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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Mielke, Robert: Die Holzschnitzerei im Dienste des Möbeltischlers
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Seite (H6.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Oktober-Heft.

Vorwurf machen können, da einerseits das Subordinationsprinzip
derselben, andererseits aber das mit Vorliebe gebrauchte Metall
hier ein wirksames Hemmniß waren. Erst in der Gothik greift
die Arbeit des Bildhauers in die
des Möbeltischlers ein; sie schafft
damit die Gegenstände, welche
man im modernen Sinne erst
Möbel nennen kann; sie erwirbt

-- Abbildung Nr.

LhorgeMlzl aus San Giustina in Padua.

sich aber auch das Verdienst, die erwähnte Technik in stilgerechter
Weise ausgebildet zu haben. Daß die Renaissance zu einer
gewissen Nebersülle gekommen, liegt nicht nur an ihren Prinzipien,
sondern auch daran, daß sie für das Prunkmöbel eine bisher
nicht gekannte Verwerthung hatte. Dieser Verschwendung, die
auch in die moderne Wiederbelebung übergegangen, ist es zuzu-
schreiben, daß sich überall das Bestreben geltend macht, ihr im
Anglicismus, Amerikanismus und Iaponismus ein anderes Prinzip
entgegenzusetzen. Bei obigen beiden Stilen konnte die Holzbild-
hauerei nur durch sich selbst als schmückende Zuthat wirken, ohne
die allgemein anerkannten Zeitformen zu beeinflussen. Das war
dem Rokoko Vorbehalten, das einen neuen Weg beschritt, indem
es sich des Leistenwerks bemächtigte und damit eine ganz neue
Linienführung ersann (Abbildung Nr. (030), die dann wahr-
scheinlich auch auf die Architektur zurückwirkte.

Wie weit soll nun dis Mitarbeit des Holzschnitzers bei den
Möbeln gehen? Die Antwort ergibt sich, wenn man die Eigen-
schaften des Materials, die Technik und vor Allem die Aufgabe
des Gegenstandes im Auge behält. Ich möchte das ganze Gebiet,
soweit das Holz dabei Verwerthung findet, als zwei sich ergänzende
Konstruktionsweisen betrachten, Aasten und Gestelle, wobei ich
im letzteren Halle an Stühle u. dergl. denke. Die Letztere wird
sich nur mäßig mit unserem Thema berühren, da hier für die
Hormbildung meistens die Dreherei Anwendung findet; wo die
Schnitzerei sich desselben bemächtigt hat, an Säulen (?), Balustern,
Karyatiden, Konsolen und Hreiendungen, wie Hialen, Spitzen
u. dergl., da kann nur die überreiche Verwendung schaden, nicht
aber die Technik selbst. Als ein Beispiel glücklicher Mäßigung
kann ich auf das in Beilage I dargestellte Interieur verweisen,
das auch ohne das kokett in die Mitte gestellte Spinnrädchen
wahrhaft wohlthuend wirkt. Auch die Schwarzwälder Standuhr
^(Abbildung Nr. (02() verdient in dieser Beziehung Erwähnung;
bei ihr durchdringen sich auch beide Konstruktionstechniken zu
einem künstlerisch recht gelungenen Ganzen, wenn man von der
etwas schweren Bedachung absieht.

Eine Gefährlichkeit hat jedoch auch diese Bildschnitzerei an
sich: sie überwuchert gern wie eine richtige Schlingpflanze das
ganze Gerüst und erdrückt, da sie leicht den Rahmen einer
schmückenden Beigabe sprengt, das Einfache, welches wir immer
mit dem Begriff „Möbel" verbinden sollten. Es gibt allerdings
Hälle, bei denen sich diese Ausschreitung rechtfertigen läßt; dabei
tritt aber dem Sinn nach das Bewegliche zurück und wird durch
das architektonisch wirkende Kunstwerk ersetzt, das nur die nach
innen wirkende Ausstrahlung eines baukünstlerischen Gedankens
ist. Von gothischen Betpulten und Lettnern an bis zu dem Thor-
gestühl Syrlins und den Orgelemporen der Zopfzeit führen diese
Werke immer eine selbständige Existenz. Ein repräsentativer
Raum, Kirche, Saal, Hlur usw. macht auch eine wuchtige, stark
schattenwersende Ausstattung erforderlich, wie sie in trefflich aus-
geführten Einzel-Aufnahmen die Ansangsvignette und Abbil-
dungen (0(8—(020 zeigen, und in moderner Weise die Ab-
bildung Nr. (026 deutlich erkennen läßt.

In diesen selteneren Hüllen hat die Holzbildhauerei die Hreiheit
sich voll und ganz auszuleben; sie wird jedoch zum Verderben,
wenn sie auch bei der anderen Konstruktionsweise, dem Kasten-
möbel, vorherrscht. Besonders eine Art, das Relief, hat viel
Nnsegen gestiftet. Je bescheidener und flacher dasselbe ist, um
so mehr schätze ich dasselbe, vorausgesetzt, daß es mit der Hormen-
gebung des Ganzen im Einklang steht. Nicht immer wird sie
mit der weisen Zurückhaltung ausgeübt, welche die Möbel in
Abbildung Nr. (025 auszeichnen. Ich denke mit Schrecken daran,
welche Nngethüme und Ausschreitungen inan in dieser Beziehung
auf den letzten Ausstellungen sehen konnte. Wie Geschäftsskulp-
turen eines Thocoladenfabrikanten standen sie da, der Jedermann
zurusen will: Seht, was ich für ein Teufelskerl bin, daß ich
solche Sachen zuwege bringen kann!

Noch wieder anders liegt die Sache, wenn das Möbel mit
anderen ornamentalen Zuthaten, wie Intarsien, Inkrustationen,


Chorgestiilzl aus S. Giorgio Maggiore. Aufgen. v. B.Rammelmeyer.

Beschlägen oder selbst Malereien ausgestattet ist. Bei Gebrauch
solcher Verzierungsarten dürfte sich meist ein völliger Verzicht auf
 
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