Cbt?t{fus und lobannes
oon
lultus Baum
Im Verlage Dr. Benno Filser in Stuttgart erscheint
im März eine Arbeit von Professor Dr. Julius Baum, die
den Titel „Gotische Bildwerke Schwabens“
führt. In diesem Buche versucht der hervorragende
Kenner, einerseits eine genaue Darlegung der Wand-
lungen des Formgefühls im 14. Jahrhundert, anderseits
aber, unter Heranziehung des gleichzeitigen Schrifttums,
einen Beitrag zur Psychologie dieser Wandlung zu geben.
Wir entnehmen den uns freundlichst zur Verfügung ge-
stellten Aushängebogen das nachfolgende Kapitel in
gekürzter Form.
Gleichwie am Fürstentore des Bamberger Domes die
Apostel auf den Schultern der Propheten stehen,
so beruht jede Entwicklung der mittelalterlichen christ-
lichen Kunst auf dem Grunde der geschichtlichen und
liturgischen Überlieferung. Es gibt im Inhalte keine will-
kürlichen und unvermittelten Neuerungen. Auch das
„Schauen“ der Mystik des 14. Jahrhunderts hat seinen
Ursprung irgendwie im Bereiche christlicher Vorstellung.
Die Vision der Maria im Wochenbett wäre ohne die
biblische Weihnachtserzählung nicht möglich. Aber sie ist
gewissermaßen eine Neuentdeckung des alten Mysteriums.
Die Mystiker erleben die biblischen Geschichten, die
liturgischen Bräuche mit offeneren Augen und offenerem
Herzen als die vergangenen Geschlechter. Das neue
Gefühlserlebnis äußert sich notwendig als neue Anschauung
und Darstellung.
Das Abendmahl des Herrn1) wird in der mittelalter-
lichen Kunst des Abendlandes zumeist nach den Worten
des Johannesevangeliums dargestellt. Darin heißt es
(Kapitel 13, 23—25), nachdem Christus den Verrat voraus-
gesagt hat: „Dorumb einer von sein jungem der ruet in
der schoß ihesus den ihesus lieb hett. Dorumb diesem
winckt symon petter: vnd sprach zu im. Wer ist es von
dem er hat geredt? Dorumb do er hett geruet auff der
brust ihesus er sprach zu im 0 herr wer ist der der dich
verret?“ Auf Grund dieses Berichtes erscheint der Liebes-
jünger in den mittelalterlichen Bildern der Ankündigung
des Verrates — in der späteren byzantinischen Kunst auch
in den Matthäus 26, 26—28 folgenden Darstellungen der
SpendungdesAbendmahles — an dieBrust desHerrn gelehnt.
Schon Origenes (f 254), noch mehr aber Augustinus,
gibt die oben genannte Stelle des Johannesevangeliums
zum Nachdenken Anlaß. Augustinus bemerkt, daß Johannes,
„als er beim letzten Abendmahle an der Brust Jesu ruhte,
hohe Geheimnisse aus seinem innersten Herzen trank“2).
Diese Auffassung wird auch in die Liturgie des Johannes-
festes übernommen. (Responsorium zur achten Lektion des
Matutin). Mit dem Erwachen der Mystik im Zeitalter des
heiligen Bernhard wird auch das Verhältnis Christi zu dem
Liebesjünger von neuem Gegenstand vertiefter Betrachtung.
In einem Gebete des Ekbert von Schönau, aus dem 12. Jahr-
*) Vgl. Kraus, Geschichte der christlichen Kunst, II, 1, 1897,
297 ff. Dort Angabe des älteren Schrifttums.
2) Joannis Evang. XVIII, Migne Patrol. lat. 35, 1535 — Vgl.
hierfür und für das Folgende Richstätter, Die Herzjesuverehrung
des deutschen Mittelalters, II, 1919, S. 223 ff.
hundert, heißt es, daß Johannes „von der Weisheit Gottes
ganz erfüllt war, da er sein glückliches Haupt an Jesu
gnadenreiche Brust lehnte“3)- Zumal aber auf die eksta-
tische Mystik des späten 13. und beginnenden 14. Jahr-
hunderts mußte die Stelle des Johannesevangeliums not-
wendig eine starke Wirkung ausüben. Die heilige
Gertrud (f 1302) beschreibt im Gesandten der göttlichen
Liebe4 5 6 * *) wie sie mit dem heiligen Johannes am Herzen
Jesu ruhen und die süßen Pulsschläge des heiligsten
Herzens empfinden durfte. Und die Dominikanerin
Margareta Ebner in Maria Mödingen (f 1531) berichtet
in ihrem Tagebuch ): „Wenn ich mich daran erinnerte,
wie der heilige Johannes am süßen Herzen meines Herrn
ruhte, so berührte mich eine süße Gnade, wie ich sie
nicht auszusprechen vermag. Und wenn ich gedachte
des süßen Trankes, den er trank aus der Brust Jesu
Christi, so kann ich es in Worten nicht aussprechen;
und ich saß eine Weile still in der Freude und in dem
Verlangen, daß ich vor Liebe gern stürbe.“
So unzweifelhaft diese mystische Versenkung ihren
Urgrund in den Worten des Johannesevangeliums hat,
so sehr vertieft sie doch die ursprüngliche Vorstellung.
