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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 3.1892

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Die Beziehungen der Antiquitätenliebhaberei zum modernen Kunstgewerbe, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6760#0141

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5eite s06.

Illustr. kunstgewerbl. Z eitschrift'sfür In neu-Dekoration.

Juni-Heft.

spielen der Vergangenheit nachzuschaffen. So kamen schöne Details zusammen und
damit ein schönes Ganzes. Allmählich — und es geschah so seit den siebziger
Jahren — kam allgemein die Mode auf, das Ganze als solches gleich einem
vergangenen Ganzen nachzuschaffen. Ls war damals die Ent-
deckung der deutschen Renaissance geschehen, 'ein Stil, in
dem man aus begreiflichen Gründen damals auf
einmal das veil der Zukunft erblicken zu können
glaubte. Ls waren große kriegerische Lreig
nisse, welche das Gefühl der deutschen
Nation stählten und gehoben hatten,
und da sah man bald in dem deutschen
Stil die Lösung dieser Frage und
sagte, die deutsche Renaissance ist
für die Deutschen der einzig mög-
liche Stil; man hat sich dabei
zwar nicht überlegt, ob dieser
deutsche Stil von Haus aus
national sei, aber das Li
des Lolumbus schien gefun-
den zu sein. Auf einmal,
als ob wir um So Jahre
älter gewesen wären, kam
die novellenhafte und ro-
manhafte Stimmung wie-
der aufs Tapet, wie sie
in den Almanachen und
Taschenbücher der zwanziger
Jahre aufgelebt war; man
sehnte sich wieder zurück
nach dem traulichen Heim
der Vergangenheit; so entstand
dann die Trinkstube, die Ge-
lehrtenstube usw., was Alles
bis ins Kleinste möglichst genau
nachgebildet wurde bis zu einer
geradezu lächerlichen Nachäffung einer
gar nicht verwendbaren und für unsere
Verhältnisse lediglich wie eine Satyre
wirkenden Vergangenheit. Ls war ein Ge-
fühlmachen im Spiel, der falsche Patriotismus
kam auch dazu und man hat, bis sich die

Sache selbst endlich sck Ldsrircknin führte, wirklich Alles Mögliche und Unmögliche
gethan, was geeignet sein sollte, jene behagliche romantische Stimmung herbeizu-
führen. Ich kann mich erinnern, in München so ein Zimmer
eines kinderlosen Ehepaares gesehen zu haben; ich war ganz
erstaunt, in diesem Zimmer eine schöne altdeutsche wiege mit
blau bestickter Wäsche zu sehen und darin ein Kind, und dieses
Kind war eine Puppe. Freilich hatten die Leute gar kein Kind,
aber zur Vervollständigung des traulichen Interieurs lag der
dumme Kleine da.

Er war so gut da,
wie in demselben
Zimmer ein Spinn-
rocken stand, während
die Gnädige keine
Ahnung vom Spin-
nen hatte; es waren
auch die Butzenschei-
ben da und die be-
malten Gläser,welche
es jedoch nicht ermög-
licht hätten, eine Zei-
tung zu lesen. Daß
freilich in diesem alt-
deutschen Zimmer der
Kleiderkasten eigent-
lich holländisch war,
daß in dem Zim-
mer eines reichen
Bankiers Bauern-
wirthshaussesseln
standen, daß sich in
dem Zimmer eines

reichen Herrn, der nicht katholisch war, ein Heiligen-
bild befand, darüber will ich nicht weiter sprechen.

Ls erinnert das an die bekannte Geschichte von einer
Familie, die vor den Gästen ein Tischgebet hielt,
und welche, als man sie fragte, ob sie denn plötzlich so
fromm geworden seien, sagte: „G nein, aber das

gehört zum Stil." — Das Schlimmste an der Sache ist nun aber, daß man in diesen
Räumen nicht praktisch wohnen und leben konnte; daß man eine Menge anderer
Bedürfnisse hattte, die durch diese Nachäfferei unbefriedigt blieben. Vieles, was
dieses theaterhafte Nachäffen bot, konnte man nicht brauchen, aber dafür brauchte

"Abbildung Nr. 372. Sos'a-Kift'rn für Buntstickerei.

"Abbildung Nr. 373.

