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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 1-13 (2. Januar - 30. Januar)
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Ich möchL wohl meinen Wohnsitz ändern,
Hinaus ziehen in die weite Welt,
Wüßt? ich nur unter allen Ländern
Ein einiges, das mir recht gefällt.
Ich will nicht viel! Ein Land nur will ich
Von Krieg und Kriegesfurcht verschont,
Wo noch der Wein ist gut und billig
Und wo man billig speist und wohnt.
Wo friedlich bei gefüllten Scheuern
Ein Volk lebt ohne Plag? und Noth,
Wo großer Mangel herrscht — an Steuern
Und einiger Ueberfluß an Brod.
Wo bettelnd nicht mit Stab und Bündel
Die Wissenschaft um Pfennige fleht,
Dieweil der feist gewordene Schwindel
Sich unausstehlich spreizt und bläht.
Diesseits des Oceans, am 31. December 1868.

Wo nicht allein das Glück der Waffen
Gesetze baut und niederreißt,
Wo nicht die Wuth beschränkter Lasten
Mit Füßen tritt Vernunft und Geist.
Wo frei sich darf die Wahrheit zeigen,
Von Schranzen nicht verhöhnt, verlacht,
Wo in der Kunst, das Recht zu beugen,
Kein Hülfsarbeiter hülft der Macht.
Wo — doch umsonst von meiner Warte
Späh? ich umher nach Nord' und Süd?!
Auf keinem Plan, auf keiner Karte
Find? ich dies glückliche Gebiet.
Ist Einem drum in irgend einem
Welttheile solch? ein Reich bekannt,
Dann sag er mir?s, sonst aber Keinem —
Und morgen zieh ich in das Land.

Die Herbstfeier.
Ei«- Erzählung vou L. M. F.

„I Mutter wer weiß!" sagte der kleine freundliche Florentin, „Es kann
morgen noch immer schön Wetter werden, und der Herbsttanz aus dem Dorf-
anger zu Stande kommen, und das Auslosen der hübschen bunten Bänderauch!
Leg' dir nur fein das weiße Kleid zurechte mit der schwarzen Taffentschürze,
und mache, daß du hübsch gesund bist."
Dabei hatte er sich sein Stühlchen an das kleine Fenster gerrückt, und
schob die Läden sorgfältig zu, um das draußen tobende Schlackerwetter möglichst
vor der lieben Mutter zu verbergen. Die aber ließ eine Thräne auf ihre Näh-
arbeit fallen und seufzte leise in sich hinein ' „Ach Gott, wenn dem Herbsttanze
weiter nichts in den Weg kommt, als Regen und Schneegestöber, da möchten
wir gern zufrieden sem, du armes gutes Kind!" —Dann schickte sie den Kna-
ben nach der Küche, daß er sehen solle, ob auch die Abendsuppe nicht überkoche,
und horchte, als der Kleine hinaus war, achtsam nach der Gegend hin, wo
man vorgestern so deutlich den Donner der Kanonen herüber hörte. Aber es
war seitdem Alles still.
„Also zu Ende gegangen ist sie auf jeden Fall, die erste große Entschei-
dungsschlacht!" seufzte Frau Elisabeth vor sich hin. „O wer doch hat den
Sieg behalten!" Es regte sich etwas in ihrem Geiste, wie heitre Zuversicht:
der alte, nie verdunkelte Waffenruhm ihrer Landesgenossen werde auch dies-
mal herrlich aufblitzend den stolzen Feind zersprengt haben. War man ja doch
kaum zwei Tagereisen vom Schlachtfelds entfernt, und im Fall eines Unglücks
mußte wohl schon längst das zurückziehende Gepäck und schwere Geschütz hier
auf der großen Straße durchgekommen sein. „Aber" — flüsterte Frau Elisabeth
nachdenklich zwischen ihre schönen Hoffnungen hinein — „aber auch den fröh-
lichen Siegesboten, wenn der Ausgang herrlich wäre, müßten wir ja erblickt
haben, und noch weit früher!" — Sie seufzte wieder tief, und ein zweiter
Seufzer um eigne, liebe Sorgen drängte sich dem um die großen Angelegenheiten
ihres deutschen Vaterlandes nach. » o -
Die alte Nachbarin Marthe trat freundlich grüßend in das Gemach. „Hal-
ten Sie mir's zu Gute, liebe Madam," Hub sie an, „halten Sie mir's dach
l« zu Gute, daß ich Ihnen so recht ungerufen über den Hals komme" —
„Setzt Euch, liebe Frau Marthe," unterbrach Elisabeth die Alte mit an-
muthlgem Lächeln, „und dann besinnt euch gefälligst darauf, daß ich weder
Sie, noch Madam heiße. Ich bin Eure Nachbarin, die Frau Elisabeth Grün-
bi?» überdies, wennJhr'S erlauben wollt. Eure recht herzlich gute Freun-
dann mußt Ihr auch nicht anders zu mir reden wollen, als
Gespräch "H' "" t vergeht nur ja alle Zutraulichkeit und alles freundliche
und i Auwald sagte die Alte, „das freundliche Reden
der liebe G?tk Zhnen wohl nun und ninrmer vergehen, so lange
bei uns hier auf Erden läßt! — Aber oönnen Sie mir
meine Art und Werse. Die Madam kann allenfalls wegbleiben; nur wenn ich

