Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 2.1920/21
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0320
DOI issue:
2. Märzheft
DOI article:Schmitz, Hermann: Rumohr und die neuere Kunstwissenschaft: zur Neuausgabe seiner "Italienischen Forschungen"
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Herrschaft gesetzmäßiger räumlicher Verhältnisse — führt
er aus — regelt auf den frühesten Stufen der Kunst den
Stil nicht nur der Architektur sondern auch der Bildnerei
und der Malerei. Dieser Hauptgedanke beleuchtet
besonders klar, wie in diesem Zeitpunkt der Forschung
das Verständnis für das tektonisch gebundene Wesen
der mittelalterlichen Malerei und Plastik aufgegangen ist.*)
Was;Rumohr für Italien, das leisteten gleichzeitig oder
wenig später Sulpiz Boisseree, Schnaase, Kugler und
Waagen für Deutschland.
Julius von Schlosser, der um unsere
Forschung hochverdiente Direktor des Wiener Kunst-
historischen Museums, hat in der Einleitung zu der Neu-
ausgabe in kurzen Zügen die Stellung Rumohrs in der
Kunstgeschichte, sein Verhältnis zu der älteren Literatur
und Forschung, sowie sein Nachwirken bis zu Lermolieff,
Burckhardt, Bode und anderen Forschern der italienischen
Kunst treffend gekennzeichnet. Der knappe Aufsatz ver-
dient von allen Kunstforschern, die sich für die Ent-
wicklungsgeschichte unserer Wissenschaft interessieren,
!) Andeutungen in dieser Richtung enthält übrigens schon
Goethes Abhandlung über die Sammlung Boisseree in der Reise
am Rhein, Main und Neckar (1814/1815), wo von der Symmetrie
der Byzantiner die Rede ist. — Rumohr führt geradezu aus, daß
die Herrschaft der Baukunst auf den frühen Stufen der Kunst die
Bildungsgesetze diktiert. Dieser Gedanke ist oft zur Erklärung
der Entstehung des mittelalterlichen Stils in der Malerei und
Plastik wiederholt worden. Die tiefere Ursache liegt allerdings
darin, daß die darstellenden Künstler auf diesen Anfangsstufen
mehr die tektonischen Seiten der Natur auffassen, wie sich an
der Entwicklung des streng ornamentalen Zeichenstils in der
deutschen Malerei des 11. und 12. Jahrh. besonders deutlich be-
obachten läßt. In dem Buche „die mittelalterliche Malerei in
Soest“ (1906) ist dieser Sachverhalt von mir eingehend dargestellt
worden.
gelesen zu werden. Allein, indem der Hauptheld in das
Licht rückt, das ihm zukommt, fallen auf andere Forscher
Schatten, die wir nicht entdecken können. Die Ent-
wicklung wird hier allzusehr auf eine Linie gebracht.
Daß Schnaase Rumohr’sche Gedanken „mit längerem
Atem“ ausgeführt habe, ist nicht der Fall. Die Schnaase-
schen Bände, die das Mittelalter betreffen, sind nicht nur
die bis heute glänzendste zusammenfassende Darstellung
dieses Gegenstandes, sondern sie stellen auch natürlich
einen ganz bedeutenden Fortschritt hinsichtlich des Tat-
sächlichen wie der Anschauung dar; man vergleiche nur
die völlig embryonalen Ansichten Rumohr’s über den
„germanischen Stil“ des Mittelalters, die Gotik, mit den
Schnaaseschen Abschnitten darüber. Ebenso sind
wenigstens Lübkes frühere Werke, wie die Mittelalterliche
Kunst in Westfalen, dieses Meisterwerk einer landschaft-
lich umgrenzten Kunstgeschichte, und die Geschichte der
Plastik denn doch etwas Anderes als bloße Ausführungen
Rumohr’scher Grundgedanken mit längerem Atem. Vollends
ist Gottfried Sempers „Stil“, eine völlig originale, aus
der künstlerischen Praxis hervorgegangene, durchgängig
auf eigenen Beobachtungen und Gedanken beruhende
Betrachtung über die Stilbildung in der Architektur und
in dem Kunsthandwerk, die lebensvolle Schöpfung einer
großen Künstlerpersönlichkeit. Diese Bemerkungen halte
ich bei zufällig genauer Bekanntschaft mit der älteren
Literatur für notwendig, da sich allzuleicht unsere, auf
Schulen und Richtungen genugsam eingeschworenen
Wissenschaftler, namentlich die heranwachsenden, aus
den von so gewichtigem Munde kommenden Andeutungen
Vorurteile bilden könnten, die sie womöglich von der
Lektüre solcher grundlegenden, lehr- und genußreichen
Meisterwerke unserer älteren Kunstgeschichtsschreibung
abhalten.
