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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Reimann, Franz: Die Zimmerdecke mit besonderer Berücksichtigung ihrer Bauart
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Hochegger, R.: Die künstlerische Erziehung der deutschen Jugend, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0095

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Mai-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite 67.

Zn ihr können wir deutlich die gothifchen Rippen verfolgen,
welche die flachen Wölbungen von einander trennen, und die sich
in als Tropfen herabhängenden Schlußsteinen vereinigen. Tin
interessantes reiches Beispiel für diese Deckenform weist die Kapelle
Heinrichs VII. in der westminsterabtei zu London auf. (Siehe
Essenwein, Atlas der Architektur Tafel 37, sowie Georg Hirth,
Das deutsche Zimmer S. U2.) — Das Tonnengewölbe finden wir
vereinzelt in Hausfluren,

Gängen, Korridoren und
Treppenhäusern; selten
ist der Versuch gemacht
worden, es für Mohn-
räume anzuwenden. Tine
sehr hübsche Verwendung
dieser Decke finden wir
indem gothifchen Studier-
zimmer des Herrn Vr.

Fr. v. Ziegler in München
nach Tntwurf von Gabr.

Seidl. Sie besitzt, was
schon vom Kreuzgewölbe
gesagt wurde, in hohem
Maße die Tigenschaft,
den Eindruck des Abge-
schlossenseins in uns her-
vorzurufen, und eignet
sich deshalb wohl mehr
als jede andere Decke für
ein Studierzimmer. Dieser
Eindruck ist es auch vor
Allem, der dem oben er-
wähnten Zimmerchen sein ruhiges, weltentlegenes Gepräge gibt.
(Siehe Zeitschrift des bayr. Kunstgewerbe-Vereins, Jahrgang s88^,
Blatt 28.) Das Tonnengewölbe kann aus Stein, putz, Holz und
noch anderen Materialien hergestellt sein. Zst es von Holz, so
ist es meist durch Bälkchen oder durch auf die glatte Verschalung
aufgelegte Leisten dekorirt. Man findet auch kassettirte Tonnen-
gewölbe, so in der Peterskirche und in der Kuppelwölbung des

Pantheon zu Rom. Line Variante zum Tonnengewölbe ist die
Kleeblattwölbung, dieselbe setzt sich aus zwei halben und einem
ganzen Tonnengewölbe zusammen. Lin hübsches älteres Beispiel
dafür ist die Decke in der Trostburg (siehe Fr. paukert, Zimmer-
gothik in Deutschtyrol), während wir ein solches der neueren Zeit
im Sitzungszimmer des neuen Rathhauses zu München nach
Prof. Hauberisser sehen (siehe Hirth, Das deutsche Zimmer, S. 65).

Ersetzt man den mittleren
ganzen Bogen der Klee-
blattdecke durch eine hori-
zontale Fläche, so erhält
man die Spiegeldecke.
Dieselbe wird nieist für
Säle und andere große
Räume bevorzugt und
gewöhnlich in putz oder
Stuck ausgeführt, doch
lassen sich auch in Holz
in Verbindung mit Ma-
lerei ganz originelle Lö-
sungen erreichen.

Man hat auch ver-
sucht, den Dachstuhl als
solchen gar nicht zu ver-
heimlichen, sondern ihn,
so gut es eben ging, zu
dekoriren. Diese Decken-
bildung war besonders
in England, überhaupt
in Nord-Europa beliebt
und wurde meist in Fest-
hallen, Sälen usw. in Anwendung gebracht. Auch heute wird
sie noch verwendet, ein besonders hübsches Beispiel ist in der
Halle der Villa des Herrn Kommerzienrath Limburger in Dölitz
bei Leipzig zu sehen (siehe Luthmer, Malerische Znnenräume).
Tin weiteres neueres Beispiel zeigt die Abbildung Nr. Y2si „Blick
in die große Halle in Rhinesield in Hampshire" auf Seite 76.

