Der vadirihe Yolkabote“ er-
ſcheint dreimal wöchentlich.
Verlag und Leitung:
Beidelbexs· Bahnuhofſtraße 9.
Preis vierteljaͤhrlich
durch den Briefträger frei in’s
Haus gebracht Mk. 1.25,am Poſt-
ſchalter oder durch unfere Boten
Telegramm⸗Adreſſe: 4 in Heidelberg 1 M., von 4*
lk e Beidel 1 ; x 6 rpedition abgeholt SO Pfg.
2 5 *— und des 9 tdiſche 9 rneruhundes. Noſt· Zeitungs · Vreislitte
Die 5geſpaltene Petitzeile 10 Pfg. * — — * ur. IL
Heidelberg, Samstiag, den I9. geptember 1896. 7. Zahrgang.
M6 105,
Ein neues Bierteliaht
verſaumen, jetzt ſchon unſere Leſer und Freunde
an ihre Pflicht zu mahnen, nicht nur ſelbſt das
Abonnement auf den
Badiſchen Volksboten
rechtzeitig zu erneuern, ſondern auch durch Ge-
Das beſte Abonnement iſt das durch die
Poſt und koſtet der „Badiſche Volksbote“ viertel-
iährlich frei ins Haus gebracht *
nur 1.25 Mk.
Wir legten Euch kürzlich zur Erleichterung der
Arbeit Einzeichnungsliſten bei! Laßt diefe in
Euren Freundes- und Bekanntenkreiſen zur Aus-
füllung zirkulieren und übergebt die Beſtellung
der nächſten Poſtanſtalt oder dem Briefträger
— die pünktliche und rechtzeitige Zuſtellung des
einen großen Dienſt erwieſen.
* Mit deutſchem Heilgruß!
Die Geſchäfts ſtelle
—
Badiſchen Voltsvoten-
— —
DZolitiſcher Teil.
— Internationale Schwärmer,
In hellen Haufen pilgerten an einem der letzten
Sonntage nachmittags die Sozialdemokraten Markirchs
und leiner Umgebung, ſowie zahlreiche Straßburger
Sankt Diedeler Höhe, wo auf fraͤnzöſiſchem Gebiete
Bebel, der Straßburger, und Bueb, der Mülhäuſer
Reichstagsabgeordnete, über ihre Thätigkeit als Reichs-
boten berichten wollten. Dort oben entrollte ſich gegen
gegen 2 Uhr ein intereſſantes Schauſpiel. Diesſeits
der Grenze hatte die Markircher Polizeimacht und die
deutſche Gendarmerie Aufſtellung genommen, jenſeits
der Grenze ihre franzöſiſchen Kollegen, am Waldes-
rande lagerten die Grenzwächter beider Staaten, und
last not least unter dem Scheine einer Truppenübung
hielt ſich ſeit dem Morgen eine größere Anzahl der
Sankt Diedeler Chaſſeurs im Walde verborgen. Etwa
1500 Menſchen fluteten auf der Landſtraße auf und
blau⸗-weiß-rote Blumenſträuße trugen, riefen vive la
Franoce aus Leibeskräften.
Da erſcheinen Bebel und Bueb, die Helden des
Tages, ſie betreten den franzöſiſchen Boden, werden
ſtürmiſch bewillkommnet; aber Ruhe wird plötzlich nach
nach dem Sturm. Der Bürgermeiſter des franzöſiſchen
Dorfes Wiſſembach tritt an die beiden Abgeordneten
heran, übergiebt jedem ein Papier, beide leſen es, ſind
ſehr überraſcht, ſie wenden ſchleunigſt dem ſchönen
Frankreich den Rücken und ziehen ſich auf die heimat-
liche Erde zurück: Bebel und Bueb waren aus Frank-
nicht heendet. Die franzöſiſchen Sozialiſten ließen näm-
lich mündlich kundthun, ſie ſtimmten zwar im kollek-
tiviſtiſchen Prinzip mit den Deutſchen überein, aber
ſonſt wollten ſie mit ihnen nichts zu thun haben, am
allerwenigſten in einer gemeinſamen Verſammlung. Das
iſt ein harter Schlag für die Herren Bebel und Lieb-
knecht, die Pfleger des Internationalismus, und der
kraten zwar Sozialiſten aber in erſter Linie Franzofen
ſind. Freunde ihres Vaterlandes — und das loben
wir an ihnen. —
Jener Ausweiſungsbefehl für Bebel und Bueb
war vom Präfekten G®uerin in Epinal ausgefertigt
„In anbetracht, daß am 6. September cr. auf
franzöſiſchem Gebiete bei Wiſſembach eine öffentlichẽ
Verſammlung ſtattfinden ſoll und daͤß Bebel (Bueb),
deutſcher Abgeordneter, erwartet wird, um ihr beizu-
wohnen und das Wort zu ergreifen; in anbetracht,
daß die Anweſenheit des oben genannten Fremden auf
franzöſiſchem Boden Zwiſchenfäle herbeifuͤhren könnte,
die geeignet ſind, die öffentliche Ruͤhe zu ſtören, wird
Behel (Bueb) aufgefordert, daͤs franzöfifche Gebiet zu
In Paris haben erfi kürzlich wieder die ſoziali-
ſtiſchen Gemeinderäte mit dem Bruſtton patriotiſcher
Ueherzeugung die notwendigen Summen für den glän-
Sie zeigen es durch ihr Verhalten immer wieder, daß
machen, als die Intereſſen ihres Vaterlandes dadurch
Dinge ſind. Während unſere Sozialdemokraͤten ſich
mit ihrer Vaterlandsloſigkeit brüſten und ſich nicht ge-
Franzoſenfreunde, die gegen die Intereſſen des deut-
ſchen Vaterlandes in der Frage der Reichslande auf-
treten, zu empfehlen, ſtreben die franzoͤſiſchen Sozial-
demokraten darnach, an Patriotismus hinter keiner
Partei zurückzuſtehen.