Dürer,
Aus der Folge „Die kleine Passion“
B. 16-52
Auktion Busch, Frankfurt a. M.,
durch Joseph Baer & Co.,
C. Lang und C. G. Boerner
312
er aus — regelt auf den frühesten Stufen der Kunst den
Stil nicht nur der Architektur sondern auch der Bildnerei
und der Malerei. Dieser Hauptgedanke beleuchtet
besonders klar, wie in diesem Zeitpunkt der Forschung
das Verständnis für das tektonisch gebundene Wesen
der mittelalterlichen Malerei und Plastik aufgegangen ist.*)
Was;Rumohr für Italien, das leisteten gleichzeitig oder
wenig später Sulpiz Boisseree, Schnaase, Kugler und
Waagen für Deutschland.
Julius von Schlosser, der um unsere
Forschung hochverdiente Direktor des Wiener Kunst-
historischen Museums, hat in der Einleitung zu der Neu-
ausgabe in kurzen Zügen die Stellung Rumohrs in der
Kunstgeschichte, sein Verhältnis zu der älteren Literatur
und Forschung, sowie sein Nachwirken bis zu Lermolieff,
Burckhardt, Bode und anderen Forschern der italienischen
Kunst treffend gekennzeichnet. Der knappe Aufsatz ver-
dient von allen Kunstforschern, die sich für die Ent-
wicklungsgeschichte unserer Wissenschaft interessieren,
!) Andeutungen in dieser Richtung enthält übrigens schon
Goethes Abhandlung über die Sammlung Boisseree in der Reise
am Rhein, Main und Neckar (1814/1815), wo von der Symmetrie
der Byzantiner die Rede ist. — Rumohr führt geradezu aus, daß
die Herrschaft der Baukunst auf den frühen Stufen der Kunst die
Bildungsgesetze diktiert. Dieser Gedanke ist oft zur Erklärung
der Entstehung des mittelalterlichen Stils in der Malerei und
Plastik wiederholt worden. Die tiefere Ursache liegt allerdings
darin, daß die darstellenden Künstler auf diesen Anfangsstufen
mehr die tektonischen Seiten der Natur auffassen, wie sich an
der Entwicklung des streng ornamentalen Zeichenstils in der
deutschen Malerei des 11. und 12. Jahrh. besonders deutlich be-
obachten läßt. In dem Buche „die mittelalterliche Malerei in
Soest“ (1906) ist dieser Sachverhalt von mir eingehend dargestellt
worden.
gelesen zu werden. Allein, indem der Hauptheld in das
Licht rückt, das ihm zukommt, fallen auf andere Forscher
Schatten, die wir nicht entdecken können. Die Ent-
wicklung wird hier allzusehr auf eine Linie gebracht.
Daß Schnaase Rumohr’sche Gedanken „mit längerem
Atem“ ausgeführt habe, ist nicht der Fall. Die Schnaase-
schen Bände, die das Mittelalter betreffen, sind nicht nur
die bis heute glänzendste zusammenfassende Darstellung
dieses Gegenstandes, sondern sie stellen auch natürlich
einen ganz bedeutenden Fortschritt hinsichtlich des Tat-
sächlichen wie der Anschauung dar; man vergleiche nur
die völlig embryonalen Ansichten Rumohr’s über den
„germanischen Stil“ des Mittelalters, die Gotik, mit den
Schnaaseschen Abschnitten darüber. Ebenso sind
wenigstens Lübkes frühere Werke, wie die Mittelalterliche
Kunst in Westfalen, dieses Meisterwerk einer landschaft-
lich umgrenzten Kunstgeschichte, und die Geschichte der
Plastik denn doch etwas Anderes als bloße Ausführungen
Rumohr’scher Grundgedanken mit längerem Atem. Vollends
ist Gottfried Sempers „Stil“, eine völlig originale, aus
der künstlerischen Praxis hervorgegangene, durchgängig
auf eigenen Beobachtungen und Gedanken beruhende
Betrachtung über die Stilbildung in der Architektur und
in dem Kunsthandwerk, die lebensvolle Schöpfung einer
großen Künstlerpersönlichkeit. Diese Bemerkungen halte
ich bei zufällig genauer Bekanntschaft mit der älteren
Literatur für notwendig, da sich allzuleicht unsere, auf
Schulen und Richtungen genugsam eingeschworenen
Wissenschaftler, namentlich die heranwachsenden, aus
den von so gewichtigem Munde kommenden Andeutungen
Vorurteile bilden könnten, die sie womöglich von der
Lektüre solcher grundlegenden, lehr- und genußreichen
Meisterwerke unserer älteren Kunstgeschichtsschreibung
abhalten.
Dürer,
Aus der Folge „Die kleine Passion“
B. 16-52
Auktion Busch, Frankfurt a. M.,
durch Joseph Baer & Co.,
C. Lang und C. G. Boerner
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