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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 11 - No. 20 (1. Februar - 20. Februar)
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ſyrn Jurtei In
























Heidetberg, den S, Jebruar 159







Aus dem badiſchen Laudtag.
Nachdem der Schulchan Aruch bis in die letzten
Taͤge noch ſeinen Schatten geworfen, iſt es wohl doch
noch au der Zeit hier ein Wort über die Landtags-
verhandlungen zu fagen, obwohl eigentlich die Haußt-
yunfte in einigen Aufſäzen des „Voͤlksboten“ bereits
erörtert ſind. Der Gefainteindruck der Schulchan-
Aruch Verbandlung im badiſchen Landtag läßt ſich
für jeden Einſichtigen in die paar Worte zuſammen-
faſſen! Wie wüſfen die Zuden lachen! Da haben


geftritten, haben ſogar ſchwere Schimpfwörie gebraucht,
die der Bildung des Ausgangs des neunzehnten Jahr-
hundexts keine Ehre machen — Alles das ohne eigent-


_ mon das Schreien und Schimpfen der liberalen Wort-
führen — fo die Ausfälle des demokratiſchen Rechts.
anwalts Muſer: Antiſemitismus in ſeiner widerlichſten


mus, der Antiſemitisnius appelliert an die niedrigſten
Juſtinkte; ferner die ebenſo geiſtreichen und gebildeten
Auslaſſungen des Landgerichtsdirektors Fieſer: Unſerer
hriſtlich-humanen Kultur ein Fauſtſchlag in's Geſicht,
der Neid die weſentliche Grundlage des Antiſemitis-


femitismus ein Schandfleck unſerer Zeit, es ſei ge-
boten, auf dem geſetzlichen Wege dieſer verhetzenden
und ungerechten Bewegung endlich Einhalt zu thun —
hört man dies verworrene Gerede, ſo fragt man ſich


zu Dienſten? Schimpfworte, Denunziation und ſchließ-
lich phariſäiſches An-die-Bruſtklopfen — und warum?
Weil deutſche Männer es unerträglich gefunden
haben, daß man den Inden unter uns alle Rechte in


ohne ıhve in bekannten, religiöſe und ſoziale
Vorſchriften enthaltenden Büchern niederge-
legten Grundſätze zu prüfen. Wie kann maͤn,
ſo fragt jeder Vernünftigte, dem nicht Hirn und
Verſtand von Parteianſichten umnebelt ſind, irgend
Jeniand Rechte verleihen, ohne daß man geprüft


Juden die volle Gleichberechtigung mit uns verlieh,
fannte man ihre religiöſen und fozialen Lebensvor-
ſchriften durchaus nicht. In echt liberaler Duſelei


zwei Aruie und im Geſicht eine Naſe haben, ſeien

bei dem

felbſt die Hauptſtimmführer und Hetzer


nächſt in Revolutionen und dann in der umſtürzenden
Geſetzgebung der neuen Zeit fundthat. -

Und wenn man nun heutzutage, nachdem man
den großen Fehler, der in jener übereilten Aufnahme
lag, erkannt und gefühlt hat, die Verſäumnis nach-
holen will, da reden Verblendete von „widerlichſter
Form des Antiſemitismus, von niedrigſten Inſtinkten,
Miſthaufen und Schandfleck“! Wir weinen — die
Juden lachen!

Wir gehen aber ſicher nicht fehl, wenn wir die
Heftigkeit dieſer Auslaſſungen, die keiner Biertiſch-
geſellſchaft, geſchweige denn einem deutſchen Parla-
mente zur Ehre gereichen können, uns durch Winke
von oben erilären. Hat doch vorher der Miniſter
Eiſenlohr von den „verderblichen Zielen des Anti-
ſemitismus“ geredet und dieſe unbewieſene Phraſe in
dieſen Tagen wiederholt. Zwar hat dieſer groß-
mütige Mann erklärt, jeder Beamte dürfe in Baden
ſeine politiſche Geſinnung bethätigen, aber man weiß
doch überall von wegen antiſemitiſcher Geſinnung ge-
maßregelten Beimten zu erzählen. Wenn uun die
Herren Miniſter {n reden und ſo handeln, was ſoll
man dann von dem liberalen Landtagsredner ver-
langen?
ihm verlangen, wenn er ein gebildeter Mann
heißen will, daß er nämlich nicht ſchimpft, nicht den
Gegner, ohne ihn und ſeine Meinungen zu kennen,
der niedrigſten Beweggründe beſchuldigt, alte abge-
droſchene und längſt widerlegte Praſen aufwärmt und






gar den Gegner bei der Behoͤrde denungziert!
Alles das haben die ſtudierten Juriſten Mufjer.. und
— — 2 2 — - *

Fieſer gethan — ſoll man daraus den Schluß ziehen,


die dech auf den höchſten Lehranſtalten des Landes,
den Gynnaſien und Univerſitäten erworben wird,
recht windig ausſieht?

