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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 2.1920/​21

DOI Heft:
1. Oktoberheft
DOI Artikel:
Leidinger, Georg: Das Malbuch vom Berg Athos
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0053

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Herausgeber: Adolptl DORGtfl

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Der Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek Dr.
Georg Leidinger in München sendet uns nachstehenden
unsere Kunstkreise interessierenden Artikel.

Tn der Kunstliteratur wird sehr häufig ein Werk zitiert,
* welches für die Kenntnis der byzantinischen Malerei
geradezu als eine Art Evangelium angesehen wird und
welches man gewöhnlich als das „Malbuch (oder noch
öfter als das „Malerbuch“) vom Berg Athos“ bezeichnet.
Über das Wesen und die Bedeutung dieses Buches wie
über seine Geschichte sind jedoch so viele Unrichtig-
keiten verbreitet, daß es nötig erscheint, Abhilfe zu treffen.
Ich teile daher die wissenswertesten Einzelheiten darüber
hier mit.

Im Jahre 1845 ließ der französische Kunstschrift-
steller Adolphe Napoleon Didron unter dem Titel
„Manuel d’iconographie chretienne grecque et latine“ die
französische Übersetzung eines griechischen Werkes er-
scheinen, welches er auf einer Forschungsreise in dem
Athoskloster Esphigmenou kennengelernt und von dem
er sich eine Abschrift verschafft hatte. Diese Veröffent-
lichung erregte das größte Interesse der gelehrten und
gebildeten Welt. Es schien die Lösung der Frage zu
bringen, wie es denn käme, daß in der byzantinischen
Malerei unabhängig von Zeit und Ort immer wieder die
gleichen Darstellungen hergestellt worden waren. Didrons
Antwort darauf war: weil man in allen Malerwerkstätten
des byzantinischen Kunstgebietes nach Handbüchern
arbeitete, wie ihm nun eines in die Hand gekommen war.

Der reiche Inhalt des Handbuches, wie man es
heute kennt, zerfällt in sechs Teile. Der erste davon
ist der Technik gewidmet, geschieden nach Tafelmalerei
und Wandmalerei; auch die Buchmalerei wird berührt.
An diesen technologischen Teil schließt sich der zweite

an, der die Ikonographie der historischen Bilder des
Alten Testamentes, und der dritte, der jene der histo-
rischen Bilder des Neuen Testamentes umfaßt. Im
vierten Teile werden in der Hauptsache die symbolischen
und liturgischen Bilder behandelt, im fünften die hagio-
graphischen, voran die Darstellungen der Gottesmutter.
Der sechste Teil beschäftigt sich mit der Anordnung der
Bilder in Kirchen und Kapellen, mit den Aufschriften
und Beischriften usw. In Didrons Handschrift war das
Werk in vier Teile geschieden. Unter einer Vorrede
war als Verfasser des Werkes ein Mönch Dionysius des
Klosters Furna bei Agrapha genannt, und Didron nahm
an, daß er im 15. oder 16. Jahrhundert geschrieben habe,
obwohl man auf dem Athos ihm mitgeteilt hatte, das
Werk stamme aus dem 10. oder 11. Jahrhundert.

Im Jahre 1853 erschien zu Athen eine Ausgabe des
griechischen Textes, und eine deutsche Übersetzung,
welche Godehard Schäfer 1855 nach der Didron’schen
Abschrift besorgte, machte das Werk besonders in
deutschen Kunstkreisen bekannt. Alle diese Veröffent-
lichungen litten unter dem Mangel, daß sie sich nicht
viel mit der Frage nach der Entstehungszeit des Werkes
abgaben und dadurch die Tür zu unzähligen Mißverständ-
nissen öffneten. Und was am schlimmsten war: ein
Fälscher hatte bei der Sache seine Hände mit im Spiele
gehabt. Dieser, ein gewisser Konstantin Simonides, hielt
sich auf dem Athos auf, als Didron dort mit seinen
Forschungen beschäftigt war, und bemerkte des franzö-
sischen Gelehrten Interesse für die Kunst der Athoskloster
und besonders für das Malbuch. Er fabrizierte alsbald
ein Exemplar des Malbuches, versah es aus Beweg-
gründen der Eitelkeit mit der Jahreszahl 1458 und spielte

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