Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 2.1920/21
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DOI Heft:
2. Juliheft
DOI Artikel:Zimmermann, Ernst: Egermann oder Tschirnhausen?
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oon
Etmmet’tnann
I-J ekanntlich sind lange Zeit alle Arbeiten aus ver-
schieden gefärbten Glasflüssen, vor allem aber solche
in verschiedenartigen Spielarten von dunkelsiegellack-
artigem Rot, wofern man in ihnen nicht venezianische
Arbeiten des 16.-17. Jahrhunderts sah, dem bekannten
Mathematiker und Physiker Ehrenfried Walther von
Tschirnhausen zugeschrieben worden, dem Berater Böttgers
bei seinen alchymistischen Arbeiten, dann auch bei seinen
Porzellanerfindungsversuchen. Sogar ganze Sammlungen
von „Tschirnhausengläsern“ sind daraufhin zustande ge-
bracht worden. Dann aber erkannte
man, vor allem wohl durch Berlings
und Pazaureks Feststellungen, daß
ein großer Teil derselben, wenn
nicht der größte, von dem be-
kannten böhmischen Glaskünstler
Friedr. Egermann zu Hayda etwa
um die Wende des 18. Jahrhun-
derts1) hergestellt worden ist oder
von seinen Nachahmern, wofern sie
nicht ganz moderne Erzeugnisse
von Bunzlau, Radeberg (Sachsen)
oder Senftenberg2) sind. Von dem
rot abschattierten aber behielt man
noch immer einen großen Teil für
Tschirnhausen bei.
Ich glaube nun, daß in Wirk-
lichkeit die Sache so liegt, daß
man zur Zeit kein Recht hat,
Tschirnhausen auch nur ein ein-
ziges dieser Stücke zuzuschreiben,
ja daß er überhaupt nie derartige
vielfarbige Gläser hergestellt hat.
Denn worauf beruht eigentlich
diese Zuschreibung? Doch, da
mir trotz jahrzehntelanger Be-
schäftigung mit diesem Gebiet kein
einziges Dokument bekannt geworden ist,3 4 *) das eine
solche rechtfertigt, lediglich auf Tradition. Zwar hat
Tschirnhausen sich, wie feststeht, neben seinen auf
Grund des damaligen Merkantilsystems unternommenen
Bestrebungen, Sachsen eine eigene, vom Auslande un-
abhängige Industrie zu schaffen, auch viel mit der Glas-
industrie beschäftigt *) Er errichtete mehrere Glashütten.
r) Über Egermann siehe Thieme - Becker Künstlerlexikon
Bd. X.
2) Siehe Berling, Das Meißner Porzellan, 1900, S. 6.
:!) Und ebenso auch nicht Reinhard, wohl dem bisher gründ-
lichsten Durchforscher der auf Tschirnhausen bezüglichen Doku-
mente, wie aus seiner Arbeit, Tschirnhausen oder Böttger (Neues
Lausitzer Magazin, Bd. 88, 1912) hervorgeht.
4) Vergl. mein Buch: „Die Erfindung und Frühzeit des
Meißner Porzellans“, Berlin 1908, S. 17.
