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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Minkus, Fritz: Die Heraldik im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0141

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Juli-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Leite fOZ.

Wappenwesen seiner starren Formen und stempelte es zur Kunst.
Bedeutende Künstler, Ammann Aldegrever und vor allen Deutsch-
lands größter Lohn zu Beginn jener Zeit, Dürer, und viele Andere
waren rastlos thätig in der Lchöpfung heraldischer Wüster, die
für alle Zeiten nachahmenswerth bleiben.

Das Jahrhundert des vierzehnten Ludwig, wie es alles ver-
zopfte und überlud, so stülpte es auch, in seiner Verständnißlosigkeit
für die Litte der Ahnen, der Heraldik die mächtige Ltaatsperrücke
auf und erdrückte sie damit. Die spitzenbehängten, etiquettestarren
Kavaliere des Versailler Hofes begriffen ja nicht den kindlichen
Ernst, mit dem ihre Großväter das Wappenwesen zur Wissen-
schaft, die heilige Begeisterung,
mit der es ihre Väter zur Kunst
gemacht hatten! Lie setzten
sich mit dem ihre Zeit karak-
terisirenden Eigendünkel über
die langbewährten Regeln hin-
weg, sie verzierten die herrlich
üppigen Formen des Renais-
sance-Wappens zur Unkennt-
lichkeit: die ursprünglich zweck-
gemäß so schlichte Schildsorm,
die sich bereits gegen Ende der
Renaissance bedenklich der Kar-
tusche genähert hatte, wurde
geschlitzt, aufgerollt — kraus
und wirr; die flatternde, von
Lanzenstichen und Wetterunbill
zerfetzte helmdecke, die die
Gothik und Renaissance so
reizvoll stilisirt hatten, wurden
zu einem chaotischen Blätter-
werk umgestaltet; der stattliche,
schwere Helm ward zum gra-
ziösen Prunkstücke und wurde
meistens sogar durch zierliche
Kronen ersetzt: wer dachte auch
noch daran, daß das Wappen,
das damals ja nur mehr als
Zeichen von Adel, Rang und
Würde die Knöpfe der Livrsen,
die Geschirre der Pferde, die
Lchläge der Ltaatskarrossen
schmückte, in seinen Theilen
einst den Altvordern im Kampf
als Lchutz gegen Feindeshand
gedient? — Aus dem schwül-
stigen Wappen des Barock
entstand das zierlichere Rokoko-
Wappen, das sich in graziöser
Lpielerei immer mehr und
mehr von den guten, alten

Mustern entfernte, bis das Wappenwesen, als Wissenschaft und
Kunst, im Anfänge unseres Jahrhunderts ein völliges Ende nahm.

Als dann, in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts, nach
langer, stilloser Zeit die alten Ltile wieder zur Geltung kamen,
da gedachte man jählings auch wieder der alten Heroldskunst.

Innen- und Außen-Architektur, die Erzeugnisse jeden Zweiges
des Kunstgewerbes strotzten und strotzen von Wappenschmuck. Aber
was für Wappen! Man braucht nicht Heraldiker zu sein, um
sich zu sagen, wie sehr in dieser Beziehung gesündigt wird —
der feinfühlende Stilist wird sich mit Grauen von den zahllosen
sinn- und stillosen gothischen, Renaissance-, Barock- und Rokoko-
Wappen abwenden, denen wir heutzutage allüberall begegnen.

Die Heraldik war eine Wissenschaft, so sehr man heute ihren

Anspruch, als solche zu gelten, bekritteln mag, sie war sine Wissen-
schaft und ist heute eine todte Wissenschaft, deren Regeln ebenso
unumstößlich sind, wie die einer todten Sprache. Lie war eine
Kunst und unterliegt daher, wie jegliche Kunst, den strengen
Gesetzen des Stils! — Es versuche demnach Niemand, der zu
dekorativen Zwecken das Wappen anwendet, die althergebrachten
heroldsregeln zu umgehen, die heraldischen Ltilgesetze bei Leite zu
lassen. Die moderne Innen-Dekoration, mit ihren Holzschnitzereien,
Stückarbeiten, Deckenmalereien, Tapeten, Lederarbeiten, Webereien
und Stickereien bietet der Anwendung des Wappenschmucks ein
weites Gebiet, und das Wappen ist und bleibt dekorativ ein äußerst

wirksames Mittel derselben.

Es führte zu weit, hier
die zahlreichen stilistischen und
heraldischen Gesetze der Wap-
penkunde zu erklären, die zahl-
losen Vergehen gegen dieselben
zu nennen: ein Jeder, der in
die Lage kommt, das Wappen
dekorativ zu benutzen, möge
sich vorher über die wissen-
schaftlichen und künstlerischen
Regeln der Heraldik orientiren:
ist ihm der theoretische Weg
durch die Lektüre eines der
zahlreichen leichtverständlichen
Werke über Heraldik (unter
vielen anderen sei nur auf
Sackens „Katechismus der
Heraldik" hingewiesen), die ihn
in Zukunft vor jedem Fehler
bewahren werden, zu beschwer-
lich, so arbeite er nach den
mannigfachen, nachahmens-
werthen Beispielen alter und
neuer Künstler, die er in jedem
Musterwerke findet. Dann wird
es ihm leicht sein, dem bestel-
lenden Publikum zu erklären,
daß z. B. in eine Renaissance-
Vertäfelung ein Wappen nicht
in der plumpen, unheraldischen
Form hineinpaßt, wie es sich
auf dem Siegelring des Groß-
vaters darstellt, und daß es
der heraldischen Richtigkeit
keinen Abbruch thut, wenn
dasselbe aus die in vergangenen
Jahrhunderten übliche Form
zurückgeführt wird, dann wird
er dem Käufer oder Besteller,
der über kein Familienwappen
verfügt, seine Häuser, Innenräume und Gebrauchsgegenstände
nicht mit sinnlosen, leeren Schilden und kahlen Helmen verzieren,
wird nicht ein Monogramm in Wappenform darzustellen versuchen
oder ein unsinniges Farbengemenge als Wappen gelten lassen
wollen, sondern passende Länder- und Städtewappen oder heraldisch
haltbare Fantastewappen (wie z. B. das reizvolle Wappen, das
die Gerlach L Schenk'sche Hauschronik schmückt, und wie wir
ähnliche in dem im gleichen Verlage erschienenen Werke „Alle-
gorien und Embleme" so zahlreich finden) anwenden.

Auf diese Weise wird auch im großen Publikum wieder
Sinn und Verständniß für das Wappenwesen erwachen, und unsere
in stilistischer Beziehung so erfolgreiche Zeit wird auch diesen Zweig
alter Wissenschaft und alter Kunst zu neuem Leben erweckt haben.—
 
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