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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Bötticher, Georg: Englische Tapetenmuster
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0256

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Dezember-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

5eite (95.

Linie ornamentaler Ranken, je nach der Ligenart der betreffenden Blume,
bald steil vertikal, bald horizontal abzweigend, scheinbar mit aller Willkür-
lichkeit der Natur dargestellt. Aber freilich nur scheinbar. Denn ein zweiter
Blick überzeugt uns, wie wohlüberlegt jede Linie auf ihre Wirkung in der
Wiederholung gewählt worden ist. — Und wie grundverschieden ist dieser

Natnralismusvon
dem der buntfar-
bigen, handgreif-
lichen Blumen-
sträuße unserer
„naturalistischen"
Tapeten! Die na-
türliche Form wird
in ihrer ganzen
Feinheit gewahrt,
daskarakteristische
an ihr herausge-
hoben. Aber nie
wird sie Selbst-
zweck, stets bleibt
sie durch die Art
der Behandlung
dem Zwecke der
Tapete — Hinter-
grund zu bilde»
— untergeordnet.
Aus diesem
Grunde erscheint
sie meist nur an-
gedeutet, wie skiz-
zirt, sei es in kräf-
tiger Kontur, sei
es durch leichte
Lasirung. Aber in-
nerhalb dieser Be-
schränkung, welche

Karakteristik, welche originelle Fantasie, wieviel verständniß für die Form,
die Linie, die Kontraste, den Rythmus, die ganze Wirkung! Wehr oder
minder, das versteht sich. Nicht alle diese Wüster sind gleichwerthig; bei
einigen auch ist der Karakter weniger naturalistisch, mehr ornamental. Mit-
unter findet sich
eine Lust am gar
zuAbsonderlichen,
ja Unschönen, eine
gewisse Vrigina-
litätssucht. Aber
doch nur selten;
viel öfter zeigt
sich Bemerkens,
wertstes, ja Be-
deutendes. Und
immer eine große
KlarheitüberZiel
und Zweck der Ta-
" pete, eine schöne
Freiheit in der Li-
nienführung, ein
liebevolles ver-
tiefen in die Ge-
heimnisse der
Form. Und nicht
zuletzt ein ver-
ständniß undFein-
gefühl für die
Farbe. Das Ko-
^ lorit der Wüster
ist meist Heller wie
das der unsrigen
und dennoch leuch-
tender, satter.
Was das zu be-
Nr. Tapete von Zleffrex L Lo., London. deuten hat, Mag

man unsere Ar-
chitekten fragen, die fortwährend über die trübselige, graue Gesammtwirkung
unserer Tapeten lamentiren und am liebsten nach Tapeten ohne Wusteru
shlnis) oder Damasten greifen, um einen satten Hintergrundton zu erlangen.
Und mit wie geringen Mitteln weiß der englische Künstler seine Muster
interessant zu tönen. Mit s, s Farben, als höchstes — meist kommt er mit

zweien und dreien schon aus, häufig mit einer — versteht er ganz wunder-
volle Wirkungen zu erzielen, die freilich nie zu handgreiflicher, den Hinter-
grundkarakter vernichtender
Plastik ausartet, wie sie
leider die Erzeugnisse der
Franzose», auch die besten,
so oft entstellt. Der Eng-
länder versteht den Effekt,
den Reiz der Farben- und
Formen-Kontraste wie einer,
aber er weiß auch besonnen
Maß zu halten. Er respek-
tirt die Grenzen, die die
Funktion dem zu verzieren-
den Gegenstände vorschreibt.

Was an den englischen
Mustern ferner auffällt, ist
— im Allgemeinen — ihr
für uns ungewöhnliches
Format. — Während unsere
Muster bekanntlich eine
Breite von Zentimeter
aufweisen, gibt es englische
von 56, ja ?s Zentimeter
Breite; dem entsprechend
ist die Höhe. Muster von
zwei Formen Höhe (;oo bis
;20 Zentimeter) —in Eng-
land spielt das Handdruck-
muster noch eine bedeutende
Rolle — sind etwas gewöhn-
liches; auch drei und vier
Formen hohe kommen vor
und solche, die erst durch
zwei Bahnen vollständig
werden. Selbst Maschinen-
muster von IO bis i^oo Zenti-
meter Länge (Umfang der
Walze) finden sich nicht fei- Nr. x075. Tapete von Esser L To., London,

ten. Bei uns fabrizireu nur

wenige große Fabriken Muster von dergleichen: Walzenumfauge, durchaus als
etwas Ausnahmsweises, selten Begehrtes. — Das Größenverhältuiß der
Muster ist nichts
Unwesentliches.

Auch in dieser
Hilisicht können
wirvondenEng-
ländern lernen.

Ein großes For-
mat ermöglicht
nicht nur eilie
reichere Entfal-
tung an Formen
und in Folge
dessen bedeuten-
dere Wirkungen,
es verhindert
auch die allzu-
häufige schablo-
nenhaft wir-
kende Wieder-
holung des Mu-
sters an der
Wand, läßt die-
ses also interes-
santer und ge-
wissermaßen
künstlerischer er-
scheinen. Außer-
dem ist die Re-
densart, in ein
kleines Zimmer
gehört ein klei-

nes Muster, eine gedankenlose. Die Wand auch des kleinsten Zimmers ist
doch immerhin im verhältniß die größte Fläche des zu dekorirenden Raumes
und so sollte ihr von Rechtswegen auch das größte Muster zukommen.
Unsere Tapezierer bevorzugen aber sehr oft Musterchen, die eher den Ver-
hältnissen eines Hosenstoffes als einer Wand entsprechen.

Nr. 1.073. Tapete von Jeffrey L To., London.

Nr. 1.076. Tapete von Jeffrey L To., London.
 
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