Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 2.1920/21
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0195
DOI Heft:
1. Januarheft
DOI Artikel:Grautoff, Otto: Ein neues Werk von Nicolas Poussin
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sich nur an den Rändern Spuren von Übermalung.
J. Daulle hat das Gemälde 1760 gestochen. Nach diesem
Stich hat Landon 1803 in seinem Werk: „Vie des oeuvres
des peintres les plus c61£bres . . .“ eine Umrißzeichnung
von Soyer veröffentlicht. In Andresens Verzeichnis der
Kupferstiche nach Poussins Gemälden ist es unter Nr. 357
erwähnt und beschrieben. Nach Smith, A catalogue
raisonnö . . . Bd. III Nr. 231 hat sich das Bild ehemals
im Palazzo Falconieri befunden und wurde 1815 in einer
Versteigerung von Mr. Philips verkauft. Die weiteren
Schicksale des Bildes lassen sich zur Zeit nicht fest-
stellen. Ich erinnere mich, daß mir in der National-
Gallery, die seit 1831 einen skizzenhaften Ausschnitt aus
diesem Bilde besitzt, von diesem größeren Gemälde ge-
sprochen wurde. Man konnte mir damals aber nicht den
Besitzer angeben Es war, wie ich jetzt erfahren habe,
aren zeigen die Selbständigkeit des Franzosen gegen-
über dem Venetianer. Poussin blieb mitten im barocken
Rom der Stimme seines Blutes treu, ln keinem Bilde
dieser Periode ist die Einheit von Figuren und Land-
schaft so wundervoll durchgeführt. Der Amor mit der
Taube, der durch die Baumstämme blickende Faun, die
beiden Faune, rechts im Mittelplan führen stufenweise
in die Tiefe. Im Hintergrund leuchtet das Abendrot
goldig auf und schafft einen Glorienschein, der über dem
heiß bewundernden Faun steht. Schon auf der Photo-
graphie wirkt reizvoll, wie alles Formale in zartester
Weise geistig begründet ist. Und doch ist die Abbildung
nur ein kümmerlicher Notbehelf für das Original, in dem
die Farben die Komposition zuitUKlingen - bringen. In
dem Gesang der Farben taucht die rationalistische Be-
rechnung der Komposition unter. Die Körper schwellen
der inzwischen verstorbene George Wickham auf Schloß
Stonewall in Limpsfield in der Grafschaft Surrey, dessen
Nachlaß am 2. VI. 1919 bei Christie in London ver-
steigert worden ist. Nach dieser Auktion gelangte das
Bild nach Italien. Aus Italien erwarb es der jetzige Be-
sitzer.
Dieses Gemälde ist neben dem „Bacchanale mit der
Lautenspielerin“ zweifellos das schönste Werk aus
Poussins tizianischer Epoche. Der kleine, Londoner
Ausschnitt verschwindet hinter dieser Komposition. Beide
Bilder sind im Anschluß an Tizians „Jupiter und Antiope“
im Louvre entstanden. Das grazilere Körperideal der
Frau, die straffere Spannung der Muskeln und der Epi-
dermis, die merkwürdige Verbindung zwischen Zartheit
und Leidenschaft, die langen, schmalen Finger, die durch
die malerische Gestaltung schimmernde Freude am Line-
auf. Die Landschaft blüht. Der Himmel glüht. Hell
leuchtet der blonde Frauenakt auf dem Tuch, in dem
milch-weiße und Eau de Cologne-Töne gemischt sind.
Darüber heben sich die Baumstämme in veroneser Grün.
Teilweise versinken diese Farben in stumpfen Schatten,
teilweise gehen sie über in gebräuntes Blond, und in
Umbra. Aus diesen Farben heben sich die männlichen
Akte teils tieforange, teils in Terra pozzuoli heraus. In
gedämpftem Gold liegt Licht auf Schulter und Arm des
vorderen Faunes, das zu prachtvollem Goldgelb am
Himmel gesteigert ist. So wogt es hin und her vom
Dunklen ins Helle und wieder zurück vom milchweißen
Licht in den umbrafarbenen Schatten. Poussins
schwärmende Phantasie hat in diesem landschaftlichen
Rahmen ein Bacchanal geschaffen, das in die Reihe der
schönsten Gemälde des XVII. Jahrhunderts gehört.
