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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 141-152 (2. Dezember - 30. Dezember)
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Mr AM


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Jns.-Geb. 2 ?r. die Spaltzeile.

^L141.

Donnerstag den 2. December

1869.

Rede des Abg. Roßhirt in der Generaldebatte
über die Civilehe.
(Schluß.)
Es ist heute schon erwähnt worden, doch ich glaube es noch-
mals erwähnen zu dürfen, daß das Verhäliniß der Protestanten
in Frankreich, welche allerdings seit der Aufhebung des Edicts von
Nantes in äußerst precärer Lage waren, zuerst zu einer bürger-
lichen Eheschließung führte. Als sich die freiheitlichen Ideen am
Ende der 80er Jahre in Frankreich regten, sah sich die Regierung
Ludwigs XVI. in der Lage, für die Protestanten ausnahmsweise
dis Civilehe zu gestatten. —
Das war der erste Gedanke.
Dieses Verhäliniß wäre aber ausnahmsweise zu Gunsten der
Protestanten geblieben, wenn nicht dann die Theorie und in Folge
besten die Revolution sich oer Sache bemächtigt hätten. Die Juri-
sten waren es, die zuerst den Unterschied zwischen Sacrament und
Vertrag schufen, ich kann mich in Folge früherer Lectüre auf ernen
der berühmtesten Juristen jener Zeit berufen. Die Revolution be-
mächtigte sich des fraglichen Gedankens, und im Jahre 1791 hat
die eonstituirende Versammlung erklärt, die Ehe sei em bürgerlicher
Vertrag, oontraet eivil; das Gesetz von 1792 schuf dann die
Formen und Normen für die Einrichtung, welches Gesetz übrigens
später wegen seiner übrigen Theile von der civilisirten Welt stets
in sehr harter Weise beurtheilt worden ist, und was die Ehe be-
trifft, es auch um deßuullen verdient, weil es, während es auf der
einen Seite die bürgerliche Ehe normirt, auf der andern Seite die
Ehescheidungsgründe in höchst bedauerungswerther Weise erweitert.
Die napoleonische Gesetzgebung behielt den Gedanken der Civilehe
bei, führte aber die Scheidungen auf ein bescheideneres Maß
zurück. Auch ist es, wie der Herr Abg. Baumstark erwäbnte,
von großem Gewicht, daß das Gesetz vom Jahr 1816 in Frank-
reich die Ehescheidungen sogar aufhob.
Was that nun der bad. Gesetzgeber?
Ich glaube, dem Commissionsbericht und den Motiven der
Gr. Regierung gegenüber auf diesen Punkt noch mit einigen Wor-
ten kommen zu sollen.
Der bad. Gesetzgeber behielt die kirchliche Form der Ehe-
eingehung bei, als er sich Vas napoleonische Gesetzbuch zu eigen
machte; die ganze Gesetzgebung jener Zeit, das erste Constitutions-
edict vom Jahre 1807, die Eheordnung vom Jahre 1807, das
Einsührungsgesetz zum Landrecht, alle die Operate des Gesetzge-
bers gehen davon aus, die kirchliche Eingehungsform beizubehal-
len. Das Constitutionsedict findet die Ehesachen gemischt, es
erklärt den Pfarrer zum geistlichen Staatsbeamten. Die Aufstel-
lung einer reinen Civilehe war dem Gesetzgeber jener Zeit ein
noli ms tamssr-s und doch war jener Gesetzgeber sebr versucht, bei der
tulrulu I-U8U die er vorfand, die Civilehe vollständig und in dem
Sinn des napoleonischen Gesetzbuches emzuführen, ich sage bei der
tndulu rasa, und meine damit das Verhältniß, daß damals Alles
neu war; es war dies jene Zeit, wo man einer totalen Neuge-
staltung aller staatlichen Verhältnisse gegenüber stand. Tie Kirche
lag am Boden, sie lag darnieder, von ihr war kein Widerstand zu
befürchten. Im Uebrigen ist gerade jene Gesetzgebung selbst in
der neuesten Zeit, z. B. im Jahre 1860, bei der Schaffung der
neuen Gesetzgebung als Muster anerkannt worden, und doch
ist sie nie so weit gegangen, die reine bürgerliche Ehe einzuführen.
— So war der Zustand der Dinge in Baden bis zum Jahre
1860. Nun soll die Gesetzgebung vom Jahre 1860 den Umschwung
herbeigeführt haben, oer zur Civilehe überleite. Wir haben heute
gehört, daß man damals gerade in Rücksicht auf die Volksan-
schauung nicht geneigt war, zur Civilehe überzugehen. Nun sagt
man, und ich beziehe mich hier auf die Motive des vorliegenden
Gesetzentwurfes, die Freiheit und Selbstständigkeit der
Kirche, die im Jahre 1860 vom Gesetzgeber eingeführt worden,
nöthige zur Civilehe, diese sei eine Consequenz der Gesetz-
gebung des Jahres 1860, eine Consequenz, die man nur so-
gar ungern damals schon zu ziehen unterlassen habe, und die
jetzt nothwendiger Weise gezogen werden müsse. —
mA gewundert, daß der Abg. Lamey der Freiheit
und Selbstständigkeit der Kirche gegenüber von der Freiheit des
Staates spreche. Ich glaube, daß diese Freiheit doch wohl von

