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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 2.1920/​21

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2. Januarheft
DOI Artikel:
Widmer, Johannes: Die internationale Kunstausstellung in Genf
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0212

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Die internationale Kunliausffellung in Genf

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lobannes lÜidmeü

Es sickert durch, daß sie eine Vorstufe und Anbahnung
der für 1922 oder 1923 geplanten großen Pariser
Wehkunstrundschau sein soll.

Auf jeden Fall ist sie ein bedeutsames, umfängliches
Unternehmen. Da der Katalog teils hinter der Wirklichkeit
zurückbleibt, teils sie überbietet, so muß ich aufs
Ungefähre schätzen, daß um fünfzehnhundert Werke
sichtbar sind und daß man rund zwei Dutzend Staaten
vertreten findet. (Kuriosität; Irland ist von England
getrennt aufgeführt; auch sonst trifft man politisch-
persönliche Eigentümlichkeiten, so, daß man im Veizeichnis
gewiß Leute entdeckt, wo sie nicht hingehören, nämlich
da, wo sie, wenigstens gegenwärtig, hingehören möchten.)
Die Länder sind selbstverständlich, vom Wert abgesehen,
der Zahl nach sehr ungleichmäßig vertreten. Den Löwen-
anteil hat Frankreich, ihm folgen, wenn ich dem Sth-
gedächtnis folgen darf, Tschecho- und Jugoslavien,
Deutschland, Polen, Österreich, Holland, Belgien, Ruß-
land, Skandinavien. Stark vertreten ist Italien. Merk-
würdig schwach Großbritannien, die Vereinigten Staaten,
Japan. Wohl aber finden wir Armenien und
Luxemburg. Die Schweizer Künstler, namentlich die
Genfer, gerieten in Zwist mit der Ausstellungsleitung,
vornehmlich mit dem französischen Bildhauer Bou-
raine, und die wichtige Gruppe „Puits d ’ 0 r“
zog sich ganz zurück. Das ist sehr schade.

Es sei gleich gesagt, das Deutschland zwar
eine Anzahl guter Bilder da hat, als Ganzes aber keines-
wegs hervortritt. Wichtige Neue, Neuere und Neueste
sind völlig ausgeblieben, falls sie von der Veranstaltung
überhaupt Kenntnis hatten. Von den Ausstellern nennen
wir am besten alle, es sind: Ahlers-Hestermann,
Albert Bloch, Julius Bretz, Max Burchartz, Teö Champion (?),
F. C. Cuerten (?), H. M. Davringhausen, Hans Drexel,
Ewald Dülberg, Josef Eberz, Ernst Max, Otto Gleichmann,
Georg Gross, Erich Hartmann, Werner Heuser,
Charles Hofer, Louis Hompel, Marie Janssen,
Arthur Kaufmann, Jules Kaufmann, Paul Klee,
Hans May, Carl Mense, Wilhelm Morgner (1893—1918),
Heinrich Nauen, Karl Ewald Olszewski,
Walter Ophey, Max Pfeiffer, Franz Radziwill, Edwin Scharff,
Arthur Schlubert, Schnarrenberger, Georg Schrimpf,
Max Schulze, Alfred Sohn-Rethel, Carli Sohn-Rethel,
Walter Tanck, H. Y. Teichelt, Paul Thesing, Arnol Topp,
Adolf Uzarski, Otto von Waetjen, Johannes Wüsten.
Ich habe die Namen getreu wiedergegeben, übernehme
aber kein Gewähr, daß das Verzeichnis nach Zahl und
Rechtschreibung genau ist. Wo ich es nachprüfen kann,
im Kapitel Schweiz, enthält es verschiedene Fehler. Noch
sei bemerkt, daß Deutschlands Platz hier, wie auf der
Landkaite neben Frankreich, also sehr günstig ist. Auch
Österreich, das vornehmlich Faistauer, Kokoschka, Kolig,
Kubin, Nowak und Mopp (M. Oppenheimer) vertreten,

kann sich schwerlich über Ungunst der Veranstalter
beklagen. Diese haben ihren Kriegsgegnern gegenüber
großen Takt gezeigt.

* *

*

Natürlich steht Frankreich außer an der Zahl,
auch an Mannigfaltigkeit der Temperamente und alles in
allem auch an deren Werte obenan Nicht unbedingt.
Gewisse Schweizer, Deutsche, Polen, Italiener (Modigliani f)
machen den besten anwesenden Franzosen den ersten
Rang im Einzelnen, vielfach mit Erfolg, streitig. Unter
den Franzosen ragen hervor Aguett, Boussaingault,
Derain, Dufresne, Dufy, Doucet, Dourouge,
Girieud, Guerin, Lotiron, Marchand, Marie
Laurencin, Matisse, SSrusier, Signac, U t r i 11 e ,
Vaillard, Waroquier, Kisling, diese alle Maler;
Bernard, Bouraine, Bourdelle, Bildhauer.
Am meisten wird beachtet Marchand, der die Malerei
seines Landes mit runden, kecken, frohen Farbkernen
auf der Flächenfarbe auffrischen will, (Wäscherinnen am
Bach) und Derain, der sich an einem umfangreichen
Abendmahl versucht, dabei byzantinisch baut und gotisch-
cezannistisch malt. Die Anstrengungen beider sind mehr
löblich als überzeugend. Am gewinnendsten, weil auf
ihre so verschiedene Art am klarsten, sind immer noch
Matisse und Vuillard, wenigstens unter diesen
Ausstellern. Daneben erfreuen, ob auch hausbackener
im Stil, Boussaingault, Dufresne, Lotiron,
Utrillo, Kisling. Der emporsteigende Plastiker
Bouraine, der Genf soeben erst um ein gallischfeines,
aber auch persönlich nerviges und höchst unbefangenes,
d. h. national vorurteilsfreies sog. „Monument du Souvenir“
als vornehmen Ausdruck des Danks der Internierten
(der französischen Armeen in der Schweiz) an ihre
Schützerin bereichert hat, tritt ziemlich in den ersten
Rang. Doch eben, ein Neuer, C i 1 a d ’ A T r e , der mit so
hervorragenden Nachbarn in seiner Stadt Genf, mit
Angst und Vibert, und aus Zürich Hermann
Haller, ringt, strebt, noch kühner hinan, hat sich der
Tradition noch entschiedener entkleidet und scheint in
vieler Kenner Augen mit seinen beschwingten, sinnenden,
urweltlich-ekstatischen Gestalten den ersten Preis davon-
zutia,en. Cila d’Ai're, mit dem wahren Namen
R o 1 a n d o , ist Schweizer, hat aber französisches und
italienisches Blut in den Adern.

Da bin ich schon halb in die „Schwei z“
hineingeraten. Da bestätigen außer Giacometti,
Gimmi, Forestier, zwei Basler hohe Könnerschaft;
Niklaus Stöcklin und A. H. P e 11 e g r i n i. Der
eine, Stöcklin, erinnert an Konrad Wiß für den
Raum, an frühe Holländer für Figur, Farbe, Leben,

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