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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1869

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Nr. 14-25 (2. Feburar - 27. Februar)
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16. Samstag den 6. Februar 1869.


* Der Recurs an das Großh. Staatsmini-
sterium wegen Aufhebung des Vereines katholischer
Jungfrauen auf dem Lindenberg.
(Fortsetzung.)
Um was handelt es sich demnach? Selbstständige, rechtsfähige
Personen erachten es für ihr Seelenheil ersprießlich die evangelischen
Räthe zu befolgen; sie bewohnen ein Privathaus, Eigenthum einer
derselben, sie beobachten eine gemeinsame Hausordnung, arbeiten
und beten; sie stehen zu den Gemeinds- und Staatsbehörden ganz
in demselben Verhältniß, wie die Bewohner der anderen Hofgüter
und sie unterstehen der kirchlichen Obrigkeit in keiner andern Weise
als sämmtliche Katholiken des Landes.
Zu Freiburg bestand ein uraltes Ordenshaus der Domini-
kanerinnen, welches nach der von der Staats- und Kirchengewalt
modificirten Regel von 1811 immerhin eine Congregation im
Sinne des kanonischen Rechtes verblieben war.
Die Mitglieder legten nach Ablauf der Prüfungszeit und
nach erstandener Prüfung mit bischöflicher Genehmigung die Ge-
lübde ab und erlangten dadurch lebenslänglich alle Rechte einer
Conventualin; sie trugen das Gewand des Ordens und führten
nach Maßgabe ihrer Regel ein gemeinsames religöses Leben unter
Leitung einer Vorsteherin, welche die Disciplin handhabte, das
Vermögen verwaltete und die Hausämter besorgte; sie hatten einen
kirchlich bestellten Beichtiger und die s. g. bischöfliche Clausur zu
beobachten; sie bildeten eine Corporation mit eigenem Vermögen,
eine wahre juristische Persönlichkeit.
Wenn nun nach der Anschauung dec Großh. Regierung diese
Anstalt eine rein weltliche war, so ist es doch schlechterdings un-
möglich in dem Bauernhof aus dem Lindenberg ein Kloster und
in der Vereinigung der dort wohnenden Jungfrauen einen religiö-
sen Orden im Sinne des §11 des Gesetzes vom 9. Oct. 1860
zu erblicken!
Angenommen aber auch, Alles was der Ministerialerlaß an-
führt, sei richtig, richtig, daß die auf dem Lindenberg gebildete
Bereinigung seit dem Jahr 1860 den Character eines religiösen
Ordens angenommen habe, so besteht der allergrößte Jrrthum in
der Annahme: daß nach dem 9. October 1 860 verboten
sei, was vor dem 9. October 1860 erlaubt gewesen.
Wie, die verheißene freiheitliche Entwickelung und Selbst-
ständigkeit auf allen Gebieten des Lebens sollte nur zu vermehr-
tem Zwang, zur Unterdrückung der natürlichsten Freiheit geführt
haben?!
Vor wie nach 1860 konnte „die römisch-katholische Kirche"
ohne Staatsgenehmigung keinen religiösen Orden einführen und
keine neue Anstalt eines eingeführten Ordens errichten, daran
hat die neue Gesetzgebung nichts geändert, sie hat die alte Beschrän-
kung der Kirchengewalt festgehalten. Wohl aber hat sie der schon
verfassungsmäßigen staatsbürgerlichen Freiheit in der Anwendung
aus confessionclle Verhältnisse noch bestimmteren Ausdruck verliehen
in § 3 des Gesetzes vom 9. October mit den Worten:
„D ie Bildung religiöser Vereine."
Es ist die Frage zu. beantworten, ob Angehörigen des badi-
schen Staats, ohne specielle Genehmigung der Staatsregierung, ge-
stattet sei, in einer gemeinschaftlichen Haushaltung, unter Beob-
achtung einer bestimmten Hausordnung, nach gewissen religiösen
sie lediglich in ihrem Gewissen verbindenden Regeln zu leben oder
nicht?
Diese Frage muß nach badischem Recht unbedingt bejaht
werden und zwar in dem Umfang, daß jene Berechtigung selbst
wirklichen Ordensleuteu nicht versagt werden kann.
Die hier zur Anwendung kommenden Gesetze sind die Ver-
fassungsurkunde, das Gesetz über die rechtliche Stellung der Kirchen
und kirchlichen Vereine im Staate und das Gesetz über das Ver-
sammlungs- und Vereinsrecht.
In diesen Gesetzen ist das Princip der Freiheit aufgestellt
und angewendet mit bestimmt bezeichneter Ausnahme:
1) Freiheit im Allgemeinen; „die staatsbürgerlichen Rechte
der Badener sind gleich in jeder Hinsicht-Eigenthum und
persönliche Freiheit der Badener stehen für Alle aus gleiche Weise
unur dem Schutze der Verfassung." § 7. 13. V. U.

