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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Bötticher, Georg: Die Zukunft des Ornaments: unter besonderer Berücksichtigung der Tapete
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Teile 95-

Zuni-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Schaffens durchaus fehlen: Sinn für Proportion, Zweckmäßigkeit und Natür-
lichkeit. Das Gefühl für Naturformcn erwacht zuerst wieder; aber da das
für Proportion und Zweckmäßigkeit nicht miterweckt wird, so bringt es diese

Epoche — es sind
die HO er, so er,
theilweise auch
noch die so er
Jahre unseres
Jahrhunderts —
auf kunstgewerb-
lichem Gebiete
nur zu Schöpfun-
gen eines krassen
Naturalismus',
dessen sich Leute
von Geschmack
nicht ohne einen
Schrecken erin-
nern werden. Be-
dauerlicher Weise
ist von den Leitern
unserer Museen
vielfach versäumt
worden, Schöpf-
ungen dieser
Epoche rechtzeitig
zu sammeln. Als
abschreckendeBei-
spiele, wie inan

p)robe-gllustration aus dem Werk: „Lestons und dekorative Gruppen". es nicht Machen

soll, würden diese

Tapeten mit ihren tellergroßen, au und für sich oft mit bemerkenswerther
Aunst dargestellten Blumen, die alle Zimmer in Laube:, mit fußtiefein
Blattwerk verwandelten, sehr nützlich wirken können.

wie immer bei Uebertreibungeu, trat die nun folgende Reaktion gleich-
falls übertreibend nach der anderen Seite auf. Die Natursormen verschwanden
wieder einmal gänzlich von der Bildfläche und das erwachende Stilgefühl
wandte sich mit Vorliebe den strengeren Formen des griechischen, romanischen,
gothischen und Renaissance-Stiles zu. Die Renaissance blieb schließlich Sieger.
Aber wenn auch das Gefühl für Natursormen zurücktrat, so entwickelte sich
um so mehr der Sinn für Zweckmäßigkeit und Proportion und in dieser
Hinsicht muß das Schaffen jener von den jüngsten Naturalisten oft hart
verurtheilten Epoche durchaus als ein bedeutsamer Fortschritt bezeichnet
werden. Erst von ihr datirt eine allgemeinere Empfänglichkeit für sinnvolle,
dem Auge wohlthuende Dekoration der Innenräume des Hauses, ganz
besonders auch in koloristischer Hinsicht. Sehr lange war diese
wichtige Seite der regierenden Aunst schnöde vernachlässigt morden. Die
kalten Areidetöne der Tapeten und Stoffe der vorhergegangenen Epochen
können uns noch jetzt einen gelinden Schauder verursachen. Und wer erinnerte
sich nicht mit Beschämung, welche wichtige Rolle einst das grellblaue Zimmer,
der nüchtern Helle Salon und die langweilig weißen Besen in unseren Be-
hausungen spielten? von diesen koloristischen Ungeheuerlichkeiten hat uns
die sogenannte „sti-
listische Richtung"
befreit, wenn sie auch
im Laufe der Zeit
ihre Ansichten über
Farbeutönuug mehr-
fach wechselte, erst
bis ins Satte, ja
Düstere ging, dann
einer mittleren Tö-
nung huldigte und
neuerdings ins ganz
Zarte, Helle urnge-
schlagen ist — auch
damit aber doch noch

himmelweit entfernt Abbildung Nr. §5s. - Au-, „L-st°n- und d-k°r-»iv°

von jener monotonen

„Gräulichkeit", die in den so er und so er fahren die Zimmer beherrschte.

Wir haben es Alle mit durcherlebt, daß auf die, Anfangs eine längere
Dauer versprechende Renaissance der „Renaissance" der Barockstil folgte, dem
folgerichtig das Rokoko sich anreihte, das dann neuerdings wieder vom
Ixoriis seixe-Stil und Empire verdrängt ward oder doch wenigstens diesen
beiden Stilen eine Gleichberechtigung einräumen mußte. Seit etwa s—6 Jahren
aber ist neben diese» stilistischen Strömungen — die zeitweise eine japanische,
englische, orientalische Färbung aunahmen — eine naturalistische aufge-
taucht, die, als der Ausfluß eines Sehneus »ach noch »naugewandten Natur-

