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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Hofmann, Albert: Tafel-Silber, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0231

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November-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

5eite (75.

wird darauf hingewiesen, daß der Kaiser hierin den alten Edelleuten und
gebietenden Herren glich, welche darauf sahen, daß die Gehalte, die sie ihren
Leuten zahlten, auch wieder standesgemäß verausgabt wurden. Er haßte
die hohlen und leichten Silbergeräthe und konnte, wie berichtet wird, über
eine nicht massive silberne Kaffeekanne ebensosehr in Zorn gerathen, als über
«ine schlecht sitzende Uniform.

Der Einzug der Alliirten in Paris ;8sH brachte auch den englischen
Geschmack dahin. Gdiot und Biennais, welch letzterer inzwischen gleich-
falls sein Glück begründet hatte, arbeiteten nun in der gleichen Meise nach
englischen, der französischen Kunst neue Impulse verleihenden Vorbildern,
wie sie früher nach altgriechischen und römischen Mustern gearbeitet
hatten. Damit war letzteren der Todesstoß versetzt. Denn nun kam Froment-
Meurice (Z8V2—Z8LL), der „Silberschmied der Stadt Paris", dein Philippe
Burty bei Jouaust in Paris ein besonderes Merk widmete. Fromeut-
Ukcurice ist der ächte Ldelschmiod der Romantik; er war zu Beginn seiner
Laufbahn Liselenr und trat, uni die Zeichenknnst und die Bildhauerei zu
«rlernen, in Girodets Atelier ein. Unter ihm machte die Kunst die entschie-
denc Wendung von der Antike; er veranlaßte den Umsturz der herrschenden
Tradition, zerbrach die klassische Schablone und ging in der Goldschmiede-
kunst auf Benevenuto Eellini zurück. Er folgte damit der Volksbewegung,
denn das Volk sträubte sich dagegen, in einer Welt zu leben und zn denken,
deren Verhältnisse in schroffem Gegensätze zu den Verhältnissen standen,
welche das Volk in natürlicher Meise nmgaben. Der ernüchterte Blick sah
mehr die Welt wie sie war und man war glücklich darin, das ganz in der
Nähe zu finden, was inan bisher in weit entlegenen, znm Theil idealen
Sphären vergeblich suchte. Man fand nunmehr die gesuchte Welt statt im
Alterthum im Mittelalter und der Renaissance. Michand, Henry Beyle,
Lemercier, Llande Fauriel und Andere standen an der Spitze dieser Bewegung.
Malter Scotts Romane gaben die treibenden Motive. Victor Hugo warf
sich den neuen Einflüssen ganz in die Arme. Unter den Künstlern waren
«s Franyois Marius Grauet (s775 —s8HZ), Philippe Auguste de Forbin
<I777—dann die Vertreter der Lyoner Schule Franyois Fleury Richard
und Pierre Paul Rsvoil, welche die neue Bewegung mächtig förderten.
Alexandre Lenoir gründete sein Nnsäs äss pstüts XnAvstins, Du Sommörard
«das Nnsäs äs 61u::z-. So war der neuen Richtung von allen Seiten der
Boden bereitet, so entsprach man den romantischen Bestrebungen der damaligen
Zeit. Und es ergab sich auch hier die alte Regel, daß auf allen Gebieten
der Kunst steter Zusammenhang herrscht, sodaß der einzelne Künstler nur
als ein Glied der ganzen Kette zu betrachten ist.