Jeder ist daher berechtigt, sich aufzuhalten wo er will und sich
zu kleiden wie er will, in seinem Hause so viel Personen aufzu-
nehmen, als ihm beliebt und die Bedingungen der Aufnahme fest-
zustellen, in seinem Hause die ihm entsprechende Ordnung einzu-
führen, zu arbeiten oder müßig zu gehen, sich selbst dis ihm zu-
sagende Beschäftigung und seinen Beruf zu wählen.
2) Gewissensfreiheit; „Jeder Landeseinwohner genießt
der ungestörten Gewissensfreiheit und in Ansehung der Art seiner
Gottesverehrung des gleichen Schutzes." § 18. V. U.
Es ist daher auch jeder Katholik berechtiget, seinen religiösen
Ueberzeugungen gemäß, mit seinen Hausgenossen zu leben, bestimmte
religiöse Hebungen nach gewissen Satzungen, selbst denen des hl.
Jgnatrus von Lojola vorzunehmen, sich besondere Verpflichtungen
auszuerlegen, die evangelischen Räthe zu beobachten und sich dazu
durch Gelübde in seinem Gewissen zu verpflichten, kurz in jener
Weise zu leben, wie er es in seinem Gewissen und nach den Grund-
sätzen der katholischen Kirche für sein Seelenheil am nützlichsten
erachtet. Wenn nun gar die Art und Weise, in welcher der Katho-
lik diese Befugnisse ausübt, den Lehren seiner gewährleisteten und
selbstständig erklärten Kirche entspricht, so ist seine Berechtigung
vollends unanfechtbar.
3) Verernsfreiheit; diese ist in Baden derart festge-
wurzelt und selbstverständlich, daß das neue Gesetz vom 21. Nov.
1867 nur die Ausübung derselben regelt. Nur gegen solche Ver-
eine, welche den Staatsgesetzen oder der Sittlichkeit zuwiderlaufen,
oder den Staat und die öffentliche Sicherheit gefährden, sind Re-
pressivmaßregeln gestattet. § 4.
Es können daher Katholiken zu den obenerwähnten erlaubten
und friedlichen Zwecken sich auch vereinigen und solche in Gemein-
schaft befolgen, und das ist es, was zu allem Ueberfluß in den
allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes vom 9. October 1860,
welches sich selbst auf § 18 V. U. beruft, noch ausdrücklich sanc-
tionirt wird:
„Die Bildung religiöser Vereine ist gestattet."
Sonach haben alle badischen Katholiken staatsrechtlich die vollste
Befugniß sich in Vereinen oder Associationen zu oeliebigen kirchlich
religiösen Zwecken zu verbinden. Das Gesetz unterscheidet nicht,
ob die in solche Gemeinschaften tretenden Katholiken zusammen-
wohnen, sich gleichartig kleiden, durch Gelübde in ihrem Gewissen
sich gebunden haben , Priester oder Laien sind.
Die Staatsgewalt kann von ihrem Standpunkte aus solche
zusammenwohnende Individuen nicht anders als alle übrigen Pri-
vatassociationen betrachten und behandeln. Das Innere des Hau-
ses, in welchem diese Individuen zusammenwohnen, die Hausord-
nung, das religiöse Leben, der Abschluß nach Außen, selbst wenn
dies alles einen klösterlichen Anstrich haben sollte, macht dem Staate
gegenüber das Haus nicht zu einem Kloster. Erst dann, wenn eine der-
artige Vereinigung etliche Anerkennung, namentlich mit Verleihung
corporativer Rechte beanspruchen wollte, würde die Staatsgewalt ihre
Billigung oder Nichtbilligung zu erklären haben.
Man kann deshalb gewiß nicht, wie geschehen, die besondere
Bestimmung über die rechtliche Stellung der — römisch-katholischen
Kirche in § 12 entgegenhalten:
„Ohne Genehmigung der Staatsregierung kann kein religiöser
Orden eingeführt und keine einzelne Anstalt eines eingeführ-
ten Ordens errichtet werden."
In dieser Gesetzesstelle (abgesehen von dem in § III dieser
Schrift über religiöse Orden Bemerkten:) liegt einfach eine Beschrän-
kung der in § 7 declarirten Freiheit und Selbstständigkeit der Kirche,
ist die Genehmigung der Staatsregierung zur Bedingung gemacht,
falls die Kirchengewalt einen religiösen Orden einführen wollte, was ohne
solchen Vorbehalt der Staat anerkennen müßte, weil es nach ge-
meinem Recht ein Attribut der Kirchengewalt ist.
Diese Bestimmung hindert aber m keiner Weise die Landes-
einwohner selbst religiöse Vereine zu bilden und keine Bestimmung
desselben Gesetzes kann mit einer andern in Widerspruch stehen.
Nach der von Großh. Ministerium des Innern beliebten Auslegung
würde wenigstens für Katholiken der § 3 nicht existiren, wären für
sie alle Grundsätze über persönliche Gewissens- und Vereinssreiheit
aufgehoben. Einem jeden religiösen Verein mit Einrichtungen und
Zwecken, die sammt und sonders durch kein Gesetz verboten, viel-
mehr erlaubt und löblich sind, könnte man die Behauptung entge-
 
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