Aber in ihnen wurde nur gewöhnliches oder nach dem
Vorbild der benachbarten Länder Böhmen, Preußen und
Schlesien besseres Glas, das sogenannte „Kristallinglas“
hergestellt, das dann geschnitten oder geschliffen wurde,
doch niemals aus verschiedenartigen Flüssen zusammen-
gestelltes. Dagegen scheint man am Beginne des 19. Jahr-
hunderts plötzlich diese Ansicht gefaßt zu haben. So
gibt Berling in seinem 1900 erschienenen Werk über das
Meißner Porzellan6) eine im Besitz von Fräulein von
Posern in Dresden befindliche rot abschattierte Tasse in
Abbildung wieder, zugleich mit
einem gleichfalls in ihrem Besitz da-
mals noch vorhandenen Aktenstück,
nach welchem ein Herr gleichen
Namens in Pulsnitz in Sachsen
im Jahre 1818 dem Prinzen Frie-
drich von Sachsen zwei paarTassen
verehrt von dem „Porzellan des
H. von Tschirnhausen“, die Bei-
spiele seiner „allerersten glasartigen
Erfindung vor 1704“ wären und
die einzig noch gut erhaltenen
darstellen sollten. Berling schreibt
dieses Stück dann auf Grund
dieses Dokumentes Tschirnhausen
zu, trotzdem darin doch garnicht
von farbig gefärbten Gläsern die
Rede ist, es sich mithin auch auf
ganz anders geartete Stücke be-
ziehen kann. Die Beweiskraft des-
selben ist dahernurgering. Daneben
aber befindet sich in der Dresdner
Porzellansammlung (Abbildung 2)
seit 1878 eine ganz gleiche Tasse,
die damals als Geschenk des
Prinzen Georg von Sachsen in
diese gelangte, zu der ein für sie
bestimmtes, ni^ht ausgestelltes Lederfutteral gehört, auf
dem in goldenen gothischen Lettern gedruckt steht;
„Porzellan vom H. v. Tschirnhausen zu Kiesslingswalde
in der O. Lausitz verfertiget, vor der Böttgerschen Er-
findung von 1704“. Diese Tasse dürfte, da diese Auf-
schrift so merkwürdig mit den Angaben des Dokuments
bei Fräulein von Posern übereinstimmt, gewiß eine jener
von ihren Vorfahren 1818 den damaligen Prinzen Frie-
drich verehrten sein, welcher Zeit auch die Form der
Buchstaben der Aufschrift durchaus entspricht. Beweisen
tut aber auch dieses Dokument so gut wie garnichts,
da auch dieses sich auf eine Zeit von über hundert Jahre
nach Tschirnighausen bezieht, in welcher sich ja,
wie dies die ganze Geschichte des Meißner Porzellans
genugsam beweist, genug der Fabeln gebildet haben
6) Berling a. a. OS., S. 6.
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oon
Etmmet’tnann
I-J ekanntlich sind lange Zeit alle Arbeiten aus ver-
schieden gefärbten Glasflüssen, vor allem aber solche
in verschiedenartigen Spielarten von dunkelsiegellack-
artigem Rot, wofern man in ihnen nicht venezianische
Arbeiten des 16.-17. Jahrhunderts sah, dem bekannten
Mathematiker und Physiker Ehrenfried Walther von
Tschirnhausen zugeschrieben worden, dem Berater Böttgers
bei seinen alchymistischen Arbeiten, dann auch bei seinen
Porzellanerfindungsversuchen. Sogar ganze Sammlungen
von „Tschirnhausengläsern“ sind daraufhin zustande ge-
bracht worden. Dann aber erkannte
man, vor allem wohl durch Berlings
und Pazaureks Feststellungen, daß
ein großer Teil derselben, wenn
nicht der größte, von dem be-
kannten böhmischen Glaskünstler
Friedr. Egermann zu Hayda etwa
um die Wende des 18. Jahrhun-
derts1) hergestellt worden ist oder
von seinen Nachahmern, wofern sie
nicht ganz moderne Erzeugnisse
von Bunzlau, Radeberg (Sachsen)
oder Senftenberg2) sind. Von dem
rot abschattierten aber behielt man
noch immer einen großen Teil für
Tschirnhausen bei.
Ich glaube nun, daß in Wirk-
lichkeit die Sache so liegt, daß
man zur Zeit kein Recht hat,
Tschirnhausen auch nur ein ein-
ziges dieser Stücke zuzuschreiben,
ja daß er überhaupt nie derartige
vielfarbige Gläser hergestellt hat.
