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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (7): Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden — 1896

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No. 111 - No. 120 (3. Oktober - 24. Oktober)
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Der „Badifdje Yolksbote“ er-
ſcheint dreimal wöchentlich.
Verlag und Leitung:

Heidelbers Bahuhofſtraße 9.





— YPreis vierteljahrlich
durch den Briefträger frei in’s
Haus gebracht M. 1.25, am Poſt-
ſchalter oder durch unſere Boten



Telegramm Adreſſe: + * in Heidelberg 1 M., von un;erer
Yolksbote Heidelberg, RET ſ Ezxpedition abgeholt 80 Pig.
* 2 ind de 9 cdiſch ku 9 lllll tu lill k Nnoſt· Zeitungs · Vreisliſte
* 5gejpaltene Petitzeile 10 Pfg. aur. ⁊ri.
I20. Heidelberg, Samstag, den 2d. Oktober 1896. 7. Zahrgang ·





Zolitiſcher Teil.

Politiſche Wochenüberſicht.

Der diesjährige 18. Oktober war der Enthül-
lung von drei Denkmälern für Kaiſer Wilhelm
d. Gr. und ſeine Gemahlin, die verewigte Kaiſerin
Auguſta gewidmet. In Koblenz und in Düſſeldorf,
ſowie an der hiſtoriſchen Stelle des Teutoburger Wal-
ddes, an der Porta Weſtfaliea, fanden die Enthüllungs-

feierlichkeiten ſtatt. Der letzteren wohnte das deutſche
Kaiſerpaar bei, welches hierauf nach Wiesbaden weiter-
reiſte. Da das ruſſiſche Zarenpaar noch immer in
Darmſtadt weilt, ergab ſich ein Ausflug unſeres Kai-
ſers dorthin gewiſſermaßen von ſelbſt, ebenſo ein Gegen-
beſuch des Zaren. Dieſe Begrüßung trug indeß einen
familiären Charakter. Eine politiſche Bedeutung hätte
ſich an ſie nur dann geknüpft, wenn ſie unterblieben
wäre; denn nach den Vorgängen von Cherbourg, Paris
und Chalons hätte es auffallen müſſen, wenn die beiden
ſo nahe verwaͤndten und eng befreundeten Herrſcher
mehrere Tage in der nächſten Nachbarſchaft neben-
einaͤnder geweilt hätten, ohne ſich gegenſeitig zu ſehen.
Dies hindert viele auswärtige Blätter nicht, der Kaifer-
begegnung eine hohe politifche Bedeutung beizumeſſen
und als eine gegen Frankreich gerichtete Kundgebung
auszulegen.

Die Zwecke, welche die engliſche Preſſe hierbei
verfolgt, liegen auf der Hand. Im Gefühl der Iſo-
lieruns Englands gegenüber den europäiſchen Groß-
ſtaaten möchte ſie um jeden Preis Zwieſpalt unter
ihnen entfachen, und ſo auch das Mißtrauen Frauk-
reichs gegen Deutſchland und Rußland wecken. Die
deutſche Regierung hält ſich jedoch völlig kühl zu dieſen
engliſchen Preßerbrterungen; dieſe Reſerve aber reizt
wiederum den engliſchen Zorn, der mehr und mehr zu
einer wahren Preßhetze gegen Deutſchland auswächſt.


Die Fortſchaffung des Prätenten Said Khalid aus
Zanzibar durch das deutſche Kriegsſchiff „Seeadler“
giebt dem Cityblatte einen erwünſchten Vorwand,
Deutſchland mit allen möglichen Liebenswürdigkeiten
und — Drohungen zu überſchütten. Die Engländer ſind


Deutſchland eigentlich nur engliſche Zwecke zu fördern
habe. Die deulſche Politik denkt aber gar nicht daran,
ſich durch engliſche Wünſche und Drohuͤngen einſchüch-
tera zu laſſen, und ſo wird das Eifern der „Times“
und anderer Blätter nur dazu führen, die deutſche
Verſtiiamung über England zu verſchärfen, ohne Eng-

land ſeiner Iſolierung zu entziehen.

