Rumobt? und die neuere Kunßuxffenßbaft
Hut? JSeuausgabe setnet? „Ttalfeni (eben fot?jcbungen“
oon
tiet’tnann Schmiß
C. Fr. von Rumohr: Italienische For-
schungen. Herausgegeben von Julius Schlosser.
Mit der Beigabe der italienischen Forschungen und
einem Bildnis. 1920. Frankfurter Verlags-
anstalt A.-G., Frankfurt am Main.
Der Wissenschaft ist es förderlich, ja notwendig, in
ihrem rastlosen Fortschreiten von Zeit zu Zeit an-
zuhalten und auf ihre Anfänge zurückzublicken. Indem
wir öfter den Ausgangspunkt und den zurückgelegten
Weg unserer Forschung ins Auge fassen, werden wir
leichter der Gefahr entgehen, unter dem Andrang des
stetig wachsenden Tatsachenmaterials die Grundlinien
und Grundfragen unseres Fachs aus dem Gesichtskreis
zu verlieren. Wir gleichen damit den rechten Bauleuten,
die, während sie die oberen Geschosse eines Bauwerks
emporführen, ihr Augenmerk ständig auf dessen
Fundamente und Sockel richten müssen.
Zu den Begründern der neueren Kunstwissenschaft
gehört Carl Friedrich von Rumohr (f 1842).
Mit der Neuherausgabe seiner Hauptschrift, der
italienischen Forschungen, hat sich die Frankfurter
Verlagsanstalt den Dank weitester Kreise der Kunst-
forscher und der wissenschaftlich interessierten Kunst-
freunde verdient. Dieses Buch, das in den Jahren 1827
bis 1831 erschien, ist der Markstein der kritisch-historischen
Kunstbetrachtung. Noch Rumohrs Göttinger Lehrer, der
alte Fiorillo, zeigt sich in seiner um die Wende des 18.
zum 19. Jahrhundert entstandenen Geschichte der zeich-
nenden Künste als ein Schüler der gefühlsmäßigen un-
kritischen Kunstgeschichtsschreibung des Barokzeitalters.
Er wurzelt noch in jener von künstlerischen Schönheits-
ideen ausgehenden, mit Künstleranekdoten und Legenden
durchsetzten, auf schwankender Überlieferung beruhenden
Kunstgeschichtsschreibung, zu deren Vätern Vasari gehört.
Es fehlt dieser, zum großen Teile von Künstlern getragenen
Kunstschriftstellerei fast gänzlich der Begriff der Stil-
epochen, der ja erst eigentlich durch Winckelmann in
großen Zügen für die antike Kunstgeschichte geschaffen
worden ist. Rumohr überträgt diesen, durch ihn be-
deutend geläuterten Begriff der Stilentwicklung auf die
neuere Kunstgeschichte des Abendlandes. Er nimmt
weiter als erster die Quellenkritik in den Dienst der
Kunstforschung. Eine ganze Reihe grundlegender Ur-
kunden zur italienischen Kunstgeschichte, namentlich zu
der des Trecento in Toskana, hat er aus den Archiven
gezogen; zahlreiche mangelhaft wiedergegebene oder
irrtümlich ausgelegte Inschriften an Bauten und Bild-
werken des italienischen Mittelalters und der Folgezeit
hat er berichtigt. Eine Anzahl von Künstlernamen des
Tre- und Quattrocento hat er zum erstenmal historisch
begründet. Mit einem Wort, er hat das Rückgrat der
italienischen Kunstgeschichte von der altchristlichen Zeit
bis zu Raffael geschaffen. Auch für die deutsche Kunst-
geschichte des Mittelalters bringt er in einigen Abschnitten
wertvolle Beiträge; z. B. hat er das Nachwirken der
römischen Überlieferungen in der deutschen Kunst bis
auf Heinrich II. richtig erkannt; ungemein aufschlußreich
auch für unser Mittelalter ist die eingehende Prüfung,
die Rumohr den byzantinischen Malerschulen Italiens vor
dem Auftreten Cimabues, Duccios und Giottos widmet;
denn auch die Deutschen Malerschulen standen damals,
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in engster Be-
rührung mit der byzantinischen und der italobyzantinischen
Malerei. Meisterlich ist die Methode und die Form der
Darstellung, ob es sich um stil- und quellengeschichtliche
Einzelfälle oder ob es sich um allgemeine Grundlinien
und Begriffe handelt. Dadurch wird die Lektüre auch
nützlich für jeden Kunstforscher, gleichgültig welches
Gebiet er bearbeitet.