Denn worauf beruht eigentlich
diese Zuschreibung? Doch, da
mir trotz jahrzehntelanger Be-
schäftigung mit diesem Gebiet kein
einziges Dokument bekannt geworden ist,3 4 *) das eine
solche rechtfertigt, lediglich auf Tradition. Zwar hat
Tschirnhausen sich, wie feststeht, neben seinen auf
Grund des damaligen Merkantilsystems unternommenen
Bestrebungen, Sachsen eine eigene, vom Auslande un-
abhängige Industrie zu schaffen, auch viel mit der Glas-
industrie beschäftigt *) Er errichtete mehrere Glashütten.
r) Über Egermann siehe Thieme - Becker Künstlerlexikon
Bd. X.
2) Siehe Berling, Das Meißner Porzellan, 1900, S. 6.
:!) Und ebenso auch nicht Reinhard, wohl dem bisher gründ-
lichsten Durchforscher der auf Tschirnhausen bezüglichen Doku-
mente, wie aus seiner Arbeit, Tschirnhausen oder Böttger (Neues
Lausitzer Magazin, Bd. 88, 1912) hervorgeht.
4) Vergl. mein Buch: „Die Erfindung und Frühzeit des
Meißner Porzellans“, Berlin 1908, S. 17.
Aber in ihnen wurde nur gewöhnliches oder nach dem
Vorbild der benachbarten Länder Böhmen, Preußen und
Schlesien besseres Glas, das sogenannte „Kristallinglas“
hergestellt, das dann geschnitten oder geschliffen wurde,
doch niemals aus verschiedenartigen Flüssen zusammen-
gestelltes. Dagegen scheint man am Beginne des 19. Jahr-
hunderts plötzlich diese Ansicht gefaßt zu haben. So
gibt Berling in seinem 1900 erschienenen Werk über das
Meißner Porzellan6) eine im Besitz von Fräulein von
Posern in Dresden befindliche rot abschattierte Tasse in
Abbildung wieder, zugleich mit
einem gleichfalls in ihrem Besitz da-
mals noch vorhandenen Aktenstück,
nach welchem ein Herr gleichen
Namens in Pulsnitz in Sachsen
im Jahre 1818 dem Prinzen Frie-
drich von Sachsen zwei paarTassen
verehrt von dem „Porzellan des
H. von Tschirnhausen“, die Bei-
spiele seiner „allerersten glasartigen
Erfindung vor 1704“ wären und
die einzig noch gut erhaltenen
darstellen sollten. Berling schreibt
dieses Stück dann auf Grund
dieses Dokumentes Tschirnhausen
zu, trotzdem darin doch garnicht
von farbig gefärbten Gläsern die
Rede ist, es sich mithin auch auf
ganz anders geartete Stücke be-
ziehen kann. Die Beweiskraft des-
selben ist dahernurgering. Daneben
aber befindet sich in der Dresdner
Porzellansammlung (Abbildung 2)
seit 1878 eine ganz gleiche Tasse,
die damals als Geschenk des
Prinzen Georg von Sachsen in
diese gelangte, zu der ein für sie
bestimmtes, ni^ht ausgestelltes Lederfutteral gehört, auf
dem in goldenen gothischen Lettern gedruckt steht;
„Porzellan vom H. v. Tschirnhausen zu Kiesslingswalde
in der O. Lausitz verfertiget, vor der Böttgerschen Er-
findung von 1704“. Diese Tasse dürfte, da diese Auf-
schrift so merkwürdig mit den Angaben des Dokuments
bei Fräulein von Posern übereinstimmt, gewiß eine jener
von ihren Vorfahren 1818 den damaligen Prinzen Frie-
drich verehrten sein, welcher Zeit auch die Form der
Buchstaben der Aufschrift durchaus entspricht. Beweisen
tut aber auch dieses Dokument so gut wie garnichts,
da auch dieses sich auf eine Zeit von über hundert Jahre
nach Tschirnighausen bezieht, in welcher sich ja,
wie dies die ganze Geschichte des Meißner Porzellans
genugsam beweist, genug der Fabeln gebildet haben
6) Berling a. a. OS., S. 6.
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