Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 2.1920/21
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https://doi.org/10.11588/diglit.27814#0433
DOI Heft:
1. Juliheft
DOI Artikel:Schneider, Friedrich: Dante in Germania
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$triert. Eine eigentlich geniale Illustration des Werkes
steht noch aus. Dante hat der Kunst immer eine Auf-
gabe gestellt, aber wie unendlich viel hat die Kunst noch
aus dieser ungeheueren Schöpfung des Dichters heraus-
zuholen !
* *
Es war vorauszusehen, daß das große Dantejahr die
Aufmerksamkeit der Künstler wieder auf Dante lenken
würde. Vielleicht daß die große weltgeschichtliche Epoche,
an deren Anfang wir zu stehen scheinen, immer mehr
guf Dante hinweist, um erlesene Geister zur Beschäfti-
gung mit dem unsterblichen Florentiner einzuladen.
Bereits melden sich neue Dante-Illustratoren, die nach
diesem Höchsten greifen.
Für die kindliche Schilderei der Miniatoren ist einzig
die vertraute Glaubenswelt des Gedichtes faßbar und
darstellenswert, dünkt den Modernen mit Recht.7) Ein
Botticelli nimmt vorwiegend das krause Rankenwerk von
Dantes Phantasie unter seinen märchenzarten Griffel.
Michelangelo und Rafael holen lediglich Einzelgestalten
und -Szenen in ihre Visionen der Sixtina und der Stanzen
hinüber; Barock und Rokoko kleiden das traumhafte
Geschehen in allzu greifbare Sinnlichkeit. Im 19. Jahr-
hundert haben Romantiker, Klassizisten und geniale und
nichtgeniale Pedanten an dem unfaßbaren Stoff ihre
Kräfte versucht. Einzelnes davon wird immer bleiben!
Der 55 jährige Marquis Franz von Bayros tritt jetzt
mit über einem Hundert Aquarellen in die Reihe der
Dante-Illustratoren. In einer Luxusausgabe prächtigster
Art liegen uns die Farbenbilder nach den Original-
aquarellen vor. Sie sind eingefügt in die drei Cantichen,
von denen die Hölle grün, das Fegefeuer blau und der
Himmel rot gedruckt sind.
Wer Dantes Werk illustrieren oder eine Illustration
beurteilen will, muß sich von vornherein dem Wanderer
’) Aus dem Vorwort der Prachtausgabe der Göttlichen
Komödie des Amalthea-Verlages in Leipzig, Wien und Zürich
1921. Die Ausgabe stellt den italienischen Wortlaut und die
heute noch unübertroffene deutsche Übersetzung von Gildemeister
gegenüber. 60 Farbenbilder nach Originalaquarellen von Franz
von Bayros schmücken die Ausgabe. Näheres im Text.
vergleichen, der gewillt ist, den höchsten Berggipfel der
Erkenntnis zu besteigen, trotzdem er weiß, daß er be-
stimmt in den Abgrund stürzt, ehe er das Ziel erreicht.
Er muß ferner wissen, welchen Augenblick der Danteschen
Jenseitswanderung der Künstler darstellen will: er muß
überhaupt soviel wie möglich Dantist sein! Auch dann
noch wird sich die Auffassung des Illustrators und des
Betrachters nicht vollständig und nicht von vornherein
decken. Aber sie wird in jedem Falle zu Dante hin-
führen. Auch wer nur nach der Ausgabe greifen würde,
um Franz von Bayros zu genießen, den echten Vertreter
südlicher und nordischer Mischkultur, wird bei einzelnen
Blättern sofort das Vorüberrauschen dantesker Bilder
verspüren. Der Künstler hat nicht nur das landläufig
Große und Grandiose, sondern auch das unendlich Zarte
und Helle der Komödie, das Licht der Sphären hervor-
zuzaubern gewußt. Gelehrte und Ästheten werden sich
gern und nachhaltig mit den Illustrationen Franz von
Bayros’ auseinandersetzen, der auch in der Auswahl der
dargestellten Szenen teilweise neue und glückliche
Wege geht.
Nach den Entwürfen Botticellis, die den
Zeichnern der ersten illustrierten Ausgaben in Florenz,
Brescia und Venedig als Vorlagen dienten, sollen
142 Illustrationen die Wittesche Übersetzung8) der Gött-
lichen Komödie als Liebhaberausgabe schmücken. Max
von Boehn will weiter in einem besonderen Abschnitt
des Werkes eine Art Dante-Galerie geben, die sich mit
den äußeren Erscheinungen der Dante-Ikonographie
befaßt.
Botticellis Zeichnungen befinden sich im Kupfer-
stichkabinett in Berlin. Die Dantefeier der
Reichshauptstadt — Adolf von H a r n a c k und Ernst
T r o e 11 s c h waren die Redner — lenkte aller Blicke
auf sich. Möge auch von ihr neue Anregung für die
Kunstwissenschaft und die Danteforschung ausgehen und
von neuem der Beweis erbracht werden, in welchen großen
Ausmaßen sich Deutschland mit dem Genius beschäftigt.
Scartazzini drückte es in drei Worten aus, die seitdem ihren
stolzen Klang bewahrt haben: Dante in Germania.9)
8) Liebhaberausgabe des Askanischen Verlags in Berlin 1921.
,J) Titel eines weitbekannten Werkes des berühmten Forschers.