formen gewiß vollberechtigt wäre, wenn sie nicht durch eine unverständige
Leitung die schönen Errungenschaften der in der Stilepoche gewonnenen
Empfindungen für Zweckmäßigkeit und Proportion mit hinmegzuspülen
drohte. Gewiß ist das Bestreben, die Fülle der uns umgebenden Natur-
formen in neuer Art der Darstellung zu Verzierungszweckeu zu nutzen, ein
ebenso berechtigtes wie lobenswerthes. In gewissem Sinne ist sogar nur
dadurch ein Fortschritt möglich. Zu hüten haben wir uns aber dabei, nicht
wieder in den alten Fehler der naturalistischen Strömung der HO er uild
so er Jahre zu verfallen. Gleich groß wie damals ist heutzutage die Gefahr
freilich nicht, denn einmal sind wir doch ein wenig besser über die Grund-
prinzipien aller Dekoration unterrichtet als surro dazumals, und dann hat
uns die Aunst der Japaner noch besonders ein Licht darüber aufgesteckt,
wie weit eine Wiedergabe von Natursormen gehen darf, ohne unstilistisch,
d. h. in diesem Falle: geschmack- und sinnlos zu werden. Immerhin aber
ist die Gefahr vorhanden durch jenes undefinirbare Ding, das wir Mode
nennen und das ganz gewiß nicht so ohne weiteres respektirt werden darf,
wie z. B. Eornelius Gurlitt befürwortet. Der Aampf zwischen der Mode
und dem künstlerischen Prinzip ist zu allen Zeiten gewesen, aber bald hat
doch jene, bald dieses Überwegen und die Zeiten, wo letzteres der Fall war,
dürfen wir als die besseren in künstlerischem Sinne bezeichnen. Die Allge-
ineiiiheit hat stets des tieferen Verständnisses ermangelt — das steht fest.
Aber eben so fest steht, daß ihr ein dunkles Gefühl des Gewünschten,
Geforderten inuewohnt. Diesem zwar eutgegenzukommeu, aber es in
richtige Bahnen zu leiten, es zu klären, zu veredeln, ist Sache der kunstver-
ständigen Minderheit, die eben aus den Wissenden und Aönnenden der Aunst
besteht. Wäre es anders, wie ließe sich beispielsweise erklären, warum die
Tapeteufabrikanteu, ja selbst die Händler (von den Zeichnern gar nicht zu
reden), die geschmacklosen kraß-naturalistischen Tapeten, die an der Wand
von abscheulicher, unruhiger Wirkung sind und überhaupt kein feineres Form-
gefühl befriedigen können, selber als geschmacklos bezeichnen und
sich davon befreit zu sehen wünschen, dennoch aber, in Folge des
Verlangens Seitens des Publikums, genöthigt sind, dieselben nach
wie vor in ihren Musterkarten, sogar in großer Anzahl, zu führen?
Gibt es eine andere Erklärung für diesen scheinbaren Widersinn? Ich
glaube nicht. Das Publik»,n hat eben den lebhaften (und berechtigten!)
Wunsch: freiere, den Natnrgebilden näher kommende Formen
auf seinen Tapeten zu sehen, eine andere, den Anforderungen
der Neuzeit entsprechende verzierungsweise gegen die bis-
herige einzutauschen. Nicht, daß es sich darüber ganz klar wäre, was
es wünscht, aber es hat doch das instinktive Gefühl dafür, vielleicht, ja
wahrscheinlich, ist es selbst nicht von den kraß-naturalistischen Tapeten sehr
entzückt, aber sie entsprecheil doch noch am ehesten, verhältnißmäßig
am besten, dem ihm innewohnenden Drang nach Neuem. An
den Fabrikanten und Zeichnern wäre es nun, mit Berücksichtigung dieses
berechtigten Wunsches, solche Muster zu bringen, die dem Publikum Zusagen
und doch auch den Aenuer des Dekorativen — ich will noch gar nicht sagen:
den Auustverständigen — befriedigen. Das ist freilich leichter gerathen als
gethan. Aber es hilft alles nichts: es ist der Weg und zwar der einzige,
der die Aluft überbrückt — Modernes, aber Geschmackloses aus der einen,
Unmodernes, schon Dagewesenes, aber Geschmackvolles auf der anderen
Seite. Die Iapauer können als Wegweiser dienen. Nicht, daß man ihnen
nachahmen sollte; wie thöricht das sein würde, ist schon oft und auch in

diesem Blatte uach-
gewiesen worden.
Aber sie zeigen un-
widerleglich, d aß in
alleil erdenk-
lichen Techniken
treueste Natur-
wiedergabe mit
völliger Berück-
sichtigung der
dekorativen Wir-
kung möglich ist.
Mehr kann billiger-
weise von einem
kunstgewerblichen
Gegenstand nicht ver-
langt werden. —

Schon seit Langein ist auf dem Gebiete der Flächenverzierung der Drang
nach freier Anordnung unverkennbar. Die symmetrischen Muster sind schon
Ausgangs der Renaissance von den sogenannten „Ramageu" abgelöst worden,
ein System, dem ganz unbestritten die Zukunft gehört, wenn auch natürlich,
schon zu Aoutrastzweckeu das gleichseitige Muster immer auch in Anwendung
bleiben wird. Aber die immer freier werdende Anordnung muß ganz natür-
licher Weise auch eine imnier freiere Behandlung der Formen nach sich
ziehen, die selbstverständlich wiederum nur der Natur, der größten Lehr-
Meisterin, abgelauscht werden kann. Soll diese Behandlung nicht in abge-
 
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