Neid ſoll die weſentliche Grundlage des Anti:
ſemitismus ſein hat Herr Fieſer unter allgemeinem
Beifall des Haufes gefugl.. D wie arm! Stien Sie
verſichert, Herr Fieſer, 1ch, der ich dies ſchreibe, habe
zoch nie einen Menſchen beneidet und bin doch der
überzeugteſte Autiſemit, den es geben kann. Und wie
ich, ſo denken alle wirklichen Antiſemiten, die ich
kenne Worum follte ich die Juden beneiden? Etwa


viel und habe im Leben ſchon recht viel gearbeitet


iejer; aber nach Geld habe ich nie geſtrebt am


oder Jude Oder ſind e$ etwa die geiſtigen Ciyeu-
ſchaften der Juden, die wich neidiſch machen. follten?
Nein, wahrlich nicht! Geſchichte und tägliches Leben
haben mich gelehrt daß nichts verderblicher iſt, als
die jüdiſche geiſtige Mittelmäßigkeit, die nur fremde


oder erſchwindelt und damit wuchert. Goͤttlob, zu
dieſen traurigen Strebern, die Heute die geiſtige Höhe
unſerer Univerſitäten herabdrücken und jüdiſchen Seift
in Wiſſenſchaft und Staatsleben einführen, zieht mich
nichts, am wenigſten der Neid Oder jollte ich die
Juden beneiden um ihre krummen Naſen, ihre großen


krummen Beine, ihre Plattfüße, oder um den Lieb-
lichen Foetor Judaicus? — Ueberlegen Sie einmal,


Voltaire geſprochen! Er nennt die Juden „nichts
ind barbariſches Volk, das ſeit
langer Zeit die ſchmutzigſte Habſucht mit dem verab-
ſcheuungswürdigſten Aberglauben und dem unauslöſch-
lichſten Haſſe gegen alle Völker verbindet, bei denen


Und ſolche Leute haben unſere liberal-berauſchten
Eltern aufgenommen in alle Rechte, uneingedenk der
Worte, die der große Philoſoph Fichte — Herr Fieſer,
der berühmte Verfaſſer der „Reden an die deutſche
Nation — geſprochen: . . . „ihnen Bürgerrechte zu
geben, dazu ſehe ich wenigſtens kein Mittel, als das,
in einer Nacht ihnen Allen die Köpfe abzuſchneiden
und andere aufzuſetzen, in denen auch nicht eine jüdiſche
Idee iſt.“ Und wenn wir nun das dem deutſchen!
Volke durch die unbeſehene Aufnahme der Juden an“
gethane Unrecht gutmachen wollen, wenn wir zu den
Juden ſxrechen wollen: „erſt beweiſt uns, daß ihr
ſeid wie wir, daß eure Geſetze den unſeren nicht
widerſtreben, daß ihr wirklich nur Bürger ſein wollt
wie wir, nicht bevorzugte Bürger“ — wenn wir dieſe
rein vernünftige und naturgemäße Aufforderung an die
Juden richten durch die Anregung einer Ueberſetzung
ihres Schulchan Aruch und Talmud, — da bewirft
uns der Liberalismus mit Kot!!!

Alſo ganz vergeſſen iſt bereits, was vor Jahres-
friſt geſchah, als eine ähnliche Petition an den Landtag
gelangt war. Da fand ſich nämlich, daß im jüdiſchen
Schulbuch der Kippur Schulchan Aruch ſelbſt vom
— 114
Reinheit des Ehelebens und andere bezügliche Vor-
ſchriften“ ſowie in Stellen, die Andersgläubigen
gegenüber ein „mindex humanes Verfahren“ zulaſſen,
als veraltet (!) und der heutigen geläuterten Auf-
faſſung des Judentums widerſprechend bezeichnet werden
muß. Ein kurzes Gedächtnis, Herr Strübe, Herr
Muſer, Herr Fieſer von der II., Herr Rümelin von
der I, Kammer! Ihnen allen, kluge und gelehrte Herren,
iſt es wohl unbekannt, welches Wutgeheul die Juden-
preſſe anhob, als vor einigen Jahren ein chriſtlicher
Geleheter ſich gefunden hatte, der den Schulchan Aruch
zu überſetzen begann. 4 oder 5 Lieferungen dieſes
Werks erſchienen auch; aber plötzlich „verſchwand“ der





geriet 1s Stocken! Warunm das Wutgeſchrei Dder
Judenpreſſe? Warum das plötzliche Stocken der Arbeit?
Nun, vielleicht erinnert man ſich an Heidelbergs
Profeſſor Eiſenmenger Als dieſer einen Auszug aus
den Talmud und anderen rabbiniſchen Werken unter
den Titel Eatdecktes Judentum! herausgeben wollte,
wußle die Judeuſchaft dies auf alle Wefe durch Geld-
augebot and Gewaltanwendung zu verhindern, und erſt


Friedrich Wilhelm I Ddas Werk dıucken.

