillone war,


und daß er nun vielleicht, wie zum Hohne ſeiner
Igenen Vergangenheit, berufen fein wird die vierten
Bataillone wieder zu beſeitigen.

Am Schluſſe dieſer leider nicht ſeh freudigen


vermerfen Folgendes; Kaiſer Wilheim I. regierte 28
Jahre mit den 3 Kriegsminiſtern, Roon, Kamecke,
Bronſart von Schellendorff Seit 1888 haben wir
gehabt: Bronſart von Schellendorff I, Verdy du
Vernois, v. Kaltenborn-Stachau, Bronfart v. Schellen-
dorff II und nunmehr von Goßler. *



Das Petroleum-Monnpol,
über das nunwehr faſt ein ganzes Jahr lang ver-
hältnismäßige Ruhe geherrſcht hat, iſt jetzt wieder in
Aller Munde, nachdem die Meldung durch die Blaͤtter


Firmen dem Ring beigetreten ſeien. Sehr bald wuͤrden

dieſe Thatſachen abgeleugnet. Erſt unlängſt ſchrieb

ſogar die treffliche „Deutfche Wacht“:
„Ueber das befürchtete Petroleummonopol wird


ungen, ſich glücklicher Weiſe nicht beſtätigen. Die
„Bank- und Handelsztg.“ hat in Hamburg telegraphiſch
dieſerhalb angefragt und folgende Antwort erhalten:
Fuſion von Firnig Poth in Maͤnnheim und Raſſow,
Young u. Co. in Bremen iſt Thatſache Alles Weitere
ſind dagegen müßige Konjekturen.“ Dazu bemerkt das
Blatt; Wie wir ſchon vor einiger Zeit mitteilten, iſt
gar nicht daran zu denken, daß die beiden geachteten
Firmen Poth und Raffow, Young u. Co. ſich mit der
amerifanifchen Standard Oil Conipany in ein Kartell-
verhältnis einlaſſen würden. Obige Depeſche erklärt,
was daz diesbezügliche Gecücht veranlaßt hat. Durch
die Fuſion der beiden deutſchen Firmen dürfte im
Gegenteil deren Widerſtandsfähigkeit gegen die Amerikaner
noch zugenommen haben.“

Die „Deutfche Zeitung“ dagegen iſt ſehr miß-
trauiſch. Sie ſchreibt: Bereſts vor einigen Tagen be-
ſprachen wir an dieſer Stelle die volkswirtſchaftliche
Bedeutung der Nachricht, daß es den amerikaniſchen
Petraleumkönigen gelungen ſei, nun auch die letzten
von ihnen bisher noch unabhängigen deutſchen Betroleum-
händler zur Kapitulation zu zwingen und zum Anſchluß
an die „Standard-Oil-Company“ zu bewegen, die ſich
damit die unbeſtrittene Herrſchaft auf dem Petroleum-
markte exxungen hat. Wie immer bei Abſchluͤß folcher
auf die Ausplünderung der Menge abzielenden Kartelle
und Ringe erfolgte auch diesmal eine geharniſchte Ab-
leugnung der allarmierenden Nachricht, die den Millio-
nären von der Standard-Oil-Company das Geſchäft









7. Zahraaug.

zu verderben drohte. Der Gewährsmann des Ham-
buxger Blattes, der zuerſt auf die drohende Gefahr




Er richtet an die „Hamb. Börfenhalle“, „indem er
der Redaktion gegenüder jede Gewähr für die Richtig-
keit ſeiner Behaͤuptung übernimmt“, eine Zuſchrift, in

der es heißt: „In Ihrer Ausgade vom 3. Auguſt
Nachmittags erſchien ein Artikel, der augenſcheinlich
unzutreffend und für das Publikum irreführend iſt.