Auch in Frankreich läßt man ſich die Erinne-
rung an die „große“ Woche des Zarenbeſuches durch
die engliſche Preßmanöver nicht trüben. Man glaubt


mit Rückſicht auf Rußland auch die inneren Verhält-
niſſe auf eine feſtere Grundlage zu ſtellen. Die Kam-
mern ſind zu dieſem Zwecke auf den 27. d. M. wieder
zuſammengerufen worden. Mehrere Miniſter haben
durch Reden bei verſchiedenen Gelegenheiten auf die
ihnen zu machenden Vorlagen hingewieſen. Darnach
will der Miniſterpräſident Meline dem Parlament ein
klares Programm praktiſcher Reformen vorlegen, ins-


Gegner der Freiheit, des Eigentums und des Patrio-
tismus vornehmen. Man darf darauf geſpannt ſein,
was hierbei herauskommen wird. *

In Italien arbeiten ſeit dem Eintritt Visconti
Venoſtas in das Kabinet Rudini rührige Hände daran,
den Staat von den Bahnen der Dreibundpolitik abzu-


reits eine Kursänderung wahrnehmen. Von anderer
Seite wird behauptet, England bemühe ſich, durch einen
Druck auf Italien die ükrigen Dreibundmächte für


arligen Beſtrebungen werden von den Organen der


dere von der „Nazione“ und der „Roma“ auf das
Entſchiedenſte bekämpft. Das letztere Blatt hält dem
italieniſchen Volke nachdrücklich vor, daß es von Frank-


könne. In Deutſchland glaubt niemand, daß es den


Dreibunde abzudrängen.. Im übrigen wird die öffent-
liche Meinung in Italien ganz durch die Vorberei-
tungen zur Hochzeit des Kronprinzen mit der Prin-
zeſſin Helene von Montenegro gefeſſelt. Der Ueber-
tritt der letztern zur katholiſchen Religionsgemeinſchaft
iſt in Bari unter großem Pomp erfolgt.

Für Spanien wird die Lage auf den Philip-
pinen immer mißlicher. Die Inſeln ſind ebenſo wie
Kuba noch immer im Aufſtand, und es wird ſchwer
halten, ihn zu unterdrücken.









Zugendliche Verbrecher.
Eeine entſetzliche Blutthat hält die Bevölkerung
der Reichshauptſtadt in Atem. Das Furchtbare liegt
nicht allein in der Schwere des Verbrechens, dem der
Juſtizrat Levy zum Opfer fiel, ſondern mehr noch


kommenheit an den Tag gelegt haben. Zwei Burſchen

von 16 Jaͤhren bereiten mit kühler Berechnung einen
Raubmord vor. Vor der Begehung treffen ſie auf
der Friedrichsſtraße zwei ihnen unbekannte Alters-—
genoſſen, die — mit ihrem Vorhaben bekannt gemacht
— ſich ſofort zur Teilnahme bereit erklären. Alle
Welt fragt ſich, wie das jugendliche Gemüt der vier
Verbrecher, die um eine Hand voll Geld kaltblütig
drei Morde auszuführen planen, zu der Stufe des
Verbrechens geſunken war, daß ſie gemeinſam und ohne
jede Gewiſſensbedenken ihre That ausführen konnten,
Man fühlt, daß hier Umſtände zuſammengewirkt haben.
die keineswegs nur in der verbrecheriſchen Anlage der


der Gegenwart liegen.
In der That hat ſich dem prüfenden Auge ſchon
lange die betrübende Wahrnehmung aufgedrängt, daß
die Lockerung der ſittlichen Bande in weiten Volks-
kreiſen ihren Widerſchein in erſchreckender Weiſe auf
die Jugend zurückwirft und hier ſittliche Schäden
erzeugt, welche jeden wahren Volksfreund zur Abwehr
aufrufen. Das jugendliche Verbrechertum wächſt in