Rumohr und seine Zeit stellen vorzüglich darin einen
Bruch mit der voraufgehenden Barockepoche dar, daß sie
die bisher gering geschätzte Kunst des Mittelalters zu
Ehren bringen. Die Kunst des Barock selbst von Michel-
angelo angefangen gilt ihnen als Verfallepoche. Der
Höhepunkt schlechthin ist Raffael. Rubens und Rem-
brandt läßt man nur mit Einschränkung gelten. Es ist
der gleiche Standpunkt, den in der Kunst die Nazarener
einnehmen. Wie mehrere von diesen so trat auch
Rumohr, der Sproß eines holsteinischen Adelsgeschlechtes,
zum Katholizismus über. Aus dieser ganzen Geistes-
verfassung erklärt sich somit teilweise Rumohrs eigen-
tümliche von unserem Standpunkt aus zweifellos be-
schränkte Stellung zur älteren Kunst. Aber es muß uns
doch wundern, daß ein derartig unermüdet nach Wahrheit
strebender Mann durch diese Geistesrichtung soweit
gebracht wird, die eigentümliche Größe Giottos zu ver-
kennen. Nicht lebendige Anschauung, sondern geradezu
Vorurteile liegen der Abhandlung über Giotto zu Grunde;
selbst an den köstlichen Anekdoten der Zeitgenossen über
Giotto mäkelt Rumohr herum; offenbaren doch gerade
sie uns den urwüchsigen und witzigen großen Sohn
Toskanas. Als tieferliegender Grund für Rumohrs Ab-
neigung erscheint die Tatsache, daß Giotto den strengen
hochkirchlichenStil desMittelalters revolutioniert habensoll!
Die Abwendung von der Anschauung des Barock
äußert sich auch in Rumohrs ästhetischen Gedanken.
Doch müssen wir uns versagen, auf diese bedeutsame
Seite seines Werkes in einer mehr praktischen Interessen
dienenden Zeitschrift einzugehen. Der subjektiven
idealistischen Schönheitslehre des 18. Jahrhunderts den
Rücken kehrend sucht er zu einer objektiven Würdigung
des innigen Verhältnisses von Kunst und Natur durch-
zudringen. Bedeutungsvoll ist namentlich, was er von
der Rolle sagt, die die räumlichen Verhältnisse in der
allgemeinen Stilbildung spielen. Eben diese vorwaltende
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Hut? JSeuausgabe setnet? „Ttalfeni (eben fot?jcbungen“
oon
tiet’tnann Schmiß
C. Fr. von Rumohr: Italienische For-
schungen. Herausgegeben von Julius Schlosser.
Mit der Beigabe der italienischen Forschungen und
einem Bildnis. 1920. Frankfurter Verlags-
anstalt A.-G., Frankfurt am Main.
Der Wissenschaft ist es förderlich, ja notwendig, in
ihrem rastlosen Fortschreiten von Zeit zu Zeit an-
zuhalten und auf ihre Anfänge zurückzublicken. Indem
wir öfter den Ausgangspunkt und den zurückgelegten
Weg unserer Forschung ins Auge fassen, werden wir
leichter der Gefahr entgehen, unter dem Andrang des
stetig wachsenden Tatsachenmaterials die Grundlinien
und Grundfragen unseres Fachs aus dem Gesichtskreis
zu verlieren. Wir gleichen damit den rechten Bauleuten,
die, während sie die oberen Geschosse eines Bauwerks
emporführen, ihr Augenmerk ständig auf dessen
Fundamente und Sockel richten müssen.
Zu den Begründern der neueren Kunstwissenschaft
gehört Carl Friedrich von Rumohr (f 1842).
Mit der Neuherausgabe seiner Hauptschrift, der
italienischen Forschungen, hat sich die Frankfurter
Verlagsanstalt den Dank weitester Kreise der Kunst-
forscher und der wissenschaftlich interessierten Kunst-
freunde verdient. Dieses Buch, das in den Jahren 1827
bis 1831 erschien, ist der Markstein der kritisch-historischen
Kunstbetrachtung. Noch Rumohrs Göttinger Lehrer, der
alte Fiorillo, zeigt sich in seiner um die Wende des 18.
zum 19. Jahrhundert entstandenen Geschichte der zeich-
nenden Künste als ein Schüler der gefühlsmäßigen un-
kritischen Kunstgeschichtsschreibung des Barokzeitalters.
Er wurzelt noch in jener von künstlerischen Schönheits-
ideen ausgehenden, mit Künstleranekdoten und Legenden
durchsetzten, auf schwankender Überlieferung beruhenden
Kunstgeschichtsschreibung, zu deren Vätern Vasari gehört.