patriotiſch gilt, dem Zaren zu huldigen, ſo erwiefen
form, welche jetzt in Frankreich beſteht, erſcheint ihnen
Auch die deutſchen Sozialdemokraten könnten aus der
Ausweiſung der Herren Bebel und Bueb durch die
republikaniſchen Behörden ſoviel lernen, daß die Re-
publik niemals eine Untergrabung der ſtaatlichen Ord-
Schwärmerei für die Republik die deutſche Sozialdemo-
kratie neben dem Mangel an Vaterlandsliebe ihren
völligen Mangel an Verſtändnis der praktiſchen Wirk-
lichkeit offen zur Schau trägt. Sie rühmt ſich ſogar
—
— —— —— — ——
Die anarchiſtiſche Lerſchwürung.
Die vorliegenden Londoner Blätter ſind, wie die
„Köln. Ztg. ausführt, nach den ihnen bisher zu-
gegangenen Mitteilungen noch nicht der Anſicht, daß
es bei der Ausſpinnung der Verſchwörung auf das
ruſſiſche Staatsoberhaupt abgeſehen geweſen ſei. In
heimpolizei an die dortige Preſſe heißt es: „Die Ver-
ſchwörung iſt in Amerika gebildet worden. Wir wiſſen,
daß beabſichtigt war, eine Anzahl von Bombenver-
brechen in England und möglicherweiſe in Irland zu
begehen. Wir wiſſen, daß vor zwei Monaten eine
geheime Verſammlung in Newyork abgehalten und daß
damals der Plan im einzelnen ausgebildet worden iſi.
Ich kann ſo weit gehen, zu ſagen, daß Nitroglyeerin
zur Verwendung kommen ſollte! Die Bomben ſollten
nicht Schrecken erregen, ſondern töten.
ſchaft von etwa zehn Perſonen war auserſehen wor-
einem Monat in Paritz zuſammen“. Soweit der Ver-
treter von Scotland Mard. Wir müſſen daneben er-
wähnen, daß die gegenteilige Anſicht durch die Autori-
tät der Nieuwe Rotterdam'ſche Courant vertreten wird.
Das Blatt führt die Thatſache an, daß ſich in dem
Zimmer der beiden Verhafteten, Kearney und Wallace
oder Haines — der Name des zweiten iſt noch immer
nicht genau feſtgeſtellt —, Brieffetzen vorfanden, die
zuſammengeſtellt den Schluß ergeben ſollen, „daß die
Fenier ein Attentat gegen ein gekröntes Haͤupt beab-
ſichtigten, das demnächſt der Königin Victoria einen
Die „K. Z.“ will ſich vor-
läufig noch nicht beſtimmt darüber ausſprechen, ob
zwiſchen Feniern und Nihiliſten ein Bündnis beſtehe,
deſſen Zweck auch einen Anſchlag gegen den Zaren
umfaſſen. Mit weniger Autorität als das Roͤtter-
damer Blatt meldet der „Newyork Herald“, vor ihrer
Abreiſe nach Europa ſeien die Abgefandten der Fenier
durch einen bekannten ruſſiſchen Profeſſor in alle Ge-
worden. In einem regelrechten Curſus ſeien ſie Jowohl
lung der Stoffe, die bei der Darſtellung von Bomben
in Betracht kommen, wie über die Anwendung der
Uhrwerke unterrichtet worden, die ein Platzen im ge-
wünſchten Augenblick ermöglichen ſollen. Soweit er-
ſcheint das ganz glaublich, da Umftürzler aller Länder
ſich zuſammenzufinden und gegebenenfalls zu unterſtützen
pflegen. Die weiterer Behauptung des Newhorker
Blattes, daß die Nihiliſten für dieſe Mitwirkung eines
der ihrigen die Bedingung geſtellt hätten, das Ziel
Reiſe in Frankreich ſein, hat noch keine Grundlage.
