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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 61 - No. 70 (9. Juni - 30. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42841#0269

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Rsß ofe

Vreis vierteljahrlich

Der „Vadiſche Volksbote er-
ſcheint zmal wöchentlich (Diens-
tag, Donnerstag und Samstag).
Verlag und Leitung:
Beidelberg. Bahnhof ſtvaße 9.
Telegramm-Adreſſe:
Yolkabote Heidelberg.


durch den Briefträger frei in's
Haus gebracht Ml. 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Boten
in Heidelberg 1
Erpedition abgeholt 80 Pfg.



Anzeigenpreis: Polt-Zeitungs-Preislifte —
Die oͤgeſpaltene Petitzeile 10 Pfg. _ . _ _ Ar. 755, ;
Heidelberg, Dienstag, den 23. Juni 1896. 7. Zahrgang.









— Yolitifber Teil.
ı * Der Lall gaſhford vor dem
Neichstage.

Wir haben bereits den Wortlaut der Interpellation


Abg. v. Liebermann
Folgendes aus: /
Wenn ſich die Zeitungsdarſtellungen der Haupt-


Verhalten unſerer hoͤchſten Poſtbehörde vorliegen, das


ganz empfindlich zu verletzen. Sind die Zeitungs-
darſtellungen aber wie

Zeitungen zu einer amtlichen Berichtigung anhält,
ſondern es müßte dann unter allen Umftänden Straf-


— %. Stephan ſchuldig gemacht haben. Die Darſtellungen


des Herrn Staatsſekretärs v. Stephan in Deutſchland
geradezu zu vernichten. (Widerſpruch links) Man


ihm unterjtellte Beaute recht⸗ und ſchutzlos gegenüber


eines deutſchen Beamten erachtet. Die deutſchen Be-
amten genießen Weltruf wegen ihrer Zuverläſſigkeit,
Rechtlichkeit und Unbeſtechlichkeit.

darum muß er auch einen höheren Schutz genießen,
nnd dieſer höhere Schutz wird ihm geſetzlich zugebilligt.
Man darf nach meiner Anſicht den Geſetzen nicht in
die Arme fallen, man muß in ſolchen Fällen dem Recht
freien Lauf laſſen. Wenn ſolche Behauptungen, wie
ſie die erwähnten Zeitungen gebracht haben, unwider-
ſprochen in die Welt hinausgehen, dann kann man ſich
nicht wundern, wenn das Anſehen Deutſchlands im
Auslande leidet. Dann kann man ſich nicht wundern,


„deutſche Bedientenſeelen“, als, deutſche Hundsfötter“
bezeichnet werden.“ — Ferner zählt Abg. v. Liebermann


unſerem Deutſchen Reiche zu gunſten der Engländer
Schaden gebracht haben, und hält es für recht und billig,
daß Ausländer, wie Herr Baſhford, die ſich läſtig
machen, ausgewieſen werden. Seiner Partei ſei es
vollſtändig gleichgiltig, ob Baſhford engliſcher Jude


um eine Klarſtellung, ob ein Ausländer einen in Aus-
übung ſeines Dienſtes befindlichen deutſchen Beamten
beſchimpft und thätlich beleidigt, und ob die vorgeſetzte
Behörde dieſes Beamten durch ihr Eingreifen verhindert
hat, daß dieſe That gerichtliche Sühne fand. Das iſt
keine Parteiſache, ſondern die Sache aller der Parteien,
die ſich als Vertreter des deutſchen Volkes fühlen.
Auf dieſe Interpellation erklärte darauf der Staats-
ſekretär Generalpoſtmeiſter Dr. v. Stephan, der Tele-
graphenbeamte habe den erſten Anlaß zum Zwiſt ge-
geben, indem er zur Erleichterung der ſchweren Arbeit
eines Zeitungskorreſpondenten und im Intereſſe des
übrigen wartenden Publikums die betreffenden In-
ſtruktionen nicht befolgt habe. Die Feſtſtellung des
Wortlauts des Telegramms nachträglich vorzunehmen,
war die Pflicht des Beamten, der dem Publikum ent-
gegenzukommen habe. Ein Telegramm, das 236 M.
koſtete, wurde durch inſtruktionswidrige Wortzählung
eine Stunde aufgehalten. Es ſei unwahr, daß
Baſhford den Beamten geſchlagen habe. Redner er-
klärte in der von Baſhford nachgeſuchten Unterredung
dieſem, er könne in das gerichtliche Verfahren nicht
eingreifen. Es ſei unwahr, daß hohe Perſönlichkeiten
bei ihm — dem Redner — für Baſhford eingetreten





