Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

DOI Artikel:
Volbehr, Theodor: Praktische Aesthetik im Hause
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0044

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Seite 26.

Zllustr. kun st ge werbt. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Februar-Heft.

an solche Praxis denken wollte und in einem Büchlein die nutz-
baren goldenen Regeln zur Verschönerung des Heims Zusammen-
tragen wollte. Ich fürchte nur, daß sich außerordentlich schnell
die Nndurchführbarkeit eines solchen Vorhabens Herausstellen
würde. Und das aus zwei Gründen. Zunächst würde es kaum
möglich sein, alle verschiedenen baulichen und sonstigen Verhält-
nisse gebührend zu berücksichtigen. Und doch verlangt jede Woh-
nungsanlage ihre besondere Art der Ausstattung, wenn anders
die Wirkung des Ganzen eine erfreuliche sein soll: ein dunkler
Flur verlangt anderen Anstrich, andere Tapeten rc. als ein Heller.
Der wichtigere Grund aber ist der, daß jeder Mensch besondere
ästhetische Bedürfnisse hat und daß es ein offenbarer Unsinn wäre,
für alle anscheinend gleichen Verhältnisse die gleichen ästhetischen
Rezepte zu verabfolgen. Zeder tüchtige Arzt huldigt der indivi-
dualisirendenBe-
handlungs - Me-
thode: erforscht
erst nach der
(Ligenart des Or-
ganismus, ehe
er seinen Rath
ertheilt. Leider
ist nun aber der
praktische Aest-
hetiker kaum je-
mals in der Lage,
von Fall zu Fall
seinen Rath zu
ertheilen. <Ls sei
denn, daß er zu-
fälligBaumeister
oder Dekoratör
ist. Wenn dem
nun aber so ist,
wenn gewichtige
Gründe gegen
die Abfassung
bezw. gegen die
Brauchbarkeit
einer „Aesthetik
fürs Haus"
sprechen und
wenn nur in ver-
einzelten Fällen
ein praktischer
Aesthetiker zur
Begutachtung
zugezogen wer-
den kann, was

ist dann zu thun, um doch im Sinne einer praktischen Aesthetik
zu wirken?

Der Einzelne kann hier wenig thun, aber die Gesammtheit
derer, die von der sozialen Bedeutung praktischer Aesthetik durch-
drungen sind, kann viel thun, sie kann unausgesetzt Propaganda
machen für den einfachen Gedanken: daß nicht der Prunk ein
Haus zum Heim macht, sondern die „Behaglichkeit",
und daß ein Behagen nur möglich ist, wenn den „praktischen"
Anforderungen des Wohnens und Lebens völlig Genüge geleistet
ist. Wo dieser Gedanke in Fleisch und Blut übergegangen ist,
öa werden sich unschwer alle Konsequenzen für den Einzelfall
ziehen lassen. Wer bei allen seinen Maßnahmen für die häus-
liche Ausstattung davon ausgeht, daß jeder Widerspruch gegen
die Forderung praktischer Brauchbarkeit für den betreffenden Zweck
ein Fehler ist, der wird für jeden Schritt einen unsichtbaren stillen
Geleiter haben, der ihn sicher zu dem erwünschten Ziele bringen wird.

Mancher wird finden, so einfach sei die Sache nun doch
nicht; und Mancher wird fürchten, daß mit dem Worte „praktische
Brauchbarkeit" die Prosa einziehe, wenn man diese Forderung
nicht nach irgend einer Seite hin ergänze. Zch glaube, daß diese
Furcht unbegründet ist und glaube, daß die Sache in der That
einfach genug ist, wenn nur ein wenig guter Wille vorhanden ist.
Man mache einmal den Versuch und trete an jeden Raum der
Wohnung, an jedes Geräth, an jeden dekorativen Gegenstand in
derselben heran mit den Fragen: welchem Zwecke sollst du dienen,
wie könnte diesem Zwecke am Vollständigsten gedient werden, und
wie erfüllst du den Zweck? Die Antwort wird zweifellos zeigen,
ob der Raum, ob der Gegenstand einiger Nachhülfe bedarf oder
nicht. Einige Beispiele mögen das erläutern: Wir treten in den
Flur einer modernen Miethskaserne. Die Treppe ist nicht sonderlich

hell, da sie von
eineni engen Hof
aus Licht erhält,
und die Folge
ist, daß durch die
Glaswände des
Etagenabschlus-
ses noch dürf-
tigeres Licht für
die Erhellung
des Flurs fällt.
Da kann man
es nun erleben,
daß sogenannter
„dekorativer
Sinn" Portieren
quer durch den
Flur hängt,wohl
gar die Glas-
wände mit Gar-
dinen versieht
und schließlich
aus der Dämme-
rung eine ägyp-
tische Finsterniß
schafft. Tritt der
Miether hinge-
gen mit obigen
Fragen in den
leeren Flur hi-
nein, dann wird
er sich sofort
sagen, daß ein
Flur den Ueber-
gang in die ein-
zelnen Zimmer vermitteln soll, daß also zunächst die verschiedenen
Zimmer leicht zu finden sein müssen, und daß dann Gelegenheit
geschaffen werden muß, die Straßentoilette in die Zimmertoilette
zu verwandeln. Es muß also möglichst hell im ganzen Flur sein,
am hellsten aber dort, wo man Mäntel und Schirme von sich zu
thun und eventuell vom Wind zerzauste Haare zu glätten wünscht.

Wie erreicht man nun solche Helligkeit? Man bringt direkt
gegenüber dem Licht-Eingang einen Spiegel an, der alle Helligkeit
auffängt und verdoppelt, und gruppirt neben demselben resp. um
denselben die Garderobe. Dann läßt man die Wände sehr hell
tapeziren, legt auf den dunklen Boden Helle Strohläufer. Zn den
meisten Fällen wird man dadurch den Schaden kurirt haben. Erst
nach der Lösung dieser wichtigsten Aufgabe darf man daran
denken, die Wände in irgend einer Beziehung anregend zu beleben.
Aber auch hierbei hat inan immer die Hauptsache in jedem ein-
zelnen Falle — also hier das künstliche Erhellen des Raumes —

Abbildung Nummer 87Z. Bett in gothischeni Stil, von A. BembL, kjof-Möbelfabrik, Mainz.
 
Annotationen