187
J. Daulle hat das Gemälde 1760 gestochen. Nach diesem
Stich hat Landon 1803 in seinem Werk: „Vie des oeuvres
des peintres les plus c61£bres . . .“ eine Umrißzeichnung
von Soyer veröffentlicht. In Andresens Verzeichnis der
Kupferstiche nach Poussins Gemälden ist es unter Nr. 357
erwähnt und beschrieben. Nach Smith, A catalogue
raisonnö . . . Bd. III Nr. 231 hat sich das Bild ehemals
im Palazzo Falconieri befunden und wurde 1815 in einer
Versteigerung von Mr. Philips verkauft. Die weiteren
Schicksale des Bildes lassen sich zur Zeit nicht fest-
stellen. Ich erinnere mich, daß mir in der National-
Gallery, die seit 1831 einen skizzenhaften Ausschnitt aus
diesem Bilde besitzt, von diesem größeren Gemälde ge-
sprochen wurde. Man konnte mir damals aber nicht den
Besitzer angeben Es war, wie ich jetzt erfahren habe,
aren zeigen die Selbständigkeit des Franzosen gegen-
über dem Venetianer. Poussin blieb mitten im barocken
Rom der Stimme seines Blutes treu, ln keinem Bilde
dieser Periode ist die Einheit von Figuren und Land-
schaft so wundervoll durchgeführt. Der Amor mit der
Taube, der durch die Baumstämme blickende Faun, die
beiden Faune, rechts im Mittelplan führen stufenweise
in die Tiefe. Im Hintergrund leuchtet das Abendrot
goldig auf und schafft einen Glorienschein, der über dem
heiß bewundernden Faun steht. Schon auf der Photo-
graphie wirkt reizvoll, wie alles Formale in zartester
Weise geistig begründet ist. Und doch ist die Abbildung
nur ein kümmerlicher Notbehelf für das Original, in dem
die Farben die Komposition zuitUKlingen - bringen. In
dem Gesang der Farben taucht die rationalistische Be-
rechnung der Komposition unter. Die Körper schwellen
der inzwischen verstorbene George Wickham auf Schloß
Stonewall in Limpsfield in der Grafschaft Surrey, dessen
Nachlaß am 2. VI. 1919 bei Christie in London ver-
steigert worden ist. Nach dieser Auktion gelangte das
Bild nach Italien. Aus Italien erwarb es der jetzige Be-
sitzer.
Dieses Gemälde ist neben dem „Bacchanale mit der
Lautenspielerin“ zweifellos das schönste Werk aus
Poussins tizianischer Epoche. Der kleine, Londoner
Ausschnitt verschwindet hinter dieser Komposition. Beide
Bilder sind im Anschluß an Tizians „Jupiter und Antiope“
im Louvre entstanden. Das grazilere Körperideal der
Frau, die straffere Spannung der Muskeln und der Epi-
dermis, die merkwürdige Verbindung zwischen Zartheit
und Leidenschaft, die langen, schmalen Finger, die durch
die malerische Gestaltung schimmernde Freude am Line-
auf. Die Landschaft blüht. Der Himmel glüht. Hell
leuchtet der blonde Frauenakt auf dem Tuch, in dem
milch-weiße und Eau de Cologne-Töne gemischt sind.
Darüber heben sich die Baumstämme in veroneser Grün.
Teilweise versinken diese Farben in stumpfen Schatten,
teilweise gehen sie über in gebräuntes Blond, und in
Umbra. Aus diesen Farben heben sich die männlichen
Akte teils tieforange, teils in Terra pozzuoli heraus. In
gedämpftem Gold liegt Licht auf Schulter und Arm des
vorderen Faunes, das zu prachtvollem Goldgelb am
Himmel gesteigert ist. So wogt es hin und her vom
Dunklen ins Helle und wieder zurück vom milchweißen
Licht in den umbrafarbenen Schatten. Poussins
schwärmende Phantasie hat in diesem landschaftlichen
Rahmen ein Bacchanal geschaffen, das in die Reihe der
schönsten Gemälde des XVII. Jahrhunderts gehört.
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