ſeien. Der Telegraphenbeamte hatte protokollariſch
erklärt, daß er von einem Vorgeſetzten zur Zurück-
ziehung des Strafantrages veranlaßt ſei. Die In-
ſtruktion an die Oberpoſtdirektion fordert die Erhaltung


Entlaſtung der Geſetze hat die Verwaltung das An-
ſehen auf eine geſetzlich hohe Stufe gebracht und iſt
auch in dieſem Falle den erhaltenden Grundſätzen
nicht untreu geworden. — —

Leider zeigte es ſich auch hier wieder, daß die
übrigen ſogenannten „Ordnungsparteien“ nicht ein ge-
nügend feſtes Rückgrat beſitzen, um auch einmal gegen
die Regierung aufzutreten, wenn es gilt, deutſche Be-
amte gegen unverſchämte Ausländer in Schutz zu
nehmen. Sie unterſtützten das ſehr berechtigte Ver-

nächſten Gegenſtand der Tagesordnung überhing.
Preſſe die Mitteilungen des Staatsſekretärs Dr. v.

Stephan einer Kritik zu unterziehen. So ſtellt die
„Staatsb. Ztg.“ folgendes Thatſächliche feſt: „Der


gemeine Anweiſung erteilt, Baſhfordſche Telegramme
ſtets zu zählen, weil der Herr ſich oft verzähle und
verurſache. Baſhford hat ferner den Beamten mit
Depeſchenformularen auf die Finger geklopft,


Beamte hat niemals weder ſchriftlich noch muͤndlich


des Strafantrags nicht beeinflußt worden ſei. That-


dem Staatsſekrelar von Siephan hatte, der Telegraphen-
direktor Ehlers dem Beamten eröffnet, Excellenz d.


Als der Beamte ſich nicht ſofort entſchließen wollte,
ſoll Direktor Ehlers anf eine ſchnelle Entſcheidung
mit dem Bemerken gedrungen haben, daß er dem
Reichspoſtamte ſofoxt Bericht erſtatten müſſe. Der


Strafantrags mit dem ausdrücklichen Bemerken,



-

; Beitung“. Es wird notwendig fein, bemerkt dazu die
„D. Tagesz.“, daß eine offizielle Veröffentlichung der
Aktenſtücke erfolgt, da ja dem Staatsſekretär Dr. v.
Stephan durch die uuterlaſſene Beſprechung der Inter-


Reichstage ſofort ſeine Ausſagen zu berichtigen, bezw.
zu erweitern. — Von beſonderem Intereſſe dürfte
ferner folgende Mitteilung eines andern Berliner
Blattes ſein: „Baſhford iſt für die Poſtbeamten —
man frage nur in Amt 35 und Amt 10 nach — ſeit
jeher eine wahre Plage, muß aber wie ein rohes Ei
behandelt werden. Seinen Korreſpondenzen wird auf
Befehl von oben beſondere Aufmerkſamkeit gewidmet
und ſeine Zeitungen gelten von Köln ab als einge-
ſchriebene Briefe. Er vermag aber das Entgegen-
kommen nicht zu würdigen. Schon früher einmal haben


bis beute aber noch nicht in die Oeffentlichkeit gelangt
iſt. Im Dezember 1887 an einem Sonntagmorgen
gegen 7 Uhr trat Baſhford mit Jägerhut bedeckt und
mit umgehängter Flinte in das Briefträger-Abfextig-
ungszimmer des Poſtamts 35 (Potsdamerſtr.) und ver-
langte von dem dienſtthuenden Beamten, Poſtaſſiſtenten
Kieback, in barſcher Weiſe ſeine Poſtſachen, ſelbſtver-
ſtändlich ohne zu grüßen oder auch nur die Kopfbe-
deckung abzunehmen. Der Beamte, dem Baſhford un-
bekannt war, erbat ſich eine Legitimation. Hierüber
wurde der Engländer ſehr erregt. Als der Beamte
ihm darauf zu Hilfe kommen wollte und ihm erklärte,
er könne ſich durch einen bekannten Briefträger legiti-
mieren laſſen, nebenbei ihn aber darauf aufmerkfam
machte, daß er ſich nicht im Schalterraum, ſondern in
einem Zimmer befinde, in dem man den Hut abzu-
nehmen pflege, wurde Baſhford grob, drehte ſich kurz
um und ſchrie im Fortgehen durch den ganzen Saal:
„Das verſtehen Sie nicht, Sie dummer Kerl! Es
wurde Anzeige gegen ihn erſtattet, und am Montag
früh um 11 Uhr erſchien er, leiſtete in ſehr hoch-
mütigem Tone eine Art Abbitte und zahlte 20 Mark.“