iſt die unvermeidliche Folge des Geiſtes der Rohheit
und Zuchtloſigkeit, der Genußſucht und Unſittlichkeit,
welcher in der der Schule entwachſenen Generation ſich
in unſern Tagen häufig findet.
Das klingt wie eine Anklage gegen die Leiſtungen
unſerer Volksſchule. Aber auch die beſte Schul-
erziehung ſcheitert, wenn ſie keine Unterſtützung im
häuslichen Familienleben erhält. Und hier iſt der
eigentliche Sitz des Uebels. Das Familienleben weiter
Kreiſe iſt namentlich in den Großſtädten vielfach ver-
giftet. Die ſozialiſtiſche Lehre und Agitation, die ſich
frei auf die Maſſen überträgt und die ärmeren Ele-
mente ſyſtematiſch mit Widerſpruch gegen alle menſch-
liche und göttliche Autorität, mit Veraͤchtung von Recht
und Geſeß, mit Haß und Neid gegen den beſſer ge-
ſtellten Nebenmenſchen erfüllt und dem Spiel aller
ſchlechten Begierden preisgiebt, — ſie trägt eine große
Mitſchuld an der ſittlichen Verkommenheit vieler
Familien. Und der Geiſt, der in ihnen lebt, verdirbt
natürlich auch die Kinder im Keime, ſodaß die Ein-
wirkung der Schule ergebnislos bleibt. Es kommt
hinzu die falſche Humanität unſerer Zeit gegenüber
dem Verbrechertum und der Einfluß ſchlechten Um-
gangs und — ſittenverderbender Lektüre. Welcher
Art aber die Lektüre iſt, welche die ſozialdemokratiſchen
Blätter ihren Leſern und deren Familien zu bieten
wagen, das kann man daraus ſchon entnehmen, daß
auf dem letzten ſozialdemokratiſchen Parteitage ſelbſt.
von „Genoſſen“ der Inhalt der „Neuen Welt“, der
Sonntagsbeilage (h des „Vorwärts? „ſtinkende
Schweinereien“ genannt wurde! Auch die



Frangvaal.

Nachdruck verboten).

htidelberger in


ſchriftflelleriſche Beruf, der mich nach Südafrika führte
und dem Goldlande Transvaal.
Von Kapſtadt brachte mich der Eiſenbahnzug in
50 Stunden nach dem reizenden transvaal'ſchen Städtchen
Heidelberg, einen Villenort, der von Lungenkranken ſtark
befucht wird und durch ſeine romantiſche Umgebung
bedeutende Aehnlichkeit mii der altberühmten Neckar-
fiadt zeigt. Ich erkundigte mich nach den Begründern
des Gries und ob dieſe ausAlt⸗Heidelberg“ ſtammten,
fonnte aber nur unverläßliche Auskunft erlangen.
Dicht hinter Heidelberg beginnt der Witwatersrand-
Höhenzug, eine niedrige, mit Graz bewachſene, lang-
weilig und unfruchtbar ausſchauende Hügelgegend, die
— ebemal8 als Wüfte galt, bevor man entdeckie?, daß ihre
Böohen ein grobes, gangähnliches, reiche Goldmengen
bergendes Quarzkonglomerat durchſetzt. Die 30 Kilo-
meter betragende Sirecke bis Johannesburg wollte ich
nicht im dahinſauſenden Eiſenbahnwagen zurücklegen
und beftieg eine geräumige, gut federnde Poſtfkutſche,
deren Kutſcher, ein Halbblut, ſchon ſeit dreißig Jahren
die Zügel regierte. Gräben und Gruben durchfurchten
die Hühel in jeder Richtung, während auf der Straße
eine ununterbrochene Reihe von Ochſenwagen, Karren,
Goldgräbern, Händlern und jüdiſchen Hauſierern vor-
beizog. — Daͤs auserleſene Volk iſt in Transvaal
überhaupt durch eine unverhältnismäßig große Zahl
feinet Angehörigen vertreten, welche die beſten Gruben
und den ganzen Groß- und Kleinhandel an ſich ge-



riſſen haben. — Das fröhliche Picken der Spitzhacken
und das geräuſchvolle Sprengen vermittelſt Dynamit
untermiſchten ſich mit dem eintönigen Eeſange der in
den Bergwerken beſchäftigten Baſutos und Amulongas.
Die Räder unſerer Kutſche knirſchten häufig über eine
Schicht des zerſetzten Rothſchiefers, in dem die Quarz-
gänge eingelagert ſind.


