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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 3.1892

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Schliepmann, Hans: Die Ausstellung von Wohnungs-Einrichtungen zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.6760#0258

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November-Heft.

Zllustr. kunstge werbt. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite 205.

ie Musstellung von ^duhnungs-Minrichtulrgen gr Merlin.

von pans Schliepmann.

' ie im September-Peft unserer Zeitschrift bereits im Umriß skizzirte Aus-
stellung ist zwar nach erfreulichstem äußeren Erfolge, bereits geschlossen;
das aber, was sie etwa lehren konnte, ist indeß noch nicht so veraltet,
daß eine nachträgliche Betrachtung nicht doch vielleicht noch von ge-
wissem Werthe wäre, zumal unsere Zeitschrift in der angenehmen Lage ist, eine
Anzahl der hervorragendsten Kojen unseren Lesern im Bilde vorfiihren zu können.

Schon aus diesen Abbildungen wird ein Pauptkarakterzug der ganzen Aus-
stellung klar in die Augen fallen: der Mangel eines einheitlichen Stilbekenntnisses.
Freilich bietet das Gros der Aussteller — nud zwar ist das ein ungewöhnlich
hoher Prozentsatz von an sich ganz tüchtigen Fabrikanten, denen aber jedes eigen-
artige Denken und vorwärtsstreben ferner liegt, als die Befriedigung der Wünsche

des großen paufens der Käufer-zwar zeigen diese Fabrikanten von besserer

Marktwaare ziemlich
übereinstimmend starke
Anlehnung an die
landläufig gewordene
Formgebung der Re-
naissance; gerade die
hervorragendsten Aus-
steller aber suchen jeder
nach anderer Fa<pon
selig zu werden. Das
liegt durchaus in der
Zeit. Leider nicht zum
Wenigsten auch darin,
daß die Grundlagen
gesunder Bildungsge-
setze selbst bei jenen
Tüchtigsten nicht
überall zu klarer Ziel-
strebigkeit geführt ha-
ben. Mmi tastet inner-
halb der überlieferten
äußeren Formen um-
her nach dem, was
dem Zeitgeschmack ent-
sprechen möchte, statt
auf die natürlichen
Grundlagen allerAus-
bildung zurückzugehen.

Ich möchte mich
dieserhalb auf meine
Ausführungen über
„Mobiliar- und Archi-
tekturstil" beziehen, die
ich an anderer Stelle

! verdienen wäre, entstanden ist. Der einfachere Pausrath ist nicht mehr, wie es
unter gesunden Verhältnissen sein müßte, der Ausgangspunkt und Kern auch für
Prunkmöbel, sondern dieser Pausrath ist zum Bastard der Luxusindustrie geworden,
der nach erlogener Aufgeputztheit strebt und mit kläglichem Surrogatwerk den Ge-
schmack eines Publikums zu befriedigen sucht, das höchstens für einen Fünfzigpfennig-
Bazar reif ist — das aber freilich auch breit genug ist, wie das Wuchern letzterer
„kuustindustrielleu" (!) Seuchenherde zeigt.

Nur ganz wenige Firmen haben bei dem obengenannten Wettbewerb wenigstens
! versucht, durch Rückkehr zu den eigentlichen Mobiliarformen und Fortlassung der
Architekturen, stilgerechte billige Möbel zu fertigen. Glücklicherweise hat das Preis-
gericht diese ernsthaft Schaffenden zu würdigen gewußt, und ihnen, nicht den bis
zu offenbarem Schwindel vordringenden Buhlern um die Gunst der verständniß-

losen, die Preise zuge-
sprochcn. Zn der Auf-
deckung dieses Scha-
dens, in dieser Art der
Preisvertheilung, darf
man vielleicht die ersten
Schritte zur Besserung
erblicken. Zu wünschen
bleibt, neben einer
Heranbildung des kau-
fenden Publikums
durch eine verständige
Presse, daß der geradezu
klägliche Erfolg dieses
ersten Wettbewerbes
die Berliner Gewerbe-
Deputation und ähn-
liche Körperschaften
nicht abhält, durch neue
Wettbewerbe zu wei-
terein Streben anzu-
spornen. — Auch was
außerhalb des Wett-
bewerbes an einfachen
Möbeln geleistet wor-
den, istherzlich schwach;
geradezu Abschrecken-
des ist namentlich auf
dem Gebiete der La-
denausstattung für
Destillationen, kleinere
Wirthshänser und

