Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 2.1920/​21

DOI Heft:
1./2. Juniheft
DOI Artikel:
Schweinfurth, Philipp: Der russische Graphiker Masiutin
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0412

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Masiutin, Manifestation

vergessen läßt. Drei Jahre später ist, in Anlehnung an
die frühe Serie der Todsünden, „Der Stolz“ entstanden.
Man könnte dieses Blatt auch „Den Hof“ oder „Die
Dynastie“ benennen und mit einiger Abweichung von
den Angaben des Katalogs interpretieren. Im Hinter-
gründe der Darstellung werden Paläste, Schiffe, weite
Dimensionen und ein hoher fahler Himmel sichtbar —
das ist Petersburg, „les proportions colossales de chez
nous.“ Davor reckt sich, wie berauscht vom Vollgefühl
seiner großen Herrlichkeit, mit superbem Grinsen, ein
mächtiges Ungeheuer in die Höhe. Sein Kopf ist mit
einer Perrücke geziert, eine kropfartige scheußliche
Geschwulst an seinem Halse wird von einem Orden an
seidenem Bande verdeckt. Um diese „Dynastie“ herum
steht eine Gruppe von Hofleuten, die unauffällig, mit
vollendeter Geschmeidigkeit, das Tier an eleganten
Bändern lenken, welches ihnen allen gnädigst Gold
gebärt.

Der zu einem Ex-libris verarbeitete „Junge Bonze“
ist in mancher Hinsicht gewissen Blättern der „Caprichos“
verwandt, er ist ein Vetter des Pfaffengeschmeißes der
„Duendecitos“, wenngleich auch ein ganz anders ge-
arteter.

Die Atrophie des Büchermenschen ist hier in
feinem unnachahmlichen Gemisch von Spott und Mitleid
beobachtet. Der verbogene Arm — in seinem sanftem
Eigensinn das bewußte Gegenteil alles Normalen und

Freilebendigen — die Maulwurfspfote, der starrende
kleine pig-tait, schließlich der Zug um die Oberlippe,
welcher ein ganzes Schicksal einzuschließen scheint •—
eine so völlig selbständige Erfindung erlaubt mehr von
einer gewissen Verwandtschaft mit Goya, anstatt von
einer Nachahmung zu reden. In der „Wahl des Geschenks“
zeigt sich Masiutin als der Zeichner von hohem Range, der
er ist.

Meisterhaft, wie inmitten dieser verbogenen Linien
die Klappfüße des Schaukastens hineingezeichnet sind,
und dabei ist das Ganze dieser Verrenkung ein
umfassendes Symbol: Die grenzenlose Langweile der
Welt, über die ein leiser Schimmer der Schönheit
gebreitet ist. —

Zu den vollendetsten Blättern, die der Künstler ge-
schaffen hat, gehört „Hazard", eine reine Ätzung. Die
dünnen, fast wie Kaltnadelstriche anmutenden flüchtigen
Linien erhöhen den Charakter des Schreckhaften. Welch
ein Teufel!

Eine triumphierende Bestie, dieser Bastard
einer Großfürstin und eines baschkirischen Leibkutschers,
die sich inmitten ihrer Opfer aufreckt. Die graphische
Qualität dieses süperben Blattes wird durch die
remaraue vollendet, deren weicher Ton die schnei-
dende Schärfe der Linien des Bildes doppelt hervor-
treten läßt. —

Ein Künstler von so mächtiger innerer Vision wird
nur in seltenen Fällen unmittelbare Wirklichkeit in den

Masiutin, In der Bukowina

404
 
Annotationen