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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 121 - No. 130 (27. Oktober - 18. November)
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Der „Vadiſche Lolkabote er-
ſcheint dreimal woͤchentlich
* Verlag und Leitung:
Heidelberg, BahnhofArake 9.
2 Telegramm⸗Adreſſe:
Volksbote Heidelberg,
. Anzeigenpreis: n
Die oͤgeſpaltene Petitzeile 10 Pfg.








zhate

Preis sierteljährlich
durch den Briefträger frei in's
Haus gebracht Mf. 1.25, am Poſt-
ſchalter gder durch unfere Boten
in Heidelberg 1 M. von ungerer

Expedition abgeholt 80 P 2
Noſt· Zeitungs· reisliſte
Ur. VL



A 122,



*Der badifde Landesgewerberat und dit
w Handwerlerfrage.
WVWir haben ſchon kurz den Beſchluß des badiſchen
Landesgewerberates, der am 22. Oktoͤber in Karlsruhe
zum erſten Male ſeit ſeinem Beſtehen zufammentrat,
mitgeteilt. Den Vorſitz führte der Miniſter des In-
nern Dr. Eiſenlohr; die Verhandlungen felbſt leilete
Miniſterialrat Braun. Den Hauptgegẽnſtaud derſelben
bildete der preußiſche Geſeßentwuͤrf betr. Abände-


ſetzt ſich zuſammen aus 31 Mitgliedern, von denen 24
im Jahre 1892 durch Wahl hervorgegangen ſind,
während die Regierung ſelbſt 7 Eerren (aus Gewerbe-
vereinen und Handelskammern) ernannt hat. Von den
Mitgliedern waren in der Sitzung vom 22. Oktober
29 anweſend. Die Innungen hatten nur zwei Ver-
treter! Bei einer ſolchen Zufa nmenſetzung iſt es nicht ver-
wunderlich, daß die mancheſterliche Auffaſſung der
Handwerkerfrage die Oberhand gewann, d. h. daß der
Candcsgewerberat ſich gegen die beiden Kardinalpunkte


Regelung des Lehrlingsweſens, ablehnend ver-
hielt. Von einem Freunde des „Badiſchen Voͤlksboten“
gehen uns noch folgende Mitteilungen über jene Be-
ratungen zu: *
Die beiden Vertreter der Innungen, die Herren
Schmidt und Oſtertag aus Karlsruhe beteiligten
ſich lebhaft an der Debatte. Erſterer betoͤnte in ſach-
licher, längerer Ausführung, daß nur durch eine zwangs-
weiſe Organiſation Erſprießliches zu erreichen fei, aller
freiwillige Zuſammenfchluß hätte nichts geſchaffen,
weil die außerhalb desſelben Stehenden gleichen Vor-
teil und die Innungen die Mühe und Koſten hätten.
Die Handels- und Anwaltskammern hätten Zwangs-


aufgehen. Jeder Menſch lebe unter dem Zwange von
Ein Staatsweſen fei nur
möglich unter der Ordnung, d. h. dem Zwange, und
daher bittet Redner, ſür die Erhaltung des Hand-
werkerſtandes, der eine mächtige Stütze des Staates
ſei, unter dieſem Heſichtspunkte Sorge zu tragen. Es
ſei aber traurig, daß ſtets für unſere eigene Ange-
legenheit immer andere Berufsſtände zu Gericht ſitzen.
— In ähnlichem Sinne betonte der Redner bei
der Lehrlingsfrage die Mißſtände, daß es nämlich
reider an tüchtigen Arbeitern fehle, weil die Lehr-
lingsausbiidung ebenſo einer gründlichen Reform be-
— dürfe. Schutz und Pflichten von Lehrherrn und
Lehrling müffen unzweideutig feſtgeſtellt werden.
Beide Pofitionen, die Seele des ganzen Entwurfs,
vurden durch einige Fabrikanten, Kommerzienraͤte,
ſelbſt auch durch einen Handwerker, Aulbach⸗Mannheim,
bekämpft, ſo daß beide Punkte mit allen gegen 3 Stim-
men zu Ungunſten der Geſetzesvorlage entſchieden wur-
den. Nur für Gewerbe⸗Handwerker⸗-Kammern war
man zu haben.

