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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 115-127 (2. Oktober - 30. Oktober)
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Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag,
Donnerstag und 8amstag.

117.

Donnerstag den 7. October

1869.

Telegramm.
* Karlsruhe, 5. Okl. Stürmische Sitzung über die Adresse
von Morgens 9 bis Mittags 4'/s Uhr. Alle unsere Redner im
Feuer. Jolly und Freydorf äußerst gereizt, Lamey brutal. Seit
1848 keine ähnlichen Scenen. Baumstark, Bissing, Lender und
Lindau reichten einen energischen Gegenentwurs einer Adresse ein;
natürlich verworfen. Weiteres folgt.
Rede des Grafen Friedrich von Berlichingen.
(Nach dem Bad. Beob.)
Durch!, hochgeehrte Herren! In der Adreßkommiffion gab es
eine Majorität und eins Minorität. Die Majorität bestand aus
4 Herren; die Minorität bildete ich. Ich hätte einen Minoritäts-
entwurf aufstellen können, allein in diesem Falle wären Sätze zu
streichen gewesen, und das geht nicht wohl bei einem solchen Akten-
stücke. Ich unterließ daher die Aufstellung einer Mmoritäts-Adresse
aus zwei hauptsächlichen Gründen. 1. da die Macht fehlet, solche
durchzusetzen, und 2. weil mir die Zeit dazu gebrach, indem der
Entwurf der Majorität mir erst einen Tag vor der Sitzung zukam.
Ich werde aber gegen die Adresse der Majorität stimmen; weder
der Commission und dem Hrn. Berichterstatter Dank sagen, wie
Herr St.-M. Jolly, noch schweigen über die Lage, wie Hr. Gey.
Rath Bluntschli, denn ich vertrete eine Partei im Lande, welche
nichl einverstanden ist mit der äußeren und inneren Politik der
Regierung, wie solche in der Thronrede dargelegt ist.
In Bezug auf die inneren Verhältnisse des Landes theile ich
die Regierungsvorlagen ein in solche Vorlagen, die gemacht wer-
den , und in solche, die erwartet werden. Es freut mich sehr, daß
die Thronrede mit aller Offenheit eingesteht, es sei seit den letzten
zwei Jahren kein entscheidender Schritt zur Vereinigung mit dem
Nordbund geschehen. Ich kann das nur entschieden billigen, und
es freut mich, weil ich durchaus nicht damit einverstanden bin,
daß die von der Regierung angestrebte Verbindung mit dem nord
deutschen Bunde sich vollziehe. Man hat nun feit drei Jahren
die Erfahrung gemacht, daß es aussichtslos ist das Streben, in
die gesuchte Vereinigung mit dem Nordbunde zu gelangen. Wie
ganz anders stünden unsere Verhältnisse, wenn man die Vereini-
gung mit den süddeutschen Nachbarstaaten bewirkt hätte, statt jener
mit dem Nordbunde. Wir hätten geringere Steuern, geringere
MiLitärlast. Es ist nun freilich schon spät für die Vereinigung
der Südstaaten, aber zu spät ist es noch nicht. Die Aufgabe die-
ser Vereinigung der Südstaaten wäre, ein Bindeglied zwischen
Oesterreich und Preußen zu bilden. So lange wir Oesterreich als
Feind im Rücken haben, sind wir unserer Sicherheit nicht gewiß.
An dem dermaligen Nordbunde kann ich keine Freude haben. Der-
selbe läuft auf die Verpreußung hinaus, stellt Deutschland unter
die preußische Hegemonie, und macht die Stämme und Einzelstaa-
ten zu Vasallen Preußens; der Hegemone diktirt, die Andern müs-
sen gehorchen. Es ist sonderbar, im türkischen Reiche suchen die
Völker sich von der Vasallenschaft loszumachen, das türkische Joch
abzuschütteln, und bei uns strebt man darnach, in ein Vasallen-
verhältniß zu kommen. Von seinem deutschen Berufe habe ich
Preußen nicht in allen Fällen durchdrungen gefunden. Als Luxem-
burg von Deutschland abgerissen werden sollte, war ganz Süd-
deutschland aus nationalem Ehrgefühle und Patriotismus bereit,
Gut und Blut einzusetzen für die Integrität des deutschen Bodens;
anders aber in Preußen, man hatte da sich mit Eroberungen vor-
läufig gesättigt, unö fand es nicht von Werth, wegen eines solchen
Fetzen kleinen Landes Blut zu opfern. So ist preußisch und deutsch
nicht in allen Fällen identisch.
In unserm Volke — die Regierung kann es wissen — besteht
eine entschiedene Abneigung gegen den Anschluß an Preußen. Ich
glaube, daß diese Abneigung ebensoviel gelte, als das Drängen
von anderer Seite, wodurch die Einmischung des Auslandes ver-
anlaßt wird. Preußen hat Unsegen über Deutschland gebracht;
es hat 1866 Deutschland zerrissen, Oesterreich hinausgedrängt, kurz
nur Nachtheil geschaffen. °
Ich müßte es geradezu für einen Staatsstreich erklären, wenn
einseitig ein Anschlußvertrag mit Preußen abgeschlossen werden würde.
Ich kann nicht zugeben, daß diese Kammer der Ausdruck des Volks-
willens sei; die Reformbedürftigkeit dieses hohen Hauses ist als

