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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Dankwardt, L.: Weibliche Handarbeit auf dem Gebiete der Innen-Dekoration
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Seite 5^.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

April-Heft.

auf das Wesen der Technik. Mechanische Arbeiterinnen und
beschränkte Uöpfe werden ihr stets zugethan sein. Ihr künstle-
rischer Werth ist wesentlich höher zu veranschlagen, als derjenige
der Häkelarbeit, So lange die Vorliebe für den Renaissancestil
die Mode beherrschte, haben wir in der Holbeintechnik und den
verwandten Arbeitsweisen theilweise schöne Wüster besessen, die
freilich nicht durchweg zur richtigen Geltung kamen, weil sie nicht
immer am richtigen Mrt oder in den richtigen Größenverhältnissen
verwendet wurden. Es ist wunderbar, was für überraschende
Gegensätze von schönem und Unschönem in dieser Technik geboten
werden. Obwohl man
meinen sollte, daß die all-
gemeine Geschmacksbil-
dung über derartige Ver-
irrungen längst erhaben
wäre, kann man gerade
neuerdings wieder vielerlei
naturalistische Entwürfe in
Ureuzstich sehen. Und doch
ist keine Technik so ent-
schieden aus das Stilisirte
angewiesen wie gerade
diese. Als Ausnahme
dürfen höchstens die feinen
Gobelinarbeiten gelten.

Letztere scheinen übrigens
ihrer großen Mühseligkeit
wegen durch die Gobelin-
malereien verdrängt zu
werden. Zu verwundern
ist, daß die deutschen Fir-
men sich für die Uensington-
Stickerei (brockerie Lia
pL88e) so wenig begeistern.

Die Arbeit wird im sog.

Stilstich ausgeführt und
bedingt viel weniger Sorg-
falt für die Stichlage als
die Plattstichstickerei. Zu-
dem bietet sie die Mög-
lichkeit, seiner zu schattiren,
als es bei letzterer der Fall
ist. Endlich hat sie eine
gewisse Flächenhaftigkeit,
die trotz naturalistischer
Entwürfe den Vorwurf der
Widersinnigkeit in der An-
wendung häufig da aus-
hebt, wo eine Plattstich-
stickerei von demselben be-
troffen werden würde. Sie
wird neuerdings sogar auf
der Ringschiffchennähma-
schine ausgeführt. Die
Neidlingerschen Niederlagen^ bieten Gelegenheit, den einfachen
Handgriff unentgeltlich zu erlernen. Die Stickerei auf der Maschine
kann nur mit feiner Seide ausgeführt werden. Billiger und für
derbere Stoffe passender wird sie in der englischen Truvelwolle.
Die Engländerinnen entwerfen häufig ihre Muster selbst und
arbeiten ohne Vorlage nach natürlichen Blumen. Die Arbeit ist
eben wegen dieser Freiheit in der Ausführung sehr unterhaltend.
Freilich beschränkt sie sich auf solche Blumen, die einfache Formen
aufweisen. Ich sah ein Zimmer, dessen Einrichtung in Braun
gehalten war. Es galt, den Schall eines Ulaviers in der Nach-
barschaft abzuschwächen, daher waren Friesportieren angewendet,

* Abbildung Nummer yos. Frustep-Vraprrie im Geschmack Anfang Louis XIV

deren Lambrequin mit Tlematis und wilden Weinblättern bestickt
waren. Dasselbe Muster in senkrechter Richtung wiederholte sich
auf den Fensterdecken. Für den Rand der Tischdecke war der
Entwurf verkleinert, auch für eine dunkle Bettdecke war er in
Mittelgröße angewendet. Das Zimmer war weder modern noch
elegant, trug aber ein individuelles Gepräge und paßte für die
Lebensgewohnheiten seiner Inhaberin.

Unter den Handfertigkeiten dürfte die Herstellung künstlicher
Blumen in den weitesten Schichten der Bevölkerung Anklang
gesunden haben. Bei geschickter Ausführung darf man sie wohl

überall gelten lassen, wo
sie häufig genug erneuert
und diskret angebracht
werden. Man sollte sie
dem Auge des Beschauers
nicht allzu nahe rücken,
um die Illusion nicht zu
zerstören. Dieselbe Rück-
sicht muß uns hindern, sie
da anzubringen, wo sie nur
durch Zwang und Verge-
waltigung ihrer Ligenart
hingelangen können. Die
schwerfällige Gummi-
knetarbeit hat sich schnell
überlebt. Schnitzereien
und Aleinschmiede-
arbeiten aus geboge-
nem Blech mit Lacküberzug
finden nur beschränkte An-
wendung. Wer Geschmack
und Geschick genug besitzt,
sie anzufertigen, wird sie
auch zu verwenden wissen.
Sicher wird auch in diesen
Dingen Geschmackloses ge-
arbeitet. Im Allgemeinen
zwingen indessen diese
Techniken zum Nachdenken
und somit zu selbständiger
Geschmacksentwickelung.

Der Ulagelieder über
das Barbarenthum der
pinselbeflissenen Damen
sind bereits zu viele ge-
sungen, als daß hier noch
ein Wehgeschrei über das
Ulecksen und Schmieren
am Platze wäre. Im All-
gemeinen ließe sich Vieles
aus dem Gebiete der Ma-
lerei bessern, wenn man
die erwachsenen Töchter
dazu erzöge, ihre Pinsel-
arbeiten als „Handarbeit" anzusehen und nicht auf das Gebiet
der hohen Uunst hinüberpfuschen zu wollen. Das Geld für die
Malstunden wäre besser angewandt für einen Lehrgang, in
welchem den Mädchen, die einst Hauptpflegerinnen des Zimmer-
schmuckes in seiner geistigen Bedeutung für die Erhaltung des
Familienlebens sein sollen, der Unterschied beigebracht würde
zwischen dekorativer und monumentaler Uunst. Je nach der Be-
gabung der Einzelnen könnte sich praktischer Unterricht in der
Uunst des Verzierens anschließen. Freilich wären Lehrer und
Lehrerinnen dazu nöthig, die sich für die Seelengröße zu begeistern
verstehen, die in der Beschränkung aus das Angemessene sich
 
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