hört'mal zu Ihnen sagen soll, — da ist es gleich, als ginge mir die Kehle zu,
und wohl das Herz noch obenein. Sie kommen mir nun einmal gar nicht vor,
wie ein Ihr, sondern wie eine Sie; so still und auch so häuslich, ja ordentlich,
fast bäuerlich Sie Ihr Leben zwischen uns fortführen, schon Jahre lang einen
Tag wie den andern. — Ach, nun aber, denk' ich immer, kriegen wir ganz
aparte, wunderliche Tage zu sehen, und ehe ich's vergesse: eben darum bin ich
ja auch eigentlich gekommen. — Liebste Frau Grünwald, Sie haben's wohl bis-
weilen zu verstehen gegeben, Ihr abwesender Herr Liebster sei eigentlich ein
Soldat, — und, denk' ich zuverlässig, wohl ein vornehmer und ein recht kluger
muß er sein, sonst hätten Sie ihn nicht genommen; — also, liebe, schöne Ma-
dam, haben Sie ihm nicht etwa so viel abgelernt, daß Sie mir ein bischen
sagen könnten, wie es mit der Bataille steht? oder wie das Ding heißen mag,
was die lieben Leutchen da draußen unter einander zurechte manövrirt haben ?"
Ein schalkhaftes Lächeln, noch ein Gast aus frühern glücklichsrn Tagen her,
flog über Elisabeths holdes Angesicht. „Ja, liebe Frau Marthe," sagte sie,
„was die lieben Leutchen zurechte manövrirt haben, kann ich wahrhaftig nicht
wissen. Aber viel Anmuthiges haben sie einander gewiß nicht dabei erzeigt,
wie Ihr doch fast zu glauben scheint, so behaglich seht Ihr bei der Frage
aus."
„Ach nein, liebe Frau Grünwald! Ach nein, ich weiß —! Bei der Revue
Anno 66 stürzten sechs Kürassierreiter auf einmal in der Attake, und Einer
verrenkte sich den Arm, und der Andere brach vollends das Bein. Du meine
Güte! — Ja, und wie mögen sie nun vollends erst umfallen, wenn's eine
Bataille gibt. Gleich regimenterweise! Auf Einen Ruck, wie Pastors Fritze
seine bleiernen Soldaten, daß auch Keiner einmal Muck mehr sagt! Und dann
kommen die Husaren hinten nach geritten, und stechen sie mit den krummen
Säbeln vollends zu Tode, oder wenn sie sie damit nicht so recht abweiden kön-
nen, drehen sie ihre langen, langen Pistolen um, und manschen mit den gro-
ßen Ungeheuern Kolben drein. O ich weiß das Alles so recht aus dem Fun-
dament ! Mein seliger Mann war nicht umsonst drei Jahre lang Packknecht
gewesen im einjährigen Kriege, dazumal, als es gegen Baiern ging wegen der
Erbfolge von der großen Kaiserstadt Wien!"
Aber Frau Marthe hätte wohl noch tolleres Zeug untereinander schwatzen
können, ohne wieder jenes Lächeln über Elisabeths Antlitz hervorzulocken. Das
hielten jetzt Schleier des reicherlebten Grames tief umhüllt. Sie blickte feuch-
ten Auges wie in sich hinein, und blieb ganz regungslos und still, sinnend,
welch theures Blut wohl geflossen sein möge unter den Donnern jener ent-
fernten Schlacht. —
„Warum ich aber recht eigentlich komme," Hub Frau Marthe nach einigem
Schweigen wieder an, „das ist, weil die Welt seit vorgestern Abend anfängt,
so gar ausnehmend unheimlich auszusehen. Ich weiß nicht, — ganz weit, weit
herüber steigt da und dorten bisweilen Staub empor, wie von großen Vieh-
heerdsn oder Armeen, und dagegen ist es auf der großen Landstraße hur durch
unser Dorf so recht, recht todtenstill, als wäre die halbe Welt schon begraben,
und die andere Hälfte zum Leichenfeste aus." —
(Fortsetzung folgt.
 
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