jeher vorhanden war, der Staat wollte im Jahr 1860 der Kirche
die Freiheit gewähren, er selbst brauchte sicht nicht die Freiheit zu
vindiciren; er hatte sie schon.
Welche Deutung hatte nun die Gesetzgebung des Jahres 1860?
Die Gesetzgebung jenes Jahres leitet sich selbst in einer Weise
ein, daß nach dieser Einleitung weder sie noch ihr Vollzug meiner
Ansicht entsprach. Lesen wir die Rede, mit welcher das Ministe-
num des Jahres 1860 das erstemal in diesem Saale auftrar, so
finden wir darin, daß die von jenem Ministerium vorher mit dem
hl. Stuhls abgeschlossene, aber von den Kammern verworfene Con-
vention ' ihrem Inhalte nach im Staatsgesetze einen berechtigten
Ausdruck finden sollte. Von dem gleichen Gedanken, wenn sie sich
auch anderer Worte bedient, geht die allerhöchste Proclamation
vom 7. April 1860 aus, und ähnlich spricht sich das Gesetz über
dis Kirchen in seinem Z 7 selbst aus; allein diesem Paragraphen
folgen viele andere und aus den folgenden Paragraphen hat ein
geistreicher Staatsrechtslehrer, den wir heute in diesem Saale ver-
ehren, den Präsidenten des andern hohen Hauses, in seinem Com-
missionsbericht zu jenem Gesetz die Folgerung gezogen, daß das
System des einen Gesetzes in einer Verbindung zwischen Kirche und
Staat besteht, bei welcher Verbindung indessen der Einfluß des
Staats ein bedeutend vorwiegender sei. Es ist natürlich, daß dec
Einfluß des Staats in irgend einer staatlichen oder gemischten
Angelegenheit vorwiegend sein wird, allein es bezieht sich jener
Ausspruch auf die inneren Angelegenheiten der Kirche selbst, nicht
auf die Staatsangelegenheiten in der gedachten Art. Auch deutet
der jetzige Commissionsbericht an einer Stelle darauf hin, daß man
damals die Idee gehabt habe, daß der Staat, die Staatsgesetzge-
bung, das nöthige Lebensgebiet der Kirchs zuweist. Im Ganzen
könnte man sich in dieser Art der Gesetzgebung einverstanden er-
klären, allein es kommt natürlich vor Allem darauf an, wie man
zuweist; es kommt darauf an, ob nach richtigen Prmcipien zuge-
wiesen wird. So natürlich darf die Sachs nicht angesehen werden,
daß man sagt, „ man gibt den selbstständigen Corporationen, der
Kirche, was dem Staat gut scheint", — sondern, das muß nach
richtigen Grundsätzen bemessen werden.
Fassen wir nun die Praxis in's Auge:
Auch nach dem Jahre 1860 ist die Praxis nicht der Art ge-
wesen, daß sie eine so freie Stellung der Kirche zugelassen hätte,
daß in der Folge Argumente und Motive für die Nothwendigkerr
der Civilehe daraus abzuleiten gewesen wären. Die Verbindung
zwischen Kirche und Staat, und zwar zwischen den beiden Kirchen
und dem Staat, war immerhin noch eine sehr große. Betrachte
ich die evangelische Landeskirche, so bedarf es wohl keiner weiteren
Ausführung, daß sie in ihrer ganzen Einrichtung dem Einfluß der
Staatsgewalt unterworfen ist. Betrachte ich andererseits die kath.
Kirche, so ist der Einfluß des Staats auf sie immerhin noch ein sehr
großer. Ich erinnere z. B. an den Einfluß des Staats auf die
Bffchofswahl, auf die Wahl der Domcapitulare. Es hat sich in
letzter Zeit gezeigt, wie entscheidend der Einfluß des Staats in
Beziehung auf die Wahl der Persönlichkeiten ist, welche die kathol.
Kirche irü Lände zu leiten berufen sind.
Im norddeutschen Bunde ist man bekanntlich mit derlei Be-
setzungen stets leichter zu Stande gekommen, als bei uns. Z. B.
erinnere ich an die Besetzung des erzbischöflischen Stuhles zn Köln,
bei welcher der den norddeutschen Bund leitende Staatsmann thätig
geworden ist. Gehen wir herab auf die Pfründen, so präsentirt
der Staat die Geistlichen auf mehr als 300 Pfarreien; er hat die
Mitwirkung bei Besetzung von über 150 anderen Pfründen; und
obendrein das gesetzliche Recht, diejenigen Geistlichen, die auf die
übrigen 160 Pfründen vom Bischof gewählt und ernannt werden,
auszuschließen, wenn sie ihm politisch oder bürgerlich mißfällig er-
scheinen. Der Staat hat ferner die Staatsprüfung der Geistlichen
angeordnet; während ferner die allgemeinen Strafgesetze, die etwa
gegen Amtshandlungen der Geistlichen Anwendung finden könnten,
gewiß nicht — wir haben dieses schon mehrfach in diesem Saale
besprochen — zu milde sind, so hat der Staat auch noch Sonder-
gesetze, Ausnahmsgesetze gegen die Geistlichen erlassen. Die Ver-
mögensverwaltung — Personen und Vermögen sind aber gerade das-
jenige, was in der äußeren Welt erscheint — wird von Staat und
Kirche gemeinsam geleitet, und es wird der Zeitpunkt hervortreten,
in welchem der Kirche vielleicht noch viel empfindlichere Schädigun-
 
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