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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 102-114 (2. September - 30. September)
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Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag.
Donnerstag und Samstag.

Bote
Preis vierteljährlich 40 kr. ohne
NÄHlI» Trägerlohn und Postaufschlag.
""V Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

^Z.104

Dienstag den 7. September

1869.

* Das Treiben des Protestantenvereins.
vm.
Wir haben eine Reihe von Aufsätzen aus sachkundiger und gewand-
ter Feder über das Treiben des Protestantenvereins gebracht, in
denen die äußerste Verbissenheit jener Sekte gegen alles Katholische
in seiner ganzen Maßlosigkeit nachgewiesen wird. Leider tritt aber
immer mehr zu Tage, daß diese Feindseligkeit bereits den ganzen
Protestantismus angefrefsen hat, wie die in unserer letzten Num-
mer citirte Aeußerung des Pfarrers Mühlhäuser und die Haltung
der orthodoxen „Warte" unschwer erkennen läßt. Wenn's gegen
den Katholicismus geht, dann sind alle Parteien innerhalb des
Protestantismus einig, — Alle schreien nach Maßregelung und
Unterdrückung, wenn irgend ein Lebenszeichen auf katholischer
Seite sich regen will, weil Alle die auf innerer Consequenz be-
ruhende große Macht der Kirche fürchten und bei dem zunehmen-
den Sektenwesen auf ihrer Seite sich ohne die schützende Umarmung
des Staates, dem sie lieber Alles preisgeben, verloren sehen. Hat
doch der in katholischen Blättern mehr wie einmal gelobhudelte
preußische Cultusminister v. Mühler den Professor der protestan-
tischen Theologie in Bonn, jetzigen Pfarrer in Dossenheim, Plitt,
von der Universität weg gemaßregelt, weil er in Rom Pius dem
Neunten sich vorgestellt und einen anerkennenden Brief über den
greisen Vater der katholischen Christenheit in die Heimath geschrie-
ben hatte! Wenn das am grünen Holze wächst, was soll da erst
am dürren werden!
Wir haben gewiß auf katholischer Seite stets jede Achtung
und Rücksicht gegenüber dem Protestantismus an den Tag gelegt
und haben uns stets nur abwehrend verhalten, ja der Pfälzer
Bote hat mehr wie einmal von diesem oder jenem Heißsporn schon
sich Vorwürfe machen lassen müssen, daß er zu zart zu Werk gehe
und in Glacehandschuhen statt in Pelzstiefeln dem Protestantis-
mus seine Aufwartung mache. Wir aber hielten uns an den
Spruch des griechischen Weisen:

„Maß zu halten ist gut!" Dies lehrt Kleobulos v. Lindos.
Indessen sehen wir die Zeit rasch heranrücken, wo es mit unserem
Maßhalten, wie die Pfälzer Bauern sagen, „geschellt" hat; denn
es gibt ein altes Sprichwort: „Wie's in den Wald hineinschallt,
schallt's auch wieder heraus!" Oder sollen wir vielleicht ^»„Tole-
ranz", „Liebe", „Achtung unserer protestantischen Mitbürger" und
andern schönen Dingen überfließen, während man ungestraft von
der Macklot'schen Druckerei ein Schandbild über Papst und Con-
cil, das alles Dagewesene an Katholikenhaß überbietet, massenhaft
über das Land wirft, ohne daß auch nur eine protestantische
Stimme laut wird, die männlich und offen für die verletzten Ge-
fühle ihrer katholischen Mitbürger sich vernehmbar macht? Sollen
wir dies thun, wenn die amtliche Verkündigungspresse tagtäglich
allen Unflath der scheußlichsten Gattung auf katholische Seite her-
überwirft, ohne daß.halt ein, Pfälzer Bote! Nein, Eins
muß aber wieder frisch in's Gedächtniß: hat man nicht landauf,
landab die Katholiken im Kriege 1866 angeklagt, sie hätten ihren
protestantischen Mitbürgern den martervollsten Tod bereiten wollen,
— wo war da auch nur die leiseste „sittliche Entrüstung", als die
Lüge selbst durch einen einzigen beherzten Beamten, den Herm
Landescommissär Winter gebrandmarkt wurde? Und da verlangt
man von uns noch fortwährendes Handküssen, während man uns
Faustschläge in's Gesicht versetzt! Pfui, über die Elenden, die sich
Solches gefallen lassen möchten, und die bei der Erinnerung der
Gegner, sie sollten auch noch den linken Backen Hinhalten, nicht mit
klatschender Hand die Antwort geben: „mit dem Maß, womit Ihr
messet, wird auch Euch gemessen werden!"
Zu diesen Erwägungen gelangten wir, als uns zufällig die jüngste
Nummer des „Süddeutschen evangelisch-protestantischen Wochenblattes"
(Nr. 35) zu Gesicht kam — wir lesen das Ding sonst nie — in
welchem wir einen Artikel über die „Heidelberger Excesse" bei der
Schulabstimmung fanden, der das Staunenswertheste im Abläugnen
von Thatsachen liefert, die unter den Augen aller Welt sich zu-
getragen haben. Wir wollen, da wir über einzelne Punkte uns noch