dringend längst bezeichnet worden. In die Angelegenheiten des
andern Hauses mische ich mich nicht ein. Aber zu bemerken kann
ich mir erlauben, daß unter der Herrschaft des bestehenden Wahl-
systems die zweite Kammer ebenfalls nicht die Meinung des Lan-
des repräsentirt. Wenn die Regierung Unternehmungen machen
will, welche auf die Meinung des Volkes gestützt sein sollen — wie
hier der Anschluß an den Nordbund — so wird dieselbe selbst für
die Reform des Wahlsystems Sorge zu tragen haben, um den wah-
ren Ausdruck des Willens der Bevölkerung zu ermitteln — würde
die Negierung dieses nicht thun, so könnte ich einen Act wie den
Anschluß an den Nordbund nur dann für gültig ansehen, wenn
in einer allgemeinen Volksabstimmung das Volk darüber entschie-
den hätte. In solchem Falle, wenn das Volk sich für den Anschluß
entschiede, gemäß seines Selbstbestimmungsrechtes, würde das Aus-
land sich keine Einmischung erlauben können, und auch wirklich
nicht versuchen.
Allein wenn einmal doch von diesen Anschlußbestrebungen ge-
gen den Willen des Volkes nicht abgelassen werden will, dann
möchte ich die sofortige Annexion einer Carrikatur von staatlicher
Selbstständigkeit vorziehen. Ich würde lieber Mußpreuße 1. Kl.,
statt Mußpreuße 2. Kl. Mein Vater war unter Kaiser und Reich
reichsunmittelbarer selbstständiger Territorialherr ; mein Sohn wird
vielleicht Preuße werden müssen; von meinem Enkel hoffe ich aber,
daß er werde deutsch sein können.
Was die Freiheiten im Innern anbetrifft, so ist mir davon
nichts bekannt, und ich vertrage doch eine starke Portion Freiheit,
mehr als bei uns und im Nordbund vorhanden ist. Man will
sagen, das Volk sei wetterwendisch — wenn es das sein sollte, so
hat man es von oben herunter dazu gemacht, denn von Hause aus
ist das Volk nicht so.
Auch die Regierungen sind wetterwendisch — wie ost ist da
die Farbe gewechselt worden; ein ganzer Farbenkasten voll Farben-
wechsel. Bezüglich der Regierungsvorlagen für die innere Gesetzge-
bung vernehme ich mit Befriedigung, daß für politische Vergehen
Schwurgerichte eingeführt werden sollen, ich werde wohl sagen dür-
fen: wahrscheinlich auch geltend für Preßvergehen.
Gefreut hat es mich, daß eine Reform der zweiten Kammer
erfolgen soll durch ein anderes Wahlgesetz. Ich bin ganz dafür,
das Gute, was bei dem Grafen Bismarck zu haben ist, zu accep-
tiren, allein bei uns ist eine deßfallsige Freude selten zu genießen.
Was die Gesetzesvorlagen über bürgerliche Standesbeamtung
und obligatorische Civilehe betrifft, so erkenne ich einen durchaus
erwachsenden Vortheil nicht; es bildet aber eine Forderung der
Zeit, und deßwegen kann ich dafür sein. Sollten aber etwa Ge-
wissen dadurch verletzt werden, dann müßte ich mich dagegen er-
klären, denn ich achte die Gewissensfreiheit Anderer, so wie ich sie
für mich selbst beanspruche.
Es wird von freudiger Tragung der Steuern gesprochen, die
prompt eingegangen seien. Ich muß gestehen, von dieser Freudig-
keit nichts wahrgenommen zu haben. Man weiß ja wie es da
gehet: die Kammern bewilligen die Steuern, und der Bürger muß
dann sie bezahlen. Zu erwähnen hätte ich, daß in Bezug auf die
Steuern eine gerechtere Vertheilung sich sehr empfehlen würde. Die
Kapilalsteuer könnte eine Erhöhung recht gut vertragen im Hinblicke
auf die hohen Renten und Zinsen, welche das Kapital von Staats-
papieren, Aktien rc. zieht, wogegen die Gewerbesteuer und insbe-
sondere die Grundsteuer, die so sehr erhöht wurden, außer Ver-
hältniß und drückend sind. Der Bodenwerth ist gefallen, die Grund-
steuer gestiegen, darin liegt ein drückendes Mißverhältnis
Die allgemeine Wehrpflicht ist das natürliche System, welches
von dem Princip der Gerechtigkeit gefordert wird; der geringere
Mann fühlt sich gehoben, wenn er sieht, daß der vermöglichere,
der Sohn aus gebildeter Klasse gleiche Last für das Vaterland
zu tragen hat wie er. Allein dafür ist durchaus eine dreijährige
Präsenz nicht nothwendig, hiergegen bestehet ein entschiedener Wi-
derwille bei dem Volke. Das Militärbudget wurde vor 10—20
und längeren Jahren von den Ständen stets angegriffen und je-
weils über dessen Höhe geklagt. Da mußte immer der Bundes-
tag als Sündenbock herhalten; es wurde der Vorwurf erhoben,
der große Militärauswand werde verlangt für den Glanz der Sou-
veränitäten.
Damals hatten wir nicht halb so viel Militär und keinen
 
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