Franz Paczka,
Dante
Algraphie
Kunstverlag
Amsler und Ruthardt
Berlin
425
steht noch aus. Dante hat der Kunst immer eine Auf-
gabe gestellt, aber wie unendlich viel hat die Kunst noch
aus dieser ungeheueren Schöpfung des Dichters heraus-
zuholen !
* *
Es war vorauszusehen, daß das große Dantejahr die
Aufmerksamkeit der Künstler wieder auf Dante lenken
würde. Vielleicht daß die große weltgeschichtliche Epoche,
an deren Anfang wir zu stehen scheinen, immer mehr
guf Dante hinweist, um erlesene Geister zur Beschäfti-
gung mit dem unsterblichen Florentiner einzuladen.
Bereits melden sich neue Dante-Illustratoren, die nach
diesem Höchsten greifen.
Für die kindliche Schilderei der Miniatoren ist einzig
die vertraute Glaubenswelt des Gedichtes faßbar und
darstellenswert, dünkt den Modernen mit Recht.7) Ein
Botticelli nimmt vorwiegend das krause Rankenwerk von
Dantes Phantasie unter seinen märchenzarten Griffel.
Michelangelo und Rafael holen lediglich Einzelgestalten
und -Szenen in ihre Visionen der Sixtina und der Stanzen
hinüber; Barock und Rokoko kleiden das traumhafte
Geschehen in allzu greifbare Sinnlichkeit. Im 19. Jahr-
hundert haben Romantiker, Klassizisten und geniale und
nichtgeniale Pedanten an dem unfaßbaren Stoff ihre
Kräfte versucht. Einzelnes davon wird immer bleiben!
Der 55 jährige Marquis Franz von Bayros tritt jetzt
mit über einem Hundert Aquarellen in die Reihe der
Dante-Illustratoren. In einer Luxusausgabe prächtigster
Art liegen uns die Farbenbilder nach den Original-
aquarellen vor. Sie sind eingefügt in die drei Cantichen,
von denen die Hölle grün, das Fegefeuer blau und der
Himmel rot gedruckt sind.
Wer Dantes Werk illustrieren oder eine Illustration
beurteilen will, muß sich von vornherein dem Wanderer
’) Aus dem Vorwort der Prachtausgabe der Göttlichen
Komödie des Amalthea-Verlages in Leipzig, Wien und Zürich
1921. Die Ausgabe stellt den italienischen Wortlaut und die
heute noch unübertroffene deutsche Übersetzung von Gildemeister
gegenüber. 60 Farbenbilder nach Originalaquarellen von Franz
von Bayros schmücken die Ausgabe. Näheres im Text.
vergleichen, der gewillt ist, den höchsten Berggipfel der
Erkenntnis zu besteigen, trotzdem er weiß, daß er be-
stimmt in den Abgrund stürzt, ehe er das Ziel erreicht.
Er muß ferner wissen, welchen Augenblick der Danteschen
Jenseitswanderung der Künstler darstellen will: er muß
überhaupt soviel wie möglich Dantist sein! Auch dann
noch wird sich die Auffassung des Illustrators und des
Betrachters nicht vollständig und nicht von vornherein
decken. Aber sie wird in jedem Falle zu Dante hin-
führen. Auch wer nur nach der Ausgabe greifen würde,
um Franz von Bayros zu genießen, den echten Vertreter
südlicher und nordischer Mischkultur, wird bei einzelnen
Blättern sofort das Vorüberrauschen dantesker Bilder
verspüren. Der Künstler hat nicht nur das landläufig
Große und Grandiose, sondern auch das unendlich Zarte
und Helle der Komödie, das Licht der Sphären hervor-
zuzaubern gewußt. Gelehrte und Ästheten werden sich
gern und nachhaltig mit den Illustrationen Franz von
Bayros’ auseinandersetzen, der auch in der Auswahl der
dargestellten Szenen teilweise neue und glückliche
Wege geht.
Nach den Entwürfen Botticellis, die den
Zeichnern der ersten illustrierten Ausgaben in Florenz,
Brescia und Venedig als Vorlagen dienten, sollen
142 Illustrationen die Wittesche Übersetzung8) der Gött-
lichen Komödie als Liebhaberausgabe schmücken. Max
von Boehn will weiter in einem besonderen Abschnitt
des Werkes eine Art Dante-Galerie geben, die sich mit
den äußeren Erscheinungen der Dante-Ikonographie
befaßt.
Botticellis Zeichnungen befinden sich im Kupfer-
stichkabinett in Berlin. Die Dantefeier der
Reichshauptstadt — Adolf von H a r n a c k und Ernst
T r o e 11 s c h waren die Redner — lenkte aller Blicke
auf sich. Möge auch von ihr neue Anregung für die
Kunstwissenschaft und die Danteforschung ausgehen und
von neuem der Beweis erbracht werden, in welchen großen
Ausmaßen sich Deutschland mit dem Genius beschäftigt.
Scartazzini drückte es in drei Worten aus, die seitdem ihren
stolzen Klang bewahrt haben: Dante in Germania.9)
8) Liebhaberausgabe des Askanischen Verlags in Berlin 1921.
,J) Titel eines weitbekannten Werkes des berühmten Forschers.
Franz Paczka,
Dante
Algraphie
Kunstverlag
Amsler und Ruthardt
Berlin
425