Die Balkendecke gehört der romanischen Epoche an und war

Abbildung Nr. 9 ly. Empfangs-Halle im deutschen Haufe in Chicago. Oberer Thril.

den Gemüthern lastet, ist es begreiflich, daß die Kunst keine Stätte
findet zu breiter Entfaltung im Volke. Die „Kunst" ist auch eine
zarte Pflanze, die nur gedeiht im Sonnenschein des Friedens. Mir
leben zwar im Frieden, aber in einem Frieden, der von Mafien
starrt, so daß fast ein Krieg herbeigesehnt wird, um der fort-
währenden Steigerung der Militärlasten ein Ende gesetzt und sich
von dem Drucke banger Erwartung befreit zu sehen. Die Kunst
blüht nur in Zeiten überwundener Kriegsgefahr, wo ein heiteres
und freies Sichdarleben nicht als Vorwurf empfunden wird.
Deutschland befindet sich auch noch in der Periode des politischen
Ausbaues dessen, was seine Kriegsthaten geschaffen. So kommt
es, daß das Zeitalter der Kunst noch der Zukunft angehört; aber
es wird der Tag kommen, wo auch uns wieder warmer Strahl
beglücken wird, sobald einmal die Volkskräfte von anderer Kultur-
arbeit frei werden. Mie Deutschland in der Missenschaft und
im politischen Leben eine Führerrolle übernommen hat, so wird
es auch vielleicht schon im folgenden Jahrhundert in den bildenden
Künsten den Völkern voranleuchten. Künstler wie Dürer, Holbein,
Rembrandt haben den Beweis erbracht, daß der Deutsche dem
Romanen an Kunstbegabung nicht nachsteht. Gegenwärtig müssen
wir willig und unwillig vor Frankreich uns beugen und zuge-
stehen, daß es das erste Kunstland Europas ist. Der französische
Roman beherrscht die ganze gebildete Melt ebenso, wie das
französische Schauspiel; Paris gibt nicht blos die neuen Moden
an, sondern ist auch bahnbrechend in Kunst und Kunstgewerbe.
Frankreich besitzt diesen Vorrang bereits seit mehr als zwei Jahr-

hunderten. Wodurch ward diese Kunstblüthe gezeitigt? Einzig
durch die hoch entwickelte künstlerische Volksbildung Frankreichs.
So lange die breite Masse des Volkes bei uns die Berechtigung
und Nothwendigkeit einer allgenieinen Kunstbildung nicht einsieht,
werden wir vergebens streben, Frankreich den Vorsprung abzu-
lausen. Um die Kunst zum Gedeihen zu bringen, bedarf es nicht
blos schöpferischer Kraft, sondern auch eines Bodens der Wirk-
samkeit. Eine Kunst, die nicht im Volke wurzelt, die etwa blos
auf einen engen, in sich geschlossenen Kreis beschränkt ist, besitzt
keine Lebenskraft und Aussicht auf Bestand. Mahre Kunst ist
immer volksthümlich. Mie weit sind wir aber in der Gegenwart
von dieser Bedingung einer Blüthe der Kunst entfernt! Abgesehen
von einzelnen Großstädten, wo die Kunst bei den Gebildeten
Pflege findet, trifft man in kleineren Grten selten Kunstsinn,
insbesondere vermissen wir ihn in Kreisen, welche ver-
möge ihrer Mittel berufen wären, Kunst und Kunst-
gewerbe zu unterstützen und zu fördern. Der Geschmack
der modernen Melt wurde auch in ganz falsche Bahnen gelenkt.
Zn Folge der fabriksmäßig erzeugten Kunstwaare kam man von
der Bewerthung des Zndividuellen gänzlich ab. Das Wesentliche
und Bedeutsame des Kunstwerkes liegt in der Eigenart und Ur-
sprünglichkeit desselben. Es soll uns in ihm nicht blos die
schöpferische Kraft entgegentreten, welche die Zdee selbstthätig
entworfen, sondern auch die Ausführung muß entsprechen. Unserer
modernen Kunstwaare fehlt meist beides. Sie ist nur deshalb billig,
weil sie künstlerisch Machwerk, Dutzendwaare ist. (Zorts-tzung s.
 
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