Wenn man nochmals ſich die Vertretung des Hand-
werks in dem Landesgewerberat in einer Angelegenheit,


werker, 4 Arbeiter und 17 Fabrikanten, Kommerzien-
räte und Kaufleute, ſo muß jeder vernünftig Denkende
ſich fragen: Haben je einmal Handwerker zu Gexicht
geſeſſen, wenn in anderen Berufsſtänden wichtige Ein-
richtungen oder Aenderungen verlangt wurden?! Wird
da nicht das Mißtrauen rege, daß man zwei Dutzend
Großfabrikanten bevorzugt vor vielen Hunderten Hand-
werker, die Reformen für ihren Stand wünſchen Sı
geht es im Muſterländle Baden zu: die Handelskam-
—_ mern und die Gewerbevereine ſind tonangebend und
ſpielen ſich als die Beſſerwiſſer in allen Handwerks-
angelegenheiten auf.
Herr Miniſterialrat Braun gab ſeiner Freude
Ddarüber Ausdruck, daß ganz beſonders die Innungen
ſo raſch und rühri der miniſterillen Aufforderung
nachgekommen ſeien, ſich zu der Organiſationsfrage zu
— äußern und Abänderungsvorſchläge zu machen, aber
andere Handwerker⸗ und Berufsvereinigungen hätten auch
Verſammlungen veranſtaltet, um ihre Intereſſen zu
wahren. Ja, wenn die Herren am Regierungstiſche
nur acht gegeben haben, ſo müſſen ſie wifſen, wie die
Majoritätsbeſchlüſfe der Gewerbevereins-Verſammlungen
zuſtande gekommen ſind. Die Majorität war ſtets eine





haupt nicht durchgedrungen, wenn ſich an den Abſtim-
mungen nicht auch ſolche Leute hätten beteiligen dürfen,
die gar keine Handwerker ſind. Wir können es
uns nicht denken, daß ſich die badiſche Regierung durch
die Beſchlüſſe des Landesgewerberaͤtes — in anbetracht
der Zuſammenſetzung desfelben — für gebunden er-
achten ſollte; jedenfalls dürfte e& noch nicht zu ſpät
ſein, weitere Handwerkerverſammlungen zu veranftalten,
um der Regierung zu zeigen, daß die Mehrheit der
wirklichen Handwerksmeiſter auf dem Boden ſteht, den
die preußiſche Staatsregierung in der
Organiſationsvorlage einnimmt, _

— Die Not der Candwirtſchaft in der Bfalz.
Der „Pfälz. Cour,” fchreibt: „Nach dem - ſteno-
graphiſchen exicht hat der Vertreter der kgl. Re-
gierung, Herr Regierungsrat Gresbeck, bei der Ein-

Neuſtadt unter anderem geſagt: „Sie kommen in
einen Bezirk, „wo man die Not der Landwirt?
ſchaft nur dem Namen nach kennt!“ Wir
möchten hier an das bekannte Wort erinnern: Es
iſt nicht Alles Gold, was glänzt: Denn die Natur-
reize des Bezirkes, die Herr Regierungsrat Gresbeck
in ſo poetiſcher Form zu ſchildern wußte, täuſchen
über die Lage eines groͤßen Teiles derer, welche in
harter Arbeit dem „geſegneten“ Boden ihr täglich
Brod abringen müſſen. Herrlich ift allerdings die
Natur, offen liegt ſie dem Auge des Befchauers. Sie
zu erkennen in ihrem Weſen, in ihrer Schönheit, be-
darf es nicht eingehenden Studiums. Anders mit
dem, was der Herr Vertreter von der wirtſchaͤftlichen
Lage unſerer Bauern ſagte. Um über diefe eil den
wahren Thatſachen entſprechendes Urteil abgeben zu
können, muß man einen genauen Einblick in die Ver-
hältniſſe gewonnen haben. Iſt man bis zu dieſem
gelangt, dann wird bedauerlicherweife das Urteil ganz
anders lauten, als es die Worte des Vertreters det
gl. Re iexung in ſich ſchließen: in dieſem Bezirk
kennt man die Not der Landwirtſchaft nur dem Namen
nach!Man gehe hin nach der Vorſtadt Neuſtadis,
nach Mußbach. Gimmeldingen, Haardt, Königsbach,
Hambach u. ſ. w. und frage dort den kleinen Winzer,
ob er die Not der Landwirtſchaft etwa nur dem Namen
nach kennt? Man wende ſich vom Gebirg der Ebene
zu und halte Umſchau in Lachen, Speyerdoͤrf, Haßloch,
Fommersheim und Geinsheim, und überall wird man
Verhältniſſe treffen, die in ſcharfen Conturen an das
gimahnen, was man die „Not der Landwirtſchaft“
heißt. Und traut man unſerem Urteil nicht, ſo {chlage
man nach in dem von der kgl. bayeriſchen Regierung
im Jahre 1895 herausgegebenen Werk über die
„Untexſuchung der wirtſchafflichen Verhältniſſe i: 24
Gemeinden des önigsreichs, dort wird man auf
Seite 570 Enden, daß ſelbſt in einem der wohl!
habenderen Orte, in Haßloch, wo viel Nebenverdieuͤſt
zu erwerben iſt, die Lage der Bauern in den letzten