Es iſt auch keineswegs fo leicht und einfach,
Talmud oder Schulchan Yınd) zu üherſehen da-es
an kritiſchen Ausgaben fehlt und das rabbintiche
Hebräiſch ohne BVofkalbezeichnung fehr ſchwer zu ver-
ſtehen ift. Wir Antiſemiten häͤben auch leider nicht


Schulchan
das nicht
für unſere, ſondern für die Pflicht des Staates,
der doch das größte Intereſſe daran haben muß, was

findenden Gelehrten zur Ueberſehung des


Aber Herr Fieſer jagt:
chan Aruch wirklich das ſteht was behaupiet wird, ſo
iſt daran nichts ſchuld als die Rechtloſigkeit und Unter- -
drückung, unter- welcher die Juden zu leiden gehabt
haben? Geſchichte: ſchwach! Doch wir woͤllen hier
geſchichtliche Auseinanderſetzungen unterlaſſen und einſt-
weilen dem gelehrten Herrn Juriſten nur das alte
Teſtament zu eingehender Prüfung auf die Stellung!
Iſraels unter und zu den Völkern der Erde empfehlen!
Aber wir wollen noch fragen: Wenn ein Schüler ſich
ungezogen benimmt, fragt ſich da erſt der Lehrer, vb
das etwa von der ſchlechten häuslichen Erziehung oder


®



beim Ohr und züchtigt ihn. So iſt's mit dem Schul-
chan Aruch und den Juden; wir fraͤgen mun mit
Recht nicht erſt, wie und warum ſie ſo geworden ſind,

*


unſere Zeit und Geſittung nicht paſſen.
Und nun noch eine Frage an den gebildeten,
hochſtehenden Beamten Fieſer: Iſt es ritterlich,
einen an Redegewandtheit und Gelehrſamkeit ſo weit
abſtehenden, wenn auch an innerer Tüchtigkeit und an
Mut Niemand naͤchſtehenden Mann wie unſern Ab-
geordneten Pfiſtexer in ſolcher Weiſe herauszufordern,
auſ's Eis zu führen und zu verſpotten? Nein, Herr
Fieſer, das iſt es durchaus nicht. Und die Zeit wird
kommen, da Ihnen und Ihresgleichen aus anderem
Munde die rechte Antwort gegeben werden wird. Es
iſt ganz ſicher, daß dann kein Fieſer mehr laͤchen und
höhnen wird.
In einem Punkte aber müſſen wir den liberalen
— ſagen wir — „Heduern” beiftimmen: Herr Fieſer
wußie ſchon, daß aus ſeiner Rede von den Antiſemiten
gegen ihn und ſeine Partei für die nächſten Wahlen
Kapital geſchlagen werden würdt, und Muſer meinte,
die Nationolliberalen werden bald zur Judenſchutz-
truppe avanciren. Das Letztere braucht nicht noch zu
geſchehen, denn jeder weiß, daß Nationalliberalismus
und Judenſchutz ein Begriff iſt. Und daß Fieſer ſich
und ſeiner Partei durch ſeine unkluge Anti-Anti-Rede
mehr Schaden zugefügt hat iſt auch klar. Fiesere,
si tacuisses! — Fieſer hätteſt Du geſchwiegen! Der
Nachſatz des lateiniſchen Sprichworts, welcher lautet:
ſo wäreſt Du ein Philoſoph geblieben, paßt aller-
dings auf den Herrn Landgerichtsdirektor gar nicht.
Dieſe Schulchan Aruch-Debatte hatte für uns den
großen Vorzug, daß ſie uns, wenigſtens den noch
ſchwankenden Gemütern unter uns, klar und deutlich
gezeigt hat, wo der Feind ſteht. Der Feind iſt vor


ungen, das ſteht außer Zweiſel. Aber auch das Zen-
trunı hat wacker eingeſtimmt in die „Heiterkeit“ über
unſeren braven Pfiſterer. Laſſen wir uns doch nicht
durch gelegentliche antiſemitiſche Anwandlungen der
Zentrumspreſſe fangen: das Zentrum iſt uns durch
und durch, grundſaͤtzlich und unabänderlich Feind.
Seine Führer wiſſen wohl, daß wir niemals für die
 
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