Motive für Lampenschirme

man ein Klavier, und das konnte man wieder nicht altdeutsch konstruiren usw.
— Plötzlich hat sich das überlebt und man war in unseren Tagen zur richtigen
Lrkenntniß gekommen, daß der Stil der späteren Jahrhunderte, namentlich jener
des Rokoko, unserer Lebensweise rsiel näher sieht, daß sich in diesem
Stile nicht nur Klaviere, sondern auch andere, rein moderne
Dinge Herstellen lassen mit Beibehaltung der Formen,
ohne daß eine Disharmonie eintritt. — Das Schlimme
für das Gewerbe in dieser Hinsicht aber beruht
auf dem Umstande, daß die moderne Erzeu-
gung zurückgesetzt ist, daß ihre Blüthe
dadurch verkümmert wird, daß man
die reichsten und kostspieligsten Ap-
partements beim Antiquitätenhändler
besorgt, statt beim Architekten und
beim Kunstgewerbtreibenden. Be-
sondersschlimm ist auch der Um-
stand , daß dafür eine Reihe
eigener Gewerbe entstand,
welche mit ziemlich bedenk-
lichen Blicken zu betrachten
sind. Das ergab sich natur-
gemäß, denn so wie man die
Gegenstände brauchte,konnte
man sie am Trödelmärkte,
in den Kirchen, auf dem
Lande und in alten Schlössern
nicht finden. Ls mußte da
umgestaltet, vielfach zuge-
stutzt werden; es war hier
ein Fachmann nothwendig, der
seine Hand dazu lieh, um mit-
unter die fehlende Hälfte zu er-
gänzen oder den religiös aussehen-
den Gegenstand so umzuarbeiten,
daß er beispielsweise in ein Boudoir
hineingestellt werden konnte. — Außer-
dem ergab sich noch etwas Anderes, die
Wahrnehmung, daß nämlich das Herrichten,
das Altmachen, das Zustutzen ein recht einträg-
liches Geschäft ist. So konnte es an Individuen
gar nicht lange fehlen, welche diesem Bedürfnisse
nach Antikem abzuhelfen wußten. Mit einem Worte, das betrügerische Fälscher-
gewerbe hat durch diese Thorheit einen mächtigen Ansporn erhalten zum Schaden
und zur Unehre des ehrlichen Gewerbes. — Ls ist in dieser
Richtung viel Schlimmes geschehen und geradezu unbegreiflich,
wie so viele sonst vorsichtige Leute, in diesen Schlamm wie ge-
blendet hineinfallen. Ich könnte Ihnen darüber stundenlang
mittheilen; es kommen da die drolligsten Sachen vor. Natürlich
ist es auch der Ehrgeiz, der Kitzel, der bei der ganzen Sache

auch seinen Antheik
hat. Ich kenne einen
vornehmen Herrn,
der ein Enthusiast
im Zusammenkaufen
von altem Kram ist;
regelmäßig.spielt sicff
nun zwischen mir
und diesem Herrn
folgende Szene ab.
Er steckt den Kopf
zur Thür herein und
sagt: Heute traue
ich mich nicht zu
Ihnen, „was halten
Sie von diesem
Kreußner Krug?"
Ich prüfe das Gbjekt
sorgfältig und sage
schließlich: „Er ist
falsch !"— „Nein, um
Gottes Willen, sagen
Sie das nicht, er muß
echt sein." — „Lieber
Herr", ist meine Antwort, „ich kann nur die Wahr-
heit sagen: er ist und bleibt falsch, aus diesen und-
jenen Gründen". Die Gründe leuchten ihm auch-
endlich ein und der Gute erhebt ein großes Gejammer.
„Nun", bemerke ich, „so kaufen Sie das Zeug nicht,
geben Sie den Krug zurück!" — „Ja, ich habe ihn
aber schon gekauft!" — „Herr, es ist mir sehr schmeichelhaft, wenn Sie auf mein
Urtheil Vertrauen setzen, warum aber handeln Sie bereits selbständig, ehe Sir
Ihrer Sache gewiß sind und schließen den Kauf ab, um erst dann zu dem Fachmann
zu gehen und die Echtheit des Gegenstandes untersuchen zu lassen?" (Schluß folgt.)

Zum Selbstanfertigen.
Näheres Beschreibung S. (05.
 
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