Napoleon hatte Gdiot und Biennais in die Mode gebracht; der Herzog
von Moutpensier förderte die romantischen Bestrebungen in der Goldschmiede-
kuust und der Graf von Rambuteau verschaffte Froment-Meurice wieder den
alten Titel eines „Gold- und Silberschmiedes der Stadt Paris". Uebrigens
war Froment-Meurice ebenso geschätzt in der Gesellschaft, wie seine ihm
vorangegangenen Kollegen. Ls wird darauf hingcwiesen, daß der bekannte
Verfasser der Geheimnisse von Paris, Engsne Sue, in seiner „Kamille Jouffroy"
das Atelier, das er dort beschreibt, zweifellos der Wirklichkeit bei Froment-
Menrice abgelauscht habe. Als Lugsne Sue, der weltmännische, lebemännische
Verfasser seiner Schriften Landbewohner geworden war und sich „ermüdet
von dem fürchterlichen Treiben der Hauptstadt", wie er sagte, auf sein Besitz-
thun: Vss Loräss im Departement du Loiret zurückgezogen hatte, entwarf
er Zeichnungen zu Speisekartenhaltern, welche er seinen: „theuren Benvenuto
-Lellini" in Silber auszuführen auftrug. Die Mittel hierzu besaß der reiche
Romanschriftsteller in vollem Maße, da er für seinen „Ewigen Juden"
^ooooo Frcs. Honorar und für sein Merk „Martin der Findling" die gleiche
Summe erhalten hatte. Da war es ihn: leicht, in ausgedehnten: Maße den
Luxus des Silbergeräthes auf seiner Tafel einzuführen und dadurch das
höhere Bürgerthun:, welches die Ehre seines Verkehrs suchte, zu den:
Luxus des allgemeinen Gebrauchs silberner Tafelgeräthe zu veranlassen.
Bei Sue's Mahlzeiten sollte jeder Gast sein eigenes Salzfaß haben und jedes
-dieser Salzfässer sollte ein Kunstgegenstand sein. Sue zeichnete selbst die
Tafelleuchter und die Kühlkannen, welche er durch „seinen" Goldschmied
^lusführen ließ. Er schreibt einmal an Froment-Meurice: „Ich habe eine
kleine Schwäche für Grog und Glühwein. Könnten Sie mir vielleicht ein
-silbernes Gefäß verfertigen, welches eine Flasche zu enthalten vermöchte und
das in seinen: Aeußeren einen bildlichen Schmuck trüge, welcher au die Be-
stimmung des Geräthes erinnert?" Man sieht hieraus, wie sehr ihn die
Gestaltung der Geräthe beschäftigte. —

Erst diese Zeit der Restauration, die Blüthezeit des französischen Salons,
der französischen Geselligkeit, brachte anch das Silber wieder zu vollen Ehren.
Mir sind hier nicht inehr in der Zeit der offiziellen Tafeln, die mit großem
Pomp geschmückt wurden und welchen die schweren, gleichförmigen Formen
des Silbers etwas unnatürlich Steifes, Monotones verliehen. Die Zeit des
geräuschvoll und schwerfällig statt majestätisch auftretenden Empire ist vorbei,
wenn auch noch längere Zeit der Gebrauch anhielt, alle Speisen zusammen
auf die Tafel zu bringen und sie durch große silberne Glocken und Ueber-
stürze vor den: Kaltwerden zu schützen, wenn auch die silbernen Kohlenbecken,
Lne Glocken, die Kasserolen, Sauciören und Huiliers dem Lingeladenen

längere Zeit noch inehr durch ihren guten Inhalt, denn durch ihre Form
zu gefallen trachteten. Auch der heute mit Recht so geschätzte Blumenschmuck
hatte noch nicht Eingang auf die Tafel gefunden.

Erst mit der Einführung dos 8srv:os ü tu lLnsss kommen wir zu
Tafelverhältnissen, die als der Ausgangspunkt unseres neuesten Geschmacks
zu betrachte:: sind. Dieser verbannt zunächst die Vasen und Figuren von der
Tafel und läßt nur die Dessertschalen, die Leuchter, die verschiedenen Dosen
bestehen, führt aber in ansgesprochener Meise den Blumenschmuck ein. von
dieser Zeit ab schwankt der Geschmack in: Schmucke der Tafel zwischen jenen,
welche, wenn ich mich so ausdrücken darf, das ganze Hausmusenm zu ihrem
Schmucke heranziehen wollen und zwischen jenen, welche der Tafel nur die
uöthigsten Stücke gönnen, den Schmuck aber in der Besetzung mit Blumen
suchen. Darin aber sind beide Richtungen einig, daß sie einen reich besetzten
Tisch, künstlerisch in der Erscheinung und den Wohlstand des Hauses ver-
rathend, haben möchten, eine,: Tisch, von den: man auf den: z'onr der Frau X
und in der Gesellschaft der Frau X spricht. Denn das ist die Triebfeder des
ganzen Ehrgeizes der Herrin des Hauses. Ls ist daher begreiflich, daß man
die erstere Art des Tafelschmuckes häufiger trifft. Sind Gäste zu erwarten,
dann öffnen sich die häuslichen Schatzkammern: Vasei:, Körbe, Gefäße,
alles aus Silber, Lhina- und Japanporzellane, Meißener Figurei: mit l?ls:::-s
semsss werden mit raffinirter Ausklügelung des Effektes auf Spiegel gestellt,
welche mit ciselirten: Silberrahmen gerahmt sind und die Gestalt der Gegen-
stände in größeren: Reichthun: zurückwerfen. Reiche Blumen ergänzen den
Schmuck und unterstützen de:: Hellen und klare,: Schein, dei: das Silber auf
das weiße Tafeltuch sendet, Hellen ihn auf und suchen ihn zu erheitern.
Bei jeden: neuen Arrangement sucht die Frau des Hauses eine neue Grup-
pirung des Silberzeuges zu erfinden, durch hübsch angeordnete Blumen, durch
geschickt gruppirte Kleiuigkeiten und durch Dinge, die man noch nicht gesehen
hat, der Tafel ein verändertes Aussehen zu verleihen und sich so den Ruf
einer Frau von gutem Geschmack und von Geist zu erwerben. Denn seit
wir der Frau im Hause die hervorragende Rolle zugetheilt haben, die sie
heute spielt, seit sie ai: de,: Merken, die sie umgibt, bewußt und unbewußt
mitarbeitet, war sie immer die Künstlerin des Hauses und wird es immer
bleiben. Sie wird sich immer au: besten zun: Mittelpunkt desselben machen
können: sie weiß die Stoffe auszuwählen, die sie an: besten kleiden, sie weiß
die Möbel zu harmonischen Gruppen zn stellen, sie schmückt ihren Saloi: mit
Pflanzen und Blumen, sie grnppirt die Porzellane, Bronzen und die Silber-
sachen in einer harmonischen Unordnung, damit sie ihrem Besucher möglichst
lebendig entgegentreten. Die Kunst des Hauses ist eine Kunst, die rechtlich
der Dame gehört und ihr Gelegenheit gibt, ihre natürlichen Eigenschaften
zu entfalten, ihren Geschmack, ihre Kunst anzuordnen, ihr instinktives Gefühl
für Eleganz; d. h. so sollte es sein.—