Berlin, 30. Aug. Die „Volksversammlung" in der
„Klosterfrage" (Schluß).
„M. H.! Wir leben im Jahrhundert der Erfindungen, der Minister v.
Rochow hat den beschränkten Unterthanenverstand erfunden (Stürmisches Bravo)
- - ja, m. H., beherzigen Sie das wohl, dann hat Hr. Hansemann gesagt:
In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf (Lebhaftes Bravo) . . . behalten
wir das wohl im Auge, ich erinnere Sie dann an das Niemals, Niemals des
- Brandenburg, an die Temperatur im Herrenhause, an das heidenmäßig
viele Geld des Hrn. v. Manteuffel, an die Blut - und Eisenpolitik, da kann
man sich über das Kloster in Moabit gar nicht wundern (Lauter, anhaltender
Allall) - . . das steht alles actenmäßig fest . . . man spricht immer vom
österreichischen Concordat . . . wir haben auch ein Concordat mit Rom, das
wird aber geheim gehalten (Große Bewegung) ... das steht alles actenmäßig
fest . . . zur Belohnung für das, was das Volk 1815 gethan, bekam er das
Preßreglement und das Concordat (Donnernder Applaus) ... der Syllabus
gilt auch bei uns . . . (Sehr richtig) . . . keine Toleranz ... das geht Ihnen
nichts an. . . ." Der Herr sprach noch sehr Vieles, unglaublich Vieles. Als
er abnat, war das Publikum schon beim dritten oder vierten Seidel und fand
kein Ende mit seinem Applaus. Hr. L. mußte wieder auf der Rampe erschei-
nen und den Tribut der Huldigung in stürmischen Zurufen in Empfang
nehmen. Jetzt kam ein Herr, der wenigstens durch eine gewisse Ordnung seiner
Gedanken wohlthuend wirkte, nämlich auf Ihren Referenten. „Wir sprechen
immer von Heuchlern, wir alle sind aber Heuchler, Sie sammt und sonders
(Ueberraschung), Sie lassen sich in der Kirche trauen, lassen da taufen, sagen
Ja und Amen, qt das nicht Heuchelei?" Lautes Bravo, eine Stimme: Nein!
„Raus, raus . . . schmeißt ihn raus . . Herr A. hat das Wort, ein Herr
mit gewaltigem Pathos, den man sofort für einen zornschnaubenden Domini-
caner auf der Kanzel gehalten hätte, wenn er nicht gegen die Dominicaner
gesprochen und sich Locraldemotrat genannt hätte. Mit einer Stimme, welche
dre Tonhalle rn ihren Grundmauern erzittern ließ, rief er aus: „Meine Lunge
rst gesund, aber sie ist nicht gesund genug gegen diese Brut, das ganze Pfaffen-
thum ist eine Luge/' (Donnernder Applaus, eine Stimme: Oho! „Raus,
„Toleranz ist eine Schwachköpfigkeit,
I oleranz, das ist dre Hosung . . ." Der nächste Redner Hub mit den Wor-
leiner"^n"D^s §nsdnch hat gesagt, in seinem Staate solle Jeder nach
wck bätt^'k V ?as war ein Affront, der diesem Publikum
Seiten ^^e?/^ä werden sollen. Unsinn, brüllte es von allen
k abtreten, Schluß, Nicht weiter reden." Der Präsident: „Ich
unter fache sprechen." Das Publikum: „Her-
veraebe «^schellte groß, daß der Präsident immerzu und
vergeoens schellte. Das Publikum: „Mund halten." Präsident: „Wenn Sie
Äbne"^M^^ Sitzung Meßen." Ein Herr von der
; H-, lassen nur durch Abstimmung entscheiden, ob Herr >1 weiter
Ea Dr. Lan'gerhans? „Drüber ist k-LLs?immü^
wied^?Mn^e^ sprechen." Der Redner kommt endlich
Rednei- "F^^drich II. sagte . . ." „Herunter, Mund halten." Der
Redner überschreit die Versammlung. „Ich will ja bloß sagen, daß, wenn