Aus einem Teilgeschehen der Abendmahlshandlung bildet
sich ein selbständiges visionäres Erlebnis: Johannes an
der Brust des Herrn. Vom inneren Schauen zur Ge-
staltung ist der Schritt nicht weit; am Ende des 13. Jahr-
hunderts finden sich die ersten selbständigen Darstellungen.
Es ist nämlich die Entwicklung, wie sie uns aus dem
Andachtsbild der Maria im Wochenbett schon vertraut ist.
Wo die visionäre Vorstellung zum erstenmal körper-
liche Gestalt gewann, ist mit Gewißheit nicht zu er-
mitteln. Unzweifelhaft aber haben an der Pflege und
Verbreitung der Verehrung des um seiner von der Liturgie
gepriesenen Keuschheit willens zum monastischen Vorbilde
besonders geeigneten Liebesjüngers im späten 13. und
14. Jahrhundert alemannische Frauenklöster den Haupt-
anteil. Im Schwesternbuche von S. Katharinental bei
Diessenhofen11) wird von der Konventsschwester Adelhait
Pfefferhartin berichtet: „si bettet och ze einem mal in dem
kor vor dem bild, da sant Johans ruwet vff unsers
herren herczen“; ähnlich später von der Schwester Anne
von Ramswag. Wir erfahren hier aus einer Quelle des
14. Jahrhunderts, daß in S, Katharinental eine Christus-
johannes-Gruppe verehrt wurde. Unter den erhaltenen
Gruppen lassen sich mit einiger Sicherheit drei als aus
3) Vgl. Roth, Das Gebetbuch der heiligen Elisabeth von
Schönau, 1886, S. 11.
4) Vgl. S. Gertrudis Magnae Legatus divinae pietatis, ed.
Solesmensium 0. S. B. Monachorum cura, 1875.
5) Vgl. Strauch, Margareta Ebner und Heinrich von Nörd-
lingen, 1882, S. 73, 84.
6) Pergamentkodex in Frauenfeld; vgl. Birlinger, Leben
heiliger alemannischer Frauen des Mittelalters, V, die Nonnen
von S. Katharinental, Alemannia, XV, 1887, S. 152, 156, 176.
245
oon
lultus Baum
Im Verlage Dr. Benno Filser in Stuttgart erscheint
im März eine Arbeit von Professor Dr. Julius Baum, die
den Titel „Gotische Bildwerke Schwabens“
führt. In diesem Buche versucht der hervorragende
Kenner, einerseits eine genaue Darlegung der Wand-
lungen des Formgefühls im 14. Jahrhundert, anderseits
aber, unter Heranziehung des gleichzeitigen Schrifttums,
einen Beitrag zur Psychologie dieser Wandlung zu geben.
Wir entnehmen den uns freundlichst zur Verfügung ge-
stellten Aushängebogen das nachfolgende Kapitel in
gekürzter Form.
Gleichwie am Fürstentore des Bamberger Domes die
Apostel auf den Schultern der Propheten stehen,
so beruht jede Entwicklung der mittelalterlichen christ-
lichen Kunst auf dem Grunde der geschichtlichen und
liturgischen Überlieferung. Es gibt im Inhalte keine will-
kürlichen und unvermittelten Neuerungen. Auch das
„Schauen“ der Mystik des 14. Jahrhunderts hat seinen
Ursprung irgendwie im Bereiche christlicher Vorstellung.
Die Vision der Maria im Wochenbett wäre ohne die
biblische Weihnachtserzählung nicht möglich. Aber sie ist
gewissermaßen eine Neuentdeckung des alten Mysteriums.
Die Mystiker erleben die biblischen Geschichten, die
liturgischen Bräuche mit offeneren Augen und offenerem
Herzen als die vergangenen Geschlechter. Das neue
Gefühlserlebnis äußert sich notwendig als neue Anschauung
und Darstellung.
Das Abendmahl des Herrn1) wird in der mittelalter-
lichen Kunst des Abendlandes zumeist nach den Worten
des Johannesevangeliums dargestellt. Darin heißt es
(Kapitel 13, 23—25), nachdem Christus den Verrat voraus-
gesagt hat: „Dorumb einer von sein jungem der ruet in
der schoß ihesus den ihesus lieb hett. Dorumb diesem
winckt symon petter: vnd sprach zu im. Wer ist es von
dem er hat geredt? Dorumb do er hett geruet auff der
brust ihesus er sprach zu im 0 herr wer ist der der dich
verret?“ Auf Grund dieses Berichtes erscheint der Liebes-
jünger in den mittelalterlichen Bildern der Ankündigung
des Verrates — in der späteren byzantinischen Kunst auch
in den Matthäus 26, 26—28 folgenden Darstellungen der
SpendungdesAbendmahles — an dieBrust desHerrn gelehnt.