Es fehlt dieser, zum großen Teile von Künstlern getragenen
Kunstschriftstellerei fast gänzlich der Begriff der Stil-
epochen, der ja erst eigentlich durch Winckelmann in
großen Zügen für die antike Kunstgeschichte geschaffen
worden ist. Rumohr überträgt diesen, durch ihn be-
deutend geläuterten Begriff der Stilentwicklung auf die
neuere Kunstgeschichte des Abendlandes. Er nimmt
weiter als erster die Quellenkritik in den Dienst der
Kunstforschung. Eine ganze Reihe grundlegender Ur-
kunden zur italienischen Kunstgeschichte, namentlich zu
der des Trecento in Toskana, hat er aus den Archiven
gezogen; zahlreiche mangelhaft wiedergegebene oder
irrtümlich ausgelegte Inschriften an Bauten und Bild-
werken des italienischen Mittelalters und der Folgezeit
hat er berichtigt. Eine Anzahl von Künstlernamen des
Tre- und Quattrocento hat er zum erstenmal historisch
begründet. Mit einem Wort, er hat das Rückgrat der
italienischen Kunstgeschichte von der altchristlichen Zeit
bis zu Raffael geschaffen. Auch für die deutsche Kunst-
geschichte des Mittelalters bringt er in einigen Abschnitten
wertvolle Beiträge; z. B. hat er das Nachwirken der
römischen Überlieferungen in der deutschen Kunst bis
auf Heinrich II. richtig erkannt; ungemein aufschlußreich
auch für unser Mittelalter ist die eingehende Prüfung,
die Rumohr den byzantinischen Malerschulen Italiens vor
dem Auftreten Cimabues, Duccios und Giottos widmet;
denn auch die Deutschen Malerschulen standen damals,
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in engster Be-
rührung mit der byzantinischen und der italobyzantinischen
Malerei. Meisterlich ist die Methode und die Form der
Darstellung, ob es sich um stil- und quellengeschichtliche
Einzelfälle oder ob es sich um allgemeine Grundlinien
und Begriffe handelt. Dadurch wird die Lektüre auch
nützlich für jeden Kunstforscher, gleichgültig welches
Gebiet er bearbeitet.
Rumohr und seine Zeit stellen vorzüglich darin einen
Bruch mit der voraufgehenden Barockepoche dar, daß sie
die bisher gering geschätzte Kunst des Mittelalters zu
Ehren bringen. Die Kunst des Barock selbst von Michel-
angelo angefangen gilt ihnen als Verfallepoche. Der
Höhepunkt schlechthin ist Raffael. Rubens und Rem-
brandt läßt man nur mit Einschränkung gelten. Es ist
der gleiche Standpunkt, den in der Kunst die Nazarener
einnehmen. Wie mehrere von diesen so trat auch
Rumohr, der Sproß eines holsteinischen Adelsgeschlechtes,
zum Katholizismus über. Aus dieser ganzen Geistes-
verfassung erklärt sich somit teilweise Rumohrs eigen-
tümliche von unserem Standpunkt aus zweifellos be-
schränkte Stellung zur älteren Kunst. Aber es muß uns
doch wundern, daß ein derartig unermüdet nach Wahrheit
strebender Mann durch diese Geistesrichtung soweit
gebracht wird, die eigentümliche Größe Giottos zu ver-
kennen. Nicht lebendige Anschauung, sondern geradezu
Vorurteile liegen der Abhandlung über Giotto zu Grunde;
selbst an den köstlichen Anekdoten der Zeitgenossen über
Giotto mäkelt Rumohr herum; offenbaren doch gerade
sie uns den urwüchsigen und witzigen großen Sohn
Toskanas. Als tieferliegender Grund für Rumohrs Ab-
neigung erscheint die Tatsache, daß Giotto den strengen
hochkirchlichenStil desMittelalters revolutioniert habensoll!
Die Abwendung von der Anschauung des Barock
äußert sich auch in Rumohrs ästhetischen Gedanken.
Doch müssen wir uns versagen, auf diese bedeutsame
Seite seines Werkes in einer mehr praktischen Interessen
dienenden Zeitschrift einzugehen. Der subjektiven
idealistischen Schönheitslehre des 18. Jahrhunderts den
Rücken kehrend sucht er zu einer objektiven Würdigung
des innigen Verhältnisses von Kunst und Natur durch-
zudringen. Bedeutungsvoll ist namentlich, was er von
der Rolle sagt, die die räumlichen Verhältnisse in der
allgemeinen Stilbildung spielen. Eben diese vorwaltende
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