burg, die herrliche Bauten aufweiſt und eine Ein-
wohnerzahl von etwa 90000 Seelen beſitzt, erreichten
wir an dem Spätnachmittag eines Samstags, wo
jegliche Arbeit ruht, und ganze Schaaren weißer,
geiber und ſchwarzer Menſchen füllten die Straßen
und Plätze. Der Verkehr war am lebhafteſten auf
dem Marktplatze, dem Centrum der Stadt, wo Iſrael
ſein Hauptlager aufgeſchlagen hat, Pferde verſteigert
und an die Farbigen ſeine Schundwaare zu exor-
bitanten Preiſen abſetzt. In einem Privathotel war
ich abgeſtiegen, das vollgepfropft war mit Aktien-
maklern, Juͤgenieuren, Bankdirektoren, Goldprobierern
und allerlei „fahrendem Voll.“ Meine Zimmer, für
welche ich 8 Mk. täglich zahlen ſollte, theilte ich mit
einem gutmütigen, aber etwas unſoliden Schotten, der


und die Thür mit dem Kopfe zu öffnen verſuchte.
Die Annehmlichkeit eines ſolchen Schlaflaͤmeraden
würdigte ich nicht und ſuchte am nächſten Morgen ein
behaglicheres temporäres Heim, das ich in dem Eentral-


Wilh. Lippert aus Karlsruhe trefflich leitete. Bei
Herrn Lippert erkundigte ich mich wieder nach der
ründung von Heidelberg, konnte aber auch nichts
poſitives in Erfahrung bringen, jedoch teilte mir der

Gaſtgeber mit, daß elf Heidelberger Familien im
nördlichen Teile des Witwatersrand dem Obſt⸗ und
Gemüſebau, ſowie der Reben- und Hopfenkultur ob-
lagen und den landwirtſchaftlichen Betrieb auf genoſſen-
ſchaftlicher Grundlage ausübten.

männiſchen Niederlaſſung zu begleiten, und an einem
ſchönen, warmen Apriltage, als eben die Weinleſe be-
gonnen hatte — in Südafrika und Europa herrſchen
bekanntlich jeweilig die entgegengeſetzten Jahreszeiten
vor — kuͤtſchierten wir in dem Hoͤtelwagen der Straße
nach Ruſtenburg entlang. Hinter den Grubenanlagen
des Oberſten Fereira bogen wir in eine Nebenſtraße
ein, die quer über die Goldfelder führt. Schließlich
gelangten wir zu einem, von einem kryſtallhellen Bache
durchfloſſenen Thale, deſſen Sohle ſaftige Wieſen und
ausgedehnte Hopfenpflanzungen bedeckten, während im
Hintergrunde zerſtreut liegende Gehöfte ſichtbar wurden,
beſchatlet von Orangen⸗ Citronen- Pfirſich-, Apri-
koſen -⸗ und Apfelbäumen. Die Bergiehnen hinan
zogen ſich große Weingärten, zwiſchen deren Rebſtock-
reihen Hottentotten unter unausgeſetztem Geſange
Körbe voll purpurner und goldener Trauben zu den
Ochfenwagen am Wege trugen, auf denen Bottiche
und Traubenmühlen ſich befanden. ,

Ein ſtattlicher Farmer begrüßte Herrn Lippert
herzlich, der mir dieſen als Herrn Ehlgötz vorſtellte.
Derſelbe zeigte uns eine Traube, die wenigſtens
6 Pfund wög. Es geſellten ſich noch die Herren
Sailer, Hohmeiſter, Abel, Trilling und Engelhard zu
uns, mit dem wir einen recht kräftigen Imbiß ein-
nahmen, den ein vorzüglicher Tropfen eigener Kelte-



rung hinunterſpülte. (Schluß folgt.)
 
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