Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 2.1920/21
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0413
DOI Heft:
1./2. Juniheft
DOI Artikel:Schweinfurth, Philipp: Der russische Graphiker Masiutin
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0413
Kreis seiner Darstellung ziehen. In der Tat sind Blätter
wie „In der Bukowina“ oder „Die Sieger“ mit ihrer
direkten Wiedergabe von Volks- oder Revolutionstypen
bei Masiutin äußerst selten, so daß es eigentlich ein
Widerspruch ist, zwei davon in dieser höchst beschränkten
Auswahl zu bringen. Die Wirklichkeit ist auch in der
„Manifestation“ nur mittelbar gebracht, in diesem mächtigen
Blatte voll dunkler Gewalt, mit der amorphen, drängenden
menschlichen Masse, über deren Hungergefühlen die
Blutfarbe weht.
Das bereits wegen seines prächtigen Kupfer-
charakters und der Schönheit seiner Strichlagen
erwähnte Blatt „Zwei und Fünf“ gehört zu den
Illustrationen des Geizes aus der großen Serie der Tod-
sünden von 1918.
Vielleicht wird man sich darüber wundern, daß in
den Darstellungen Masiutins nur wenige Typen auf den
ersten Blick als russische auffallen. In der Tat, vielen
seiner Gestalten glaubt man eher in München oder in
Brüssel begegnet zu sein, als in Moskau, allenfalls passen
sie nach Petersburg. Dabei hat sich der Künstler bis
zu seiner letzthin erfolgten Übersiedlung nach Riga nie
außerhalb der Grenzen Rußlands bewegt und den größten
Teil seiner Werke in Moskau geschaffen. So muß man
wohl annehmen, daß er durch das Studium der west-
europäischen Graphik, das er sehr gründlich betrieben
hat, zu dieser Verallgemeinerung gekommen ist. Sie ist
Masiutin, Wahl des Geschenks
eine ganz oberflächliche, da seine Kunst im Inneren
russisch geartet ist, in ihrem Zug ins Große, der sinn-
lichen Kraft ihrer Linienführung und der Macht ihrer
Darstellung.
Das schöne Blatt „ Schmerzen" konnte nur
von einem Russen geschaffen werden. Auch diese
Schöpfung legt von neuem Zeugnis ab von der großen
inneren Leidenschaft seines Weltbildes, welche aus
Masiutin einen Graphiker gemacht hat. Der Künstler
hat seinen Weg übrigens nicht ohne Mühe gefunden.
Er ist ursprünglich in einem Kadettenkorps erzogen
worden und war einige Jahre in Moskau aktiver Offizier.
1907 verließ er den Dienst, 1908 stellte er in Moskau
zum erstenmal aus. Krieg und Revolution haben seine
Arbeit verschiedentlich unterbrochen; seit Beginn dieses
Jahres befindet er sich außerhalb seines Vaterlandes.
Doch scheint Masiutin zu denjenigen glücklichen Naturen
zu gehören, deren Energie durch äußere Widerwärtig-
keiten angefeuert wird; außerdem ist er als wirklicher
Künstler in seinem Innersten von ihnen wahrscheinlich
unberührbar.
Sein stets wacher Geist ist nach allen
Seiten, auch dichterisch, tätig. Der 37 jährige
steht auf der Höhe des Lebens, in einer Phase der
reifen Entfaltung, im Begriff das Beste zu geben.
Man hat den Eindruck, daß er seiner Sache gewiß
ist.
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wie „In der Bukowina“ oder „Die Sieger“ mit ihrer
direkten Wiedergabe von Volks- oder Revolutionstypen
bei Masiutin äußerst selten, so daß es eigentlich ein
Widerspruch ist, zwei davon in dieser höchst beschränkten
Auswahl zu bringen. Die Wirklichkeit ist auch in der
„Manifestation“ nur mittelbar gebracht, in diesem mächtigen
Blatte voll dunkler Gewalt, mit der amorphen, drängenden
menschlichen Masse, über deren Hungergefühlen die
Blutfarbe weht.
Das bereits wegen seines prächtigen Kupfer-
charakters und der Schönheit seiner Strichlagen
erwähnte Blatt „Zwei und Fünf“ gehört zu den
Illustrationen des Geizes aus der großen Serie der Tod-
sünden von 1918.
Vielleicht wird man sich darüber wundern, daß in
den Darstellungen Masiutins nur wenige Typen auf den
ersten Blick als russische auffallen. In der Tat, vielen
seiner Gestalten glaubt man eher in München oder in
Brüssel begegnet zu sein, als in Moskau, allenfalls passen
sie nach Petersburg. Dabei hat sich der Künstler bis
zu seiner letzthin erfolgten Übersiedlung nach Riga nie
außerhalb der Grenzen Rußlands bewegt und den größten
Teil seiner Werke in Moskau geschaffen. So muß man
wohl annehmen, daß er durch das Studium der west-
europäischen Graphik, das er sehr gründlich betrieben
hat, zu dieser Verallgemeinerung gekommen ist. Sie ist
Masiutin, Wahl des Geschenks
eine ganz oberflächliche, da seine Kunst im Inneren
russisch geartet ist, in ihrem Zug ins Große, der sinn-
lichen Kraft ihrer Linienführung und der Macht ihrer
Darstellung.
Das schöne Blatt „ Schmerzen" konnte nur
von einem Russen geschaffen werden. Auch diese
Schöpfung legt von neuem Zeugnis ab von der großen
inneren Leidenschaft seines Weltbildes, welche aus
Masiutin einen Graphiker gemacht hat. Der Künstler
hat seinen Weg übrigens nicht ohne Mühe gefunden.
Er ist ursprünglich in einem Kadettenkorps erzogen
worden und war einige Jahre in Moskau aktiver Offizier.
1907 verließ er den Dienst, 1908 stellte er in Moskau
zum erstenmal aus. Krieg und Revolution haben seine
Arbeit verschiedentlich unterbrochen; seit Beginn dieses
Jahres befindet er sich außerhalb seines Vaterlandes.
Doch scheint Masiutin zu denjenigen glücklichen Naturen
zu gehören, deren Energie durch äußere Widerwärtig-
keiten angefeuert wird; außerdem ist er als wirklicher
Künstler in seinem Innersten von ihnen wahrscheinlich
unberührbar.
Sein stets wacher Geist ist nach allen
Seiten, auch dichterisch, tätig. Der 37 jährige
steht auf der Höhe des Lebens, in einer Phase der
reifen Entfaltung, im Begriff das Beste zu geben.
Man hat den Eindruck, daß er seiner Sache gewiß
ist.
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