Nichts Thatſächliches weiſt bis jeßt darauf hin, daß
die Verbrechen in Frankreich begangen werden ſollten.
In Boulogne ſind zwei Freunde, welche die Mut-
ter des verhafteten Tynan geſchickt hatte, angekommen
und haben bei der Juſtizhehoͤrde Schritte unternommen,
damit ihnen eine Unterredung mit dem Verhafteten ge-
ſtattet werde. Am Mittwoch Nachmittag 6 Uhr hatte
Tynan abermals ein Verhör vor dem Kommijfjar,
wobei er erflärte, er liebe Frankreich als Schweſter
der amerikaniſchen Republik und verabſcheue jede Ges
waltthätigkeiit. — — *
In London zirkuliert das Gerücht, der in Bou-
logne verhaftete Fenier Tynan hätte die Dynamit-
treten. — Pall Mall SGazette‘“ veröffentlicht einen
Dieſem Artikel zufolge ſoll Tynan den Plan gehabt
haben, in der Nähe des Palais des Prinzen von
aus einen unterirdiſchen Gang bis zum Palais zu
graben und den Prinzen mit ſeiner ganzen Familie
in die Luft zu ſprengen.
Fernex wird der „Köln. Ztg.“ aus London ge-
ſchriehen: Neuere Nachrichten machen ein Einvernehmen
der Nihiliſten mit den Feniern wahrſcheinlich. Es
geſchickter Chemiker bekannt iſt, eine Cabine auf der
Hamburger Auguſte Viktoria“ für Tynan nahm, der
unter dem Namen Becker reiſte. Von Rabinowitz fehle
ſeit Tynan's Verhaftung jede Spur.
— Viel Cärm um einen Juden. Als vor
achtzehn Monaten, ſchreibt die „K. Z.“, ganz Frank-
reich ſich über die Verurteilung des Verräters
Dreyfus zu lebenslänglicher Deportation freute, hatten
die Steuerzahler ſchwerlich eine Ahnung davon daß
ihnen dieſe Freude die niedliche Summe von ungefähr -
50000 fr. jährlich koſten würde. Der Himmel ſchüßze
Frankreich vor Verrätern; würden ihrer viele einge-
fangen, ſo wäre eine neue Steuer⸗Auflage nötig, um
das Loch im Budgei zu decken. Die Gehälter der
ſeben Wächter betragen 23 000 fr., die Verpflegungs-
koſten 9000 fr. und die Telegraphengebühren —
13000 fr.! Wozu letztere! wird jeder verwundert
fragen. Weil wenigſtens zehnmal im Jahre ſeine Ent-
weichung auspoſaunt wird; das Kolonialamt bedrängt
dann ſofort den Statthalter von Franzöſiſch⸗Guyana
um ausführliche Auskunft; dieſer telephoͤnirt nach der
Inſel, und das beläuft ſich auf 12!/2 fr. das Wort.
So ein Dreyfus-Telegramm ſchlägt die koſtſpieligſten
Preßtelegramme; e& koſtet ungefähr 1000 fr. Fügt
man dazu noch die 30000 fr., welche die Herſtellung
von zwei Blockhäuſern für Dreyfus und ſeine Wächter
verſchlang, ferner den Verluſt von Menſchenleben, welche
die gefaͤhrliche Landung an der Inſel herbeifuͤhrt, fo
wird Frankreich ſich ſchon ſagen dürfen, daß es ſich
ſeinen Dreyfus etwas koſten läßt. Wenn es neuer-
dings hieß, daß ſeine Wächter mit ihm entflohen ſeien,
ſo liegt darin inſofern etwas Wahres, als dieſe jeden
Augenblick ihres Daſeins verfluchen ſollen, der ſie an
die unwirtliche ungeſunde Inſel feſſelt. Sie löſen ſich
alle vier Stunden in der Bewachung des Unglücklichen
ab, während einer von ihnen die ganze Nacht hindurch
ſtehend ihn zu beobachten hat, ohne auch nur ein ein?
ziges Wort an ihn zu richten. Faſt könnte man ſich
fragen, wer ſchlimmer dran iſt, der Deportirte oder
ſeine Wächter; auch ſoll einer der Wächter Spuren
von Geiſtesſtörung gezeigt haben. Dreyfus ſelbſt iſt
fürchterlich gealtert: feine Haare ſind gebleicht, ſein