Was nun die Formen des Silberzeuges anbelangt, so ist der Silber-
schmied mehr oder weniger abhängig von den: herrschenden Kunstgeschmack,
der, wein: er der historische ist, in Historischei: Kopie,: und Motiven sein
Genüge findet. Ii: dieser Beziehung ist für die französischen Künstler des
Silbers und für die, welche davon abhängen, das Z8. Jahrhundert stets eine
reich besetzte Tafel gewesen und ist es noch, an der sie sich niemals satt essen
können. Immer wieder werden, wenn der Künstler geistvoll ist, neue Gerichte
aufgetragen oder bei geringeren: künstlerischen: vermögen die alten Gerichte
neu zubereitet. Nun gibt es aber auch eine Gruppe französischer Künstler,
welche sich voi: der historischen Ueberlieferuug abwenden und einer Formen-
welt zuueigen, welche rein der persönlichen Fantasie entspringt. Liner der
ersten Bearbeiter der Metalle in Frankreich, Lucien Falize, von dem wir auf
den zahlreichen Ausstellungen schon manches köstliche Merk sahen, hat dies
einmal mit den Morten karakterisirt: „Ortsvvss, lwcm^isr's, nons allons
ü l'avsntnrs, sulvanb notrs tuntuisis psrsonslls, rnarnpuant ä'äools,
n'aziant ::: oonssils ni clirsotion supsrisnrs. Xons n'avons ponr nons
sontsnlr (pns ls Avnt än lnxs süss 1s ollsnb, <zns la passiv::, än Zain
süss ls procluotsnr; anoun artists ns s'sst snsors pris ä'amonr ponr
est art, än :nätal <zn: Aaräs, ü czn: ls sanra sovaprsnärs, äss jonis-
sanoss SAalss ü osllss <zns äonnsnb an ssnlptsnr la :nolls oomplaisanss
äs la Klaiss sb llaprs rösistanos äs la pisrrs, an psintrs la :naA:s äs
sa palstcks." („Seien wir nun Ldelschmiede oder Bronzearbeiter, wir gehei:
auf gut Glück voran, folgen unserer persönlichen Fantasie und haben keine
Schule. Mir folgei: weder Rathschlägen, noch einer höheren Richtung. Bei
unserem Auftraggeber ist es nur der Geschmack für den Luxus, bei den:
Produzenten nur die Leidenschaft für den Gewinil, die uns aufrecht halten.
Kein Künstler ist noch von Liebe erfüllt worden für diese Kunst des Metalles,
welche dein, der sie zu verstehen weiß, dieselben Genüsse gewährt, wie sie
dein Bildhauer die weiche Gefälligkeit des Thones oder die rauhe Wider-
standsfähigkeit des Steines, den: Maler der Zauber seiner Palette bietet.")
Man wird aus diesen Morten zunächst den so oft konstruirten Gegensatz
zwischen der sogenannten gewerblichen Kunst und der hohen Kunst heraus-
hören, ein Gegensatz, der, wie schon des Gefteren dargelegt wurde, in
Wirklichkeit nicht besteht und von den Zeiten, wo er künstlich konstruirt
wurde, bis heute schon eine wesentliche Milderung erfahren hat.

(Schluß siehe Seite 1,77.)
 
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