— Die Negierung und die folgſamen Parfteien,
Die Nationalliberalen, das Zentrum und die deutſche



Reichspartei, haben es, ſchreibt die „D. Tages-Ztg.“,




am Samstag, durchgeſetzt, daß die zweite Beratung
des Bürgerlichen Geſetzbuches begonnen wird. Was
für ein Ende dieſe „Beratung“ finden wird, darüber


ſich eben nicht zuſammenhalten laſſen. Die Ent-
ſcheidung des Haufes würde geſtern bei der Abſtimmung



Seite des Hauſes durch die verſteckte Drohung mit
der Schließung des Reichstages ſoweit einzuſchüchtern,
daß ſie von der namentlichen Abſtimmung Abſtand
nahm. — Daß die Regierung zu dieſer verſteckten
Drohung zu greifen für nötig hielt, iſt allerdings
weder ein Zeichen eines Bewußtſeins vor der Stärke
ihrer eigenen Stellung, noch ein Ausfluß der Ueber-
zeugung der Gerechtigkeit der von ihr vertretenen
Sache. Aber Herr v. Boetticher hatte mit ſeiner
Drohung auch noch einzelne Mannesſeelen auf der
rechten Seite des Hauſes getroffen. —- Das Iag wahr-


loſen Zuſchauer ſchlich ein Gefühl des Mitleids durch
die Seele. — Der Verſuch der Durchpeitſchung des


daß er zu einem Ende im Sinne feiner Urheber


war bei der Abſtimmung über den

anzweifelte, griff das hohe Präſidium des Reichoͤtages,


zu erklären, obwohl nur 185 Mitglieder im -
Hauſe — im Saale waren gar höchſtens 6 Dutzend —


dieſer Methode der parlamentariſchen Rechtsführung
ſagen? — Wir hoffen ja, daß das Präſidium wenigftens


nicht erwecken, deſſen Präſidium über die Beantwortung


odex den Kopf in den Sand ſtecken muß. — Draußen
im Lande wird man nun den Eindruck haben, daß jetzt,
wo noch ſachliche Bedenken gegen das Geſetzbuch er-
hoben ſind, das Geſetzbuch gegen den Willen des

Volkes durchgedrückt werdeu ſoll. — Boraus:


aber daß er gemacht wird, muß ſchon einen unaus-
löſchlich übeln Eindruck im Lande hervorrufen. —
Gegen Schluß der Freitags⸗Sitzung waren auch trotz
der Bemühungen aller Parteiführer, ihre Fraktionen


tage anweſend.







Zeitgeſchichte.

. — Deutſchland. Berlin, 21. Juni. Der
Bundesrat hat dem Börſengeſetzentwurfe nach den Be-
ſchlüſſen des Reichstages zugeſtimmt. *

— Der Vizekönig Hung Eſchang hatte am
Freitag nach dem Diner abermals eine längere Unter-
haltung mit dem Deutſchen Reichskanzler und dem
Staatsſekretär des Auswärtigen, wobei, wie der „Poſt“
gemeldet wird, die Frage einer Kohlenſtation für die
Flotte zur Sprache gekommen ſein dürfte. Voraus-
ſichtlich findet die dritte und Schlußbeſprechung Ende
nächſter Woche ſtatt. — In Paris werden bereits für
Li⸗Hung⸗Tſchang's Beſuch größere Vorbereitungen ge-


Aufenthaltes eine Geldbewilligung verlangt, man ſieht
indes voraus, daß man mit der Berliner Aufnahme
nicht werde wetteifern können, und entſchuldigt ſich mit
der republikaniſchen Einfachheit. Im übrigen iſt man
in Paris wie in Petersburg darüber verſchnupft, daß
der Vizekönig die deutſche Armee als die erſte der
Welt bezeichnete. Man ſchließt daraus, daß man ſich
in China mehr auf Deutſchland ſtützen werde, als
Rußland angenehm iſt, deſſen Politik die Ausnützung
Chinas im großen Maßſtabe im Auge behält.
— In Außland macht ſich eine große Arbeiter-
bewegung bemerkbar, die vermutlich von auswärts unter-
ſtützt wird und die bereits zu vielen Arbeitseinſtellungen
geführt hat. Der Bewegung wird eine ernſte Bedeutung
 
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