Familien die Lebensweiſe faſt ungenügend genannt
werden muß.“ Alſo — die Leute können ſich zum
Teil nur ungenügend ernähren — und genügende Er-
nährung iſt doch das Mindeſte, was ein Menſch bei
normaler Lage verlangen kann — und dennoch be-
hauptet der Vertreten der kgl. Regierung: In dieſem
Bezirk kennt man die Not der Landwirtſchaft nur den
Na en nach!
Winzer erſt verhungern, ehe die Regierung ihre Tot-
lage merkt und anerkannt?“ — Der Herr Ftegierungs-
vertreter hat ſich die Gegend hait durch die nationaͤl—
liberale Brille angeſehen.

— * Konialdirekttor a. d. Kayſer, der — gegen alle
bisherigen Gepflogenheiten von Miniſterialbeamten — ſich
vor ſeinem Abſchied eine echt jüdiſche Selbſtlobrede hielt,

rat zum — Senatspräſidenten des Reichsgerichtes
vorgeſchlagen worden ſein! Wir möchten, bis nicht eine
offizielle Beſtaͤtigung dieſer Nachricht einläuft, dieſelbe
nicht recht glauben. In der „Zukunft“ leſen wir
darüber folgendes:
ſtatt ſie zu widerlegen oder vor den Richter zu laͤden,
zornig beſchimpft und, echt jehoviſtiſch, ein rächendes


des Reiches nun wohl eine abgethane Größe; ſeine
Preßfreunde, die ſogar über ſeine intimen Geſpräche
mit dem Reichskanzler genau unterrichtet waren, haben



zwar den Herzenswunſch ausgeſtöhnt, ihren Liebling als











7. Zahrgang. *





Senatspräſidenten am Reichsgericht zu ſehen, aber ſo
weit, daß Mittelſtaedt weichen muß und Herr Kayſer
dem höchſten Gerichtshof verliehen wird find wir einſt-
weilen doch wohl noch nicht, — und wären wir ſchon
ſo weit, dann ließen die ſeltfamen Dinge ſich
nicht länger verfchweigen, die in der Nähe des
Reichsgerichts von giaubwürdigen Leuten gemurmelt


— Ait welchen Mitieln die jüdiſch · frei-
ſinnige Breſſe die Sonntagsrubhe beßämpft. Unter
der Ueberſchrift „Sonntagsruhe und Verbrechen“
zieht die „Voffif. e Zeitung“ das Hauptorgan der
durch und durch verjudeten Freiſinnigen Vereinigung,
das Sprachrohr des Meichstags-Abgeordneten Rickert
gegen die Geſetzgebung über die Sonntags-
ruhe ‚om Leder. Sie benutzt dazu — den Moͤrd
des Juſtizrats Levy, über den das Polizei⸗Präſidium
erſt 24 Stunden nah der That Bekanntmachungen an
den Anſchlageſäulen erlaſſen habe. Das ehrenwerte
Blatt ſchreibt: „Dank den
ruht Sonntags der Verkehr; die Geſchäfte ſind ge-
ſchloſſen; wer nachmittags bemerkt, daß ihm die
Zigarren ausgegangen ſind, kann in dem Bewußtſein,
daß kein Tabakladen offen iſt, ſeufzend die Bibel
zur Hand nehmen und die Hausfrau, die un.
erwaxteten Kaffeebeſuch bekommt, kann vergebens fehen,
wo ſie Sahne auſtreibt. Handel, Geſchaͤft, Gewerbe
ruht; eins aber ruht auch am Sonntag nicht, das iſt
das Verbrechen; es ruht um ſo weniger, je förder
licher ihm eine erzwungene und übertriebene Sonntags-
ruhe iſt, die manche gewohnte und natürliche Lebeuͤs—
thätigkeit unterbricht.
zu fürchten als die gegenwärtige Preſſe, die zw.ach:


Vermögen berufene Polizei? Aber es iſt Sonntag,
und da iſt der Arm der Preſſe gelähmt. Eine grauen-
volle That iſt vollbracht, mitten in dem belebteſten
Teil der Reichshauptſtadt, im Herzen Berlins; ſie ift
Lerübt an einem der bedeutendſten und angefehenſten
Anwälte unter Umſtänden, die allgemeines Entfetzen
erregen. Aber es iſt Sonntag! Und da kann, wo
Minuten von entſcheidendem Wert ſind, ein voller Tag
verſtreichen, ehe die Oeffentlichkeit und die Mitwirkung
der geſamten Bevölkerung zur Ermittelung der Mord-
geſellen in Anſpruch genommen wird.“ Bemgege über
bemerkt der „Vorwärts“: „Erſtlich ſieht die Gewerbe-


tagsruhe für Fälle ſchleuniger Bekanntmachungen vor.
In S 105c heißt e& wörtlich: „Die Beſtinimungen
des &S 105b (über Sonntagsruhe) finden keine An-
wendung: 1. auf Arbeiten, welche in Notfällen oder


werden müffen“. Demnach hätte ungeachtet der
Sonntagsruhe Beſtimmuagen bereits um fpäteſtens
8 Uhr Morgens des Sonntags an allen Anſchlagfäulen
und ſonſtwo die polizeilichẽ Bekanntmachung, felbſt
wenn ſie bei den Voſſiſchen Erben beſtellt wäre,
prangen dürfen. Ueberdies ſteht der Polizei das Recht
zu, ſelbſt derartige Druckarbeiten vorzunehmen — ſie
iſt hieran eben ſo wenig wie an der Ausübung ihrer
ſonſtigen Thaͤtigkeiten irgend wie durch die Sonntags-
ruhe beſchränkt. Die „Koͤniglich priviligierte Berliniſche
Zeitung von Staats⸗ und gelehrten Sachen“ ſollte
den Reſt ihres Schamgefühls zuſammenſuchen,
um wegen ihres frivolen, zyniſchen Verſuches, ein


mißbrauchen, zu erröten. Oder will ſie jedes „Kor“
verleugnen?“ — — Der in dem Artikel der „Voſſ. Ztg.“
zu Tage tretender Cynismus iſt alſo ſelbſt dem
ſozialdemokratiſchen „Votwärts“ zu arg. In der Be-
urteilung dieſes Falles ſtimmen wir ausnahmsweiſe
vollſtändig mit dem Sozzenblatt überein.

— * 3ur Zrren Aechtspflege. Seit Jahren
ſchon kämpft der Referendar und Leutnant d. Ra. D.
Richard Rothenbur um die Befreiung ſeiner Mutter
aus dem Irrenhauſe, wohin ſie nach der Behauptung
des Sohnes mit Unrecht verbracht worden iſt. Nun-
mehr iſt dem letzteren auf eine diesbezügliche Eingabe
folgende miniſterielle Verfügung zugegaͤngen:
Miniſter:um der geiſtlichen, Berlin, 19. Dfkt. 1896.
Unterichts= u. Medizinal-

Angelegenheiten.
MNr. 12 208.

Ew. Wohlgeboxen teile ich auf die Vorſtellung vom
29. Auguſt d. Is. bei Rückſendung der Druckanlage er-


vorgenommenen Beſichtigung der ſtädtiſchen Irrenanſtalt
zu Herzberge feſtgeſtellt habe, der Entlaſfung Ihrer Frau
 
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