Schon Origenes (f 254), noch mehr aber Augustinus,
gibt die oben genannte Stelle des Johannesevangeliums
zum Nachdenken Anlaß. Augustinus bemerkt, daß Johannes,
„als er beim letzten Abendmahle an der Brust Jesu ruhte,
hohe Geheimnisse aus seinem innersten Herzen trank“2).
Diese Auffassung wird auch in die Liturgie des Johannes-
festes übernommen. (Responsorium zur achten Lektion des
Matutin). Mit dem Erwachen der Mystik im Zeitalter des
heiligen Bernhard wird auch das Verhältnis Christi zu dem
Liebesjünger von neuem Gegenstand vertiefter Betrachtung.
In einem Gebete des Ekbert von Schönau, aus dem 12. Jahr-
*) Vgl. Kraus, Geschichte der christlichen Kunst, II, 1, 1897,
297 ff. Dort Angabe des älteren Schrifttums.
2) Joannis Evang. XVIII, Migne Patrol. lat. 35, 1535 — Vgl.
hierfür und für das Folgende Richstätter, Die Herzjesuverehrung
des deutschen Mittelalters, II, 1919, S. 223 ff.
hundert, heißt es, daß Johannes „von der Weisheit Gottes
ganz erfüllt war, da er sein glückliches Haupt an Jesu
gnadenreiche Brust lehnte“3)- Zumal aber auf die eksta-
tische Mystik des späten 13. und beginnenden 14. Jahr-
hunderts mußte die Stelle des Johannesevangeliums not-
wendig eine starke Wirkung ausüben. Die heilige
Gertrud (f 1302) beschreibt im Gesandten der göttlichen
Liebe4 5 6 * *) wie sie mit dem heiligen Johannes am Herzen
Jesu ruhen und die süßen Pulsschläge des heiligsten
Herzens empfinden durfte. Und die Dominikanerin
Margareta Ebner in Maria Mödingen (f 1531) berichtet
in ihrem Tagebuch ): „Wenn ich mich daran erinnerte,
wie der heilige Johannes am süßen Herzen meines Herrn
ruhte, so berührte mich eine süße Gnade, wie ich sie
nicht auszusprechen vermag. Und wenn ich gedachte
des süßen Trankes, den er trank aus der Brust Jesu
Christi, so kann ich es in Worten nicht aussprechen;
und ich saß eine Weile still in der Freude und in dem
Verlangen, daß ich vor Liebe gern stürbe.“
So unzweifelhaft diese mystische Versenkung ihren
Urgrund in den Worten des Johannesevangeliums hat,
so sehr vertieft sie doch die ursprüngliche Vorstellung.
Aus einem Teilgeschehen der Abendmahlshandlung bildet
sich ein selbständiges visionäres Erlebnis: Johannes an
der Brust des Herrn. Vom inneren Schauen zur Ge-
staltung ist der Schritt nicht weit; am Ende des 13. Jahr-
hunderts finden sich die ersten selbständigen Darstellungen.
Es ist nämlich die Entwicklung, wie sie uns aus dem
Andachtsbild der Maria im Wochenbett schon vertraut ist.
Wo die visionäre Vorstellung zum erstenmal körper-
liche Gestalt gewann, ist mit Gewißheit nicht zu er-
mitteln. Unzweifelhaft aber haben an der Pflege und
Verbreitung der Verehrung des um seiner von der Liturgie
gepriesenen Keuschheit willens zum monastischen Vorbilde
besonders geeigneten Liebesjüngers im späten 13. und
14. Jahrhundert alemannische Frauenklöster den Haupt-
anteil. Im Schwesternbuche von S. Katharinental bei
Diessenhofen11) wird von der Konventsschwester Adelhait
Pfefferhartin berichtet: „si bettet och ze einem mal in dem
kor vor dem bild, da sant Johans ruwet vff unsers
herren herczen“; ähnlich später von der Schwester Anne
von Ramswag. Wir erfahren hier aus einer Quelle des
14. Jahrhunderts, daß in S, Katharinental eine Christus-
johannes-Gruppe verehrt wurde. Unter den erhaltenen
Gruppen lassen sich mit einiger Sicherheit drei als aus
3) Vgl. Roth, Das Gebetbuch der heiligen Elisabeth von
Schönau, 1886, S. 11.
4) Vgl. S. Gertrudis Magnae Legatus divinae pietatis, ed.
Solesmensium 0. S. B. Monachorum cura, 1875.
5) Vgl. Strauch, Margareta Ebner und Heinrich von Nörd-
lingen, 1882, S. 73, 84.
6) Pergamentkodex in Frauenfeld; vgl. Birlinger, Leben
heiliger alemannischer Frauen des Mittelalters, V, die Nonnen
von S. Katharinental, Alemannia, XV, 1887, S. 152, 156, 176.
245