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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Schulze, Otto: Die Bedeutung der dekorativen Malerei der Fläche im Heim: mit besonderer Würdigung der vorliegenden Abbildungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0060

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Seite 38.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

März-Heft.

— in Kaiser Friedrich hat die Kunst eine ihrer mächtigsten Stützen
verloren und die Kaiserin Friedrich, selbst eine geschätzte Künstlerin,
hat ihr warmes Interesse für die deutsche Kunst jederzeit bekundet.

— weitere Glasmalereien führen uns folgende Abbildungen vor:
Nr. 887, Treppenhaus-Fenster in moderner Renaissance von
Wilh. Schell in Gffenburg i. B. für ein Haus in Freiburg i.B.
entworfen und ausgeführt. Von einfacher, aber durchaus dekora-
tiver Wirkung ist hier der hochstre-
bende Blumenstrauß in der Vase
zwischen einer gefälligen Säulen-
architektur, ein beliebtes Motiv, das
besonders für Treppen- und Flur-
fenster sich dankbar verwerthen läßt.

Nr. 888 zeigt uns ein dreitheiliges
frühgothisches Kirchenfenster mit
der Kreuzigungsgruppe im strengen
Kirchenstil. Tine reiche Architektur um-
schließt die ausdrucksvolle Gruppe:

Maria, Magdalena und Johannes
am Fuße des aufgerichteten Kreuzes
mit dem sterbenden Heiland. Unten
ist ein Schriftband haltender Tngel,
rechts und links sind weitere Schrift-
bänder einkomponirt, bestimmt, den
Bibeltext und die Widmung des
Stifters aufzunehmen. Gben im
Dreipaß ist der Pelikan mit seinen
Jungen dargestellt, aus seiner mit
dem eigenen Schnabel zerfleischten
Brust träufelt Blut, mit welchem
er seine Brut nährt — das Sinnbild
des Gpfertodes Thristi. Das Fenster
spricht zu uns in schlichter Größe
und tiefem Trnst. Klar und luftig
lösen sich die vielgestaltigen Archi-
tekturmassen. Tntwurf und Aus-
führung dieses für die neue Johannes-
Kirche zu Darmstadt bestimmten
monumentalen Fensters ist von H.

Beiler in Heidelberg.— Nr. 88fl
ist eins von mehreren farbigen Fenstern
in der Königlichen webe-u. Appretur-
Schule zu Lrefeld — der größten
Schule dieser Art des Kontinents —
nach dem Tntwurf des Malers
H. Kellner gemalt von H. Bern-
hard, dem Direktor des König!.

Instituts für Glasmalerei zu
Berlin-Tharlottenburg. Das
mehrfach getheilte Flügelfenster in
reichster Renaissance - Komposition
trägt in dein Mittelfeld links die
Allegorie der Schifffahrt und des
Handels, rechts ein prunkhaftes
Kostümbild. Der linke Gberschild
führt die Seidenraupe mit ihrem
Kokon im Feld, der rechte den
Schmetterling der Seidenraupe. Ts ist ein Fenster von mäßiger
Abmessung, jedoch recht gut in Zeichnung, Komposition und Farbe,
ein mustergültiges Vorbild für manchen modernen, Gemälde
fabrizirenden Glasmaler. — Von großen: Liebreiz ist das in Ab-
bildung Nr. 8Y0 wiedergegebene, von Prof. T. Doepler d. I.
entworfene Treppenhaus-Fenster im Barockstil, wenig Bild,
aber in seiner lichten Durchführung glücklich verwendet. Fortuna,
ein aus Wellenkämmen tanzendes Schifflein führend, symbolisirt

wohl hier die heute fast gefahrlose Ueberfahrt über das Welt-
meer. Die Umrahmung zeigt eine edle Linienführung später
Barockornamente. Das Fenster befindet sich im Palasthotel zu
Berlin, ausgeführt wurde dasselbe von Gtto Vittali in Gffen-
burg i. B. — Tin großes Glasgemälde mit figurenreicher Kom-
position — Wein, Weib und Gesang symbolisirend — von Hans
Drinneberg in Karlsruhe entworfen und ausgeführt, stellt

Abbildung Nr. 8fi5 dar. Bei aller
Bewegtheit und Handlung spricht
aus diesem Festsaal-Fenster die Ruhe
eines mit meisterhaftem Geschick ge-
stellten lebenden Bildes. Voll Humor,
Lebensfreude und Weltvergessenheit
beugen sich die Dargestellten der ewig
währenden tyrannischen Dreiherr-
schaft. Das üppige Blumen- und
Fruchtgewinde umrahmt feinsinnig
die farbenglühenden Gruppen, die
Transparenz der Fläche bedeutend
steigernd. — Von der weltberühmten
Hofglasmalerei F. T. Zeitler in
München stammen die beiden in
den Abbildungen Nr. 8si6 und 8si7
wiedergegebenen Fenster. Beide
Fenster erinnern an schweizer Glas-
malereien, im Tntwurf an die Ar-
beiten des Daniel Lindtmeier aus
der zweiten Hälfte des s6. Jahr-
hunderts, im Stil also einer letzten
Hochfluth der deutschen Renaissance
angehörend. In Abbildung Nr. 8si6
ist wieder der wein personifizirt; die
Patriziergesellschaft läßt in ihrer
Wohlanständigkeit den Gedanken an
ein wüstes Bacchanal nicht aufkom-
men, und doch sind die verwendeten
Motive, wie oben der jugendliche
Dionysos mit seinen beiden Panthern,
den Thyrsosstabzapfen, den hermen-
artigen Bacchanten mit Bocksfüßen,
sowie die reiche Trauben- und Frucht-
dekoration ganz darauf zugespitzt.
Nnd in den neben drei Delphinen
sich tummelnden Putten lacht etwas
„Anspielung" auf den in ihren Hän-
den befindlichen Hering durch —recht
zart gegeben. Nicht minder köstlich
ist der Aufbruch zur Reiherbeize,
Abbildung Nr. 8fi7, auch sie ist eine
fein abgewogene dekorative Leistung
von künstlerischem Flug. Der Mittel-
punkt: die Herrin mit dem Falken
auf der Faust, die angedeutete Land-
schaft, im Vordergrund der Iagdtroß,
dann als Beiwerk der architekto-
nischen Umrahmung die geflügelten
Putten mit Falken und erlegtem
Federwild. — Mehr denn je muß es uns heute inne werden, daß
das Fenster denn doch berufen erscheint, nicht nur das Auge der
Wohnung zu fein, sondern in ganz hervorragender Weise an der
dekorativen Zimmerausstattung theilzunehmen. Ts gibt kaum
etwas wirkungsvolleres, etwas dankbareres als ein farbiges Fenster,
selbst wenn es kein „Figuren-Fenster" ist. Mit rein ornamentalen
Dingen läßt sich für ein Fenster schon unendlich viel erreichen.
Tin gutes Farbenfenster ist der Gipfelpunkt der vornehmen deko-

Abbildung Nr. 887. Lreppenstans-Fenstep aus Lreiburg i. B.

Entworfen und ausgeführt von Wilhelm Schell, Gffenburg i. B.
 
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