worden iſt. Dies kann bewieſen werden, falls die
Notiz in der geſtrigen Faſſung etwa aufrecht erhalten
werden ſollte. Hert Poth, ſowie die Herren Raſſow,
Doung u. Co. find der allgemeinen Vereinigung bei-
Etreten. Dieſe Firmen haben bis zum 24. Mai ihr
Oel von den unabhängigen Produzenien und Raffinören


ift. Von oben genanntem Datum
ab haben die Käufe und Verſchiffungen von der
Standard⸗Oil⸗Companij oder ihren Verbündeten ſtatt-
gefunden, und die Schiffe der genannten Firmen ſind


Dil-Company beladen worden. Das Publikum wird
bald die genaue Lage der Dinge kennen lernen.“ . Man


gegenüber dieſer beſtimmten Erklärung den Mut haͤbel
werden, die Sache abzuleugnen. Mit noch lebhafterem
Intereſſe muß man aber den Maßnahmen entgegen-


hochwichtigen Angelegenheit ergreifen wird. Al8 im
Mai vorigen Jahres die Ddeutfchfoziale Reformpartei


Reichstage zur Sprache brachte, indem ſie die Frage
„Welche Maßregeln gedenken die verbündeten

der das geſamte deutſche Volk durch die künſtlichen


iſt, zu beſeitigen?“
langen Erklärung die Verſicherung ab, daß ſich die
Reichsregierung im Verein mit der preußiſchen Re-

gierung ſchon ſeit längerer Zeit mit' der Frage be-

ſchäftige, welche Maßregeln zum Schutze der deutſchen
Intereſſen gegenüber dieſer Ringbildung zu ergreifen
Die Erwägungen ſeien dem Abſchluß

des deutſchen Handeis und der Konfumtion, wenn er
die Beantwortung der Fnterpellation ablehne. Der
Reichstag lehnte leider, mit allen gegen 48 Stimmen,
die Eröffnung einer Beſprechung der geſtellten An-
frage ab, und von Schritten der Regierung hörte man
ſeither natürlich nichts mehr. Nach der feierlichen
Erklärung des Herrn von Boetticher müſſen die „Er-
vägungen“ jetzt, es ſind ſeitdem ja 4 Jahren ver:
flaſſen, zum Abſchluß gekommen ſein. Man darf
alſo wohl fordern, daß die Regieruug nun auch han-
delt. Nach ihrem bisherigen Verhalten gehört freilich
Optimismus, als wir ihn ung erhalten
haben, dazu, daran zu glauben, daß Herr von Boet-
ticher den volltönenden Worten auͤch Thaten folgen
läßt, geeignet, das deutſche Volk vor dem beabſichtigten
Attentat zu bewahren. 2

Nationalliberale Aengſte. Wie wir ſchon
erwähnten, ſucht die jüdiſche Preſſe den koloſſalen Er-
folg, den die Deutſcheſoziale Reformpartei mit ihrer
Verſammlung in Kehl errungen hat, einfach totzu-
weigen. Ueber die Verſammlung ſelbſt wird kein
Wort berichtet, es entringen ſich nur hier und da der
nationalliberalen Bruſt dumpfe Schmerzenzlaute über
die zunehmende Macht der Antifemiten im Hanauer
Jande.So läßt ſich die nationalliberale „Heidelberger

Zeitung von dort ſchreiben:
„Das Hanauerland iſt bisher gut natioualliberal
— und iſt es im Grunde genommen heute noch.
er wirklich biedere Menſchenſchlag, der vorwiegend
Ackerbau treibt und ſich meiftens noch gut damit näͤhrt,
blieb allen Anſtürmen und Lockungen anderer Barteien
zum * gut libergl. Anders {teht es jebt, wo eine
auf das bäuerliche Element und den leicht erregten Un-
; willen gegen die meiſt gut fituierten Iuden berechnete
Bewegung ins Lehen gerufen mwird. Daß die durchaus
unvernünftigen Skandalgeſchichten in Bodersweier und
Linx nur daͤzu dienen, SUultrationen zu den zahlreichen
Vorträgen zu liefern, iff Far. Ebenſo beſtimmt iſt aber
auch, daß bei den nächſten Wahlen eine erkleckliche
Zahl Stimmen im antiſemitiſchen Lager ſein
werden. Geradezu betrüben muß es einen tren zu ſeiner
 
Annotationen