unsere Regierung die Dominicaner duldet, sie dann auch die freien Gemeinden
(zu denen Redner gehört) gewähren lassen sollte, wir wollen auch nach unserer
Fa^on selig werden, so gut wie die Dominicaner." „Herunter, Raus . .
Der Redner muhte abtreten.
„Der nächste Redner sprach ruhig, verständig, aber ohne Beifall und ver-
anlaßte daher den Antrag eines Mitgliedes, daß kein Redner Länger als zehn
Minuten sprechen solle. Der Glofsenreißer, der zuerst in der Sitzung das Wort
gehabt und lauter rhetorische Purzelbäume geschlagen hatte, sprach gegen die-
diesen Antrag mit voller Nachsicht für den letzten Redner, weil man auch Den
geduldig anhören müsse, der nicht „nach den Regeln der Rhetorik" (wie er
selber?) spräche. Dam kam ein Mann, der sich Ingenieur nannte. „Jeder
nach seiner Fa^on. Das ist das Verkehrteste, was es geben kann." Ein Buch-
bind ernreister tritt auf und will den Gedanken des Redners deutlich machen,
der Friedrich II. citirt. Sofort wieder Präsident und Publikum: „Zur Sache."
Der Redner spricht auch gegen den Lafsalleanismus, wobei Niemand ruft:
„Zur Sache!" dagegen sehr viele Stimmen ihr „Oho" erschallen lassen. Der
Nachfolger auf der Tribüne geißelt scharf des CultusministerZ Verfahren gegen
das Kloster, indem er den Orden als bloßen Verein betrachte und unter das
Vereinsgesetz stelle, da doch der Orden weder Statuten noch Mitglieder - Ver-
zeichniß eingereicht habe. Er schließt mit den Worten: „Treten wir Alle aus
der Kirche aus, dann ist Berlin wahrhaft die Stadt der Intelligenz und die
Hauptstadt Deutschlands." Nächster Redner: „Die Ohrfeige in der französischen
Kirche hat die Dominicaner angelockt ... das Militär ist Schuld an dem
Ordenswesen . . . was die Kinder in der Schule lernen, ist Lüge (sehr richtig)
. . . Zum Schlüffe declamirt er in sehr erhabenem Tone ein Gedicht gegen
die Jesuiten, denen nachgesagt wird, daß sie sogar ein Königsherz mit ihrem
Dolche nicht schonen. Ein royalistisches Grauen überlief die Versammlung.
Viel Bravo und Händeklatschen. Der Redner verbeugt sich wiederholentlich.
Nun kam das Opfer des rasenden See's an die Reihe. Ein katholischer
Jüngling (Herr Richter, Mitglied des kathol. Gesellen - Vereins) trat für
den Orden auf. Der gleich nach den Worten aus seinem Munde einbrechende
Sturm entzieht sich jeder genauen Beschreibung. Das Präsidium bemühte sich,
ihn niederzuschlagen, um auch den Gegner zu Worte kommen zu lassen. Das
Publikum spottete der Glocke und der Heisern Stimme von der Bühne her.
Der Jüngling, der den Orden vor dem Vorwurfe der Faulenzerei dadurch
schützen wollte, daß er ihm die Pflege und Erziehung von Waisenkindern als
schwere Pflichten zuschrisb, wurde von der Tribüne fast heruntergerissen, bahnte
sich mühsam durch geballte Fäuste und unter schweren Bedrohungen den Weg
durch die Versammlung und wurde von den Letzten am Kragen gepackt und
aus der Thüre geworfen. Darauf Herr Aaron: „Das Jahr 1866 hat uns
die Klöster gebracht; bei Königgrätz hat das System Mühler gesiegt . . . ."
So ging es weiter bis 2 Uhr. Redner und Zuhörer von dem Genre dieser
Versammlung mögen des Abends in Moabit an ihrem Platze sein und da eher
was ausrichien als mit ihren Resolutionen, die heute gefaßt sind. In den
Händen solcher Leute wird jede ernste Frage zur Carricatur.
 
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