Fleischereien hervorge-
bracht worden. Eine

Abbildung Nr. ->,59. Bibliothek- und

dieses peftes im Zu-
sammenhänge bringen
durfte (Seite tst2). Die
Ausstellung illustrirt
überall deutlich, daß es noch erstrebenswerther scheint, stilecht im Sinne der Nach-
ahmung überlieferter Formenensembles als stilgerecht im Sinne ästhetischer Grund-
anschauungen zu sein. Einige erfreuliche Ausnahmen hiervon sollen weiter unten
skizzirt sein; zuvor muß aber auf eine zweite bedeutsame Allgemeinerscheinung der
Ausstellung hingewiesen werden: auf den Mangel gesunder, wohlfeiler, für den
Mittelstand berechneter waare. Der in Verbindung mit der Ausstellung von der
Gewerbe-Deputation des Berliner Magistrats ausgeschriebene Wettbewerb um Er-
langung tüchtiger, billiger Wohnungs-Einrichtungen, hat dies erschreckend deutlich
gemacht. Zwischen Luxus- und Schundwaare klafft eine weite Lücke, die gerade
durch das Nothwendigste für eine gesunde Entwickelung, durch den Pausrath für
den gebildeten, doch nicht besonders begüterten Mittelstand ausgefüllt sein müßte.

Ganz abgesehen von dem tiefen sozialen Schaden, der hierdurch aufgedeckt
wird: dem allmähligen verschwinden eines urtheilsfähigen „gutbürgerlichen"
Mittelgliedes zwischen Begüterten und Proletariern, ist aus dieser, nicht ganz ernst
zu nehmenden Erfahrung zu ersehen, wie sehr das Streben nach dem Schein das
nach dem Sein iiberwiegt. Es zeigt sich, daß die Luxusindustrie eine Treibhaus-
pflanze, die keine gesunden Früchte zu zeitigen vermag, daß sie im Wesentlichen
Nachahmungskunst geblieben ist, die nicht aus dem verständniß von innen heraus,
sondern durch Abgucken und Schielen nach dem, womit etwa schleunigst Geld zu

Arbeite-- Zimmers in mod. Barock.

— Aoje der Firma I. L. j?faff, Möbelfabrik, Berlin.

Ausnahme machen nur
eine Anzahl verstän-
diger Möbel für ein
Znnggescllenheim —
darunter einige hübsch bemalte — von W. Dittmar, die in einem, lediglich aus
Lementdielen erbauten hübschen kleinen Pavillon von Paul Stolte aus Genthin
untergebracht find. Sieht man dagegen von den oben erhobenen Vorwürfen gegen
die Luxusindustrie ab, so können die Leistungen der letzteren meist an sich auf An-
erkennung Anspruch machen. Man muß freilich eine Art ästhetischer Gummimann
sein, der sich in jede Formenwelt hineinzupassen weiß, um gerecht zu bleiben; und
da meine Fähigkeiten in solchem „Spezialitäten"wesen nicht so weit reichen, daß ich
auch die Irrungen und Verkehrtheiten der Vorzeit schön finde, nur weil sie historisch
echt sind, so müssen sich manche Meister gefallen lassen, daß ich ihre Leistungen
keineswegs bewundere, obwohl sie einen umfangreichen Apparat von Schnörkeln,
Püppchen, Einlagen, Beschlägen usw. in Bewegung gesetzt haben. Damit fängt
man Emporkömmlinge, Russen, amerikanische Goldgräber und Börsenprotzen, aber
keine zu Schönheitsbegriffen erzogene Deutsche.

Wahre Muster von thörichtem Architektur- statt Mobiliarstil sind die vom
kritiklosen Publikum in Verzückung angestaunten Protzenmöbel von Z. Groschkus.
Säulen auf Karyatiden, die beim Geffnen einer Thür plötzlich in Karusselbewegung
kommen, Schubladen mit geschweifter Vorderseite, die wie Pflugscharen zugeschärft
herausfahren, Verdachungen und Voluten in wüster Fülle an allen nur denkbaren
Stellen: —das gibt eine Fata Morgana von an sich sehr fein gezeichneten Formen,
 
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